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1 Wie ich mal einen Staplerlehrgang machte

Auf dem Weg zum Universalgelehrten entschloss ich mich, beziehungsweise mein Arbeitgeber für mich, dass ich doch eine Ausbildung machen sollte, die mich ermächtigt zu meiner an Kreditkarten, Eintrittskarten, Kassenbons, Kalenderkärtchen, Notrufnummern von Autohäusern und Autoversicherungen (im Falle eines Liegenbleibens mit dem Personenkraftwagen oder eines Zusammenstoßes mit Wild, Fußgängern, Radfahrern und anderen Personenkraftwagen, schlimmstenfalls auch Lokomotiven von Zügen oder Straßenbahnen) reich gefüllten Geldbörse auch noch einen Flurförderzeugfahrausweis hinzuzufügen.

Das wohl bekannteste Flurförderzeug ist der Gabelstapler.

Mit dem Gabelstapler kann man Lasten heben, senken, transportieren und dann hier und dort einfügen und abstellen.

Für ihn erfunden wurde das Lagerregal, welches bis heute neben Uhu das beliebteste Vorwärtsrückwärtswort sein dürfte.

Punkt acht Uhr saß ich in einem Unterrichtsraum in Chemnitz und mit mir ein erlauchter Kreis ohne größere Idiotendichte, welche man meist in solchen Umgebungen zu erwarten hat.

Mein Banknachbar: achtzehn Jahre, Auszubildender im Unternehmen eines langjährigen HSV- Kreditgebers, mit einem fußballszenetypischen ELLESSE- Pullover, mit einem ganzen Haufen verschiedener Pickel im Gesicht (wie ich als hobbymäßig unterwegs seiender Furunkelforscher feststellte) hörte ruckzuck die Stimme des Vorträgers bald nur noch aus der Tiefe des Zimmers und immer weiter weg, bis sie verschwand und dann doch durch eine Lautstärkeerhöhung wieder präsent wurde.

„War wohl gestern spät geworden?“

„Ja. Darf ich einen Kaffee holen?“

„Okay, aber nur fünf Minuten. Automat ist um die Ecke.“

Sein Mitazubikollege schloss sich ihm an und sorgte diese zwei Tage für den meisten Gesprächsstoff im Raum und auch draußen.

Heimatland: Guinea.

Geflüchtetenstatus ohne Hierbleibanerkennung.

Deutschkenntnisse überschaubar.

Daraus schlussfolgernd für unseren zwischen Galgenhumoristen, Empörtbürger und stark affektierten Effekthascher pendelnden Lehrer:

„Das schafft der sowieso nicht, ich sag’s euch. Was geht’s mich an. Wie soll der die Prüfungsfragen beantworten. In Italien kam der an Land, dort hätte er sich registrieren lassen müssen. Der kann nur französisch. Das schafft der sowieso nicht, ich sag’s euch, was geht’s mich an.“

Tageinwärts pflanzte man uns in die Köpfe was man so in die Köpfe gepflanzt bekommt: Tragfähigkeitsdiagramme, Kraftarme, Radstand, Achsaufhängung, Antriebsarten, Gefahrstoffe, Brems- und Beschleunigungskräfte, Hydrostatik und Pendelachsen- garniert mit Anekdoten zu besonders schönen Arbeitsunfällen, ausgeschmückte Personen- und Finanzschäden, also das ganze Programm, was Bruder Leichtfuß so drohen könnte, wenn man nicht...und wenn man statt…

Kurzum: er wurde also nicht müde zu mahnen vor jeder Art von Sachen, die man dann später sowieso machen muss, weil es dem Arbeitgeber nicht schnell genug geht, was er natürlich auch weiß und weswegen zwischen seinen Mahnungen und der Realität eine Kluft klaffte, die er als unsäglich bezeichnete.

Zwischendurch suchte er häufiger Kontakt zum dunkelhäutigen Mitstreiter.

„Hast du verstanden?“

Guineer: „Ein bisschen.“

„Hast du verstanden?“

„Guineer: Ein bisschen.“

Copy und Paste in Tonform.

Schlimmer war für mich ein ständig Einwürfe streuender Mitbürger, der alles wusste und alles kannte und der den Weg vom Transporttor zum Transportör eigentlich schon gemeistert zu haben glaubte, aufgrund gewisser Vorkenntnisse und Allwissen-heiten in sämtlichen Bereichen des Lebens.

Am nächsten Tag war es ganz früh, es regnete, es war noch dunkel und der Wind blies auf dem Hof gar arg zu praktischen Anfängen und Abschlussprüfungen.

Der eben erwähnte prahlhansende Hansdampf wurde schmalhansig und stellte sich weniger überragend an, vielleicht stellte er sich aber auch alles nur so einfach vor, wie er es schon hundert Mal erlebt hatte.

Vortägige Vermutungen, dass der Guineer mit Theorieprüfungsdurchfall nun nicht mehr kommt, entpuppten sich als falsch- wer nicht sofort, sondern mit einstündiger Verspätung aufschlug, war sein Mitazubikollege, der den fulminanten ELLESSE- Hoodie gegen ein brachiales OSTDEUTSCHLAND- Basecap eingetauscht hatte.

Die durchaus kritische Nachfrage, ob er verschlafen oder sich zeitlich vertan hätte, beantwortete jener mit:

„Ich musste heute früh erst mal kotzen.“

„War wohl gestern spät geworden?“

„Ja.“

Wir gaben uns beim Durchqueren von Kegeln mit aufgehuckten Gitterboxen, leeren Bierkästen auf Europaletten („Die sind immer 800 mal 1200, glaubt mir!“) und dem Ein- und Ausladen in einen LKW- Anhänger und dem Auf- und Abstapeln dieser Dinge auf schwierigem Gefälle den letzten Schliff vor der anstehenden Prüfung.

Als komplett ambitionsfrei entpuppte sich niemand und so konnte unser Ausbilder seines Amtes walten und mit einer schwungvollen Unterschrift, die einem das Herz aufgehen ließ, auf den Urkunden bestätigen, dass wir auf dem Weg zur Selbstoptimierung eine weitere Hürde genommen, ja, man kann getrost sagen: einen Titel errungen haben.

Und anhand der geschulten Lärmbelastungswarnungen erfuhr ich darüber hinaus, dass der gewöhnliche Schneefall mit einem Lärmpegel von 10 Dezibel um die Ecke kommt.

Stracciatella und Mitropa

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