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Kapitel 11

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Der Herbst des Jahres 2013 zeichnete sich durch eine wahre Tristesse aus, wenn man es rein auf das Wetter bezog. Im besonders grauen November erwarb Andreas das Verwaltungsgebäude einer bankrottgegangenen Spedition in einem Gewerbegebiet nördlich von Bielefeld, wo er gedachte, sein High End–Labor einzurichten.

Um dorthin zu gelangen, kaufte sich Automuffel Hillmann tatsächlich einen nagelneuen VW Passat–Kombi.

Einen ganzen Tag lang brachten Lastkraftwagen einer beauftragten Firma die benötigten Gerätschaften heran, während unablässig Regen von einem Himmel fiel, der so finster wirkte, dass es dem Betrachter wie ein böses Omen vorkommen musste; ein Menetekel für die Zukunft meines alten Freundes und die Wesensveränderung, die sich in ihm vollziehen sollte.

Zunächst aber ging alles noch in Ordnung und Andreas blieb bester Dinge.

An einem Mittwoch, ich weiß den Tag noch ganz genau, lud Andreas Michael, Sara, Marlene und mich ein, seine Laborräume zu besichtigen.

So fuhren wir zusammen in meinem Toyota hinaus in das Gewerbegebiet, wo das ehemalige Verwaltungsgebäude neben einer Filiale des ADACs lag.

Als Andreas uns durch die Räumlichkeiten führte, wurde mir wieder einmal bewusst, über welch Reichtum mein alter Freund doch verfügte.

Seit dem Zeitpunkt der Immobilienübernahme vor zwei Wochen hatte der Trupp beauftragter Handwerker und Laborfachkräfte schier Unglaubliches geleistet.

Von innen sah das von außen doch recht gemeine Gebäude futuristisch aus und ich fühlte mich an einen Science Fiction–Film erinnert.

Fangen wir mit dem unspektakulärsten Teil unseres Rundganges an. Beginnen wir im Keller.

Hier standen noch immer die Regale, die über viele Jahre die nicht mehr direkt benötigten Aktenordner der einst gut gehenden Spedition beherbergt hatten. Nun verweilten sie leer und kahl im kalten Licht der alten Neonröhren.

Diese Räume sollten lediglich als Lager dienen.

Im Erdgeschoss musste der gehende Besucher sich durch Türen mit einer Magnetkarte hindurchpiepen, die er über quadratische Sensorfelder neben den Zugängen zog. Darauf wurden die Portale von Roboterarmen geöffnet, um sich kurze Zeit danach hinter dem Passierenden wieder sanft und beinahe geräuschlos zu schließen.

Die Räume, die Andreas zu nutzen gedachte, waren mit grauen Sesseln, Sofas, eckigen Schreibtischen, Notebooks sowie Desktop PCs der Firma Apple ausgestattet. Allerdings lagen auch Kladden aus Papier und Lamy–Füllfederhalter in Blau auf den Arbeitsplatten parat. Für das rechte Licht sorgten gebogene, schwarze LED-Stehlampen mit Dimmer-Funktion. Beleuchtung unterhalb der Decke sah ich keine.

Er wolle sich jederzeit in jedem Raum an irgendeinen PC setzen können, ohne dabei groß herumlaufen zu müssen, wenn ihm etwas einfiele oder er was nachschlagen wolle, beschrieb er die Vielzahl der Arbeitsplätze.

Das größte Zimmer beherbergte eine Bibliothek mit den neusten Werken zu Themen wie Mechanik, Genetik, Mineralogie, Sprachwissenschaften, Mathematik, Astronomie, Informatik und Metallurgie. Auch an diesem Ort existierte selbstverständlich ein PC–Arbeitsplatz und blaue Füller mit den farblich dazu passenden, gebundenen Kladden.

Andreas führte uns in eine kleine, aber neuwertige Küche in Weiß, die alles beinhaltete, was man zum Kochen brauchte; Herd, Kühlschrank, Gefrierfach, Mikrowelle, Spülmaschine, Wasserkocher, ein Kaffeevollautomat, der im Licht der Deckenbeleuchtung schwärzlich-silbern vor sich hin funkelte.

Wir piepten uns durch weitere Türen und sahen drei Schlafzimmer voller neuwertigen Mobiliars. Sara berührte mit der Hand die Oberfläche eines nach Weichspüler duftenden Spannbettbezuges über einer der großen Matratzen, die in einem schwarzen Bettgestell ruhte. Natürlich durften die MacBooks auf den dunklen Nachttischen selbst in solchen Räumlichkeiten nicht fehlen. Den Schlafzimmern schloss sich ein kleines, weiß gefliestes Bad mit Dusche, Waschbecken und WC an, auf dessen Ablageflächen Shampoo, Duschgel, Zahnpflegeprodukte und Seife in einem roten Plastikspender zur Erstnutzung bereitstanden. Für einen Moment konnte ich in dem runden Spiegel über dem Waschbecken mein erstauntes Gesicht sehen.

Hier im Erdgeschoss befänden sich die Bereiche für die theoretischen Überlegungen, die Recherchen, die Nahrungsaufnahme und die Ruhe, erklärte Andreas uns kurze Zeit später im Treppenhaus neben dem Lastenaufzug und führte uns hinauf in die erste Etage.

Dort hatten die Arbeiter zahlreiche Zwischenwände entfernt, so dass ein einziger, großer Raum entstanden war, welcher, unschwer zu erkennen, ein Laboratorium im klassischeren Sinne darstellte. Weil die Fenster von großen, schwarzen Pappbögen auf den Millimeter genau abgedeckt wurden, sorgten rundliche, helle, in die weiße Decke eingearbeitete LED–Fluter für das rechte Licht. Eine kräftig säuselnde Klimaanlage brachte frische Luft und hielt die Temperatur konstant.

Mit vor Staunen offenen Mündern begannen wir, uns an diesem Ort umzusehen.

Selbstverständlich fehlten auch hier die hochgerüsteten MACs nicht, doch den Schwerpunkt der Einrichtungsgegenstände stellten für den naturwissenschaftlichen Laien seltsam aussehende Apparaturen in Weiß, Silber und Schwarz dar, von denen einige die Rechner integriert zu haben schienen. Von einem Gerät nahm ich an, dass es sich um einen Spektrografen handelte, während ein anderes eine Art Hochleistungsofen sein musste. Es fanden sich aber auch Bunsenbrenner, Zentrifugen, Reagenzgläser, Kolben und diverse Messinstrumente, die ein jeder noch aus dem Chemie- oder Physikunterricht kannte. All das befand sich auf dem neusten Stand der Forschungstechnologie und besaß sicherlich den mehrfachen Wert eines Einfamilienhauses.

„Hast du diese Gegenstände nach einem bestimmten Schema gekauft oder einfach nur so aus einer Laune heraus?“, erkundigte Michael sich.

Nun sah Hillmann ein klein wenig beleidigt aus. Der Blick verriet, dass er allein diese Frage als eine Infragestellung seiner Intelligenz und wissenschaftlichen Arbeitsweise auffasste.

„In der Forschung und Wissenschaft tut man nichts aus einer Laune heraus. Ich kenne dich jetzt bald zehn Jahre, mein lieber Michael, und halte dich für klug genug, dass du das wissen solltest. Nein. Ich habe das alles streng danach angeschafft und/oder nach dem zusammengebaut, was mir die Botschaft über Medium XY übermittelt hat.“

„Haben dir deine Silici eine Einkaufsliste vom anderen Ende der Milchstraße geschickt?“, fragte Sara humorvoll wie eh und je.

„Zeta Reticuli liegt nicht am anderen Ende der Milchstraße, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem Stern. Aber, du hast Recht, Sara, unsere Freunde dort draußen teilen mir mit, was ich für zukünftige Aufgaben brauchen werde. Sei es auf Erden zu beschaffen oder nach Plan selber zu fertigen“, erörterte Andreas und mit jedem Wort stieg die Begeisterung an, die in seiner melodischen Stimme mitschwang.

Marlene stellte sich auf die Zehenspitzen und griff mit ihren kleinen Händchen nach einem von vielen Erlenmeyerkolben, die auf einem weißen Rollwagen sauber in Reih und Glied ausgerichtet standen.

„Lass stehen, Strampel!“, rief Sara unsere Kleine bei ihrem Spitznamen.

Sie machte sich daran, der Tochter den Glasbehälter abzunehmen, aber Andreas gebot ihr mit einem glücklichen Lächeln auf dem Gesicht Einhalt.

„Und wenn sie Wasser in den Spektrografen dort vorne kippt? Na und! Noch haben die Forschungen hier nicht wirklich begonnen. Lass sie spielen! Sie ist nur einmal jung und die Schulzeit mit all dem Druck kommt schon noch früh genug. Wenn sie hier irgendwas kaputt macht, kaufe ich es einfach neu.“, erklärte Andreas gelassen und streichelte Marlene kurz über das dunkelblonde Haar, welches sie wohl von meiner Mutter geerbt hatte.

Ich nahm zunächst an, Andreas lege diese Einstellung an den Tag, weil Geld für ihn niemals wirklich eine Rolle gespielt habe. Aber dann reifte in mir das Wissen heran, dass er meiner Tochter diese Freiheiten einräumte, weil er sie als Kind niemals gehabt hatte. Seine jungen Tage waren von Beginn an vom Leistungs- und Konkurrenzdruck zu seinem Bruder durch die Eltern bestimmt gewesen. Es gab keine Wärme und keine Liebe für ihn, denn diese Gefühle bekam nur der Stärkere, der Bruder, der Thronfolger der Unternehmensdynastie vermittelt. Ganz, ganz sicher! Obgleich Andreas mir das niemals so berichtet hatte, wusste ich, dass es stimmte und plötzlich tat mir mein alter Freund unglaublich leid.

„Du erzählst hier häufig was von nach Plänen erschaffen, aber was du endlich erschaffen wirst, davon hast du noch nichts gesagt. Also, was willst du endlich hier fertigen?“, fragte Michael und streichelte mit der flachen Hand über eine der seltsam anmutenden Apparaturen.

„Das weiß ich noch überhaupt nicht. Bislang ist mir nur bekannt, dass ich diese Geräte für meine zukünftigen Projekte und Taten brauchen werde. Ich nehme an, dass das, was es zu bauen gilt, noch in dem Teil der Botschaft sich befindet, den ich noch nicht übersetzt habe. Ach, was heißt annehmen! Ich weiß es ganz genau!“, sprudelte er grinsend und voller Begeisterung.

Sara blickte mich an, verdrehte für einen Moment die Augen und zog dabei eine Braue hoch. Ich wusste genau, was sie mir mit diesem kurzen Mienenspiel mitteilen wollte. Sie hielt Andreas, um es vorsichtig zu formulieren, nun, für etwas abgedreht, ein klein wenig neben der Spur.

Nachdem die Führung beendet worden war und wir uns wieder in dem frisch renovierten Eingangsbereich befanden, merkte Michael an, ob es nicht unvorsichtig sei, solche enormen Werte des nachts in einem abgelegenen Gewerbegebiet unbeaufsichtigt zu lassen.

Darauf entgegnete Andreas, er habe bereits ein privates Sicherheitsunternehmen beauftragt, das auf seinen Streiffahrten dreimal die Nacht hier Station mache, um nach dem Rechten zu sehen.

„Du arbeitest Vollzeit an der Uni und nach all dem, was ich hier sehe und höre, sieht das nach einer Menge Arbeit aus, die vor die liegt. Wie willst du es alleine schaffen, dass du mit deinen Forschungen vorankommst?", stellte Michael die nächste Frage.

„Das stellt in der Tat ein Problem dar. Ich habe bei diesem Projekt ja glücklicherweise keinen Zeitdruck. Sollten sich jedoch größere Fortschritte abzeichnen bei meinen Forschungen oder größere Aufgaben vor mir liegen, was ganz sicher geschehen wird, werde ich natürlich meinen Beruf verlassen und mich voll und ganz den privaten Forschungen widmen."

„Kannst du nur von diesen Dingsdabums Botschaften empfangen oder kannst du ihnen auch Nachrichten senden?“, fragte Sara mit leicht schnippischem Unterton.

Marlene erzählte ihrem Erlenmeyerkolben, den sie noch immer stolz bei sich trug und auch nicht mehr abzugeben gedachte, in ihrer kleinkindlichen Sprache die Geschichte über ein Kinderkarussell auf der Kirmes. Als sie an ihm vorüberlief, strich Andreas ihr liebevoll über den Kopf.

„Sie heißen Silici, Sara. Ja, so wie es aussieht, bin ich nur ein Empfänger. Vielleicht sende ich auch Informationen aus, welche Medium XY durch das Netz transportiert, aber, wenn ich das tatsächlich tue, werden wir entweder achtzig Jahre auf die Antwort warten müssen, oder die Silici, falls es Abkürzungen in diesem wundervollen Gebilde gibt, reagieren nicht oder noch nicht auf irgendwelche Aktionen meinerseits. Ich bin also nur so etwas wie das gute, alte Radio. Im Moment jedenfalls.“

Er verzog sein Gesicht zu einem beinahe dämlichen Grinsen.

„Die Schlafzimmer dort oben und die Küche und das Badezimmer. Gedenkst du hier einzuziehen?“, fragte ich.

„Es wird sicherlich vorkommen, dass meine wissenschaftliche Mission mich hier Tag und Nacht einspannt. Dafür möchte ich in allen Fällen gewappnet sein. Deswegen die Schlafzimmer und so weiter.“

„Gedenkst du Leute einzustellen? Ich meine, die Schlafzimmer sind doppelt vorhanden und die ganzen PC–Arbeitsplätze sind doch für eine Person eigentlich viel zu viel. Aber am meisten wundert mich die Küche. Daheim hast du, seit ich dich kenne, nur einen Kühlschrank herumstehen. Was ist da los?“, fragte Michael grinsend.

„Ich habe bereits einen Dreisternekoch einen Vertrag als Koch unterschreiben lassen. Natürlich mit Probezeit, falls mir das Zeug nicht schmeckt, welches er zubereitet. Aber gut. Spaß beiseite! Es könnte durchaus sein, dass, wenn es hier richtig zu brummen anfängt, ich weiteres wissenschaftliches Personal einstellen muss, weil es schlicht und einfach zu viel für mich wird. Das bleibt aber erst mal abzuwarten. Falls das geschieht, müssen diese Personen natürlich sorgfältig überprüft werden. Denn Sicherheit geht über alles. Ich weiß genau, dass das, was ich hier forschen und entwickeln werde, in den falschen Händen sicherlich katastrophale Folgen haben könnte. Es ist wie bei allem revolutionär Neuen, was in die Welt der Wissenschaft kommt. Zwei Seiten der Medaille, eine dunkle und eine helle. Ich kann gar nicht vorsichtig genug sein. Im Keller werde ich übrigens Lebensmittel einlagern, die für zwei bis drei Wochen halten. Außerdem gibt es dort bereits ein hochwertiges Notstromaggregat. So ist es möglich, für eine Weile vollkommen autark von der Außenwelt zu leben und zu arbeiten. Ich muss euch übrigens bitten, dass ihr all das, was ihr hier seht, für euch behaltet. Ihr seid jetzt praktisch Geheimnisträger.“

Im Lauf seiner Berichterstattung schwoll die Begeisterung in seiner Stimme immer mehr und mehr an, bis sie sich förmlich überschlug. Sara warf mir einen Blick zu und spielte wieder ein Mienenspiel, welches nun eine weitaus größere Intensität als das vorangegangene besaß. Ich brauchte nicht lange zu interpretieren, um zu erkennen, was meine bessere Hälfte von der Sache hielt.

Die Geburt eines finsteren Universums

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