Читать книгу Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 13
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ОглавлениеFür die Arwenacks war dieser Tag so düster, als hingen dichte schwarze Wolken unmittelbar über ihren Köpfen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß die Sonne nach wie vor strahlend am blauen Himmel stand und eine handige Brise die See zu freundlichem Wellengang streichelte.
Die „Isabella“ lag an diesem Nachmittag des 23. August in der Südbucht der östlichsten Insel der Pensacola Cays. An Bord des schlanken Schiffes herrschte im wahrsten Sinne des Wortes Grabesruhe.
Der Kutscher hatte an Bord das Regiment übernommen, und keiner wagte, seinen Anordnungen auch nur andeutungsweise zu widersprechen. Klipp und klar und unmißverständlich hatte er erklärt, daß auf dem Schiff absolute Ruhe zu herrschen habe. Andernfalls könne er für nichts mehr garantieren.
Am gestrigen Tag, auf der Fahrt zu den Pensacola Cays, hatte der Kutscher das Unmögliche gewagt. Mit Hilfe Mac Pellews und der Zwillinge hatte er die Pistolenkugel herausgeholt, die in Hasards Rücken eingedrungen und dicht vor dem Herzen steckengeblieben war.
Alle an Bord der „Isabella“ hatten den Atem angehalten und das Schlimmste befürchtet.
Aber der Seewolf war dem Kutscher nicht unter der Hand weggestorben.
Dennoch hatte sich bislang keine rechte Besserung einstellen wollen. Jeder wußte, daß Hasard noch lange nicht über den Berg war.
Ben Brighton harrte regungslos wie ein Standbild an der Heckbalustrade des Achterdecks aus. Doch seine Ruhe war nur äußerlich. Innerlich empfand er ein Vibrieren und Rumoren, wie er es selten erlebt hatte.
Ähnlich erging es zweifellos den Männern. Die meisten hockten auf der Kuhl, redeten nur im Flüsterton, und wenn sie sich tatsächlich einmal bewegen mußten, dann taten sie es so leise, daß sie sich dabei selbst nicht hörten.
Die Anspannung, die auf der Crew des Seewolfs lastete, war geradezu körperlich spürbar.
Es war wie ein Schmerz, der sie alle gepackt hatte und zur Hilflosigkeit verdammte.
Sie konnten nichts tun für Philip Hasard Killigrew, buchstäblich nichts. Das bißchen Hilfe, das möglich war, mußte sich zwangsläufig auf einen kleinen Personenkreis beschränken. Denn es konnten nicht ständig alle Mann in die Krankenkammer poltern, wo Hasard noch immer ohne Bewußtsein lag.
Ben Brighton wußte, wie düster es in den Köpfen der Männer aussah. Er selbst konnte sich von dieser Stimmung nicht befreien.
Ben und all die anderen hatten viele Menschen sterben sehen. Unendliche Tragik hatten sie erlebt und immer wieder lernen müssen, wie schwach und hilflos jeder einzelne von ihnen doch im Grunde war.
Ihre Stärke aber hatten sie in der Gemeinschaft mit dem Seewolf bewiesen. Und nun sollte es mit dieser Gemeinschaft plötzlich vorbei sein? Denn ohne Hasard, das spürten sie alle, würde ihr Haufen nie wieder der alte sein.
Auch Ben Brighton hatte in den letzten Stunden erkennen müssen, daß es sich anders verhielt als in früheren Gefahrensituationen. Seinerzeit, als der spanische Kampfverband unter Don Antonio de Quintanilla gegen die Schlangen-Insel vorgerückt war, war Hasard in den Wirren des Gefechtsgeschehens über Bord gegangen. Doch es hatte in der Zeit seines Verschollenseins immer noch Hoffnung gegeben. Man hatte ja nicht einmal gewußt, ob er verwundet worden war.
Jetzt aber waren die Arwenacks mit einer völlig neuen Gefahr konfrontiert – mit der Tatsache, daß Hasards Leben wahrhaftig an einem seidenen Faden hing.
Die Männer waren gewohnt, gegen faßbare und sichtbare Gegner zu kämpfen. In solchen Situationen wußten sie, woran sie waren. Da konnten sie zuschlagen und sehen, welches Ergebnis ihr Mut und ihre Entschlossenheit bewirkten. Im Augenblick jedoch gab es niemanden, den sie mit einem Säbelhieb, einer Pistolenkugel oder auch nur mit der bloßen Faust davon abhalten konnten, sich auf den wehrlosen Seewolf zu stürzen und ihm das Lebenslicht auszublasen.
Nein, die Macht, die ihn bedrohte, war stärker als sie alle zusammen. Und sie würde sich bei der Entscheidung, ob Philip Hasard Killigrew am Leben blieb oder nicht, kaum dreinreden lassen.
Ben Brighton konnte nicht umhin, an die vielen Jahre zu denken, die er gemeinsam mit Hasard auf den Achterdecks ihrer Schiffe verbracht hatte. Die neunte „Isabella“ war es bereits, auf der sie jetzt fuhren, und es war die stolzeste von allen Galeonen, die die Arwenacks ihr eigen genannt hatten. Sollte die neunte „Isabella“ für den Seewolf etwa zum Schicksalsschiff werden?
Unzählige Male hatten sie in den vergangenen Jahren dem Tod ins Auge geblickt. Mörderische Gefahren waren sie mit heiler Haut entronnen, oder sie hatten schlimme Blessuren davongetragen. Aber immer waren ihre Entschlossenheit und ihre Kampfkraft stärker gewesen als alles, was sich ihnen in den Weg gestellt hatte.
Auch die fürchterlichsten Unwetter hatten sie auf den sieben Weltmeeren erlebt, und manches Mal hatten sie dabei geglaubt, den entfesselten Naturgewalten nicht mehr entrinnen zu können.
Das alles sollte nun umsonst durchgestanden worden sein?
Es mußte wohl etwas Wahres daran sein, wenn man sagte, daß auch der stärkste Mann eine Kugel nicht verkraften konnte, die ihn in den Rücken getroffen hatte.
Sir Andrew Clifford hatte für seine Hinterlist beim Duell mit Hasard mit dem Leben bezahlt. Batuti hatte in ohnmächtigem Zorn gehandelt, und er hatte dabei genauso gedacht wie alle anderen an Bord der „Isabella“, als er den Pfeil abfeuerte, der den niederträchtigen Kerl auf der Stelle tötete.
Doch die Rache hatte niemandem an Bord ein Gefühl der Erleichterung gebracht.
Zu ungeheuerlich war das Geschehen gewesen, und zu ungewiß war jetzt die Zukunft. Hasard war es gewesen, der maßgeblich daran mitgewirkt hatte, die neue Heimat in der Karibik aufzubauen. All das, was heute die Schlangen-Insel bedeutete, war zum großen Teil sein Werk. Sie hatten England den Rücken gekehrt, um hier, in der Neuen Welt, ein Leben in Freiheit zu führen. Sollte Hasard etwa der einzige sein, der diesen Vorzug nicht mehr genießen konnte?
Ben Brighton hielt es auf dem Achterdeck nicht länger aus. Er wußte auch, daß die Männer die Ungewißheit kaum noch ertragen konnten. Er war der einzige, dem der Kutscher erlaubt hatte, die Krankenkammer zu betreten. Es war also gerechtfertigt, wenn er nach Stunden wieder einmal nach dem Rechten sah und die Männer anschließend über die Lage informierte.
Auf Zehenspitzen bewegte er sich über die Decksplanken. Im Vorbeigehen nickte er den Arwenacks zu, die ihn mit fragenden und besorgten Blicken ansahen. Er bemerkte, daß die meisten nicht einmal mehr zu flüstern wagten. Sie unterhielten sich nur noch in der Zeichensprache, wenn eine Verständigung überhaupt nötig war.
Einen Moment blieb Ben Brighton vor dem Schott der Krankenkammer stehen und horchte. Dann pochte er behutsam mit der Kuppe des Mittelfingers an das Holz.
Es dauerte Sekunden, die wie Ewigkeiten währten, bis das Schott einen Spaltbreit geöffnet wurde. Die Augen des Kutschers spähten durch den Spalt.
„Darf ich nach ihm sehen?“ fragte der Erste Offizier der „Isabella“ kaum hörbar.
Der Kutscher antwortete nicht sofort. Die Entscheidung schien ihm schwerzufallen.
„Tritt ein, Ben“, flüsterte er schließlich. „Aber bitte …“ Er legte mahnend den Zeigefinger auf die Lippen.
Ben Brighton schlüpfte geräuschlos in die Kammer und verharrte gleich neben dem Schott, nachdem der Kutscher es behutsam hinter ihm geschlossen hatte. Ben kniff die Augen zusammen und öffnete sie wieder. Es dauerte einen Moment, bis er sich nach dem grellen Sonnenlicht an das Halbdunkel gewöhnt hatte.
Der Anblick verursachte ein Würgen in seiner Kehle.
Mit Gurten hatten sie den Seewolf auf seinem Lager festgezurrt.
Der Kutscher bemerkte den entsetzten Gesichtsausdruck des Ersten.
„Das mußte leider sein“, flüsterte er. „Zu seinem eigenen Schutz, verstehst du? Als heute vormittag das Fieber einsetzte, fing er an, sich hin und her zu wälzen und mit den Gliedern zu zucken. Wir mußten das natürlich verhindern.“
Ben Brighton nickte und schluckte trocken. Hasard war auch jetzt noch unruhig, man sah es an seinem Kopf, der sich fortwährend bewegte. Sein Gesicht war fahl und schweißüberströmt. Die Zwillinge und Mac Pellew waren bei ihm und legten ihm immer wieder nasse Leinentücher über die Stirn.
Ben wandte sich zur Seite und sah den Kutscher voller Besorgnis an.
„Wann wird er wieder bei Bewußtsein sein? Kannst du das nicht wenigstens vorhersagen?“
Der stets so ernst aussehende Mann schüttelte müde den Kopf.
„Ich kann überhaupt nichts sagen, Ben. Mac und ich haben ihm einen Sud eingetrichtert, der zum einen das Fieber dämpft und zum anderen die Abwehrkräfte des Körpers mobilisiert oder zumindest stärkt.“
„Abwehrkräfte gegen was?“
Der Kutscher senkte den Kopf und preßte die Lippen aufeinander.
„Gegen eine Blutvergiftung“, sagte er tonlos und so leise, daß Ben Mühe hatte, es zu verstehen. „Ja, Ben, das ist es, womit wir rechnen müssen. Ich kann niemandem auch nur die leiseste Hoffnung machen. Nicht einmal seinen Söhnen.“
Ben Brighton blickte auf die beiden Jungen, die in dieser Stunde wie Erwachsene aussahen. Nichts Kindliches war mehr an ihnen, die Sorge um den Vater, so schien es, hatte sie älter werden lassen.
Wortlos legte der Erste dem Kutscher die Hand auf die Schulter. Es war ein Zeichen stummer Anerkennung und eines Dankes, der nicht ausgesprochen werden mußte. Alle vier, die hier in der Krankenkammer ausharrten, taten das menschenmögliche. Im übrigen konnten sie wie alle an Bord auch nur warten und hoffen und beten.
Ben Brighton wandte sich ab, denn hier war er überflüssig. Er fühlte sich genauso hundeelend wie alle anderen Männer an Bord, denen er gleich darauf einen geflüsterten Lagebericht gab. Selbst Ed Carberry, das Urvieh mit dem Narbengesicht, konnte nur fassungslos den Kopf schütteln.
Eine Blutvergiftung bedeutete das Ende für Hasard. Das brauchte ihnen niemand ausdrücklich zu sagen.
Ferris Tucker holte tief Luft, um einen Fluch auszustoßen. Im letzten Moment besann er sich und knirschte lediglich mit den Zähnen. Selbst dieses Geräusch trug ihm empörte Blicke von den anderen ein.
Im nächsten Atemzug gefror ihnen das Blut in den Adern.
Heiseres Gebrüll ertönte plötzlich aus dem Vorschiff.
Keiner der Arwenacks brauchte herumzurätseln, wer das war.
John Killigrew, das alte Miststück, randalierte in der Vorpiek – nicht einmal weit von der Krankenkammer entfernt.
Edwin Carberry war als erster auf den Beinen. Ben Brighton und die anderen folgten ihm dichtauf. Unter normalen Umständen hätten sie vermutlich über sich selbst gelacht, wie sie mit seltsam verkrampften Bewegungen über die Planken schlichen. Aber zur Zeit war ihnen nach allem anderen zumute, nur nicht nach Lachen.
Und immer noch grölte der alte Halunke, was das Zeug hielt.
Wutentbrannt riß Ed Carberry das Schott zur Vorpiek auf. Ferris Tucker und Luke Morgan hielten es fest und ließen es zur Seite gleiten, damit kein Poltern verursacht wurde.
Das Gebrüll dröhnte ihnen jetzt mit voller Lautstärke entgegen.
„Hunger! Durst! Verdammt noch mal, ihr Schweine, gebt mir endlich was zu …“
Ein dumpfer Schlag ließ den Alten verstummen.
Ed Carberry langte mit seiner Pranke noch zweimal hin und verharrte dann schnaufend vor dem Bewußtlosen.
„Dreckskerl“, knurrte er und beugte sich über die Pütz, die noch zur Hälfte mit Wasser gefüllt war. „Wenn du denkst, daß du dich hier mit Bier oder Schnaps vollaufen lassen kannst, hast du dich aber mächtig getäuscht.“ Auch der Brotkanten, den man dem Gefangenen gegeben hatte, lag noch unberührt.
Ferris Tucker brachte bereits einen Lappen.
„Stopf ihm das Maul“, sagte der hünenhafte Schiffszimmermann grob. „Verdammt noch mal, wenn dieser Strolch dafür verantwortlich ist, daß Hasard …“ Er sprach nicht weiter, doch alle dachten das gleiche.
Unter keinen Umständen durfte geschehen, daß ausgerechnet der alte Killigrew mit seinem Gebrüll den Zustand des Seewolfs verschlimmerte.
Ed Carberry knebelte den Alten sorgfältig. Anschließend fesselten sie ihn so gründlich, daß er sich nicht mehr rühren konnte.
Ein unnötiges Risiko war ausgeschaltet.
Mit hängenden Schultern kehrten die Männer auf das Hauptdeck zurück. Grund zum Aufatmen gab es noch immer nicht.
Am späten Nachmittag dieses schicksalsschweren 23. August 1594 lief die „Caribian Queen“ in die Südbucht der Insel ein.
Sobald sie freies Blickfeld über die Wasserfläche der Bucht hatte, hob Siri-Tong das Spektiv. Auf den Decks der „Isabella“ war keine Bewegung zu erkennen. Ben Brighton lehnte an der Heckbalustrade des Achterdecks. Auf der Back war niemand zu sehen, auf der Kuhl nur die Köpfe der Männer, die dort auf Taurollen hockten. Ansonsten verwehrte die Verschanzung den Blick.
Die Rote Korsarin spürte, wie sich eine trockene Masse in ihrer Kehle bildete – etwas, das sie trotz aller Anstrengung nicht herunterschlucken konnte. Um die Lage an Bord der „Isabella“ zu erkennen, brauchte sie nicht zweimal hinzusehen. Es stand kritisch um den Seewolf, keine Frage.
Noch im Eingang der Bucht gab die Rote Korsarin ihre Befehle. Da ihr und der Crew nicht das gewohnte Begrüßungsgebrüll entgegentönte, war eindeutig, daß völlige Ruhe zu herrschen hatte. Sie beauftragte Barba, dafür zu sorgen, daß jeder einzelne Mann an Bord des Zweideckers nachdrücklich instruiert wurde. Keiner durfte auch nur einen Muckser von sich geben. Wenn jetzt noch Befehle erteilt werden mußten, dann hatte das per Zeichensprache zu geschehen. Für eine so gut eingespielte Crew wie die der Roten Korsarin waren Befehle ohnehin überwiegend schmückendes Beiwerk.
So glitt die „Caribian Queen“ nahezu lautlos wie ein Geisterschiff in die Bucht. Nur das Knarren von Tauwerk, das Schlagen des Tuchs beim Aufgeien und das Knirschen des Ankerspills ließen sich nicht vermeiden.
In einer guten Kabellänge Entfernung von der „Isabella“ ging der Zweidecker vor Anker. Ein Beiboot wurde abgefiert, und sechs Bootsgasten begannen, so behutsam und so kraftvoll wie möglich zu pullen. Siri-Tong, die auf der Achterducht saß und die Ruderpinne hielt, bemühte sich, ihre Unrast zu verbergen. Doch es war überflüssig, denn die Männer empfanden die gleiche Sorge um den Seewolf wie sie auch.
Gemeinsam mit den restlichen Männern spähte Barba, der das Kommando an Bord der „Caribian Queen“ übernommen hatte, hinüber zur „Isabella“. Ihnen allen stand Philip Hasard Killigrew genauso nahe wie den Arwenacks. Die beklemmende und unheilschwangere Stille hatte auch ihnen sofort die Sprache verschlagen.
Die Männer im Boot nahmen die Riemen ein, und Siri-Tong manövrierte die Jolle vorsichtig an die Jakobsleiter. Die freien Hände ausgestreckt, verhinderten die Bootsgasten, daß die Jolle gegen den Rumpf der Galeone stieß. Der dumpfe Laut wäre sicherlich durch das ganze Schiff zu hören gewesen.
Auf leisen Sohlen enterte die Rote Korsarin über die Jakobsleiter auf. Ben Brighton empfing sie bei der Pforte im Schanzkleid.
„Sieht es schlimm aus mit ihm?“ fragte sie leise und biß sich voller Anspannung auf die Unterlippe.
Ben Brighton nickte.
„Der Kutscher befürchtet eine Blutvergiftung“, antwortete er flüsternd. „Du weißt, was das bedeutet.“
Für Siri-Tong war es wie ein Stich, der sie mitten ins Herz traf. Die böse Nachricht glich einem körperlich spürbaren Schmerz. Die Rote Korsarin empfand es um so deutlicher, da sie die Entscheidung des Seewolfs von Anfang an für blanken Unsinn gehalten hatte. Fast verzweifelt hatte sie versucht, ihm das Duell auszureden. Aber er hatte nicht auf sie gehört und seinen Dickschädel durchsetzen müssen.
Sie begriff es auch jetzt noch nicht: Wie hatte er sich wegen seiner verletzten Ehre mit einem Lumpenhund duellieren können, der selbst keinen Funken Ehrgefühl hatte. Auch das beabsichtigte zweite Duell mit Sir John Killigrew hätte sich in dem Punkt durch nichts von dem ersten unterschieden.
Das Verhalten dieses Earl of Cumberland hatte Siri-Tong in ihrer Meinung bestätigt. Nach wenigen Schritten hatte er sich umgedreht und dem Seewolf die Pistolenkugel in den Rücken gejagt. Aus Feigheit hatte dieser Lump die Regeln des Duells gebrochen – was die Rote Korsarin im Grunde vorhergesehen hatte. Nur war sie natürlich die einzige gewesen, die solche Befürchtungen gehegt hatte. Und Hasard hatte am allerwenigsten auf sie gehört, obwohl sie wie mit Engelszungen geredet hatte.
Dennoch war es ungerecht, daß er jetzt mit dem Leben bezahlen sollte – er, ein aufrechter Mann, der durch die Beleidigungen tief in seinem Inneren getroffen worden war. Er hatte es nicht ertragen können, daß die adligen Halunken – Sir Andrew und Sir Henry an der Spitze – seinen Namen gegenüber der Königin in den Dreck gezogen hatten. Siri-Tong hatte das sehr wohl verstehen können. Was sie jedoch bis jetzt nicht verstand, war die Tatsache, daß der Seewolf solche Kreaturen wie diese schleimigen Hochwohlgeborenen als ernstzunehmende Gegner betrachtete.
Zweifellos waren sie gefährlich – wegen der Intrigen, die sie zu spinnen verstanden. Aber mußte man sie nicht gerade deshalb hinwegfegen wie lästiges Ungeziefer?
Siri-Tong gab sich einen Ruck.
„Ich möchte ihn sehen“, sagte sie leise. „Meinst du, daß der Kutscher etwas dagegen hat?“
Ben Brighton schüttelte den Kopf.
„Bestimmt nicht. Du hast das Recht, den Seewolf zu besuchen.“
Die Rote Korsarin nickte den Männern zu, die zu ihr aufblicken. Geräuschlos bewegte sie sich auf die Back zu und pochte dann behutsam an die Planken des Schotts zur Krankenkammer.
Die Miene des Kutschers spiegelte Unwillen, als er öffnete. Doch sein Gesicht glättete sich in dem Moment, in dem er Siri-Tong erkannte – was ihm erst nach einigem Blinzeln gelang, da ihn die gleißende Helligkeit des Tageslichts blendete. Mit einem Wink forderte er die schwarzhaarige Frau auf, einzutreten.
Um ein Haar hätte Siri-Tong einen Entsetzenslaut ausgestoßen. Sie schlug die flache Hand vor den Mund. Es geschah selten, daß sie derart erschrak, und es gehörte schon eine Menge dazu, sie aus der Fassung zu bringen.
Aber der Anblick des Seewolfs war wie ein Schock. So durchsichtig und fahl hatte sie ihn nie zuvor erlebt, obwohl er bereits einige Verwundungen davongetragen hatte. Schweiß rann in Strömen über sein Gesicht, die Zwillinge und Mac Pellew hielten nicht inne, dem immer noch Bewußtlosen mit Tüchern Linderung zu verschaffen.
Für einen Augenblick wandten sich Hasards Söhne zu der Roten Korsarin um. Es rührte an ihr Herz, denn sie war eine Frau. Unendlicher Schmerz lag wie ein Hilfeschrei in den Gesichtern dieser Jungen, die allzu früh ihre Mutter verloren hatten. Aber da war auch wilde und trotzige Entschlossenheit in ihren Augen, und dieser Ausdruck gab ihnen schon eher etwas von Mannhaftigkeit. Sie wollten nicht auch noch ihren Vater verlieren. Was sie tun konnten, um das zu verhindern, das würden sie tun.
Es war dieses Bild, das ergreifend und lähmend auf Siri-Tong wirkte. Das Bild der beiden verzweifelten und doch so entschlossenen Söhne am Lager des Vaters, der schwerverwundet und im Fieberkampf mit dem Tode rang.
Die Rote Korsarin konnte nichts dagegen tun, daß ihr Tränen in die Augen stiegen. Dieses Bild des Elends und zugleich der Hoffnung im Halbdunkel der Krankenkammer traf die verwundbarste Stelle ihrer Seele. Doch sie schämte sich der Tränen nicht.
Unvermittelt spürte sie die Hand des Kutschers auf ihrer linken Schulter. Seine Stimme war nur wie ein Hauch.
„Es ist zu früh, um ihn zu weinen, Siri-Tong. Ich will ihn durchbringen, bei Gott, ich will ihn durchbringen!“
Mit einem Lächeln voller Dankbarkeit wandte sich die Rote Korsarin dem ernsten Mann an ihrer Seite zu.
„Ich habe nicht um Hasard geweint“, flüsterte sie. „Es ist das, was ich vor mir sehe, verstehst du?“
Der Kutscher sah sie einen Augenblick schweigend an. Dann nickte er. Siri-Tong verließ die Krankenkammer und blieb für einen Moment vor dem Schott stehen. Es gelang ihr nicht auf Anhieb, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Zu sehr hatte das Gesehene ihre Gedanken in einen tiefen Strudel gerissen.
Aber man durfte auch nicht die Dinge vernachlässigen, die getan werden mußten.
Die Männer versammelten sich im Halbkreis vor dem Großmast, als die Rote Korsarin sie mit auffordernden Handbewegungen zusammenrief. Im Flüsterton berichtete sie über die letzten Ereignisse.
Grimmige Zufriedenheit zeichnete sich in den Gesichtern der Arwenacks ab, als sie erfuhren, daß sich der sehr ehrenwerte Sir Henry als Gefangener an Bord der „Caribian Queen“ befand. Barba hatte ihm nur das Messer an die Kehle zu setzen brauchen, um ihn zum Plaudern zu bringen.
Mit der Versenkung der Kriegsgaleonen „Orion“ und „Dragon“ war das Unternehmen der Adligen-Clique also endgültig gescheitert, zumal die „Centurion“ und die „Eagle“ bereits lange zuvor die Heimreise nach England angetreten hatten.
Die Arwenacks konnten sich das Geschehen jetzt sehr gut zusammenreimen. Und nachträglich zollten sie den beiden aufrechten Kapitänen Rooke und Wavell Hochachtung. Diese Männer waren nach ihrem Geschmack, denn sie hatten nicht mitgespielt, als ein wehrloser Gegner zusammengeschossen worden war.
„Was ist mit den Besatzungen der ‚Orion‘ und der ‚Dragon‘?“ fragte Ben Brighton. „Von ihnen könnte immerhin noch Gefahr drohen.“
Siri-Tong schüttelte den Kopf.
„Das glaube ich nicht“, erwiderte sie. „Ich schätze diese Männer ähnlich ein wie die Besatzungen der ‚Centurion‘ und der ‚Eagle‘. Wer mir nicht gefällt, ist der Kommandant der ‚Dragon‘.“
Ben Brighton nickte nachdenklich.
„Und die restlichen Adligen dürfen wir auch nicht vergessen. Ebensowenig die Halunken aus der John-Killigrew-Meute.“
„Ich meine, wir müssen die gesamte Insel und die Bucht überwachen“, sagte die Rote Korsarin leise. „Daran bin ich in gewisser Weise selbst schuld. Ich habe dem Ersten Offizier der ‚Orion‘ nämlich geraten, sich nach einer größeren Insel umzusehen. Bist du einverstanden, wenn ich eine Gruppe von meiner Crew an Land setzen lasse, damit sie die Insel nach allen Seiten überwacht?“
Ben Brighton hatte nichts dagegen einzuwenden.
„Da ist noch etwas“, sagte er. „Was soll mit Sir John und Sir Henry geschehen?“
Ein harter Glanz trat in die Augen Siri-Tongs.
„Da gibt es für mich nicht viel zu überlegen. Wenn Hasard stirbt, sollen sie an der Rah hängen. Bleibt er am Leben, dann soll er selbst entscheiden, was mit den Kerlen passiert.“
„Einverstanden“, sagte Ben Brighton sofort. Er blickte in die Runde. „Ist jemand anderer Meinung?“
Die Männer schüttelten den Kopf.
„Eines werde ich allerdings mit allen Mitteln verhindern“, sagte die Rote Korsarin.
Der Erste Offizier der „Isabella“ blickte sie stirnrunzelnd an.
„Und das wäre?“
„Ein weiteres Duell. Ich werde nicht zulassen, daß sich Hasard noch einmal zu einem solchen Unsinn hinreißen läßt.“
Ben Brighton nickte.
„Diesmal hast du mich auf deiner Seite, Siri-Tong. Auch ich bin gegen ein Duell. Ich habe eingesehen, daß du von vornherein recht hattest. Aber du mußt Hasard verstehen.“
„Das tue ich, Ben.“ Die Rote Korsarin erhob sich und verabschiedete sich von den Männern.
Wenig später, nachdem sie mit der Jolle auf die „Caribian Queen“ zurückgekehrt war, wurde eine Gruppe ihrer Männer an Land gebracht, die die Überwachung der Insel aufnehmen sollte.