Читать книгу Das Portrait der Toten - Ronald Fuchs - Страница 9

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5/21 ― Unter Verdacht

An einem Tisch im Postillion saß Edith mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Robert machte sie mit dem Pfarrer bekannt.

„Der Herr Pfarrer ist heute unser Gast“, sagte er und hoffte, das sich Edith nun ihre gefürchtete Nörgelei verkneifen würde. Nach einer kräftigen Bouillon servierte Yvonne einen knusprigen Schweinebraten in köstlicher Sauce. Dazu gab es Kartoffeln mit Rotkohl, frischen Salat und einen guten Loirewein.

„Der Pfarrer will mich meiner Großmutter, der Baronin de Brandt, vorstellen. Sie bewohnt das einsame Landgut, vor dem wir gestern Abend gehalten haben. Möchtest du mitkommen?“ fragte Robert seine Frau.

„Deine Großmutter ist eine Baronin? Das hast du mir ja gar nicht erzählt! Dann bist du ja ein Baron und ich Baronin! Oh Robert, das ist ja wunderbar!“

„Das ist ein Irrtum“, bremste Robert sein Weib. „Erstens lebt meine Großmutter noch und ich wünsche ihr ein langes Leben. Zweitens muss sie mich nicht als Erben anerkennen und drittens sind Adelstitel in Frankreich seit 1958 nur ein Namensteil juristisch ohne Bedeutung.“

„Hm“, machte Edith. „Wieso will dich der Pfarrer deiner Großmutter vorstellen? Du hast doch gestern Abend schon mit ihr gesprochen!“

„Gestern, gestern habe ich nur mit ihrem Butler gesprochen“, stotterte Robert und wollte das Gespräch beenden.

„Hast du ihm gesagt, wer du bist?“

„Nein, ich habe ihn nur nach dem Weg gefragt.“

„Du Esel!“, schnaubte Edith. „Du hättest ihm sagen sollen, wer du bist, dann hätten wir sicher bei deiner Großmutter übernachten können und nicht in diesem schäbigen Gasthaus!“

Robert war peinlich berührt: „Ich glaube, es ist besser, wenn ich nachher mit dem Pfarrer allein meine Großmutter besuche und dich ihr später einmal vorstelle.“

„Das kannst du machen, wie du willst, ich werde mich schon nicht langweilen!“, sagte Edith schnippisch und lächelte den kräftigen Wirt an, der drei Gläser Pastis auf den Tisch stellte.

Im selben Moment stolperte der Bürgermeister in die Wirtsstube.

„Da sitzt du in aller Ruhe beim Pastis und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein, während deine Schäfchen dem Fegefeuer zum Opfer fallen!“, rief er dem Pfarrer zu.

Der sah ihn entgeistert an: „Wer fällt dem Fegefeuer zum Opfer?“

„Die Baronin und ihr Butler! Sie sind beide im Gutshaus verbrannt!“

„Um Himmels willen, wann und wie ist das passiert?“

„Es muss letzte Nacht geschehen sein“, sagte der Bürgermeister. „Wie es passiert ist, weiß man noch nicht.“

„Ich muss sofort zum Gutshaus!“, rief der Pfarrer. „Die armen Opfer müssen gesegnet und würdig bestattet werden.“

„Nein, setz dich nur wieder hin“, winkte der Bürgermeister ab. „Die Polizei lässt niemanden auf das Anwesen, solange die Brandursache noch nicht ermittelt ist.“

„Welch ein Unglück auch für diesen jungen Mann“, sagte der Pfarrer. „Heute hätte er endlich seine Großmutter kennenlernen sollen.“

„Sie sind der Enkel der Baronin?“, fragte der Bürgermeister erstaunt. Robert nickte und stellte sich vor. „Er ist gestern Abend hier angekommen, um den Geburtsort seines Vaters zu besichtigen“, erklärte der Pfarrer.

„Ich bin sogar in dem Gutshaus meiner Großmutter gewesen, weil ich nach dem Weg fragen wollte.“

„Was heißt "wollte"? Du hast doch gefragt, oder etwa nicht?!“, mischte sich Edith ein.

„Ja doch, den Butler, das hab' ich dir doch schon gesagt“, bestätigte Robert nervös.

„Sie waren gestern bei der Baronin?“, drängte sich ein salopp gekleideter Mann, der kurz nach dem Bürgermeister den Schankraum betreten hatte, in das Gespräch und stellte sich als Kommissar Simenon vor.

„Man schickt uns einen Kommissar? ‒ Glaubt die Polizei an ein Verbrechen?“, fragte der Bürgermeister.

„Unsere Ermittlungen haben erst begonnen. Deshalb auch gleich meine Frage an Sie, Herr de Brandt: wann waren Sie gestern Abend in dem Gutshaus ihrer Großmutter?“

„Um 22.00 Uhr!“, krähte Edith, bevor Robert antworten konnte.

„Wurden Sie erwartet?“

„Nein, es war purer Zufall, dass wir bei ihr vorbeigekommen sind. Ich wusste zuerst auch gar nicht, dass es das Haus meiner Großmutter war.“

„Wann und wie haben Sie es erfahren?“

„Als ich in der Eingangshalle unser Familienwappen sah, habe ich es geahnt.“

„Wer hat sie ins Haus gelassen?“

„Niemand, die Tür war offen.“

Simenon runzelte die Stirn: „Und da sind sie einfach hineinspaziert?“

Robert nickte verlegen.

„Wie ich vorhin dem Gespräch entnommen habe, kannten Sie ihre Großmutter gar nicht“, wunderte sich der Kommissar.

„Ich bin ihr nie begegnet und hatte auch sonst keinerlei Kontakt zu ihr. Sie wollte weder von meiner Mutter noch von mir etwas wissen und ließ unsere Briefe unbeantwortet“, erklärte Robert.

„Sie waren also in der Empfangshalle. Was geschah dann?“, bohrte der Kommissar weiter.

Robert zögerte mit der Antwort.

„Dann kam doch der Butler und du hast ihn nach dem Weg gefragt“, assistierte Edith ungebeten.

Robert nickte. „Waren Sie auch im Haus?“, fragte der Kommissar Edith.

„Nein, ich habe im Auto gewartet. Es hat ja so stark geregnet, geblitzt und gedonnert.“

„Woher wissen Sie dann, dass ihr Gemahl mit dem Butler in der Empfangshalle gesprochen hat?“

„Von meinem Gatten natürlich“, antwortete Edith.

Simenon wandte sich wieder an Robert: „Haben Sie sich dem Butler zu erkennen gegeben?“

„Nein, ich wollte ja nur nach dem Weg fragen. Ich habe erst heute beschlossen, mich meiner Großmutter vorzustellen.“

„Wie lange haben Sie denn mit dem Butler gesprochen?“

„Vielleicht zwei Minuten!“

„Wie sah der Butler aus?“, fragte Simenon.

Robert zögerte: „Ich weiß nicht mehr. Es war nicht sehr hell. In der Halle brannte nur eine alte Petroleumlampe.“

„Na, etwas müssen Sie doch wissen, wenn Sie gestern Abend mit dem Mann gesprochen haben“, insistierte der Kommissar. „War er groß oder klein, dick oder dünn? Trug er einen Bart? War sein Gesicht rund oder hager, faltig oder glatt, hell oder dunkel? Wie war er gekleidet?“

„Er, er trug einen Anzug“, stotterte Robert.

„Das tun Butler meistens“, schmunzelte Simenon. „Welche Farbe, welches Muster hatte sein Anzug?“

Robert war am Ende. „Ich habe mit niemandem gesprochen“, gestand er kleinlaut. „Ich habe in der Empfangshalle gewartet und gerufen, doch es kam niemand. Es war so unheimlich. Und dann sah ich dieses grausige Portrait an der Wand und bin rausgerannt.“

„Waschlappen!“, entfuhr es Edith. „Ein erwachsener Mann ‒ und fürchtet sich vor einem Bild!“

Der Wirt hinter der Theke lachte schallend und Robert wäre am liebsten im Boden versunken.

„Was war denn so grausig an dem Portrait?“, fragte der Kommissar. Robert beschrieb es ihm.

„Ich glaubte, es sei ein präparierter Frauenkopf, bis mir der Herr Pfarrer sagte, dass es nur ein Portrait sei.“

Der Pfarrer nickte bestätigend.

„Haben Sie in dem Haus Stimmen oder irgendein Geräusch gehört?“, wollte der Kommissar wissen.

„Nein, es war totenstill, obwohl aus einem Zimmer ein schwacher Lichtschein in den dunklen Gang hinter der Vorhalle fiel und die ganze obere Etage hell erleuchtet war.“

„Herr de Brandt, ich muss Sie bitten, sich weiterhin zu unserer Verfügung zu halten: das heißt, Sie dürfen diesen Ort einstweilen nicht verlassen.“

„Sie glauben doch nicht etwa, dass ich nach Frankreich gekommen bin, um meine Großmutter zu verbrennen!“, rief Robert empört und sah den Kommissar fassungslos an.

„Sie hätten ein Motiv: vielleicht haben sie ihre Großmutter gehasst und wollten sie beerben“, entgegnete der Kommissar kühl. „Ich fahre jetzt zum Brandort. Vielleicht haben meine Kollegen von der Spurensicherung schon etwas gefunden. Heute Abend werde ich wieder hier sein.“

Der Kommissar trank sein Bier aus und verließ das Gasthaus in Begleitung des Bürgermeisters.

„Das ist ja eine schöne Bescherung!“, zischte Edith ihren Mann an. „Jetzt muss ich wohl in diesem Nest meinen ganzen Urlaub verbringen, weil du unter Mordverdacht stehst! Dauernd versaust du mir den Urlaub!“ Wütend schnappte sie ihre Handtasche und ging auf ihr Zimmer.

Robert saß da, wie ein begossener Pudel. Er wollte sich bei dem Pfarrer für das Benehmen seiner Frau entschuldigen, doch der winkte lächelnd ab: „Frauen haben ein anderes Temperament als wir. ‒ Trinken wir lieber noch einen Pastis auf diesen Schreck.“

Der Wirt brachte sogleich zwei gefüllte Gläser.

„Glauben Sie mir, Herr Pfarrer, ich bin kein Mörder!“, beteuerte Robert.

„Ich glaube dir“, erwiderte der beruhigend. „Solch eine abscheuliche Tat traue ich dir gar nicht zu. Aber du warst ausgerechnet gestern Abend am Brandort und deine kleine Lügengeschichte hat auf den Kommissar keinen guten Eindruck gemacht.“

„Die Geschichte habe ich doch nur wegen Edith erfunden. Die hätte mir doch nicht geglaubt, dass niemand da war, weil doch im ganzen Haus das Licht brannte.“

„Tja“, sagte der Pfarrer nachdenklich, „das ist schon sehr seltsam. Ist dir vielleicht sonst noch etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

„Ja, doch ‒ als ich auf den Eingang zuging, glaubte ich im Lichte eines Blitzes auf dem Hof eine kleine Gestalt gesehen zu haben.“

„Das könnte der schwarze Pier gewesen sein“, meinte der Pfarrer „denn Paul, der Butler, hat ihm immer etwas Geld gegeben.“

„Warum tat der Butler das?“, wunderte sich Robert.

„Man munkelt“, sagte der Pfarrer, „dass Pier sein Sohn sei. Paul war früher als Fremdenlegionär auf der Insel Mayotte stationiert. Nach seinem Austritt aus der Legion wurde er Butler bei der Baronin. Den schwarzen Pier hat er damals wohl mitgebracht.“

„Warum wohnt Pier in der Schlossruine und nicht bei seinem Vater?“

„Pier ist ein Herumtreiber. Er hält es nirgendwo lange aus und wollte offenbar nicht bei seinem Vater wohnen.“

„Wer und wo ist seine Mutter?“, fragte Robert weiter.

„Über seine Mutter weiß ich nichts. Vermutlich war sie eine Eingeborene auf Mayotte. ‒ Jedenfalls hatte Pier keinen Grund, das Haus, in dem sein Vater lebte, niederzubrennen.“

„Es sei denn, der Butler hat ihm diesmal kein Geld gegeben“, wandte Robert ein.

„Das ist doch kein Grund, Feuer zu legen!“, erwiderte der Pfarrer entrüstet.

„Nicht für einen normalen Menschen“, stimmte Robert zu.

„Der schwarze Pier ist völlig harmlos. Der tut niemandem etwas zuleide!“, bekräftigte der Pfarrer seine Meinung. „Aber vielleicht hat er etwas gesehen. ‒ Jedenfalls müssen wir heute Abend den Kommissar über deine Beobachtung informieren.“

Der Pfarrer verabschiedete sich und Robert blieb mit dem Wirt allein. Der putzte die Zapfhähne am Ausschank. Er war schwarzhaarig, groß und breitschultrig, hatte dichte Augenbrauen, einen schwarzen Vollbart und den braunen Teint eines Naturburschen. Robert hingegen war dunkelblond, schmal und hatte nur eine durchschnittliche Körpergröße und eine blasse Hautfarbe. Neben dem Wirt wirkte er fast zierlich.

„Der Kerl hat bei den Frauen bestimmt gute Chancen“, dachte Robert. Wie höhnisch hatte dieser Hüne vorhin über ihn gelacht. Der Wirt war Robert unsympathisch. Hier wollte er nicht bleiben. Er beschloss, zum Landhaus seiner Großmutter zu gehen.

Das Portrait der Toten

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