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Das Portrait der Toten


Im Ort des Verbrechens


1/21 ― Das Haupt

„Ich hab's doch gewusst! Du hast dich schon wieder verfahren ‒ und das bei diesem Unwetter! Immer verfährst du dich! Dabei bist du doch schon einmal hier gewesen ‒ und trotzdem verfährst du dich!“

„Ich war noch nie hier, Liebling.“

„Du hast mir doch selbst erzählt, dass du schon einmal an der Loire gewesen bist!“

„Ja, vor sieben Jahren, kurz vor unserer Hochzeit ‒ aber nicht hier, sondern in der Gegend von Nantes.

„Natürlich ‒ und auf unserer Hochzeitsreise bist du dann mit mir nur an die Nordsee nach Büsum zu deinem Onkel gefahren.“

„Wir hatten doch damals nicht viel Geld und das Haus von meinem Onkel stand leer, weil er mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus lag.“

„Tja, das war eine billige Hochzeitsreise für dich gewesen: kostenloses Hausen ‒ denn Wohnen konnte man das ja wohl nicht nennen, in dem Saustall! Und sagtest du gerade "Haus" zu der Kate deines Onkels?“

„Na, so schlimm war es ja nun auch wieder nicht.“

„Es war sogar noch schlimmer! ‒ Erst musste ich den Dreckstall deines Onkels aufräumen und putzen ...“

„Nur ein paar Kleidungsstücke in den Schrank hängen und etwas Geschirr spülen.“

„Und die herumliegenden Zeitungen und die vollen Aschenbecher und die halbvollen Groggläser?“

„Da war nur ein Glas und eine Zeitung und ein voller Aschenbecher.“

„Nein, da waren zwei Gläser und zwei Aschenbecher und überall Staub und der Mülleimer war auch voll, und ich musste das alles wegmachen ‒ auf meiner Hochzeitsreise!“

„Ich habe dir doch geholfen.“

„Das wäre wohl auch noch schöner gewesen, wenn du dich einfach aufs Sofa gelegt und mich hättest schuften lassen ‒ nach der anstrengenden Reise in unserem kleinen Auto!“

„Ich bin doch gefahren, du warst nur Beifahrerin.“

„Ja, meinst du vielleicht, dass mich die Fahrt nicht angestrengt hat? Willst du mir jetzt vorwerfen, dass ich nicht Autofahren kann? Ich habe nun mal keinen Führerschein!“

„Ich werfe dir gar nichts vor ‒ aber müde war ich auch und habe dir trotzdem geholfen.“

„Das war ja auch keine große Arbeit. ‒ Außerdem mussten wir dauernd deinen Onkel im Krankenhaus besuchen.“

„Du bist nur zweimal mitgekommen ‒ bei unserer Ankunft, weil wir den Hausschlüssel abholen mussten und vor unserer Abreise, um ihn wieder zurückzugeben. Das hat jeweils nur zehn Minuten gedauert, also zusammen ganze zwanzig Minuten von zwei Flitterwochen.“

„Das waren keine Flitterwochen, das waren Zitterwochen da oben an deiner Nordsee!“

„Wir hatten auch ein paar schöne Tage.“

„Auch an den "schönen" Tagen war es eisig kalt an deiner Nordsee, und dauernd wehte der Wind und machte hohe Wellen.“

„Warum störten dich die Wellen? Du gehst doch sowieso nicht ins Wasser, weil du nicht schwimmen kannst, und in die Sonne legst du dich auch nicht, weil du Angst vor einem Sonnenbrand hast.“

„Was kann ich dafür, dass meine Haut so empfindlich ist?! ‒ Jedenfalls fährst du mit mir immer nur dahin, wo das Wetter schlecht ist!“

„Entschuldige mal, Edith, für das Wetter kann ich nun wirklich nichts!“

Es wurde dunkel und Robert schaltete die Scheinwerfer ein.

„Pass auf wo du hinfährst! Beinahe wären wir im Graben gelandet! Willst du mich umbringen?“ kreischte seine Frau Edith auf dem Beifahrersitz.

„Ich passe schon auf, Liebling. Es ist ja nichts passiert.“

„Nur, weil ich dich rechtzeitig gewarnt habe!“

„Ja, Liebling, natürlich.“

„Sag nicht immer "Liebling"! Konzentriere dich lieber auf diese schmale Straße und fahr langsamer! ‒ Dieser Regen wird auch immer stärker. Genau so, wie an deiner Nordsee ‒ immer nur Regen!“

Der Wagen machte ein verdächtiges Geräusch.

„Was war das? Hast du das gehört?“

„Ja, Lieb...., reg dich nicht auf.“

„Ich soll mich nicht aufregen? Der Wagen geht kaputt in dieser Einöde, bei strömendem Regen und ich soll mich nicht aufregen?!“

„Wir sind nicht in der Wüste. Hier gibt es Ortschaften mit freundlichen Leuten, die uns helfen werden.“

„Wo denn? Ich sehe keine! Und das sag' ich dir gleich: ich steige bei diesem Wetter nicht aus!“

Der Wagen fing an zu ruckeln.

„Hahaa, jetzt bockt dein Autochen auch noch wie ein Rodeopferd. Fahren wir noch oder reiten wir schon? Bleib bloß nicht stehen bevor wir ein Hotel gefunden haben ‒ dann ist mir alles egal. ‒ Wenn ich das vorher gewusst hätte, wär' ich gar nicht erst mitgefahren. ‒ Das Geruckel ist ja unerträglich!“

„Ich schalte mal einen Gang zurück, vielleicht wird es dann besser.“ Robert schaltete.

„Tatsächlich, ein Wunder, dein Autochen bockt nicht mehr ‒ dafür ist es jetzt langsam wie eine Schnecke.“

„Wir sind im Urlaub, wir haben Zeit.“

„Aber ich habe Hunger und bin müde und will ins Bett, und wenn du weiter so herumzuckelst, werden alle Restaurants und Hotels geschlossen sein und wir werden hungrig im Auto übernachten müssen! ‒ Aber das sage ich dir: wenn du mir das zumutest, fahre ich morgen mit der Bahn erster Klasse zurück nach Hause!“

Während Robert noch das Für und Wider dieser Option erwog, tauchte vor ihnen im Scheinwerferlicht die Einfahrt zu einem burgartigen Landsitz auf. Das schmiedeeiserne Hoftor stand offen und die Fenster in der ersten Etage waren hell erleuchtet.

„Fahr sofort da rein und frag nach dem Weg!“, befahl Edith.

„Warum? Wir müssen einfach nur der Straße folgen, dann kommen wir automatisch in die nächste Ortschaft.“

„Du gehst da jetzt rein und fragst, wo das nächste Hotel ist! Das kann man wohl mindestens von dir verlangen, nach dieser Fahrerei!“

Robert fügte sich, fuhr auf den Hof und hielt vor dem Portal des Gutshauses. Blitze zuckten, der Donner grollte, der Regen trommelte aufs Autodach. Robert zögerte.

„Na los, steig aus! Worauf wartest du?“, drängte ihn Edith ungeduldig.

„Landhäuser werden oft von großen Hunden bewacht“, gab Robert zu bedenken.

„Siehst du hier irgendwo einen Hund?“, fauchte Edith.

„Bei diesem Wetter geht doch kein Hund vor die Tür! ‒ Also los, steig aus!“

Robert verließ den Wagen und eilte zum Hauseingang. An der Decke des Vordaches schaukelte quietschend eine Laterne im Wind und verbreitete ein fahles Licht. Huschte da nicht eben jemand über den Hof? Die schwere hölzerne Eingangstür war nur angelehnt. Er zog an der Türglocke und hörte ihr schrilles, durchdringendes "Bimbim, Bimbim." Er wartete. Nichts rührte sich. Er läutete noch einmal. Wieder nichts. ‒ Vorsichtig öffnete er die Tür einen spaltbreit und blickte in eine geräumige Eingangshalle, die nur von einer alten bronzenen Petroleumlampe beleuchtet wurde. Der Fußboden war mit hellgrauen Fliesen belegt. In der Mitte waren farbige Mosaiksteine zu einem Wappen zusammengefügt. Robert scheute sich, ungebeten einzutreten. Gerade wollte er wieder zum Wagen zurück gehen, als er Edith durch das geöffnete Seitenfenster keifen hörte: „Nun geh schon hinein, die Tür ist doch offen! Wie lange soll ich denn noch warten?“

Zögernd betrat Robert die Eingangshalle. Hinter ihm fiel die Tür zu. Robert erschrak. Schnell drehte er sich um und zog an der Türklinke. Gott sei Dank, die Tür öffnete sich wieder, der Rückweg war noch frei. Robert fühlte sich als Eindringling unbehaglich, wagte aber nicht, sofort umzukehren. Er wollte ein Weilchen hier an der Tür stehen bleiben. Dann würde Edith glauben, er habe mit dem Hausherrn gesprochen.

Die Halle war unmöbliert. Auf der linken und rechten Seite vom Eingang befanden sich vergitterte Fenster, durch die der gespenstische Schein der schaukelnden Außenlaterne fiel.

„Hallo, ist jemand zu Hause?“, fragte Robert zaghaft in die Stille. Visavis der Haustür, auf der anderen Seite der Halle, führte ein unbeleuchteter Korridor ins Innere des Gebäudes. Ein schwacher Lichtschein fiel aus einem Zimmer in diesen Gang. Magisch angezogen bewegte sich Robert in Richtung des dunklen Korridors. Er erreichte die Mitte der Halle und stand nun auf dem im Boden eingelegten Hauswappen unter der Petroleumlampe. Es zeigte einen Ritterhelm und einen Schild, auf dem eine Rose prangte. Robert trat einen Schritt vor, weil er nicht auf dem Wappen stehen wollte. Nun war die Deckenlampe hinter ihm und blendete ihn nicht mehr, sodass er jetzt sehen konnte, dass da etwas schwarz gerahmt über dem Flureingang hing. Er trat noch einen Schritt näher. Was für ein Bildnis! Es schien ihn anzublicken. Robert ging noch näher heran ‒ dann erkannte er zu seinem Schrecken, was dort vor einem dunklen Hintergrund mit stechenden Augen auf ihn herab blickte: der von wirren roten Haaren, von denen drei Strähnen wie Blutspuren auf dem bleichen Antlitz lagen, umgebene Kopf einer Frau. Robert machte auf dem Absatz kehrt und rannte aus dem Haus ‒ fast so leichenblass wie das Gesicht in dem schwarzen Schellackrahmen.

Das Portrait der Toten

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