Читать книгу Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber - Страница 24
Innovation Elektrizität
ОглавлениеDie österreichische Elektroindustrie steht im Schatten der deutschen. Werner von Siemens oder Emil Rathenau überstrahlen Johann Kremenezky oder Béla Egger. Dabei waren die Errungenschaften der österreichischen Elektropioniere kaum geringer als die ihrer deutschen Konkurrenten, in der Wechselstromtechnik, bei Glühbirnen, in der Röhren- und Telefontechnik. Acht Millionäre sind zur Elektroindustrie zu zählen, davon sieben jüdische. Gerade die Elektroindustrie war in besonderem Maße von öffentlichen Aufträgen abhängig. Die Bevorzugung nichtjüdischer Anbieter im öffentlichen Sektor mag eine Rolle gespielt haben, dass die Siemens-Gesellschaften in Österreich so große Bedeutung erlangten. Georg von Siemens und die Deutsche Bank finanzierten die Kommunalisierung des Wiener Gasnetzes. Siemens erhielt dafür die Elektrifizierung des Wiener Straßenbahnnetzes übertragen.
Johann Kremenezky hatte in Wien (wie Emil Rathenau in Berlin) die elektrische Beleuchtung eingeführt. 1884 gründete er die Gesellschaft Kremenezky, Mayer & Co. Sie übernahm eine bereits bestehende Glühlampenfabrik der Londoner Brush Electrical Engineering Company. 1896 wurde das inzwischen auf 800 Beschäftigte angewachsene Werk an die Nürnberger Schuckert-Werke verkauft. Kremenezky blieb technischer Direktor, schied aber drei Jahre später aus, wobei er die Glühlampenfabrikation herauskaufte und sie bis zum Ersten Weltkrieg auf rund 1.500 Beschäftigte ausbaute. Seine Fabrik (später Tungsram) war damals die größte ihrer Art in Europa. 1930 zog sich der inzwischen 80-jährige Kremenezky zurück und verkaufte sein Unternehmen an die Watt AG bzw. deren Muttergesellschaft, die Vereinigte Glühlampenfabriks AG in Neupest, die ihren Namen auf Vereinigte Glühlampenfabriken Johann Kremenezky AG änderte.159
Béla Egger, Gründer und Verwaltungsrat der Vereinigten Elektrizitätsgesellschaft, hatte als Mechaniker und Telegraphentechniker begonnen. Zusammen mit Johann Kremenezky wurden verschiedene Fabriken gegründet, die 1897 in die Vereinigte Elektrizitäts AG umgewandelt wurden. Seine Söhne Ernest, Friedrich und Adolf setzten das Werk fort. Vielleicht fehlte die nötige Konsequenz. Nach 1918 fehlte der große Markt. Und weil sie jüdisch waren, versank zuletzt alles in der nationalsozialistischen Vernichtungswut.
Der vielseitigste österreichische Erfinder um 1900 war zweifellos Carl Auer von Welsbach. Er brachte Österreich zweimal an die Spitze des technologischen Fortschritts in der Beleuchtungstechnik, einmal mit dem Gasglühlicht, das zweite Mal mit der Metallfadenlampe. Auer von Welsbach war für den Reichtum der Brüder Gallia verantwortlich. Adolf Gallia war Auers Patentanwalt. Moriz Gallia, dessen Gattin durch Gustav Klimt berühmt geworden ist, war sein Direktor für Österreich, Wilhelm für Ungarn.
Auch das Telefon wurde immer wichtiger: Der k. k. Oberbaurat Hubert Gottlieb Dietl, ein nahezu vergessener österreichischer Erfinder, erzielte sein hohes Einkommen von 119.915 Kronen aus der Entwicklung des automatischen Telefonwählsystems, mit dem 1905 erste Versuche in Wien für zunächst 200 Teilnehmer gestartet wurden und das ab 1914 im Wiener Telefonnetz systematisch eingesetzt wurde. Robert von Lieben machte kein Studium und keine Universitätskarriere. Man muss ihn aber als den wichtigsten und bis heute einflussreichsten Erfinder unter den Wiener Millionären des Jahres 1910 anführen. Geld hatte er nicht nötig. Die mütterliche Wohnung war das prachtvolle Palais Todesco gegenüber der Staatsoper, die väterliche Wohnung das Palais Lieben an der Ringstrasse gegenüber der Universität, sein Labor das Sommerhaus in der Hinterbrühl samt nahe gelegener Mühle, wo er eine Dynamomaschine aufstellte. Er installierte die elektrische Beleuchtung und konstruierte ein Haustelephon. Seine große Erfindung waren die Lieben-Röhren, die Grundlage der Verstärkerentwicklung und der Radio- und Fernsehtechnik. 1912 wurde das Lieben-Consortium gegründet, bestehend aus den Firmen Siemens und Halske, AEG, Telefunken und Felten & Guillaume, um die Rechte an den Lieben-Patenten zu vermarkten. Für die Patentrechte erhielt Lieben die riesige Summe von 100.000 Mark und verdiente noch an zusätzlichen Lizenzgebühren für jede einzelne Röhre und jedes Gerät. Er starb bald darauf am 20. Februar 1913 nach schwerer Krankheit im Alter von 34 Jahren. Hugo v. Hofmannsthal schrieb ihm einen wunderschönen Nachruf in der Neuen Freien Presse.160