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Lebensdienliche Wirtschaftsordnung

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In den sozialen Schutzbestimmungen des mosaischen Gesetzes sind nicht nur basale Menschenrechte angelegt. Die Schutzrechte für besonders verwundbare Personen sind so zahlreich und sie greifen so stark in das Gesellschaftsleben ein, dass vom Ziel einer lebensdienlichen Wirtschaftsordnung (Gerlach 2006, 199) gesprochen werden kann.

In den Schutzrechten des Bundesbuches (Ex 22,20–26) für besonders verwundbare Personen greifen die sozialen Regelungen, die Gott erließ, tief in das wirtschaftliche Alltagsleben ein. Zu den besonders schutzbedürftigen Personen zählten die Fremden: „Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen“ (Ex 22,20). Der Ausdruck „Fremde“ bezieht sich auf die in Israel lebenden Ausländer (Deut 14,21), aber auch die innerhalb des Landes vertriebenen Personen. Kriege und wirtschaftliche Not führten dazu, dass Familien das Land ihrer Väter verlassen und sich in einem anderen Stammesgebiet niederlassen mussten. Aus ihrer Sippe herausgerissen, mussten sie ohne verwandtschaftliche Beziehungen eine Existenz aufbauen und waren daher auf Hilfe jenseits der Familie angewiesen (Otto 1994, 84).

Die am stärksten verwundbaren Teilhaber der Gesellschaft waren Witwen und Waisen. Der soziale Zusammenhalt, die Durchsetzung der Rechte und die Sicherung der Existenz wurden in Israel durch die Einbettung in die Sippe erreicht. Witwen und Waisen fanden sich ohne dieses soziale Netz wieder und waren darum verwundbar. Sie hatten kein Familienoberhaupt, das ihnen rechtliches Gehör verschaffen konnte. Sie waren die schwächsten Glieder im sozialen Gefüge und darum besonders auf Schutz angewiesen. Entsprechend streng fallen die Schutzbestimmungen für sie aus: „Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen und ich werde euch mit dem Schwert umbringen, sodass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden“ (Ex 22,21–23).

Den Armen wird im mosaischen Gesetz als besonders schutzbedürftige Personengruppe Beachtung geschenkt, obschon Armut des Öfteren Fremde, Witwen und Waisen betraf. Sie sollten doppelt geschützt werden, weil sie in Krisenzeiten nicht für sich selbst sorgen konnten und auf finanzielle Hilfe angewiesen waren. Dem wird mit der Regelung „Leihst du einem aus meinem Volk, einem Armen, der neben dir wohnt, Geld, dann sollst du dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von ihm keinen Wucherzins fordern“ (Ex 22,24) Rechnung getragen. Gott untersagte es, aus der Not der Armen wirtschaftliches Kapital zu schlagen. Der Zins sollte nicht nach Marktgesetzen festgelegt werden, sondern die Möglichkeiten des Zinsnehmenden berücksichtigen. Auf keinen Fall durfte die Geldverleihung der Beginn einer Verschuldungsspirale sein. Wenn man daran denkt, dass der Zinssatz für Geld bei rund einem Fünftel der aufgenommenen Summe lag, bei Getreide rund ein Drittel ausmachte und im Einzelfall über der Hälfte liegen konnte (De Vaux 1973, 171), stellte das Verbot des Wucherzinses eine wichtige Regelung zur Verhinderung permanenter Verarmung dar. Die Schutzrechte des Bundesbuches schließen mit einer Pfandrechtsregelung, welche wiederum den Armen und sonstigen schutzbedürftigen Personen zugute kommen sollte: „Nimmst du von einem Mitbürger den Mantel zum Pfand, dann sollst du ihn bis Sonnenuntergang zurückgeben; denn es ist seine einzige Decke, der Mantel, mit dem er seinen bloßen Leib bedeckt. Worin sollte er sonst schlafen? Wenn er zu mir schreit, höre ich es, denn ich habe Mitleid“ (Ex 22,25–26).

Die Schutzrechte für sozial Benachteiligte machen deutlich: Im alttestamentlichen Gerechtigkeits-Paradigma stand der soziale Zusammenhalt über dem Gewinnstreben. Besitz war sozialpflichtig. Sei es, dass jemand Ländereien besaß – die entscheidende Ressource im alten Israel –, sei es, dass jemand sich in irgendeiner Weise in einer Position der Stärke gegenüber anderen befand – etwa gegenüber Witwen und Waisen – sie alle wurden darauf verpflichtet, ihre Position oder ihre Ressource nicht zum Nachteil anderer auszunutzen, sondern dem Mitbürger zu dienen. Auf diese Weise wurde das Gewinnstreben ethisch begrenzt und in eine lebensdienliche Wirtschaftsordnung überführt, in der auch Schwache ihren Platz hatten. Das schrankenlose Gewinnstreben verfällt so deutlicher Kritik. Die Wirtschaft sollte den Menschen dienen und ihn nicht zu einem Handlanger der Gewinnmaximierung machen. Eine lebensdienliche Wirtschaftsordnung misst sich am Wohl der Schwachen.

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