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ОглавлениеCYBERISMUS
Welche Grenzen des Menschseins überschreiten wir im Zeitalter der digitalen Revolution?
Der griechische Philosoph Plutarch (45 - 120 n.Chr.) hatte den Ausspruch des römischen Feldherr Pompejus (106 - 48 v.Chr) überliefert, den er seinen Matrosen zugerufen haben soll, die sich weigerten wegen eines Sturms, ihre Schiffe zu besteigen:
„Navigare necesse est. Vivere non est necesse“
„Zur See fahren ist notwendig, leben nicht!“
Aus einem Aufruhr der Natur und der Temperamente geboren, bekräftigt die Aussage, dass der Mensch dort, wo er Horizonte überschreitet, auch auf die Grenzlinie von Tod und Leben gerät. Heute sind die hoch komplexen Navigationssysteme nicht mehr ausschließlich auf die Seefahrt beschränkt. In jedem neu gebauten Auto befindet sich heute ein „NAVI“.
Noch ist der Mensch in der Lage die diversen technischen Geräte aktiv zu bedienen, allerdings nimmt der Cyber-Wahnsinn, den ich mit Cyberismus bezeichne, gewaltig zu, wobei die Grenzen von Aktivität und Passivität bald ineinanderfließen werden. Mit den cyber-intelligenten Informationssystemen, wo Wissen kaum noch vermittelt wird, werden wir durch das Leben geführt.
Anlehnend an das berühmte Zitat von René Descartes (1596 - 1650) „Cogito ergo sum – Ich denke, also bin ich!“ formuliere ich für den im digitalen Zeitalter lebenden Menschen:
„Navigor ergo sum – Ich werde navigiert, also bin ich!“
Die Hexenküche der digitalen Cyber-World wird täglich bedrohlicher, weil die Unterscheidung zwischen Virtualität und Realität immer schwieriger wird. Die Datenmengen („big data“) sind kaum zu bewältigen - vieles wird in einer „Cloud“, wo immer diese sich befinden mag, ausgelagert. Im World-Wide-Web (WWW) kann jeder in wenigen Sekunden einen Blog einrichten oder eine Profilseite in einem sozialen Netzwerk - vor zehn Jahren herrschte noch das umständliche Basteln an der ganz privaten Homepage vor. Bei Facebook oder Twitter fließen die Beiträge der Millionen Netzbürger in einen kollektiven Bewusstseinsstrom ein. Dabei kommen auch die Grenzen zwischen privat und öffentlich in Fluss. Fast täglich wird die Technik schneller, die „Kommunikationsgeräte“ werden vermeintlich immer intelligenter. Sie werden zunehmend mit „fühlenden“ Sensoren und Speicherbausteinen ausgestattet sein, die unsere Aktivitäten aufzeichnen und digitale Dossiers erstellen - um unser Gedächtnis zu verankern, die Informationsflut zu kanalisieren und uns bei Entscheidungen zu helfen.
Johann Wolfgang von Goethes „Faust“, am Morgen des Ostersonntags von Engelschören vor dem Selbstmord bewahrt, gerät noch am selbigen Tag in den Bann des Teufels („des Pudels Kern“). Dieser führt ihn - nach dem verunglückten Spektakel in Auerbachs Keller - zum magischen Verjüngungsakt in die Hexenküche, wo er das rätselhafte Hexeneinmaleins vernimmt.
Du musst verstehn!
Aus eins mach Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach gleich,
So bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex,
Mach Sieben und Acht,
So ist´s vollbracht;
Und neun ist Eins,
Und Zehn ist keins,
Das ist das Hexen-Einmaleins!
Zur Jahrtausendwende hatte ein iMac (APPLE) einen Arbeitsspeicher von 64 Megabyte - heute ist der Arbeitsspeicher 60mal so groß. Die Festplatte des iMacs von 1999 konnte 10 Gigabyte aufnehmen - heute fängt das bei 500 GB an.
Wer erinnert sich noch an die Befehle, um ein Modem so einzurichten, dass es die Verbindung zum Internet-Provider herstellen konnte? Inzwischen ist die 1999 eingeführte DSLBreitbandtechnik zum Standard geworden. Mit zunehmender Leistung des Computers und schnellerem Internet verbringen die Menschen einen immer größeren Teil ihrer Zeit im Netz. Im zurückliegenden Jahrzehnt hat die digitale Fotografie das Fotografieren mit Analogfilm abgelöst, auf den Festplatten stapeln sich Bilderberge und Musik. Der MP3-Player ist zum Alltagsgerät geworden. Und die Besitzer von Laptops und Smartphones erwarten, dass sie auch unterwegs überall eine Internet-Verbindung vorfinden.
Täglich werden im Internet 1,3 Milliarden Bilder/Fotos gratis heruntergeladen. Ähnliches gilt für den Bereich Musik. Digitale Geräte reagieren inzwischen auf unsere Stimmen und Gesten und können unsere Handschrift erkennen. Digitale Assistenten werden sich unsere jeweiligen Bedürfnisse anhören und dabei helfen, diese zu erfüllen, etwa bei der Suche nach einer Wohnung in einer neuen Stadt. Jedes physische Objekt wird demnächst von einer digitalen Wolke, „Cloud“ umgeben sein.
Big Data verändert alles. Spätestens seit den Enthüllungen Edward Snowdens wissen wir: Eine nahezu unkontrollierbare Überwachungsmaschinerie hat uns im Griff. Gewaltige unstrukturierte Datenmengen, die unser Leben abbilden, werden systematisch ausgewertet. Alles wird zu digitaler Information. Die Welt der Algorithmen beherrscht uns längst. Sie verändert unser Leben und unser Denken. Wir werden „algorithmisiert“.