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Israels Gerechtigkeits-Paradigma

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Die Evangelikalen sind bisher zögerlich mit dem biblischen Gerechtigkeitsbegriff umgegangen. Gerechtigkeit wurde weitgehend mit Rechtfertigung gleichgesetzt. Der alttestamentliche Gerechtigkeitsbegriff wurde kaum in sozial verantwortliches Handeln einbezogen. Erhard Berneburg (1997, 272–274) widmet in seiner Dissertation Das Verhältnis von Verkündigung und sozialer Aktion in der evangelikalen Missionstheorie einen kurzen Abschnitt dem Zusammenhang zwischen evangelikaler Sozialethik und dem biblischen Verständnis von Gerechtigkeit. Er zeigt sich besorgt darüber, dass der alttestamentliche Gerechtigkeitsbegriff in der neueren evangelikalen Missionstheorie vermehrt zur Definierung der Sozialethik verwendet wird. Nach seinem Verständnis eignet sich der alttestamentliche Gerechtigkeitsbegriff nicht dazu. Gerechtigkeit sei zu allererst nicht ein Tun des Menschen, sondern ein Handeln Gottes und müsse soteriologisch verstanden werden (a.a.O., 272), denn die menschliche Verantwortung komme im Neuen Testament nicht unter dem Begriff der Gerechtigkeit zur Sprache (a.a.O., 273). Mit Blick auf die Entwicklung einer evangelikalen Sozialethik warnt er: „Gegenüber einer vorschnellen Identifizierung von aus der Heiligen Schrift erhobener Gottesgerechtigkeit und menschlichen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit ist auf die strenge Unterscheidung zwischen beiden zu verweisen“ (a.a.O., 275). Berneburg möchte verhindern, dass es in der evangelikalen Missionstheologie zu einer humanistischen Verflachung des Evangeliums kommt, welche den soteriologischen Aspekt der Gottesgerechtigkeit schlussendlich negiert. Er warnt in diesem Zusammenhang vor einer sozialethischen Verengung des Gerechtigkeitsbegriffs (a.a.O., 275) und möchte so sicherstellen, dass Gerechtigkeit die persönliche Rechtfertigung des Sünders durch den Glauben an Christus bleibt.

Berneburgs Unbehagen spiegelt die traditionelle evangelikale Haltung zur sozialen Gerechtigkeit wieder. Man möchte nicht, dass die Bemühungen um soziale Gerechtigkeit die überaus deutliche Lehre von der Notwendigkeit der geschenkten Gottesgerechtigkeit im Sinne der Rechtfertigung durch den Glauben verdrängen. Das ist mit Nachdruck zu bejahen. Nur sollte dieses Unbehagen nicht dazu führen, dass man sich zu zögerlich mit dem Thema Gerechtigkeit befasst oder es gar negiert.

Wir brauchen eine solide biblische Theologie der Gerechtigkeit, welche alle Aspekte von Gerechtigkeit berücksichtigt und in das richtige Verhältnis zueinander rückt. Um dies zu ermöglichen, müssen wir die Frage stellen: Ist es zulässig, die alttestamentliche Sozialethik paradigmatisch zu verstehen? Mit anderen Worten: Dürfen die Vorstellungen von gerechtem Handeln und von sozial gerechten Strukturen, wie sie im Alten Testament vorkommen, modellhaft auf heute übertragen werden? Wird diese Frage verneint, ist ausgesagt, Israel stelle einen Sonderfall in der Heilsgeschichte dar, der uns in der Frage nach der sozialen Verantwortung nicht weiterhelfen könne. Man wird dann Zuflucht zum Neuen Testament suchen und feststellen, dass dort der Gerechtigkeitsbegriff kaum in Bezug zu sozial verantwortlichem Handeln gesetzt wird. Und daraus wird man folgern, es sei nicht die Aufgabe der Kirche, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Mit dieser verkürzten Argumentation aber geht man des enormen Reichtums des Alten Testamentes in sozialethischer Hinsicht verlustig.

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