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II. Der Konkretisierungsvorgang und die Auslegungsmetapher

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Nach traditionellem Verständnis besteht die Auslegung von Gesetzen darin, dass der Normtext soweit „entfaltet“ (bzw. „ausgelegt“) wird, bis die in ihm gleichsam versteckte Lösung des Auslegungsproblems deutlich wird. Realistischer ist demgegenüber die Annahme, dass die Lösung des Problems noch nicht wirklich im Normtext (wie in einem Behälter voller Bedeutungen, unter denen die richtige nur herausgesucht werden muss) „steckt“. Vielmehr besteht in den Fällen, in denen eine Auslegung streitig ist, ein Bedeutungskonflikt zwischen den Beteiligten am Strafprozess,[9] und der Rechtsanwender hat den Konflikt über die Bedeutung des Normtextes tatsächlich selbst zu entscheiden. Er hat zwar das Gesetz, an das er nach Art 20 Abs. 3, 97 GG gebunden ist, als zentralen Orientierungspunkt. Auch dieses entbindet ihn jedoch nicht von der Last, letztlich eine eigene Entscheidung zu treffen.[10] Dieses unterschiedliche Verständnis vom tatsächlichen Vorgehen bei der Auslegung muss hier nicht vertieft werden – denn unabhängig davon gilt: Für die Entfaltung der oder aber die Entscheidung über die Bedeutung des Normtextes sind Hilfsmittel erforderlich. Diese Hilfsmittel sind zahlreich (und theoretisch sogar unbegrenzt), wobei die Diskussion üblicherweise durch die sog. Kanones der Auslegung geprägt ist, bei denen üblicherweise insbesondere zwischen grammatischer, systematischer, historischer und historisch-genetischer sowie teleologischer Auslegung unterschieden wird. Hinzu treten insbesondere die „Konformauslegungen“, also verfassungskonforme, konventionskonforme, richtlinienkonforme etc. Auslegung.

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Wie „funktionieren“ nun diese Kanones bei der Entscheidung über den Bedeutungskonflikt? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich noch einmal den Ausgangspunkt der Überlegungen klar machen. Dieser ist die Frage, ob ein bestimmter tatsächlicher Fall vom Gesetz „gemeint“ ist, d.h. ob er „unter das Gesetz passt“ oder nicht. Ein Fall wird dann immer umso weniger „unter das Gesetz passen“, wenn der fragliche Begriff eng verstanden wird, d.h. wenn die mit ihm verbundenen Bedeutungsmöglichkeiten reduziert werden können. Umgekehrt wird der Fall umso eher von einem Gesetzestext erfasst sein, wenn der dort verwendete Begriff weit verstanden wird, d.h. wenn die mit ihm verbundenen Bedeutungsmöglichkeiten vermehrt werden. Mit anderen Worten: Kanones der Auslegung sind letztendlich Argumente für eine Vermehrung oder Reduzierung der Bedeutungsmöglichkeiten von gesetzlichen Begriffen, indem der Begriff in einen bestimmten Kontext gestellt wird. Bei der grammatischen Auslegung ist dies der Kontext des (insb. Alltags-)Sprachgebrauchs; bei der systematischen Auslegung der Kontext der Verwendung des Begriffs in anderen Vorschriften, usw.[11]

1. Abschnitt: Das Strafrecht im Gefüge der Gesamtrechtsordnung§ 3 Die Auslegung von Strafgesetzen › B. Die Auslegungsinstrumente

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