Читать книгу Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber - Страница 33
NOBELADVOKATEN UND RECHTSVERTRETER
ОглавлениеUnter den sogenannten freien Berufen war der einflussreichste und prestigeträchtigste jener der Rechtsanwälte, von denen einige wirklich hohe Einkommen erzielen konnten. Wien war ein guter Boden für Advokaten. Sie spielten im politischen und öffentlichen Leben des Liberalismus eine führende Rolle. Wichtige Politiker der Zeit waren in ihrem Brotberuf Anwälte: Karl Giskra, Johann Nepomuk Berger, Josef Kopp, Max Menger, Julius Ofner oder Robert Pattai. Die Liste der Wiener Bürgermeister mit Johann Kaspar von Seiller, Andreas Zelinka, Cajetan Felder, Julius von Newald, Johann Prix, Raimund Grübl bis Karl Lueger und Josef Neumayer in fast ungebrochener Reihenfolge bestätigt eindrucksvoll die hohe Qualifikation dieses Berufsstands für politische Ämter – welcher politischen Bewegung und Richtung sie auch immer zuzuordnen waren.
Im Jahr 1918 waren in Wien 1.647 Personen als Rechtsanwälte eingetragen, im gesamten heutigen Bundesgebiet 2.231. Von 1868 bis 1918 hatte sich die Anzahl der Advokaten im Gebiet der Republik Österreich mehr als vervierfacht. Für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bedurfte es mit der Einführung der Advokatenordnung vom 1. Jänner 1869 keiner weiteren behördlichen Zulassung oder Genehmigung. Es genügte neben dem absolvierten Studium die mehrjährige praktische Ausbildung und die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung.202 Das machte Rechtsanwaltskanzleien für Juden attraktiv, denen für eine Aufnahme in den Staats- und Justizdienst kaum überwindbare Mauern entgegenstanden.
Insgesamt befanden sich 26 Advokaten unter den 929 Millionären. Jener mit dem höchsten Einkommen war Dr. Adolf Stein mit 289.000 Kronen. Er galt als Rechts-Consulent der Rothschild. Dr. Max Freiherr von Mayer, von vornehmer nichtjüdischer Wiener Herkunft, vertrat das Kaiserhaus und war Präsident bzw. Mitglied des Verwaltungsrates bedeutender Industrieunternehmen und Banken. Als Funktionär der Witwen- und Waisenpensionsgesellschaft, der Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft und des Vereins zur Erhaltung der Studienkonvikte wurde er karitativ tätig. Er war Verfasser zahlreicher Fachartikel und auch sprachwissenschaftlicher Werke. Auch Adolf Bachrach galt als Rechtsanwalt mit vornehmster Klientenstruktur: Er war Rechtskonsulent der toskanischen Habsburger und Rechtsfreund des Prinzen Philipp von Coburg und dessen Bruders, des Zaren Ferdinand von Bulgarien. Karl Kraus höhnte: „Die Vornehmheit, die Herr Bachrach in der Berührung mit dem Schmutz der Hoheiten erlernt hatte … “203 In seiner Kanzlei würden die Grafen und Fürsten, die Prinzen und Prinzessinnen ein und ausgehen. Er war nicht nur Berater, sondern auch Trauzeuge des höchsten Adels.
Dr. Heinrich Steger arbeitete durch mehr als 50 Jahre als äußerst angesehener Strafverteidiger. Er war verheiratet mit Jeanette Mandl, der Schwester von Max Mandl von Maldenau. Gelobt wurde er als Künstler unter den Verteidigern („Ich bin Musiker. Ich höre, was dem Angeklagten schadet.“). Berühmt wurde seine erfolgreiche Verteidigung für den Beleuchtungsinspektor Breithofer im Ringtheaterbrandprozess: „Wo alle den Kopf verloren, könne man nicht verlangen, dass ihn gerade einer aufbehalte.“ Auch Dr. Eduard Coumont, der die berühmte Kanzlei des Dr. Wilhelm Stammfest übernommen hatte, war bald einer der bekanntesten und meistbeschäftigten Anwälte auf zivilrechtlichem Gebiete. Mehr als zwei Jahrzehnte betreute er als Schriftleiter die Allgemeine Österreichische Gerichtszeitung, war Rechtsanwalt Kaiser Karls, der Nationalbank und vieler großer Industrieunternehmen.
Wichtige und große Einzelklienten konnten einen Rechtsanwalt reich machen: Das galt für Dr. Adolf Gallia. Sein Einkommen stammte praktisch ausschließlich aus der Vertretung und Durchsetzung der Patentrechte für Auer von Welsbach. Der Hof- und Gerichtsadvokat Dr. Leopold Teltscher personifizierte die Verbindung der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft zur Beleuchtungsindustrie. Er war sowohl Repräsentant der Imperial Continental Gas-Association wie auch Präsident der Vereinigten Elektrizitäts AG, einer Art Elektroholding. Dr. August Periz war Präsident der österreichischen Gasbeleuchtungs AG und Verwaltungsrat der Wiener Gasindustrie-Gesellschaft.
Akademische Ausbildung
Eigene Auszählung
Ein Chirurg als Topverdiener: Anton Freiherr von Eiselsberg.
Rechtsanwalt war auch Dr. Gustav Bloch, der sich seit 1917 Bloch-Bauer nannte. Er war mit Therese Bauer verheiratet, der Tochter des Direktors des Wiener Bankvereins Moritz Bauer. Maria Altmann, die von ihrer Tante Adele Bloch-Bauer die berühmten Klimt-Bilder erbte, ist eine Tochter des Ehepaars. Auch die beiden Kranz-Brüder, Dr. Sigmund und Dr. Josef Kranz, die Söhne des Kreisrabbiners von Auschwitz, waren Advokaten. Beide machten eine spektakuläre Karriere. Während Sigmund Kranz durch die Ehe mit Malwida (Malvine) Zwieback, der Tochter des Warenhausbesitzers Ludwig Zwieback, reich wurde, war das Leben seines Bruders Josef mehr als wild bewegt: Tätigkeit im Finanzministerium, Industriegründungen in Bosnien-Herzegowina, Übernahme der Präsidentschaft der Depositenbank, Führer des Spiritus-Kartells. Am 15. Juni 1916 adoptierte er Regina Wiener, verwitwete Zirner, die später unter dem Namen Gina Kaus bekannt wurde. Ihr Ehemann Josef Zirner, der Sohn des Juweliers Max Zirner und der Gisela Zwieback, war am 20. Juli 1915 gefallen. In Wahrheit war diese Adoption nur der Ersatz für eine Eheschließung, die Kranz, da formell nicht geschieden, wohl eine Anklage wegen Bigamie eingebracht hätte. Bekannt wurde Kranz durch den Prozess, der 1917 gegen ihn und Hans Reitzes wegen Preistreiberei geführt und in dem er zu neun Monaten Haft verurteilt wurde. Gina Kaus beschreibt ihn als Finanzgenie, der es von kleinsten Verhältnissen zum Millionär gebracht hatte.204
Bis heute besteht die 1878 gegründete Anwaltskanzlei Weiss-Tessbach. Sie geht auf Dr. Adolf Weiss, ab 1886 Ritter von Tessbach, zurück. Aus bescheidenen Verhältnissen in Groß Ullersdorf (Velky Losiny)/Mähren stammend, gründete er 1878 in Wien eine Rechtsanwaltskanzlei. Als Verwaltungsrat der Credit-Anstalt und Reichsrats- und Landtagsabgeordneter kam er zu großem Vermögen, das er in Immobilien investierte und das seinem gleichnamigen Sohn ein Leben als Gutsherr erlaubte. Die Anwaltstradition wurde aber in der nächsten Generation wieder weitergeführt.
Die Anwaltskanzleien entwickelten sich danach, ob ihre Klientel aus der „besseren Gesellschaft“ oder von den „kleinen Leuten“ kam. Ein Titel oder ein „von“ konnte helfen, eine bestimmte Klientenschicht anzusprechen. Noch wichtiger war aber die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu, waren Bekanntschaften und Beziehungen aus dem familiären Umfeld oder aus Funktionen in der Wirtschaft, aus der Politik oder durch eine Vereinsmitgliedschaft. Letztere konnte die eines Sportvereines, eines Automobilklubs, des Alpenvereins, der Musikfreunde, einer Studentenverbindung oder der Freimaurer sein. Vielfach bestimmte sich bei einer Kanzleiübernahme die Klientel nach dem vom Kanzleivorgänger übernommenen Mandatsbestand.205 Von den 681 Wiener Anwälten im Jahr 1893 waren mehr als die Hälfte, insgesamt 395 Juden. Unter den anwaltschaftlichen Spitzenverdienern lag der jüdische Anteil mit 70 Prozent deutlich über dem Durchschnitt aller Anwälte.
Nur zwei Notare findet man unter den Spitzenverdienern: Der angesehenste war Dr. Franz Mayrhofer. Der aus Aschbach in Niederösterreich gebürtige Mayrhofer war von 1899 bis 1917 Präsident der Niederösterreichischen Notariatskammer und des Österreichischen Notarenvereins. Dr. August Kolisko war Notar im 1. Bezirk und hatte entsprechend noble Kundschaft. Er kümmerte sich 1919 um die Verwaltung des Vermögens des abgedankten Kaisers Karl.
Warum unter den 22 Apotheken, die 1910 im 1. Wiener Gemeindebezirk bestanden, gerade die von August Moll geführte Apotheke „Zum weißen Storch“ so ertragreich gewesen war, dass sie ihm ein Einkommen von mehr als 100.000 Kronen brachte, dürfte mit dessen Schritt in die Industrie zusammenhängen. Schon August Moll sen. begann sein Seidlitz-Pulver aggressiv zu vertreiben und zu bewerben: „Der zuverlässige Selbst-Arzt durch das neue Wunder-Heilmittel Franzbranntwein und Salz … eine Hilfe der leidenden Menschheit.“ August Moll lieferte auch photographische Bedarfsartikel für den Hof und gab die Photographischen Notizen heraus. Sein Cousin war der Maler Carl Moll. Die historische Einrichtung der Apotheke gehört bis heute zu den touristischen Sehenswürdigkeiten der Wiener Innenstadt.206