Читать книгу Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber - Страница 25
Papier und Schreibwaren
ОглавлениеDie Papiermaschine und der Holzschliff machten die Papierindustrie zu einer der leistungsfähigsten Exportbranchen der Habsburgermonarchie. Daran hing nicht nur die Buch- und Zeitungskultur. Die geistige Emanzipation führte zu einer Explosion der Schriftkultur. Doch ohne billiges Papier wäre dies nicht möglich gewesen. Nach 1860 wuchs die Papierindustrie zur Großindustrie. Von den ca. 160 Papierfabriken der Monarchie waren nach 1918 ca. 30 Prozent und von den 331 Holzschleifereien ca. 37 Prozent in Deutschösterreich situiert. Wir finden unter den Millionären die großen Namen der österreichischen Papierindustrie und so gegensätzliche Lebensläufe vereint wie die der Bunzl und der Hamburger, der Tennenbaum und der Musil von Mollenbruck.
Auch wenn es das Telephon schon gab, zahllose Telegramme aufgegeben wurden, Funk und Radio schon in den Kinderschuhen steckten und Sascha Kolowrat, der Sohn von Leopold Filip Graf Kolowrat-Krakowský, die ersten Filme drehte, so war das Fin de Siècle doch die große Zeit der Briefe. Theodor Theyer war der Briefkönig Wiens: Er lieferte Papier für die verschiedensten Arten von Korrespondenz, vom kaufmännischen Geschäftsbrief im nüchternen Quart und schmucklosen Kuvert bis zum duftigen Billet-doux. Sein Programm umfasste Korrespondenzkarten und Briefpapier in verschiedensten Ausführungen und Farben, für den Jagd- und den Jockeyclub, mit Firmenbildern, Künstlerköpfen, Musikzeilen, Jagdtrophäen und Wappen, auf Oxforder Leinen, Vieux Saxe oder Japan-Papier, in Altwiener Art und Art Deco, Bildpostkarten, Kondolenz- und Glückwunschpapiere. Theyer produzierte um 1910 nahezu 10.000 Motive.161
Die Stahlfedern zum Schreiben der Briefe und der unzähligen Akten lieferte Karl Brandauer. Sein Unternehmen hatte Standorte in Wien und in Birmingham. Das englische Monopol für Stahlschreibfedern mit Mittelloch und Schlitzen wurde von dem aus Ulm nach Wien zugewanderten Carl Kuhn und dessen Schwiegersohn, dem aus Württemberg stammenden Carl Brandauer, nicht nur erfolgreich durchbrochen. Brandauer gelang es sogar, ins Zentrum der englischen Metallindustrie nach Birmingham vorzustoßen. 1862 gründete er dort seine eigene Federnfabrik. Die Federn wurden in Birmingham erzeugt, die Federhalter in Wien. Mit ansprechenden Modellen aus Metall, Elfenbein, Perlmutter, Glas oder Holz wurde den Produkten aus England eine exquisite und wienerische Note verpasst. Exportiert wurde vor allem nach Deutschland, England, Russland und in die Balkanländer. Wegen des 1. Weltkriegs musste die gesamte Produktion wieder in Wien zusammengefasst werden. Das englische Werk war verloren. Doch erst unter dem Nationalsozialismus wurde 1938 die „Carl Kuhn AG. Erste Österreichische Schreibfedern- und Federhalterfabrik“ aufgelöst.162 Die englische Firma besteht unter anderen Eigentümern weiter und pflegt das Brandauer-Erbe liebevoll.