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2/21 ― Zum Postillion

„Weißt du jetzt den Weg?“, fragte Edith als Robert in den Wagen stieg und fügte gleich hinzu: „Verfahr' dich bloß nicht wieder!“

Noch schaudernd tuckerte Robert durch das Hoftor.

„Ist das auch der richtige Weg?“, zweifelte Edith schon nach ein paar Minuten.

„Ja, Liebling, ich glaube schon.“

„Was soll das heißen ‒ ich glaube? Weißt du es, oder glaubst du nur, es zu wissen?“

Noch bevor Edith richtig in Fahrt kommen konnte, tauchten aus der Dunkelheit Häuser und ein Ortsschild mit dem Namen Q. auf.

„Siehst du, da ist ein Dorf“, sagte Robert aufatmend.

„Ja, ein Kuhdorf ‒ wahrscheinlich ohne Hotel“, grantelte Edith.

Mit stotterndem Motor erreichten sie den Dorfplatz und blieben vor dem Gasthof Zum Postillion stehen. Robert stieg aus und spurtete durch den strömenden Regen zum Eingang.

„Frag nach einem Zimmer!“, rief ihm Edith überflüssigerweise nach.

Triefend nass betrat er den Schankraum und erntete mitleidige, aber auch neugierige Blicke von der Wirtin, einer drallen Brünette, und den vier alten Kartenspielern an dem großen Eichentisch. Robert grüßte und fragte nach einem Zimmer. Die Wirtin bot ihm ein mit Blümchentapete verziertes Fremdenzimmer im ersten Stock an. Robert holte Edith und die Koffer. Während des Abendessens murrte und mäkelte Edith ständig. Das Gasthaus war ihr nicht fein genug und die Treppe zu steil. Nach dem Essen war sie jedoch müde und ging schlafen.

Robert blieb in der Wirtsstube, bestellte sich einen Loirewein und fragte die Wirtin nach dem Gutshaus.

„Dort wohnt die Baronin. Ihrer Familie hat früher das ganze Dorf mit dem Land drumherum gehört. Warum fragen Sie, Monsieur?“

„Weil ich vorhin in dem Haus gewesen bin, um nach dem Weg zu fragen. Aber es hat sich niemand gezeigt, obwohl im Obergeschoss Licht brannte.“

„Dann war auch jemand zu Hause“, sagte die Wirtin. „Aber, Monsieur, wie sind Sie denn in das Haus hineingekommen, wenn ihnen niemand geöffnet hat?“

„Die Tür war offen.“

„Ach ‒ und da sind Sie einfach hineinspaziert?“ Die Wirtin schaute missbilligend.

„Nur bis in die Eingangshalle“, antwortete Robert verlegen. „Dort habe ich gerufen und kurze Zeit gewartet. Als niemand kam, bin ich wieder gegangen.“

„Nun“, meinte die Wirtin, „wenn das Licht brannte und die Eingangstür offen war, muss die Baronin zu Hause gewesen sein. Vielleicht haben sie nicht lange genug gewartet.“

„Kennen Sie die Baronin persönlich?“, fragte Robert.

„Nein, ich habe sie noch nie gesehen, aber mein Mann kennt sie. Wir haben dieses Wirtshaus von ihr gepachtet.“

„Ich habe vorhin dort in der Vorhalle etwas ganz Schreckliches gesehen: das gerahmte Haupt einer Toten!“, berichtete Robert aufgeregt.

„Nein, nein, junger Mann“, mischte sich ein wohlbeleibter älterer Herr aus der Kartenspielerrunde ein, „das habe ich auch geglaubt, als ich es zum ersten Mal sah. ‒ Aber tatsächlich ist es nur ein Ölbild. Es ist wirklich grausig anzusehen und erschreckt jeden, wie der Kopf der Medusa. Es ist ein wahres Meisterwerk. Ich würde gern mehr über dieses seltsame Portrait wissen und habe die Baronin auch schon danach gefragt ‒ aber leider vergebens.“

„Sie kennen die Baronin persönlich?“ Robert war wie elektrisiert.

„Ich kenne hier jeden. Ich bin nämlich der Dorfpfarrer“, lachte der Alte und reichte Robert die Hand.

Robert stellte sich dem Pfarrer und dessen Freunden vor.

„Sind Sie ein Verwandter unserer Baronin Rose-Lene de Brandt?“, fragte der Pfarrer überrascht.

„Ja, ich bin ihr Enkel. Mein Vater, der kurz vor meiner Geburt verstorben ist, war ihr Sohn. Auch meine Großmutter kenne ich nicht persönlich. Meine Mutter und ich hatten überhaupt keinen Kontakt zu ihr. Sie war gegen die Heirat meiner Eltern, weil sie die Deutschen nicht mochte. ‒ Eigentlich bin ich nur hier, weil ich mich verfahren habe, aber jetzt freue ich mich darauf, morgen den Geburtsort meines Vaters besichtigen zu können.“

„Na, dann sollten Sie aber auch ihre Großmutter besuchen“, meinte der Pfarrer.

„Ich weiß nicht, ob ich ihr überhaupt willkommen bin“, sagte Robert zögernd.

„Nun, das werden wir ja sehen. ‒ Kommen Sie morgen früh erst einmal zu mir in die Kirche. Nach der Messe nehme ich ihnen die Beichte ab. Anschließend werden wir hier im Gasthaus zu Mittag speisen und dann, nach ein paar kleinen Pastis, gehen wir zu ihrer Großmutter.“

Robert war etwas verblüfft über des Pfarrers Ansinnen, ihm die Beichte abnehmen zu wollen, beschloss aber leicht amüsiert, dem Wunsch seiner Geistlichkeit nachzukommen, weil ihm der kauzige alte Kerl sympathisch war.

Das Portrait der Toten

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