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„WOHNEN IN MIR SELBST “

Der Benediktinermönch Gregor der Große (540 - 604 n.Chr.) war offenbar der einzige Mystiker unter den Päpsten in der Geschichte, der schriftlich von seiner kosmischen Vision Zeugnis ablegte.

Gregor wurde in Rom als Sohn einer sehr angesehenen Familie geboren. Nach dem Tod des Vaters wandelte er den elterlichen Palast in ein Benediktinerkloster um und weihte es dem heiligen Andreas. Dort lebte er mit einigen Mitbrüdern, bis er 579 von Papst Pelagius II. für 7 Jahre als Papstvertreter an den Kaiserhof von Konstantinopel geschickt wurde.

Im Jahre 590 bestieg Gregor den Stuhl Petri. Mann bezeichnete ihn als Idealgestalt eines Papstes. Er war ein herausragender Seelsorger und wurde als Vorbild für alle seine Nachfolger mit dem Titel „der Große“ ausgezeichnet.

Im Jahre 593/94 entstand Papst Gregors zweites Buch der Dialoge - darin der Abschnitt „Wohnen in sich selbst“. Gregor kannte die byzantinische Überlieferung: „Er kehrte in seine geliebte Einsamkeit zurück und wohnte ganz in sich selbst – allein – im Angesicht Gottes“. Gregor der Große prägte entsprechend den Begriff: „habitavit secum“. Er war ein sehr kontemplativer Mensch, der dem Wohnen in sich die allergrößte Bedeutung zumaß.

Das Sich-Sammeln und Wohnen in sich selbst sollte Lebensgestaltung sein, bei der ich, wo immer nur möglich, jede unnötige Zerstreuung und Ablenkung vermeide. Es geht um einen generellen Reinigungsprozess, so dass in der Stunde der Stille schon eine gewisse Vorarbeit geleistet ist, damit ich in dem momentanen Akt des Mich-Sammelns wirklich in die Tiefe komme. Gregor nennt das einfach Kontemplation. Wie das nun eigentlich geschieht und was der Mensch dabei tut - eine bestimmte Technik - beschreibt er nicht. Der Beter erhebt sich einfach in einem Akt, der zum einen mühsam und anstrengend ist, weswegen für ihn auch die Zeit der Kontemplation bemessen ist, nämlich auf die halbe Stunde aus dem biblischen Buch der Offenbarung: „Und es war Schweigen im Himmel eine halbe Stunde.“ Dann kehrt der Mensch zu normalem Bewusstsein, aber zu einem Bewusstsein der Sammlung - und nicht der Zerstreuung - zurück. Gregor sagte: „Eine Quelle, die nicht abfließen kann, die gestaut wird, steigt nach oben; die Zweige eines Baumes, die zusammengebunden werden, wachsen nach oben.“

Bei dem Wüstenvater Evagrius Ponticus (345 - 399 n.Chr.) findet sich der wunderschöne Satz: „Der Geist des Menschen wohnt in sich, bei sich und hat genug an der Schönheit des eigenen Antlitzes.“ Diese Schönheit des eigenen Antlitzes ist die Widerspiegelung der Schönheit Gottes. Habitare secum ist aufgrund unserer heutigen Lebensform etwas sehr Schwieriges ist. Das Schlimme ist, dass wir uns viel zu wenig Rechenschaft darüber geben, was uns alles zerstreut, was uns alles nach außen zieht und ablenkt, was uns alles an der Oberfläche hält und verhindert, dass wir in die Tiefe gehen.

„Es gibt einen Platz im Herzen,

worin das ganze Universum enthalten ist –

Himmel wie auch Erde, das Feuer,

die Luft, Sonne, Mond

und das Leuchten der Sterne.

Alles ist darin enthalten.

Wenn wir über unseren Verstand

mit seinen Möglichkeiten des Messens

und seinen Kategorien von Raum und Zeit hinausgehen,

finden wir den tiefsten Grund des Universums.

Dort sind Leben und Intelligenz.“

(Mönch & Mystiker Bede Griffiths)

„Kehre in den Grund zurück,

aus dem Du gekommen bist.“

(Dominikanermönch & Mystiker Meister Eckhart)

Alle Weisen mahnen zur Besinnung, zur Rück- und Heimkehr in das ureigenste Zentrum, welches man mit Gott, Brahman, Seinsgrund, Nirvana u.a. bezeichnen kann. Der große Transformationsprozess vollzieht sich bereits seit längerem, und immer wieder werden wir durch periphere Sensationen und Phänomene in Atem gehalten.

Spirituelles Leben ist zunächst ein Prozess der Entdeckung und Verwirklichung des wahren Wesens, das tief in uns in der Gegenwart Gottes verborgen ist. Der Weg zu dieser inneren kosmischen Ur-Quelle führt uns durch viele unangenehme Geröllschichten des Unterbewusstseins. Diese Urquelle ist das Mysterium von Religion, die für alle Lebewesen unterschiedslos gleichwertig ist. Auf der Ebene der kulturell bedingten vielfältigen Konfessionen mag es Unterschiede geben, aber für alle gibt es nur EINE Religion und EINE Wirklichkeit.

Der Prozess des Werdens verwandelt sich auf dem Weg des Vertrauens in das kosmische Geschenk des Seins, des ewigen Da-Seins im Hier und Jetzt. Die vorangegangene Aktivität des Glaubens gipfelt in der Erfahrung von Gewissheit und tiefster Erkenntnis (griech.: gnosis), wo wir dann wie Jesus Christus sagen können: „Ich bin!“ (Sanskrit: aham)

„Der BUDDHA, der Erwachte, hat meiner Meinung nach das Wesen des Universums am besten erkannt, denn er konnte durch die Welt der Erscheinungen, die Welt der Sinne blicken. Er kannte die Vergänglichkeit der Dinge. Es gibt in dieser Welt keine endgültige Erfüllung. Wir leben in einer Welt unbeständiger Phänomene, alles ändert sich unaufhörlich, alles ist im Fluss und Widerstreit. Im Augenblick des Todes transzendieren wir diesen Fluss der Phänomene und den Körper. Wir betreten die Wirklichkeit.“ (Bede Griffiths)

Auf dem inneren, geistigen Weg gehen wir durch verschiedene Bereiche, die wir als Phänomene von Dunkelheit, von Verlassenheit, von Trauer, von Schuld, von Sucht, von Neid, von Hass, von Gier, von Feindseligkeit u.a. erleben. Es ist keine Lösung, sie zu verdrängen, aber es ist auch nicht hilfreich, sich mit jeder Blockade analytisch auseinanderzusetzen. Psychologie kann helfen, inner-psychische Vorgänge zu erkennen. Aber kein Psychotherapeut kann uns ganzheitlich heilen. Die eigentliche Heilung kommt erst aus dem erwartungsfreien Hintergrunds Feld, das tiefer als der psychische Bereich in jedem von uns und um uns herum existent ist. Sich auf diese Quelle einzulassen, sie im Leben zuzulassen, in sie hin einzutauchen und ihrem Strom Raum zu geben - darin entfaltet sich die ureigentliche Heilkraft.

Im Zustand der erlösenden Heils-Gegenwart hört jeder Prozess, jedes Werden auf; dann können wir sagen:

ich bin / wir sind.

Der bekannte deutsche Dominikanermönch und Mystiker Meister Eckhart vermittelt uns in wenigen Worten das Geheimnis der Begegnung mit Gott in unserem Innersten:

„Gott ist uns nahe, aber wir sind Ihm fern. Gott ist drinnen — aber wir sind draußen. Gott ist unsere innere Heimat — aber wir sind uns selbst Fremde. Du brauchst Gott nicht zu suchen. Er ist nicht ferner als vor der Tür deines Herzens: da steht Er und wartet und harrt, dass Er dich bereitfinde, dass du Ihm auftust und Ihn einlässest. Du brauchst Ihn nicht von fernher zu rufen, sondern dich nur nach innen zu wenden: Gott wartet ungeduldiger als du, dass du dich Ihm öffnest; Ihn verlangt tausendmal dringender nach dir als dich nach Ihm. Dein Auftun und sein Eingehen geschieht in einem Augen-blick. Willst du Gott ohne Vermittlung, unmittelbar erkennen, so musst du geradezu Er werden und Er du — so ganz eins, dass dies Er und Du eins werden und sind. Das Auge, womit Gott von dir gesehen wird, ist dasselbe Auge, womit Gott dich ansieht. Dein Aug und Gottes Aug ist ein Aug“.


Selket, o.T. - Perichorese

Öl auf Leinwand, 60 × 50 cm

Die verborgene göttliche Quelle öffnet sich in vielfältigen Formen und gießt sich in verschiedenen Heilsgestalten und Heilsmomenten der Menschheitsgeschichte aus. Wenn der Schleier unserer Verblendung und Unwissenheit von uns genommen ist, erkennen wir die sich immer wieder ereignenden kairologischen Augenblicke, wenn gleichsam die Zeit erfüllt ist. Nicht zu verwechseln mit chronologischen, uhrzeitlichen Geschehnissen und Abläufen.

Der Geist ist die Dynamik, der die verborgene göttliche Quelle aktiviert, und die Kraft, welche die Quelle zu einem Leben spendenden Organ macht. Der Geist bringt die Perichorese hervor: die Durchdringung von Kosmos und Mensch. Der Geist ist gleichzeitig die verbindende und die hinaustreibende Kraft, die Energie der kosmischen Fruchtbarkeit, die weibliche Dimension im Göttlichen, die gebärende, belebende, bewahrende Mütterlichkeit im Universum.

Der spirituelle Meister zeigt den sicheren Weg zum Ursprung unseres Seins auf. Diese Wegweisung ist ohne spezielle Methode, weil das Einüben in die Gegenwärtigkeit nichts anderes als bedingungslose Achtsamkeit erfordert. Der Meister lässt den Schüler an seiner Gegenwart teilhaben: wenn ihr mich seht, schaut Ihr auf den Urgrund.

Jeder Mensch auf seiner Lebens-Reise durchläuft diverse Entwicklungs- und Entfaltungsstadien. Leider haben sich zu viele Menschen für einen völlig um-gekehrten Weg entschieden: für die Komplikation, die Zusammenfaltung. Das lat. Wort „plica“ bedeutet Falte. Und je mehr ich einen Gegenstand oder auch einen Gedankengang zusammenfalte, umso komplizierter wird er. Entfaltung muss zur Faltenlosigkeit führen: zur Simplizität (lat.: simplex, sine plica = ohne Falte).

Entwicklung bedeutet, bereits Vorhandenes zum Vorschein zu bringen. Alles, was entschleiert, von Unwissenheit (Sanskrit: avidya) befreit wird, nennen wir Offenbarung (engl.: revelation). Wir müssen vom Eindruck (Impression), der Einwirkung von außen, den Weg des Ausdrucks (Expression) wählen. Ausdruck und Ausstrahlung kommen von innen, aus der Schatzkammer jedes einzelnen göttlichen Wesens. Wer sich orientiert, bewegt sich wie ein Sonnenaufgang und richtet sich auf; Erhebung und Erhabenheit sind die Merkmale ständiger österlicher Auferstehung. Der Mensch ist nicht für den Tod, für den Niedergang geschaffen, sondern für die Erfahrung seiner ewigen Lebendigkeit, die in seinem Urgrund, seines göttlichen Wesensgrundes schlummert.

Mir ist bewusst geworden, dass das morphogenetische Feld ein dynamisches Schöpfungsgeschehen (Werden) ist, welches aus dem ruhenden Urgrund (Sein) hervorgeholt wird. Der englische Biologe und Naturphilosoph Rupert Sheldrake, geb. am 28. Juni 1942 in Newark-on-Trent (Studium in Cambridge und Harvard, in Cambridge (zeitweise Director of Studies in biochemistry and cell biology) hatte an Forschungsaufträgen zur Untersuchung der Regenwälder in Malaysia sowie tropischer Getreidesorten in Indien gearbeitet. Weltweit bekannt wurde er für seine Theorie der morphogenetischen Felder. Unter der auratischen Inspiration meines spirituellen Meisters Dom Bede Griffiths (1906 - 1993) schrieb er während seines 18-monatigen Aufenthaltes im Sat-Chit-Ananda Ashram Shantivanam, Tamil Nadu/Süd-Indien 1978/79 sein bahnbrechendes Buch: „Das schöpferische Universum - die Theorie des morphogenetischen Feldes“ (engl. Originaltitel „A New Science of Life“). Dieses Buch hat Rupert Sheldrake dem Mönch und Mystiker Bede Griffiths offiziell gewidmet. Rupert Sheldrake kenne ich von diversen persönlichen Begegnungen. Als ich am 12. Mai 1994 - am Fest Christi Himmelfahrt - in der Kirche der Magdalene University in Oxford das spirituelle Vermächtnis von Bede Griffiths „UNIVERSAL WISDOM“ (700 Seiten - mir persönlich gewidmet) präsentierte, gehörte neben meiner Familie auch Rupert Sheldrake zu den 400 Gästen.

Am tiefsten Ur-Grund des Meeres findet man keine unruhigen Wellenbewegungen; je mehr man aus der Tiefe schöpfend (Kreation, Schöpfung kommt immer aus dem Urgrund und nicht von anderen Planeten) an die Oberfläche gerät, bekommt der Ozean, das Meer als herausragende Welle Existenz; lat.: exsistere = hervortreten. Diese Existenz ist nur eine Teilwirklichkeit des ganzen Lebens, vom dem der größere Part unsichtbar und verborgen ist. Der Baum wächst von unten nach oben und nicht in umgekehrter Richtung. Die Wurzeln unserer Existenz sind tief verankert. Die Vielfalt der Existenzen, der tanzenden Wellen an der Meeresoberfläche, gehört zum Wunder des gesamten Lebens, das aus dem Urgrund beständig neu geschöpft wird und Form und Gestalt annimmt.

„Wir alle sind Wellen auf dem Meer.

Das Meer kann ohne Wellen bestehen,

aber die Wellen nicht ohne das Meer.

Auch der Geist kann

ohne den Menschen existieren,

aber der Mensch nicht ohne den Geist.

Vor der Geburt und nach dem Tod

sind alle Lebewesen unsichtbar.

Zwischen den zwei nicht-sichtbaren Bereichen

sehen wir ihre Existenz als Form und Gestalt.

Der größte Teil des Lebens bleibt unsichtbar.“

(Roland R. Ropers)

Alle großen Weisen und Heiligen Schriften lehren uns, dass es einen Himmel gibt, der unser eigenes Wesen ist (Urgrund, Ursein, Gott, Brahman, TAO u.a.). Dieser innwendige, tiefgründige Wohnort, der Tempel des Geistes, hat oftmals einen störenden Bewohner: das EGO. Wenn ein Mann einen zerlumpten Mantel trägt, sagt er: „ich bin arm“. Tatsächlich aber ist der Mantel arm, nicht er selbst. Was der Himmel, der Raum in uns selbst aufnimmt, ist das, wofür der Mensch sich hält, seine Wirklichkeit, seine Begrenzung. Die Begrenzung, die aus dem Lateinischen Wort kommende Terminologie, ist die Tragödie der Seele. Man kann das inwendige Brahman-Schloss oder Königreich Gottes entweder mit seinem Ego füllen oder Gottes Anwesenheit immer größeren Raum verschaffen.

Großer GEIST,

dessen Stimme ich in den Winden vernehme, und dessen Atem

der ganzen Welt Leben spendet – erhöre mich!

Ich trete vor Dein Angesicht als eines Deiner vielen Kinder.

Siehe, ich bin klein und schwach, ich brauche Deine Kraft und

Weisheit.

Lass mich in Schönheit wandeln und meine Augen immer den

purpurroten Sonnenuntergang schauen.

Mögen meine Hände die Dinge achten, die Du geschaffen hast,

und meine Ohren Deine Stimme hören.

Mache mich weise, damit ich die Dinge erkennen kann, die Du

mein Volk gelehrt hast, die Lehre, die Du in jedem Blatt und in

jedem Felsen verborgen hast.

Ich sehne mich nach Kraft, nicht, um meinen Brüdern überlegen

zu sein, sondern um meinen größten Feind – mich selbst –

bekämpfen zu können.

Mache mich stets bereit, mit reinen Händen und aufrichtigen

Augen zu Dir zu kommen, damit mein Geist, wenn das Leben

wie die untergehende Sonne entschwindet, zu Dir gelangen

kann, ohne sich schämen zu müssen.

(Gebet der Sioux-Indianer)

Das Universum ist nichts anderes als ein kosmisches Bewusstseinsfeld, das sich immer wieder materialisiert, wobei der größte Teil unsichtbar ist - 99,999% sind Leere. Im unendlichen Raum der Leere und Stille, wo es keine Bewertungen von richtig und falsch, Gut und Böse, hell und dunkel gibt, fühlen wir uns geborgen und zuhause.

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