Читать книгу Geliebte Welt - Roland Hardmeier - Страница 24

Ein sozialer Verhältnisbegriff

Оглавление

Gerechtigkeit im Alten Testament ist ein sozialer Verhältnisbegriff, der so viel wie Gemeinschaftstreue bedeutet. Diese Gemeinschaftstreue schließt sämtliche Beziehungsebenen ein. So kann im Alten Testament von Menschen, die sich innerhalb ihres Familienverbandes angemessen verhalten, als von gerechten Menschen die Rede sein. Ebenso kann davon die Rede sein, dass ein Mensch gerecht ist, weil er sein Vertrauen auf das Wort Jahwes setzt (Gen 15,6). Und von Gott selbst wird gesagt, dass er gerecht ist, weil er den Schuldigen nicht frei spricht (Ex 34,7) und weil er treu zu seinen Versprechen steht (Deut 32,4).

In der griechischen Polis (Stadtstaat) war Gerechtigkeit ein staatstragender Begriff. Es herrsche Gerechtigkeit – so Platon – wenn jeder das ihm Zukommende tue. Das heißt, „gerecht war es, das Bestehen ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Vollmachten und Ränge zu akzeptieren und selbst das dem eigenen Rang Angemessene zu übernehmen“ (Seebass 1993, 502). Ähnlich ist auch im Alten Testament Gerechtigkeit ein sozialer Verhältnisbegriff, der mit „gemeinschaftsgemäßes Handeln“ oder „Gemeinschaftstreue“ wiedergegeben werden kann (Gerlach 2006, 175).5 „Der paradigmatische Text für dieses Verständnis ist die Geschichte von Juda und Tamar (Genesis 38). Tamars Mann Er, ein Sohn von Juda, war gestorben, ohne einen Nachkommen gezeugt zu haben. Ers Bruder Onan war nicht gewillt, die familiäre Pflicht zu erfüllen und seinem verstorbenen Bruder mit Tamar einen Nachkommen zu zeugen. Da ließ Gott Onan sterben. Aus Angst weigerte sich Juda, Tamar seinen jüngsten Sohn Schela zu geben. Tamar verkleidete sich als Kultdirne, bot sich Juda an und empfing von ihm ein Kind. Als man sie aufgrund der unehelichen Schwangerschaft mit dem Tode bestrafen wollte, konnte sie ein Pfand zeigen, das sie von Juda erhalten hatte. Juda musste bekennen: ‚Sie war gerechter als ich‘ (Gen 38,26). Judas Bruch der familiären Gemeinschaftstreue wog schwerer als Tamars Ehebruch“ (a.a.O., 175). Diese Geschichte macht deutlich, dass der Treue gegenüber der Sippe einen hohen Stellenwert beigemessen wurde – so hoch, dass eine Person (Tamar), die gegen ein ethisches Grundgesetz verstieß (nicht die Ehe zu brechen), gerechter sein konnte als jemand, der die Verpflichtungen gegenüber der Sippe (Judas Weigerung Tamar zu verheiraten) übergangen hatte. Gerechtigkeit und Gemeinschaftstreue kommen sich inhaltlich also sehr nahe.

Im Alten Testament – und hier häufig in den Psalmen – ist auch von Gottes Gerechtigkeit die Rede. Es geht um Gottes Heilshandeln, der sich durch seine zahlreichen Versprechen in einem freien Akt seinem Volk verpflichtet hat. Diese Versprechen löst Gott ein und erweist damit seine Treue. Diese Bedeutungsnuance von Gerechtigkeit tritt vor allem dann zutage, wenn es um Gottes Gerechtigkeitserweisungen im Sinne von Rettungstaten geht. Im Debora-Lied werden die Gerechtigkeitserweisungen Jahwes gepriesen (Ri 5,11), der durch die Richterin Debora und ihren Gefährten Barak Israel aus Not befreite. Auch die Befreiung aus Ägypten wird als rettende Tat, als Gerechtigkeitserweisung Jahwes, bezeichnet (Mi 6,5), denn mit der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten löste Gott seine Versprechen an Abraham ein und erwies dadurch seine Treue zu seinem Volk. In Ps 31,2 betet David: „Herr, ich suche Zuflucht bei dir. Lass mich doch niemals scheitern; rette mich in deiner Gerechtigkeit!“ Indem Jahwe den König rettet, erfüllt er sein Versprechen, dass sein Haus Bestand haben wird (2Sam 7,12), und erweist so seine göttliche Treue.

Geliebte Welt

Подняться наверх