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a) Der Kontext des (natürlichen und/oder Fach-) Sprachgebrauchs

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Die grammatische Auslegung erschließt den Kontext der Alltagssprache und des Sprachgebrauchs des Gesetzes; daneben kann insbesondere in Spezialregelungen für bestimmte Lebensbereiche auch der Fachsprachgebrauch der jeweiligen Gruppe eine Rolle spielen.[14] Dahinter steht der Gedanke, dass der Gesetzgeber einen Begriff im Zweifel so verwenden wird, wie er allgemein oder in Fachkreisen der geregelten Materie verwendet wird oder wie er ihn selbst an anderer Stelle im Gesetz verwendet. Dass dies aber nicht notwendig so sein muss, sondern dass vielmehr der Alltagssprachgebrauch im Einzelfall innerhalb des Adressatenkreises der Norm durchaus einmal ein weiteres Verständnis eines Begriffes zulässt als der Fachsprachgebrauch, zeigt deutlich eine Entscheidung des BGH vom 25. Oktober 2006,[15] in der es um die Frage ging, ob (nach einer alten, insoweit begrifflich auf „Tiere und Pflanzen“ abstellenden Fassung des BtMG) Pilze unter den Pflanzenbegriff des BtMG a.F. subsumiert werden können. Mit der naturwissenschaftlichen Klassifizierung der Pilze ist das nur schwer zu vereinbaren, da diese schon seit einiger Zeit in der Botanik (insbesondere mangels Photosynthese) nicht mehr den „Pflanzen“ zugerechnet werden. Der 1. Strafsenat macht hier aber überzeugend deutlich,[16] dass diese Klassifizierung in der Umgangssprache nicht selten durchbrochen wird und deswegen den Normadressaten das Strafbarkeitsrisiko durchaus bewusst gewesen ist.

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Dabei kann es freilich nicht entscheidend darauf ankommen, dass man – so der Senat im Bemühen um eine plastische Begründung – „immerhin (…) Pilze auch gemeinhin beim Obst- und Gemüsehändler“ kauft;[17] Denn die Einzelhandelsinfrastruktur orientiert sich ersichtlich weder am fach- noch am alltagssprachlichen Pflanzenbegriff, sind doch viele „Obst- und Gemüsehändler“ heutzutage südländische Feinkostläden, in denen auch Schafskäse und Mozzarella erworben wird, während man in „Pflanzen- und Gartencentern“ oft weder Obst noch Gemüse, dafür aber häufig Zierfische und Nagetiere kaufen kann. Auch Handys, Unterwäsche und Rasierapparate werden nicht schon dadurch zu Genussmitteln, dass sie regelmäßig in den Filialen eines bekannten Kaffeerösters angeboten werden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Subsumtion unter den „aus der Sicht des Normadressaten erkennbaren Wortsinn des Terminus ‚Pflanze‘“ möglich und für den Normadressaten „also jedenfalls das Risiko einer Strafbarkeit erkennbar“ war.[18] Dies belegt der BGH mit „Recherche im Internet, das jedermann zur Veröffentlichung eigener Texte zugänglich ist und das deshalb umfassende Auskunft über das gesamte Spektrum des aktuellen Sprachgebrauchs geben kann“.[19] Damit wird berücksichtigt, dass die semantische Prägung heutzutage längst nicht mehr vorwiegend vertikal verläuft, sondern sich radikal in Folge des „web 2.0“ horizontalisiert hat. Gerade zum (damaligen) Strafbarkeitsrisiko des Handels mit „Zauberpilzen“ hatte sich eine Experten- und Autoritätenkultur „von unten“ auf Seiten herausgebildet,[20] die für die Meinungsbildung und damit das Sprachverständnis bei Konsumenten und Liebhabern berauschender Pilze nicht unterschätzt werden kann.

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Allgemein aber gilt: Auch bei einer Orientierung an einem Fachsprachgebrauch (der freilich ohnehin nur selten aufzufinden ist), erst Recht aber bei einer am Allgemeinsprachgebrauch können wirklich sprachliche Grenzen einer Begriffsverwendung allenfalls sehr weit gezogen werden.[21] Im o.g. Sinne des Gegensatzpaares von Bedeutungsreduzierung oder -mehrung wirkt daher die grammatische Auslegung regelmäßig bedeutungsmehrend.[22] Auch im Strafrecht werden – ungeachtet Art 103 Abs. 2 GG – Begriffe mitunter weiter verstanden, als es ein Laie auf den ersten Blick erwarten würde: So kann z.B. eine Urkunde i.S. des § 267 Abs. 1 StGB nicht nur ein feierlich unterzeichnetes Schriftstück mit Siegel oder zumindest Stempel oder Unterschrift sein, sondern auch ein Bierdeckel, auf dem die Bedienung für jedes konsumierte Getränk einen Strich gemacht hat.[23]

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