Читать книгу Methoden in der Politikwissenschaft - Rolf Frankenberger - Страница 7

1 Einleitung

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In der Politik spielt es eine zentrale Rolle, was als gut, richtig und wahr angesehen wird. Wer festlegen kann, was richtig und wahr ist, hat im politischen Wettbewerb um die Macht eine gute Ausgangsposition. Deswegen wird in politischen Debatten, in Wahlkämpfen und am Stammtisch oftmals erbittert darüber gestritten, wie Ereignisse zu verstehen und zu interpretieren sind. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion um den von Menschen verursachten Klimawandel (vgl. z. B. Uekötter 2019; Voss 2010). Auf der einen Seite ist sich die Wissenschaft in zahlreichen Studien weitgehend darüber einig, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, und diskutiert lediglich über das Ausmaß der Erderwärmung, deren konkrete Auswirkungen und über Maßnahmen, den Klimawandel zu stoppen. Auf der anderen Seite stehen Klimaleugner:innen, die mit vielen Anekdoten, Argumenten und Interpretationen die Existenz eines solchen menschengemachten Klimawandels anzweifeln, gänzlich zurückweisen oder sogar wilde Verschwörungstheorien formulieren. Ganz ähnliche Muster finden sich auch bei anderen Diskussionen, etwa rund um SARS CoV-2 und die Berechnung von Inzidenzen, Reproduktionsfaktoren und Verbreitungsprognosen. Es sind oft sehr ungleiche Auseinandersetzungen, in denen wissenschaftliche Studien auf Meinungen prallen, in denen unterschiedlichen Standards an das diskutierte Ereignis angelegt werden. Und in denen vieles auf zwei Fragen hinausläuft: Wem wollen wir vertrauen? Was halten wir für wahr, was für falsch?

Diese Fragen treiben die Menschen um – und das nicht erst, seit ein US-amerikanischer Präsident richtig für falsch und wahr für unwahr erklärt, dabei die Grenzen zwischen Fakten und Fake aufhebt und »alternative Fakten«1 präsentieren lässt. Das Grundproblem – wie kann ich etwas wissen? – verändert sich dadurch nicht, es tritt nur viel deutlicher hervor und es trifft ganz besonders ein Teilsystem moderner Gesellschaften, das sich schon von Berufs wegen mit Erkenntnis und Wissensbeständen beschäftigt: die Wissenschaft.

Während sich in der Moderne mit ihren technologischen Entwicklungen und einem rasanten Fortschritt und Wissensgewinn in nahezu allen Bereichen von den Natur- und Human- bis zu den Geistes- und Sozialwissenschaften in weiten Teilen der Bevölkerungen westlicher Staaten eine Wissenschafts- und Technikgläubigkeit verfestigt hatte, schwingt das Pendel nun zurück. Der Satz: »Vertrauen Sie mir. Ich bin Wissenschaftler:in«, wird nun vermehrt hinterfragt und schlägt nicht nur bei einem US-amerikanischen Präsidenten in ein »aber, ich glaube / meine / denke« um. Kurzum, wissenschaftliches Wissen wird hinterfragt, angezweifelt, verleugnet – und zwar in einem Ausmaß, das viele Autoren:innen dazu veranlasst, von einem »postfaktische Zeitalter« zu sprechen, in welchem Meinung Tatsache ersetzt (vgl. zum Begriff Postfaktizität Schaal u. a. 2017; 2019). Letzten Endes sind beide Haltungen problematisch. Denn weder unreflektierte Wissenschaftsgläubigkeit noch Wissenschaftsleugnung werden dem gerecht, was Wissenschaft ist und was sie in Bezug auf Erkenntnis leisten kann.

Wissenschaftlich gewonnene Erkenntnis ist weder unfehlbar noch endgültig. Sie ist vorläufig und, noch viel wichtiger, nachvollziehbar in ihrer Entstehung, überprüfbar in ihren Ergebnissen und veränderbar in ihrer Interpretation. Und das war Erkenntnis schon immer, denn idealerweise ist Wissenschaft ein Prozess, in dem fortwährend neue Erkenntnisse aufgenommen und alte Irrtümer ausgeschieden werden, »jedenfalls wenn es gutgeht«, wie es der Wissenschaftsphilosoph Martin Carrier (2006, 130) formuliert. Warum also sollten die Menschen in den Laboren, Hörsälen und Seminarräumen der Universitäten und Fachhochschulen mehr, besser und genauer wissen und beurteilen können, was »wahr« ist? Diese Frage kann für die Wissenschaft im Allgemeinen und für die Politikwissenschaft im Besonderen nur beantwortet werden, indem man sich klar macht, welche Aufgabe Wissenschaft zukommt, was Wissenschaft und wissenschaftliches Arbeiten ausmacht und auf der Basis welcher Herangehensweisen Aussagen über die Wirklichkeit getroffen werden.

Wissenschaft hat in modernen Gesellschaften die Aufgabe, die Wirklichkeit zu erforschen, alte, etablierte Erkenntnis und deren Grundannahmen zu prüfen und bei Bedarf zu korrigieren, neue Erkenntnisse zu gewinnen und somit das Wissen über die Wirklichkeit zu mehren. Anders ausgedrückt: Forschen bedeutet, Rätsel zu lösen und Fragen zu beantworten – Fragen, auf die es bisher noch keine oder nicht ausreichend gesicherte Antworten gab, aber auch Fragen, die sich aus bisherigen Antworten ergeben. Dabei geht es nicht um beliebige Fragen, sondern um wissenschaftlich – und idealerweise: gesellschaftlich – relevante Fragen. Ziel der Forschung ist dabei neben der konkreten Antwort: den Wissensbestand über die Wirklichkeit zu erweitern, zu verfeinern und zu verbessern. Ziel muss es auch sein, insofern Forschung gesellschaftlich relevant sein will, Handlungsempfehlungen zu geben, wie diese Wirklichkeit besser, lebenswerter gestaltet werden kann. Letzteres Ziel mögen nicht alle Wissenschafter:innen teilen. Aber Wissenschaft und Forschung haben immer auch eine Wirkung in die Gesellschaft hinein. Im Gegenzug hat die Gesellschaft auch Ansprüche an die Wissenschaft, nämlich dass diese Probleme des Lebens und Zusammenlebens zum Ausdruck bringt und in das öffentliche Bewusstsein rückt. Dieses Wechselspiel ist für eine moderne, empirisch ausgerichtete Politikwissenschaft von besonderer Bedeutung, beschäftigt sie sich doch von Berufs wegen mit der Analyse derjenigen Prozesse, Strukturen und Akteur:innen, die mit dem Herstellen und Durchsetzen allgemeinverbindlicher Entscheidungen in einem Staat, einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft oder Gruppe befasst sind.

Zur Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragen möchte der vorliegende Band einen Beitrag leisten, indem für die Politikwissenschaft und die in der Politikwissenschaft verwendeten Methoden dargelegt wird, wie ein wissenschaftlicher Erkenntnisprozess abläuft, wie er hinsichtlich seiner Qualität bewertet werden kann und welche Methoden bei welchen Fragestellungen zur Anwendung kommen. Im Folgenden findet sich ein kurzer Überblick über die Inhalte des Buches, das den Leser:innen eine Orientierungshilfe anbietet, wenn sie sich für ein bestimmtes Thema interessieren.

In Kapitel 2 wird der Begriff Wissenschaft definiert als systematisches, regelgeleitetes und selbstreflektiertes Erzeugen von Erkenntnis. Dabei wird auf die Bedeutung von Theorien ebenso eingegangen wie auf wichtige Grundelemente der Wissenschaft: Begriff, Definition, Variable, Aussage, Hypothese. Für die Anwendung von Theorien spielen die Konzepte der Übersetzung (Operationalisierung) und der Erfassung (Messung) von Begriffen und Hypothesen im Forschungskontext eine zentrale Rolle. Sie werden gesondert diskutiert.

Kapitel 3 geht der Frage nach, wie empirisch fundierte, also in der Wirklichkeit verankerte, Erkenntnis möglich ist. Ausgehend von den sozialwissenschaftlichen Grundpositionen Positivismus und Konstruktivismus werden Induktion und Deduktion als schlussfolgernde Verfahren der empirischen Verankerung von Erkenntnis in der Wirklichkeit vorgestellt sowie – darauf aufbauend – Unterschiede und Gemeinsamkeiten qualitativer und quantitativer Herangehensweisen aufgezeigt.

Vor dem Hintergrund dieser wissenschaftstheoretischen Grundlagen behandelt Kapitel 4 die Politik als Gegenstandsbereich einer wissenschaftlichen Disziplin. Dabei werden Politikbegriffe, Dimensionen und Analyseebenen der Politik ebenso vorgestellt wie metatheoretische Grundpositionen in der Politikwissenschaft. Was es bedeutet, Politikwissenschaft als Erfahrungswissenschaft zu betreiben, wird abschließend diskutiert.

Wie Forschungsprozesse ablaufen und wie deren Güte beurteilt werden kann, ist Gegenstand von Kapitel 5. Dabei werden idealtypische Abläufe quantitativer, positivistischer Forschungsprozesse und qualitativer, meist konstruktivistischer Forschungsprozesse vorgestellt sowie jeweils Prüfkriterien, anhand derer die Qualität der Forschung bewertet werden kann. Während das Kriterium der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit für beide Ansätze gilt, werden für quantitative Forschung die Kriterien Validität (Gültigkeit) und Reliabilität (Zuverlässigkeit) und für qualitative Ansätze Indikation (Angemessenheit), empirische Verankerung, Kohärenz und reflektierte Subjektivität als Gütekriterien diskutiert.

In Kapitel 6 wird am Beispiel der Untersuchung von Demokratieverständnissen herausgearbeitet, welche Rolle wissenschaftliche Grundpositionen und Erkenntnisinteressen für die Gestaltung eines Forschungsprozesses sowie die Analyse von Daten spielen. Demokratieverständnisse können deduktiv und quantitativ anhand standardisierter Fragebögen und statistischer Auswertung erfasst werden. Oder sie können induktiv und qualitativ anhand offener Befragungsformen und inhaltsanalytischer Methoden untersucht werden. Dabei zeigt sich, dass beide Herangehensweisen sich bei der Erzeugung und Überprüfung von Wissen durch ihre spezifischen Stärken ergänzen.

In Kapitel 7 werden in der Politikwissenschaft häufig verwendete Methoden der Datenerhebung wie etwa Experiment, Beobachtung, Befragung und Dokumentenanalyse vorgestellt. Methoden der Datenanalyse werden in qualitative und quantitative Verfahren unterteilt und entsprechend präsentiert. Die Grundannahmen und zentralen Arbeitsschritte sowie Herausforderungen bei der Verwendung der jeweiligen Methoden werden ausgehend von typischen Forschungsfragen diskutiert, welche mit der Methode beantwortet werden können.

In Kapitel 8 schließlich werden einige zentrale Bände zu Methodologie und Methoden (nicht nur) der Politikwissenschaft kurz besprochen. Das ausführliche Literaturverzeichnis schließt den Band ab.

Methoden in der Politikwissenschaft

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