Читать книгу Das Portrait der Toten - Ronald Fuchs - Страница 14

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10/21 ― Die Streitaxt

Unruhig wälzte sich Bruce auf seiner Matratze. Neben ihm schlummerte Yvonne. Neidisch schaute er sie an: „Wie kann sie nur so ruhig schlafen, während ich kein Auge zukrieg'?!“

Der Spruch: „Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“, kam ihm in den Sinn.

„Ach was ‒ Kinderkram ‒ gutes Gewissen ‒ alles Quatsch! ‒ Ich muss mir gar keine Sorgen machen. Im Gutshaus sind alle Spuren verbrannt“, versuchte er sich zu beruhigen.

„Das Portrait hat das Feuer überstanden“, sagte ihm eine innere Stimme. „Das hat sich schon im ganzen Dorf herumgesprochen. Die Leute glauben an ein Wunder und halten die abgebildete Tote für eine Heilige.“

„So ein Blödsinn!“, kicherte Bruce. „Dummes, abergläubisches Bauernvolk ‒ und das im zwanzigsten Jahrhundert!“

„Die Polizei soll eine Spur an dem Portrait gefunden haben“, meldete sich wieder die innere Stimme.

„Höchstens ein Kratzer vom Beil“, beruhigte sich Bruce. „Das Portrait habe ich jedenfalls nicht angefasst, also sind meine Fingerabdrücke auch nicht drauf. Die Polizei blufft nur. In der Brandsache haben sie gar nichts gegen mich in der Hand!“, Bruce atmete erleichtert auf.

„Aber wie steht es um den Mord an dem schwarzen Pier?“, insistierte seine innere Stimme.

„Darüber hab' ich doch schon einmal nachgedacht! Da ist auch alles in Ordnung. Die Polizei kann mir nichts nachweisen. Außerdem hält der Kommissar Robert de Brandt für den Täter, weil man den Siegelring der Baronin in seiner Jackentasche gefunden hat. Damit hab' ich den Kommissar ganz schön an der Nase herumgeführt! Ich bin eben schlauer als die Polizei!“ Bruce grinste selbstbewusst.

„Und wenn die Polizei den Schmuck oder die Axt findet?“, fragte die innere Stimme.

„Den Schmuck finden die nie. Unter dem Komposthaufen schauen die feinen Herren von der Kripo bestimmt nicht nach – das ist denen zu schmutzig. Die Axt habe ich gründlich gesäubert. Morgen werde ich sie wieder über den Schanktisch in der Wirtsstube hängen. Sie ist schließlich ein altes Familienerbstück und außerdem hat hier doch jeder eine Axt oder ein Beil!“

„Und was sagst du, wenn dich jemand fragt, woher du plötzlich so viel Geld hast?“

„Wer sollte das fragen? Das weiß doch keiner und ich werde nicht mit dem Geld um mich werfen.“

War er nicht ein Teufelskerl? Drei Morde innerhalb von zwei Tagen begangen, davon einen gewissermaßen unter den Augen der Polizei, und noch immer auf freiem Fuß – und der dumme Kommissar hat den Falschen verhaftet! Zufrieden mit dem Ergebnis seiner Überlegungen wälzte sich Bruce auf die Seite, um endlich zu schlafen, aber ein schepperndes Geräusch schreckte ihn auf.

„Das war doch eben mein Fahrrad hinter dem Haus! Da schleicht jemand im Garten herum!“

Hatte man ihn beobachtet, als er den Schmuck der Baronin unter dem Komposthaufen vergraben hatte? Bruce sprang auf, holte sein Beil unter dem Bett hervor und lief zur Hintertür. Da, in der Nähe des Komposthaufens bei den Kaninchenställen, da bewegte sich ein Schatten. Mit erhobenem Beil stürmte Bruce darauf zu. Die Stalllaterne leuchtete auf.

„Halt, Polizei, bleiben Sie stehen, Herr Maison!“

Vor Bruce stand Kommissar Simenon mit seiner Dienstpistole in der Hand.

„Lassen sie das Beil fallen, Herr Maison, Sie sind verhaftet!“

Mit gewaltigem Schwung schleuderte Bruce seine Streitaxt auf den Kommissar. Der Schrei und der Schuss ertönten gleichzeitig. Die Axt hatte Simenons Arm getroffen. Vor Schreck und Schmerz hatte der Kommissar geschossen. Bruce fiel um und war tot.

Yvonne kam im Nachthemd in den Garten. Sie begriff die Situation sofort, blieb aber sehr gefasst. Ihre Liebe zu Bruce war längst erkaltet. Simenons herbeigeeilte Kollegen brachten ihren Chef zur ambulanten Behandlung zum Arzt, Bruce zur stationären Lagerung in die Leichenhalle und die Streitaxt zur Untersuchung ins Polizeilabor.


Nach dem Frühstück wurde Robert aus seiner Schutzhaft entlassen. Kommissar Simenon brachte ihn persönlich in den Postillion zurück, wo sie von Yvonne, dem Pfarrer und Edith empfangen wurden. Der Kommissar berichtete kurz, was vorgefallen war.

„Das war aber ein riskantes Manöver, um an ein altes Beil zu kommen!“, tadelte der Pfarrer den Kommissar. „Sie sollten sich mal ein Beispiel an ihrem berühmten Kollegen Kommissar Maigret nehmen! Der wäre vorsichtiger gewesen. Aber ihr jungen Leute seid ja alle leichtsinnig!“

Kommissar Simenon wandte sich an Robert: „Sie sind der einzige Verwandte der Baronin und ihr alleiniger Erbe. Alle Gegenstände, die wir aus dem Gutshaus geborgen haben, werden Ihnen in nächster Zeit ausgehändigt. Den Schmuck ihrer Großmutter werden wir sicher auch noch finden. Ich habe meine Kollegen schon angewiesen, das Wirtshaus, den Kaninchenstall, den Garten und auch den Komposthaufen zu durchsuchen. Aber etwas ganz Besonderes aus dem Nachlass ihrer Großmutter kann ich ihnen jetzt schon geben. Es lag im Tresor und ist nur leicht beschädigt.“

Der Kommissar überreichte Robert ein dickes Heft.

Auf dem Einband stand in schöner Damenhandschrift:

Das Portrait der Toten

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