Читать книгу Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 20
5.
ОглавлениеGenau sechs Tage zuvor, also am 18. August, hatte der englische Verband auf der Fahrt südwärts entlang der amerikanischen Ostküste das spanische Fort St. Augustine passiert – die erste spanische Niederlassung in Florida.
Weder Sir John Killigrew noch Kapitän Tottenham, Kapitän Stewart oder Rooke und Wavell hatten jedoch Notiz von dem Kastell oder dem Hafen genommen, zumal beide auch durch die davorliegende Insel Anastasia verdeckt waren. So waren sie völlig unbekümmert weitergesegelt: die „Lady Anne“, die „Orion“, die „Dragon“, die „Centurion“ und die „Eagle“.
Etwas später fand der Überfall auf die spanische Galeone „Santa Cruz“ statt, und diese Begebenheit zerriß den Verband. George Rooke und James Wavell, die Kapitäne der „Centurion“ und der „Eagle“, waren über Sir Johns Alleingang empört und sonderten sich ab, um unverzüglich zurück nach England zu segeln.
Die „Lady Anne“ wurde auf der Insel der Grand Cays vom Seewolf aufgebracht, Jean Ribault überführte sie samt ihrer Schatzladung zur Schlangen-Insel. Siri-Tong versenkte mit der „Caribian Queen“ die Kriegsgaleone „Orion“ und „Dragon“. Damit bestand der einst so stolze Verband nicht mehr, und das Unternehmen war gescheitert.
Dennoch war es gelungen, den „Bastard“ Philip Hasard Killigrew „zur Strecke zu bringen“, und darüber freute sich besonders diebisch Sir John Killigrew, der sich in der Vorpiek der „Isabella“ grinsend die Hände rieb.
Die Spanier von Fort St. Augustine hatten von diesen Geschehnissen nicht die geringste Ahnung. Aber die fünf Schiffe – vier Kriegsgaleonen und Sir Johns Dreimastkaravelle – waren von den Ausguckposten auf dem Wehrturm des Kastells natürlich gesichtet und auch als englischer Verband erkannt worden.
Als die Schiffe weitersegelten und schließlich ganz verschwanden, atmeten alle auf, besonders der Festungskommandant. Es hatte schon einige Überfälle auf St. Augustine gegeben. Bei einem solcher Raids war ein gewisser „El Lobo del Mar“ als lachender Dritter aufgetaucht und hatte die in der Festung lagernden Schätze mitgehen lassen. Das war der tollkühnste Handstreich gewesen, den es hier je gegeben hatte.
Der derzeitige Kommandant war erst seit ein paar Monaten in seinem Amt, aber man hatte ihm haarklein erzählt, wie es seinerzeit zugegangen war. Immer, wenn er daran dachte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter.
Das Kastell war teilweise neu aufgebaut worden. Neue Kanonen standen auf den Wehrgängen, bereit, alles in Fetzen zu schießen, was sich in kriegerischer Absicht dem Hafen näherte. St. Augustine lag isoliert und war ein vorgeschobener Posten, der letzte Hafen für die Konvois, die die Karibik mit dem Ziel Spanien verließen, und der erste Zufluchtsort für Schiffe aus der Alten Welt, die sich vor Stürmen in Sicherheit bringen mußten oder Kranke oder Verletzte an Bord hatten.
Es war kein schöner Platz, dieses St. Augustine, denn es war von tückischen Sümpfen umgeben, die Giftschwaden verbreiteten und den Tod brachten. Das Sumpf- und Schüttelfieber hatte schon viele Soldaten getroffen, die hier ihren Dienst taten, und mancher hatte die Festung nur mit den Füßen voraus wieder verlassen.
Man konnte sich auch anstecken, wenn Kranke von den atlantiküberquerenden Galeonen hier abgeladen wurden. Das ganze Klima war ungesund. Hinzu kam die ständige Furcht vor Überfällen durch Piraten oder Indianer.
Nun, die Indianer waren in der letzten Zeit ruhig geworden. Die Timucuas, ein Stamm der von Ponce de Léon entdeckten Halbinsel, waren ohnehin friedlich. Die Seminolen schienen derzeit kein Interesse mehr an St. Augustine zu haben, sie hatten sich tief in die Sümpfe zurückgezogen. Das war gut so, befand der Festungskommandant, aber was blieb, war die Angst vor den Piraten, die völlig überraschend auftauchen konnten.
Engländer galten natürlich auch als Piraten, auch wenn ihre Schiffe zur Marine gehörten. England, dieses Armenhaus Europas, hatte sowieso keine richtige, sondern nur eine sogenannte Marine, wie die Spanier und auch die Portugiesen hochnäsig behaupteten. Daß diese „erbarmungswürdige Ansammlung von Wracks“ ihrer glorreichen Armada 1588 die Niederlage des Jahrhunderts beigebracht hatte, schienen sie inzwischen fast schon wieder vergessen zu haben.
Der Verband von fünf Schiffen war auf See erschienen wie ein Spuk und wie ein solcher auch wieder verschwunden. Sollte man dennoch Bedenken haben? Ja – es bestand aller Anlaß dazu.
Ganz unverhofft konnte dieser Fünfer-Verband von offensichtlich gut armierten Schiffen zurückkehren und möglicherweise St. Augustine angreifen. Man wußte nie, was in den Köpfen dieser angelsächsischen Dickschädel vor sich ging.
Darum war man in Fort St. Augustine alarmiert. Das Auftauchen englischer Kriegsschiffe vor der Ostküste von Amerika konnte, alles in allem betrachtet, nichts Gutes bedeuten. Selbstverständlich hätte der Kommandant gern entsprechend gehandelt, als sie vorbeisegelten, aber ihm waren zu diesem Zeitpunkt die Hände gebunden. Man wäre am besten sofort ausgelaufen, um diesen Engländern auf den Zahn zu fühlen und es ihnen gründlich zu verleiden, überhaupt hier aufzukreuzen. Doch dazu mußte man ein kampfstarkes Geschwader haben, und das war leider nicht der Fall.
Nur zwei Kriegsgaleonen standen zur Verfügung, und die befanden sich an diesem 18. August zur Überholung in der Werft. Es war paradox – und höchst gefährlich zugleich. Don Gregorio de la Cuesta, der dienstälteste Kommandant einer der beiden Galeonen, bat den Festungskommandanten aus diesem Grund um eine dringende Unterredung.
„Wir können den Engländern nicht trauen“, sagte er, sobald er die Diensträume betreten hatte. „Wir müssen die Schiffe so schnell wie möglich ausrüsten, trotz der Überholungsarbeiten.“
„Darüber habe auch ich schon nachgedacht“, sagte der Kommandant. „Was haben Sie vor, de la Cuesta?“
„Ich will den Engländern nachspüren oder zumindest Havanna anlaufen und den Gouverneur, Don Antonio de Quintanilla, wegen dieses Verbandes warnen.“
„Sie glauben, die Engländer laufen Kuba an?“
„Möglich ist alles, oder schließen Sie das etwa aus?“
„Nein.“
„Genausogut können sie hierher zurückkehren“, sagte de la Cuesta.
„Ja. Einer ihrer Ausgucks könnte das Kastell sehr wohl entdeckt haben“, sagte der Kommandant. „Jetzt bedienen sie sich eines Tricks und warten in irgendeiner Bucht die Nacht ab, um uns in Sicherheit zu wiegen und dann über uns herzufallen.“
„Señor“, sagte de la Cuesta. „Noch sind alle Möglichkeiten offen. Doch ungeachtet dessen sollten wir die Arbeiten an den Schiffen vorantreiben. Ich bitte Sie aus diesem Grund um alle Männer, die Sie entbehren können, dann sind wir schneller fertig. Es geschieht zum Schutz von St. Augustine, bitte bedenken Sie das.“
„Ich habe mir das schon überlegt“, sagte der Festungskommandant. „Sie erhalten alle Männer, die Sie brauchen.“
So wurde verstärkt an den in der Werft liegenden Galeonen geklopft und gehämmert, gepönt und kalfatert. De la Cuesta legte sich in der Zwischenzeit einen Plan zurecht. Griffen die Engländer in den nächsten zwei, drei Tagen Fort St Augustine nicht an, dann bedeutete dies, daß sie tatsächlich weitergesegelt waren. In dem Fall wurde die Havanna-Theorie, die er entwickelt hatte, aktuell, und es galt, so schnell wie möglich, Kuba anzulaufen, Alarm zu geben und nach Möglichkeit ein Gegengeschwader zusammenzustellen.
Erst am 22. August verließen die beiden spanischen Kriegsgaleonen den Hafen von St. Augustine. Inzwischen waren sie überholt und ausgerüstet. Sie gingen auf südlichen Kurs und segelten bei dem anhaltenden Wind aus Südwesten über Backbordbug liegend mit Steuerbordhalsen.
Am 24. August vormittags wollte es der Zufall, daß der Ausguck im Großmars von de la Cuestas Galeone Backbord voraus die mit Westkurs segelnde Jolle sichtete.
„Welcher Herkunft ist die Jolle?“ fragte de la Cuesta, der auf dem Achterdeck seines Schiffes stand und das auseinandergezogene Spektiv nach Backbord voraus richtete.
Sein Erster Offizier fragte den Ausguck, doch der schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, Señor! Sie führt keine Flagge!“
„Vielleicht sind es Schiffbrüchige, Señor“, sagte der Erste.
„Oder Engländer. Das stellen wir jetzt fest.“
„Wir steuern die Jolle an, Señor?“
„Wir schneiden ihr den Weg ab“, entgegnete de la Cuesta.
Nur eine geringe Kurskorrektur wurde vorgenommen, und die beiden Kriegsgaleonen segelten im stumpfen Winkel auf die Jolle zu. Bereits aus einiger Entfernung ließ de la Cuesta aus den Masttoppen signalisieren, und der Jollenführer wurde aufgefordert, sich zu erkennen zu geben und beizudrehen.
„Verdammt“, sagte O’Leary genau in diesem Moment. „Das sind Spanier. Die wollen uns schnappen.“
„Hauen wir ab“, sagte Simon Llewellyn.
„Ich will nicht sterben“, begann Thomas Lionel sofort zu jammern. „Nicht in einem spanischen Gefängnis.“
„Sondern im Meer bei den Haien, wenn du nicht deine Schnauze hältst“, sagte O’Leary. Es klang so kalt und gemein, daß Thomas Lionel sich einschüchtern ließ und fortan wieder verstummte. Alle waren ihm dafür dankbar, sogar sein Bruder.
„Wir können nicht mehr abdrehen“, sagte O’Leary. „Wenn wir das tun, eröffnen sie das Feuer. Wir können nur tun, was sie von uns verlangen.“
„Verstehst du denn die Signale?“ fragte einer seiner Kumpane.
„Nein, aber es ist auch so klar, was sie wollen. Sieh mal genau hin.“
„Die haben die Stückpforten offen.“
„Und sie können uns in lauter kleine Krümel zerschießen, wenn sie wollen.“
„Also beidrehen?“ fragte ein anderer Kerl.
„Segel bergen und abwarten“, erwiderte O’Leary. „Gegen Kanonen, Drehbassen und sonstige Schußwaffen haben wir nicht die geringste Chance.“
„Dann ist es also aus mit den schönen Träumen vom feinen Leben?“ fragte Simon Llewellyn mit weinerlicher Stimme.
„Warte doch erst mal ab!“ zischte O’Leary. „Die kühnen Träume habe ich immer noch. So schnell schmeiß ich die Muskete nicht ins Wasser. Aber wir müssen versuchen, diese bescheuerten Dons irgendwie aufs Kreuz zu legen. Wir müssen sie täuschen, kapierst du das?“
„Ja. Wie?“
„Wir stellen uns erst mal dumm“, entgegnete O’Leary. „Wir verstehen kein Wort Spanisch. Stimmt ja auch. Wir sind völlig taub.“
„Und stumm auch“, sagte Simon Llewellyn.
„Wäre doch gelacht, wenn wir diese Olivenfresser nicht an der Nase herumführen könnten“, murmelte ein anderer Kerl, der vorn im Bug saß. „So schlau, wie sie denken, sind sie nun auch wieder nicht. Sie patrouillieren hier an der Küste rum und kontrollieren jeden, den sie antreffen. Das ist ja wohl ihre Aufgabe, nicht wahr?“
„Genau“, erwiderte O’Leary. „Mal sehen, wie ihr Kommandant aussieht. Vielleicht ist er faul und hat keine Lust, groß herumzuspinnen. Wir lassen uns von ihm untersuchen, und dann segeln wir wieder weiter.“
„Und die Kisten?“ fragte einer der Kerle.
„Deck ein Stück Segeltuch darüber“, erwiderte O’Leary. „Vielleicht filzen sie unseren Kahn überhaupt nicht. Vielleicht denken sie, daß wir harmlose Küstenhändler sind. Oder Schiffbrüchige. Vielleicht kann ich ihnen das irgendwie erklären, durch Gesten und so.“
„Wir hauen sie übers Ohr“, sagte Simon Llewellyn. Plötzlich konnte er schon wieder grinsen. „Ha, das wird ein Riesenspaß.“
Zum selben Zeitpunkt wandte sich der Ausguck im Großmars von Don Gregorio de la Cuestas Galeone erneut an das Achterdeck.
„Deck!“ rief er. „Die sehen wie Ausländer aus! Franzosen oder Engländer! Vielleicht auch Holländer! Es scheinen Piraten zu sein!“
„Aha“, sagte de la Cuesta grimmig. „Na, die nehmen wir uns jetzt mal richtig vor.“
„Deck! Sie verstecken was unter der achteren Ducht und packen ein Stück Segeltuch darüber!“
„Gut, das zu wissen“, sagte de la Cuesta.
Dann richtete er selbst wieder sein Spektiv auf die Jolle und erkannte, wie die Kerle im Boot achtern herumhantierten. Offenbar gaben sie sich sehr viel Mühe, etwas unter der Heckducht zu verbergen.
Beigedreht lag die Jolle inzwischen im Wind. Nur noch eine Kabellänge trennte die erste Kriegsgaleone von ihr. Inzwischen hatte auch die zweite Galeone aufgeschlossen, und gemeinsam schickten sie sich an, das fremde Boot zu stellen. Fast wirkte es so, als wollten sie es rammen, dann aber wurden auf beiden Schiffen die Segel aufgegeit, und sie drehten mit ihrem Bugspriet in den Südwestwind.
„Ganz ruhig bleiben jetzt“, sagte O’Leary. „Sie haben uns mit den Drehbassen im Visier. Wir tun so, als wüßten wir überhaupt nicht, was los ist.“
„Ob sie uns das abnehmen?“ fragte Thomas Lionel.
„Laß das nicht deine Sorge sein“, entgegnete einer der Kerle. „Und halte besser weiterhin die Klappe. Die Dons hören uns sonst noch und kapieren, daß wir Engländer sind.“
„Sie kommen“, sagte O’Leary gedämpft.
Er hatte die Augen zusammengekniffen und verfolgte, wie von den beiden Galeonen, die jetzt ohne Fahrt in den Fluten lagen, Boote abgefiert wurden. Männer enterten an den Jakobsleitern ab, in erster Linie Seesoldaten, wie O’Leary und seine Kerle an den Helmen und Brustpanzern erkannten.
„Das Begrüßungskomitee“, zischte Simon Llewellyn. „Hölle, wie wäre es, wenn wir die aus den Booten hauen würden?“
„Wir haben kein Schießpulver“, murmelte der Kerl neben ihm auf der Ducht.
„Brauchen wir nicht.“
„Die Kanonen sind auch auf uns gerichtet, nicht nur die Drehbassen“, raunte O’Leary. „Wenn wir einen blitzschnellen Überfall auf diese Hunde riskieren, eröffnen sie von den Schiffen aus garantiert das Feuer auf uns.“
„Warum nehmen wir die Burschen nicht als Geiseln?“ fragte einer der Kerle leise. „Wir hätten dann auch ihre Waffen.“
„Es sind zu viele“, flüsterte O’Leary. „Gegen die haben wir kaum eine Chance. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, der Stewart unterlaufen ist. Wir dürfen uns nicht überschätzen. Vorsicht ist geboten.“
Er verstummte jetzt. Die voll besetzten Jollen näherten sich unter zügigem Riemenschlag. Einige der Seesoldaten hatten sich von den Duchten erhoben und richteten ihre Musketen unmißverständlich auf die Crew der „Lady Anne“. Es war offensichtlich: Die Spanier trauten ihnen nicht und ließen sich nicht auf das geringste Risiko ein.
Wie sahen sie denn auch aus, diese Engländer! Schmutzig und abgerissen waren sie, finster und verbiestert, und Thomas Lionels Kopfverband wirkte auch nicht gerade vertrauenerweckend. Alles in allem sah man ihnen an, daß sie eine Meute von Höllenbraten und Lumpenhunden waren. Kein Mensch der Welt hätte sie für fromme Seepilger oder gute Christenmenschen gehalten.
„He, ihr da!“ schrie einer der Spanier. Seiner Montur nach mußte er ein Schiffsoffizier sein, wie O’Leary richtig erkannte. Wenig später sollte er erfahren, daß es sich um den Ersten Offizier des Capitáns Don Gregorio de la Cuesta handelte. „Welches Boot?“ rief er.
O’Leary zuckte nur mit den Schultern, die anderen schüttelten die Köpfe. Die Killigrew-Brüder hatten die Münder halb geöffnet und blickten dümmlich drein.
„Seid ihr Spanier?“ rief der Erste Offizier.
O’Leary grinste und beschrieb eine Gebärde der Hilflosigkeit.
„Franzosen? Engländer?“
Wie sollte ein Mann, der des Spanischen nicht mächtig war, auch nur ein Wort verstehen? O’Leary gestikulierte, seine Crew schaute drein, als sei die ganze Welt ein riesiges Fragezeichen.
„Die verstehen nichts“, sagte der Erste Offizier. „Oder sie tun nur so. Aber das werden wir noch ergründen.“ Er ließ wieder anpullen und steuerte die Jolle an die Backbordseite des englischen Bootes. Von hier aus gab er den Kerlen durch Zeichen zu verstehen, daß sie vor ihm her zu den Galeonen pullen sollten.
Das taten sie nach einigem Hin und Her auch: O’Leary hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Er mußte sich fügen. Was blieb ihm anderes übrig? Er gab seinen Kerlen ein Zeichen, und sie bewegten die Jolle auf die Kriegsgaleonen zu. Kurz darauf gingen sie längsseits und legten an. Dann mußten sie an Bord der Galeone des Capitáns Gregorio de la Cuesta aufentern.
Sie stellten sich weiterhin taub, aber auf die Dauer war es keine Taktik, die sie aufrechterhalten konnten. O’Leary wußte es bereits jetzt, aber er nutzte jede Chance, um Zeit herauszuschinden. Mit abgespreizten Beinen stand er auf dem Hauptdeck der Galeone, umringt von schwerbewaffneten Seesoldaten. Er verschränkte die Arme vor der Brust und wartete ab, was weiter geschah.
Don Gregorio de la Cuesta stand an der Schmuckbalustrade des Achterdecks und hatte die Hände aufgestützt.
„Sind sie das alle?“ fragte er seinen Ersten Offizier.
„Ja, Señor. Sechzehn Mann.“
„Wer ist ihr Kapitän?“
„Ich weiß nicht, ob sie einen Kapitän haben. Aber der Wortführer scheint der Mann dort zu sein.“ Der Erste deutete auf O’Leary.
De la Cuesta betrachtete den grobschlächtigen Kerl. Er traute ihm auf Anhieb nicht, beschloß aber, sich an die Regeln zu halten.
„Treten Sie näher“, sagte er zu O’Leary.
Dieser grinste und legte den Kopf ein wenig schief. Er spielte seine Rolle gut. Zwar begriff er die Sprache nicht, aber es war natürlich nicht mißzuverstehen, was der Kapitän von ihm verlangte.
De la Cuesta winkte ihm mit der Hand zu. Jetzt tat O’Leary zwei Schritte und stand dicht vor der Querwand des Achterkastells. Den Kopf immer noch etwas schief gelegt, schaute er zu dem Kapitän auf.
Thomas Lionel konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Simon Llewellyn rammte ihm zwar sofort den rechten Ellenbogen in die Seite, doch die Spanier hatten es natürlich gehört. Aus dem Hintergrund löste sich die Gestalt eines bulligen Mannes, er trat auf sie zu und löste etwas von seinem breiten Ledergürtel, das sie nur zu gut kannten: die neunschwänzige Katze.
„Ich freß einen Dweil, wenn das nicht der Profos ist“, flüsterte Simon Llewellyn. „Genauso sieht er nämlich aus.“
„Halt’s Maul!“ raunte der hinter ihm stehende Mann der Crew.
Der Profos der Kriegsgaleone war ein Bulle, aber er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit Kerlen vom Kaliber eines Joe Doherty. Er war groß und stark, sein nackter Oberkörper glänzte, als habe er ihn mit Öl oder Fett eingerieben. Er hatte einen schmalen Knebelbart, buschige schwarze Augenbrauen und eine Glatze, die ebenfalls wie poliert wirkte. Seine behaarte Brust zierte eine Kette, die – auf den ersten Blick – aus purem Silber zu sein schien.
Nur einmal zog er die Neunschwänzige durch die Luft, und schon zuckten die Killigrew-Brüder heftig zusammen. Er blieb neben ihnen stehen und sah sie an, ohne ein Wort zu sprechen. Thomas Lionel hätte sich am liebsten in ein winziges Mauseloch verkrochen. Simon Llewellyn schwitzte heftig und glaubte zu zerfließen.
De la Cuesta hatte unterdessen angeordnet, die Jolle der vermeintlichen Schiffbrüchigen – er war sicher, daß sie miese Schnapphähne waren – gründlich zu untersuchen. Vier Soldaten unter der Leitung eines Sargentos nahmen sich das Boot vor und stießen natürlich sofort auf das, was sich da unter der achteren Ducht befand und gleichsam magische Anziehungskraft zu haben schien.
„Wie heißen Sie, Señor?“ fragte de la Cuesta laut und deutlich den Bootsmann O’Leary.
Ja, O’Leary begriff – der Mann wollte seinen Namen wissen. Du kannst mich kreuzweise, dachte er, aber er sagte kein Wort. Wieder zuckte er nur mit den Schultern.
„Sie scheinen nicht fähig zu sein, überhaupt ein Wort herauszubringen“, sagte der Erste Offizier. „Vielleicht hat man ihnen die Zungen herausgeschnitten.“
„Eine Mannschaft von Stummen, meinen Sie?“ De la Cuesta schüttelte den Kopf. „Wissen Sie was? Das sind Engländer.“
„Soll ich Brandez rufen lassen?“ fragte der Erste mit gedämpfter Stimme.
„Ja, das erscheint mir angebracht.“
„Er hat gerade Freiwache.“
„Wir brauchen ihn jetzt“, sagte de la Cuesta. „Er wird uns weiterhelfen können.“
O’Leary gab sich redlich Mühe, so harmlos wie möglich dreinzuschauen, aber er registrierte natürlich, daß die beiden Spanier im Begriff waren, etwas auszuhecken. Auch die Geräusche, die von außenbords heraufdrangen, schienen nichts Gutes zu verkünden. Da polterte es, und irgend etwas Schweres schien bewegt zu werden.
Der Sargento erschien außenbords am Schanzkleid, er war die Jakobsleiter hochgestiegen. „Señor, im Boot befinden sich außer einiger weniger Waffen zwei Kisten mit Goldbarren, die den Stempel der Münze von Potosi aufweisen.“
„Aha“, sagte de la Cuesta trocken. „Danke.“
Der Erste war verschwunden, tauchte aber kurze Zeit darauf in Begleitung eines Mannes auf, der die Gefangenen besonders aufmerksam musterte.
„Brandez“, sagte der Erste Offizier zu diesem Mann. „Sprechen Sie mit Ihnen.“
Brandez blieb bei O’Leary und fragte auf Englisch: „Wie heißen Sie?“
Seine Aussprache war nahezu akzentfrei – und O’Leary verfluchte ihn bis in die tiefsten Schlünde der Hölle, weil er nicht damit gerechnet hatte, hier an Bord einem Dolmetscher zu begegnen.
Wieder zuckte O’Leary nur mit den Schultern und schüttelte grinsend den Kopf.
„Brandez“, sagte Don Gregorio de la Cuesta, „Erklären Sie diesem Mann, daß wir ihn zum Sprechen zwingen werden, falls es nicht tatsächlich ein körperlicher Mangel ist, der ihn daran hindert.“
„Bitte antworten Sie, Señor“, sagte Brandez zu dem Bootsmann der „Lady Anne“. „Es ist nur zu Ihrem Vorteil, glauben Sie mir.“ Er mußte in irgendeiner sehr guten Schule oder gar in England die Sprache erlernt haben, anders konnte es gar nicht sein.
O’Leary gab nur einen dumpfen Laut von sich, der bekundete, daß er entweder schwachsinnig oder taub oder stumm oder alles zusammen war.
„Der hier“, sagte der Profos jetzt und wies auf Thomas Lionel, „hat eben gelacht. Er kann sprechen. Vielleicht sollte man ihn befragen.“
De la Cuesta sagte: „Tun Sie das, Brandez.“
Brandez trat dicht vor Thomas Lionel Killigrew hin. „Wie heißen Sie? Woher kommen Sie? Wie heißt Ihr Schiff, und was haben Sie für einen Auftrag?“
Thomas Lionel wußte nicht, ob er kichern oder fluchen sollte. Er hielt es für besser, auf die Unterlippe zu beißen und ein dummes Gesicht zu schneiden, was ihm ohnehin nicht schwerfiel.
„Noch einmal“, sagte Brandez. „Ich habe Sie mit allem Respekt um Auskunft gebeten.“
Thomas Lionel druckste herum. Seine Augen waren Irrlichter, sie huschten mal nach links, mal nach rechts, mal nach unten oder nach oben. Nur vermied er es, Brandez oder den Profos anzusehen.
„Profos“, sagte de la Cuesta. „Versuchen Sie es mal. Vielleicht versteht er Ihre Sprache bedeutend besser.“
Blitzschnell schlug der Zuchtmeister mit der Neunschwänzigen zu – viel schneller, als man ihm das zugetraut oder als Thomas Lionel es erwartet hätte. Die geknoteten Lederriemen trafen ihn voll ins Gesicht.
Er stürzte mit einem kreischenden Entsetzenslaut auf die Planken und schrie: „Ich bin Thomas Lionel Killigrew, der Sohn vom alten Killigrew! Aber nicht mehr hauen! Ich bin unschuldig! Ich hab’ nichts getan! Ganz bestimmt nicht!“