Читать книгу Die Geburt eines finsteren Universums - Robert Mirco Tollkien - Страница 17
Kapitel 14
ОглавлениеIm Altweibersommer 2017 hatten wir seit fast eineinhalb Jahren nichts mehr von Andreas gehört und so beschlossen Michael und ich, hinauszufahren ins Industriegebiet, um nach unserem alten Freund zu sehen.
Ich steuerte den Toyota auf den Parkstreifen vor dem Labor, wo Andreas in die Jahre gekommener Passat und ein nagelneuer Mercedes SL parkten.
Was immer auch in Andreas mittlerweile vorgehen musste, er arbeitete nicht länger allein.
Als wir ausstiegen und uns den Eingang näherten, fielen mir zahlreiche Überwachungskameras auf, die die Umgebung vor dem Gebäude fokussierten und die vorher eindeutig nicht dort platziert gewesen waren. Auch stach ins Auge, dass Außenarbeiten im Gange waren, die darauf abzielten, einen hohen Zaun mit Stacheldraht und weiteren Kameras darauf zu errichten. Teilweise stand er bereits. Am heutigen Samstag ruhten die Tätigkeiten jedoch.
Unser Freund Andreas schien von der panischen Angst beseelt, dass Unbefugte sich unerkannt dem Grundstück nähern und es betreten könnten.
Wir ließen den im Bau befindlichen Zaun hinter uns zurück, stiegen ungeachtet der Kameras die zwei Stufen zur Eingangstüre hinauf und Michael betätigte entschlossen den Knopf der Klingel, worauf im Inneren ein synthetisches Heulen erklang.
Es dauerte keine zehn Sekunden, da sagte eine unfreundliche, dunkle Stimme: „Ja!" durch die Gegensprechanlage.
„Hallo, wir sind zwei gute Freunde von Andreas. Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass Mi..."
Weiter kam er nicht, weil ihn die gesichtslose, männliche Bassstimme barsch unterbrach.
„Nein! Das ist unmöglich! Der gnädige Herr Doktor ist schwer beschäftigt. Er hat strengste Anweisung gegeben, nicht gestört zu werden. Selbst die Kanzlerin erhält hier keinen Zugang. Und nun verlassen Sie das Grundstück!"
Es knackte im Lautsprecher und die Gegensprechanlage verstummte.
Wir sahen einander an und zuckten mit den Schultern und Michael kam zu dem völlig richtigen Schluss, dass es absolut keinen Sinn machte, nochmals anzuklingeln. Zusätzlich breitete sich die Gewissheit in uns aus, einen alten Freund verloren zu haben, so dass wir mit hängenden Köpfen und traurigen Blicken in Richtung Parkstreifen zurückschlichen.
„Da können Sie nichts verkaufen! Die lassen keinen rein. Zwei verdammt komische Vögel sind das da.", rief eine ebenfalls männliche, aber wesentlich entspanntere Stimme, als ich im Begriff war, den Toyota aufzusperren.
Auf dem Nachbargrundstück der ADAC Autohilfe stand ein großer Mann im Mechaniker Overall und mit einem großen Hund neben sich, der treu durch den Maschendrahtzaun blickte, der die beiden Grundstücke voneinander trennte, und dabei fröhlich mit dem buschigen Schwanz vor sich hin wedelte.
Michael antwortete, dass wir nicht einmal irgendwelche Handelsvertreter seien, sondern alte Freunde, man uns aber trotzdem den Einlass verwehre.
„Oh ja. Der Kerl, der zuerst da war, der das Gebäude gekauft hat, ist komisch geworden. Zieht sich mehr und mehr zurück und für Smalltalk ist er auch nicht mehr zu haben. Ach, übrigens, wo sind denn meine Manieren hin. Mein Name ist Dieter Becker und ich bin Chef der Autohilfe hier."
Wir stellten uns einander vor und KFZ–Meister Becker bat uns in seine kleine Firma, um das begonnene Gespräch fortzusetzen.
In der ADAC–Station herrschte samstägliche Ruhe vor; eine blonde Frau hinter einem Computerarbeitsplatz erklärte in passablem Englisch einem Kunden die Bedingungen zur Anmietung eines Club–Mobils. Der Hund legte sich sogleich in sein Körbchen Mitten im Filialraum und wir zogen uns mit Cola aus einem Automaten in Dieter Beckers Büro zurück, wo der Chef uns über seinen seltsamen Nachbarn berichtete.
„Eines vorneweg: Andreas ist immer noch ein anständiger Nachbar. Problemnachbarn sehen anders aus. Aber in letzter Zeit hat er sich extrem verändert. Am Anfang war er noch relativ gesprächig, obgleich ich ihn nicht für den Typen halte, der mit seinen Witzen eine langweilige Party ans Laufen bringt."
Auf die Frage, ob Andreas über seine Arbeit geredet habe, antwortete Becker: „Nicht viel. Nur dass er Physik und Informatik studiert hat und hier ein eigenes Forschungsprojekt aufzieht mit dem Geld aus einer Erbschaft. Muss eine ganz gewaltige Erbschaft gewesen sein, wenn ich mir das da drüben so anschaue. Mit den Arbeiten wurde Andreas dann seltsamer. Die waren manchmal schon ganz schön laut und nervig. Aber, wie gesagt, Problemnachbarn sehen ganz anders aus, und die Arbeiten gingen dann auch recht schnell vorbei."
Ich fragte nach, ob sich die Arbeiten auf die Errichtung des Zaunes bezögen.
„Nein, nein. Der Zaun ist ein Witz dagegen, was da zuvor geschafft wurde. Da kamen mehre Lkw mit allen möglichen Materialien. Dazu zwei Wagen, die Beton über eine Anlage pumpen, und bestimmt zwei Dutzend Bauarbeiter. Die haben den Keller vergrößert, keine Frage. Jede Menge Material wurde aus dem Keller nach oben transportiert, Schutt und Erde, und mit anderen Lastern abtransportiert. Danach kamen die Zementmischlaster und die Pumpanlagen nahmen ihre Arbeit auf. Die haben jede Menge altes Material rausgeholt und jede Menge neues heruntergepumpt. Und das alles ging für die Größe eines solchen Projektes, wenn ich es mit der Errichtung eines Eigenheims vergleiche, Ruck Zuck. Wie gesagt, muss eine gigantische Erbschaft gewesen sein. Hätte ich auch gerne. Jedenfalls müssen die Arbeiten mit dem Kerl in Verbindung stehen, den meine Herzensangestellte den schönen Schweden nennt. Denn die Arbeiten haben erst angefangen, nachdem dieses Muskelpaket da drüben bei Andreas eingezogen ist."
Michael erkundigte sich nach dem Schweden.
„Wir wissen nicht mal, ob der Typ Schwede, Deutscher oder sonst was ist. Carolin, der gute Geist dieser Station, hat ihn so getauft, weil er eben groß, blond und blauäugig ist. Ab und an sieht man ihn mal kurz. Aber der sagt gar nichts. Guckt nur einmal kurz und gut ist es. Was er mit Andreas und der Firma zu tun hat, keine Ahnung. Carolin und ich sind uns aber hundertprozentig sicher, dass auch der Schwede in der Firma hier wohnt. Denn euer Andreas wohnt da in jedem Fall. Am Anfang ist er noch am Abend nach Hause wohl gefahren. Aber das tut er schon lange nicht mehr. Alles sehr seltsam.", erklärte Dieter Becker.
Das Gespräch verlief noch etwa fünfzehn Minuten weiter. Zum Abschluss verlangte Dieter Becker meine Mobilfunkrufnummer und versprach, er werde sich melden, wenn es etwas Neues in Hinsicht auf Andreas gebe.
Beim Einsteigen in den Toyota fiel mein Blick eher zufällig auf die Fenster im Erdgeschoss und da sah ich meinen alten Freund, wie er das Geschehen vor seinem Labor betrachtete.
Er trug die Haare lang und zerzaust und sein Vollbart war zu einem wahren Rübezahl–Rauschebart geworden.
Als er merkte, dass zunächst ich und dann Michael zu ihm hinaufschauten, zuckte er förmlich vom Fenster zurück und verschwand im Inneren seines Reiches aus lauter Fragezeichen.