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3.

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Sir Robert Monk hatte das Geschehen beobachtet und begann, gezielte Überlegungen anzustellen, was die Lage im allgemeinen und ihn persönlich betraf.

Sein Gesicht war verquollen. Er konnte die Schrammen und Platzwunden fühlen, aber er hatte längst aufgegeben, sie immer wieder zu betasten, wie das die anderen taten, die jammernd und wehklagend in seiner Nähe hockten.

Natürlich war den Decksleuten der Kragen geplatzt, als man an Bord der sinkenden „Dragon“ verlangt hatte, bevorzugt zur Insel übergesetzt zu werden. Da hatten diese strohköpfigen Narren eben ihre Fäuste gebraucht und sämtliche Gentlemen kurzerhand über Bord befördert.

Sir Robert hatte seine Schrammen und Beulen allerdings nicht jenem blasierten Verhalten zu verdanken, das die anderen sieben der Clique an den Tag gelegt hatten. Nach dem gescheiterten Enterunternehmen gegen die „Orion“ und während des anschließenden Angriffs des Zweideckers hatte er sich schwimmend den Weg zum rettenden Ufer freikämpfen müssen.

Seine inzwischen getrocknete Kleidung hatte er wieder angezogen. Besonders vor der Sonne mußte man die empfindliche Haut schützen. Darin unterschied sich Sir Robert nicht von den übrigen Gentlemen. Wo man gezwungen war, unbedeckte Haut der Außenluft preiszugeben, schützte man sie tunlichst mit einer Schicht Puder.

Bedauerlicherweise waren nun aber mit der „Dragon“ auch alle persönlichen Sachen der Gentlemen untergegangen, so auch die Vorräte an Puder, die man aus England mit auf die Reise genommen hatte.

Harte Zeiten standen bevor. Ungeschützt würde man widrigen Witterungseinflüssen ausgesetzt sein. Eine Tatsache, die üble Launen hervorrufen würde, unter denen dann wiederum die mehrköpfige Dienerschaft der acht Gentlemen zu leiden hatte.

Keiner von ihnen zeigte allerdings auch nur das geringste Bedauern darüber, daß Sir Henry, Duke of Battingham, nicht mehr unter ihnen weilte. Vermißt wurde er von niemandem, und im Grunde konnte man der rätselhaften Korsarin nur dankbar sein, daß sie diesen Schwachkopf mit seinem ewigen Gekreisch fortgeschafft hatte.

Als Führer des Verbandes, wie ihm das in seinen krankhaften Hirngespinsten vorschwebte, hatte Sir Henry nie eine Rolle gespielt. Denn die Qualitäten dafür fehlten ihm. Wenn man ihn hatte faseln lassen und zum Teil auf seine idiotischen Anweisungen eingegangen war, dann eben nur deshalb, weil er das Karibik-Unternehmen finanziert hatte.

Insofern war er für den verblichenen Sir Andrew und die übrigen Gentlemen nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen. Niemand hatte Grund, ihm eine Träne nachzuweinen. Seine Person war in höchstem Maße überflüssig geworden. Überdies war sich in der augenblicklichen desolaten Situation ohnehin jeder selbst der Nächste.

Sir Robert Monk war keineswegs entgangen, wie Charles Stewart begonnen hatte, seine Pläne für die weiteren Schritte in die rechten Bahnen zu leiten. Äußerst clever war es gewesen, die beiden Goldkisten Sir Henrys zu vereinnahmen. Neidlos mußte Sir Robert anerkennen, daß er sich nicht geschickter hätte verhalten können.

Die Crew der „Dragon“ verfügte nur noch über drei Jollen, und eine davon betrachtete Stewart sozusagen als seinen Privatbesitz. Ebenso hatte Sir Robert bemerkt, daß Stewart den hirnlosen Doherty auf seine Seite gezogen hatte und ihn nun als Leibwächter betrachtete.

Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß dieser Stewart in noch größerem Ausmaß Gerissenheit bewies und die Gunst der Stunde zu nutzen verstand – was bedeuten konnte, daß außer ihm und der Killigrew-Meute alle anderen das Nachsehen hatten.

Sir Robert war indessen nicht der Typ, der sich gern in eine aussichtslose Position manövrieren ließ. Meist geschah so etwas aufgrund eigener Untätigkeit. Sir Robert kannte sich selbst schließlich gut genug, und so wußte er auch, worin er sich von der adligen Nichtstuer-Clique unterschied.

Als einziger war er bereit und in der Lage, Belastungen zu ertragen oder sogar bewußt in Kauf zu nehmen, wenn sie durch das angestrebte Ziel gerechtfertigt wurden. Die übrigen Gentlemen konnten sich gerade dazu aufraffen, beim Essen das Besteck zum Mund zu führen. Manchmal fragte sich Sir Robert ernsthaft, warum sie sich nicht auch noch von ihren Dienern füttern ließen.

Er war indessen stolz darauf, daß man ihm den Charakter eines eiskalten Rechners nachsagte. Wobei jene, die ihn kannten, natürlich auch nicht übersahen, daß ein gehöriger Schuß Abenteuerblut in seinen Adern floß.

Zur letzteren Eigenschaft gehörte auch seine Neigung zum Falschspiel. Mit den präparierten Würfeln hatte er Sir Henry während der Fahrt über den Atlantik gehörig geschröpft, und als der Dummkopf ihn schließlich zum Duell gefordert hatte, war es nur aus alkoholseliger Großmäuligkeit geschehen.

Erst einmal wieder nüchtern, hatte Sir Henry natürlich aus Unpäßlichkeit nicht an dem Duell teilnehmen können. Bedauerlicherweise war die Schiffsbesatzung dadurch auch um ein Schauspiel gebracht worden, das Sir Robert ihr gern geboten hätte.

Sir Robert Monk hatte bislang mit keinem darüber gesprochen, warum er sich dem Karibik-Unternehmen angeschlossen hatte. Sein Ziel war von Anfang an gewesen, mit einer fetten Beute nach England zurückzukehren. So hatte er zwar vorgegeben, an der Jagd auf Philip Hasard Killigrew ebenfalls interessiert zu sein. Doch in Wahrheit ging es ihm nur um dessen legendäre Schätze. Was sich davon abzweigen ließ, mußte man auf die elegante Art und Weise zum persönlichen Vorteil auf die Seite schaffen.

Wenn es dann gewissermaßen außer der Reihe noch so eine famose Gelegenheit gab wie die Galeone „Santa Cruz“, dann konnte man gar nicht anders handeln als Sir John Killigrew, der sich mit der Goldladung im Bauch der „Lady Anne“ schleunigst abgesetzt hatte.

Allerdings hatte der alte Killigrew den Fehler begangen, nicht sofort nach England zurückzusegeln. Solche Fehler entstanden eben oft dann, wenn man sich zu sehr dem Alkohol hingab. Sir Robert wußte von sich selbst, daß er stets nüchtern zu denken pflegte – und das in jeder Beziehung.

Auch in der augenblicklichen Situation verschwendete er seine Gedanken weniger auf die Frage, wie man es am besten anstellte, am Leben zu bleiben. Viel wichtiger erschien ihm, über die „Lady Anne“ und ihre Ladung nachzudenken. So wartete er geduldig ab, bis sich eine erste Gelegenheit ergab, Sondierungsgespräche zu führen. Dies war der Fall, als Charles Stewart die träge Runde auf der Lichtung verließ, um noch einmal nach seinen Goldkisten zu sehen.

Sir Robert erhob sich und tat, als recke er sich voller Behagen. Scheinbar planlos stelzte er ein paar Schritte hin und her und erweiterte schließlich seinen Bewegungsbereich, bis er wie zufällig in die Nähe von O’Leary schlenderte.

Sir Robert blieb stutzend stehen, als erinnere er sich unvermittelt an den Mann.

„Begleiten Sie mich ein Stück?“ sagte er höflich. „Ich möchte mir ein bißchen die Beine vertreten, aber nicht schutzlos der Wildnis preisgegeben sein.“

„Warum nehmen Sie nicht Ihren Diener mit?“ entgegnete O’Leary grinsend, und die anderen lachten rauh.

Sir Robert ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

„Ein Diener als Leibwächter?“ entgegnete er und lächelte dabei. Zufrieden bemerkte er, daß seine Worte den Stolz der rauhbeinigen Kerle wachkitzelten. Natürlich fühlten sie sich geschmeichelt, wenn man zu erkennen gab, daß man ihre besonderen – und wahrscheinlich einzigen – Fähigkeiten zu schätzen wußte. Das galt auch für O’Leary. „Also gut“, sagte er brummend. „Kann nicht schaden, sich ein bißchen zu bewegen – noch dazu in so erlauchter Gesellschaft.“ Er blickte beifallheischend in die Runde, und prompt lachte die Killigrew-Meute denn auch wiehernd los.

Wenig später erreichten sie die Nebenlichtung, und O’Leary blieb stehen.

„Sie haben doch etwas im Sinn“, sagte er rundheraus. „Daß Sie eine so ängstliche Natur sind, können Sie mir nicht erzählen, Sir Robert.“

„Danke für das Kompliment.“ Monk lächelte wieder und deutete eine Verbeugung an. „Sie haben es erfaßt, Mister, O’Leary. Mir geht es um ein Gespräch unter vier Augen.“

Der Bootsmann zog die Schultern hoch.

„Wüßte nicht, was ich Ihnen zu erzählen hätte.“

„Wir müssen an unsere Zukunft denken, Mister O’Leary. Jeder von uns hat sicher andere persönliche Interessen. Im Augenblick aber sitzen wir alle in einem Boot.“

„Hoffentlich tun wir’s bald“, sagte O’Leary knurrend, „damit wir bald weg sind von dieser verdammten Insel.“

„Nur, um auf eine andere Insel zu gelangen?“ Sir Robert schüttelte den Kopf. „Nein, damit können wir uns nicht begnügen. Mit der Zukunft meine ich auch das, was uns erwartet, wenn wir nach Hause zurückkehren. Was wollen Sie denn Ihren Freunden erzählen, Mister O’Leary, wenn die sagen: ‚Was? Du warst in der Neuen Welt, wo man Gold und Silber fast von den Bäumen pflücken kann, und du kehrst mit leeren Händen zurück? Wahrscheinlich warst du gar nicht da. Bestimmt flunkerst du uns was vor.‘ Habe ich recht? Mit solchen Fragen müssen Sie rechnen, Mister O’Leary.“

Der Bootsmann blickte sein Gegenüber betroffen an. Daß Sir Robert nichts anderes bezweckte, als seine schlummernde Gier ans Tageslicht zu holen, ging ihm nicht auf. Denn der Falschspieler traf genau den richtigen Ton. O’Leary konnte sich regelrecht bildlich vorstellen, wie er den Kerlen in der Schenke gegenübersaß und sie sich über ihn amüsierten. Verdammt, ja, es würde schon ein großer Mist sein, mit nichts als leeren Händen aus der Karibik heimzukehren.

„Stimmt haargenau.“ Er senkte den Kopf. „Aber im Moment geht’s doch wohl ums Überleben, Sir Robert. Wie stellen Sie sich das vor mit dem Mammon? Soll ich mit bloßen Händen eine spanische Galeone angreifen? Oder“, ein Lauern trat in seine Augen, „erwarten Sie etwa, daß ich diesem Stewart die beiden Goldkisten abnehme?“

Sir Robert Monk winkte entrüstet ab. So etwas hatte er nun wiederum nicht bezweckt.

„Nicht doch, Mister O’Leary. Die beiden Kisten hat sich Mister Stewart sehr redlich angeeignet. Seien sie ihm also gegönnt. Außerdem ist es doch nichts gegen das, was man wirklich an Land ziehen könnte. Ich denke da ganz besonders an die Ladung der ‚Lady Anne‘.“

Der Bootsmann riß die Augen weit auf.

„Die ist futsch, Sir Robert. Da ist nichts mehr zu machen.“

„Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wenn ich einen Weg finden würde, um die ‚Lady Anne‘ doch noch zu erwischen – würden Sie mich unterstützen?“

„Darauf können Sie Gift nehmen“, erwiderte O’Leary begeistert.

„Na fein. Dann tun Sie mir einen Gefallen und schildern Sie mir genau, was sich ereignet hat, als Sie diesen englischen Piraten und dem schwarzhaarigen Teufelsweib in die Hände fielen.“

O’Leary nickte grimmig. In der Erinnerung an das Geschehen trat ein seltsames Leuchten in seine Augen.

„Das ist vielleicht ein Weib“, sagte er heiser. „Mann, die würde ich mir gern noch mal genauer ansehen und …“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als sei ihm bewußt geworden, daß der kumpelhafte Ton unpassend war. „Verzeihung, Sir. Sollte sich nicht so anhören, als ob ich Sie für meinesgleichen halte.“

Sir Robert winkte gönnerhaft ab.

„Schon gut, Mister O’Leary. Wenn wir unter uns sind, brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Also fangen Sie an. Die ganze Crew der ‚Lady Anne‘ stand wohl ziemlich unter Alkohol, wenn ich richtig gehört habe.“

„Kann man wohl sagen“, erwiderte O’Leary und grinste. Dann begann er zu berichten, wie man vor Anker gegangen wäre in der Hoffnung, „nackte Indianerweiber“ aufzustöbern. Das nackte Weib, das man dann prompt in einer Lagune entdeckt hätte, wäre natürlich keine Indianerin, sondern die verdammte Piratin gewesen. Und wenn man nicht zu tief in die Humpen geschaut hätte, wäre man in eine solche Falle natürlich nicht getappt. Aber so hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen, und die gesamte Mannschaft einschließlich Sir John Killigrew wäre von dem Seewolf und der Korsarin gefangengenommen worden.

Umständlich begann O’Leary zu beschreiben, was zu dem Duell zwischen Sir Andrew und Philip Hasard Killigrew geführt und dann ein so verrücktes Ende genommen hatte.

Sir Robert winkte jedoch ab.

„Diese Einzelheiten sind für uns nicht so wichtig. Viel wichtiger ist etwas anderes: In welche Richtung haben sich die Piraten gewandt, von denen die ‚Lady Anne‘ übernommen wurde?“

O’Leary zögerte. Er begriff sehr wohl, daß dies der springende Punkt war. Was, wenn man diesem aalglatten Sir nun doch nicht trauen konnte? Wenn er doch mit seiner Clique unter einer Decke steckte und auch in diesem Fall ein falsches Spiel im Sinn hatte?

Sir Robert spürte, welche Bedenken dem Bootsmann durch den Kopf gingen.

„Wir müssen uns gegenseitig klaren Wein einschenken“, sagte er daher. „Ich kann verstehen, daß Sie daran nicht so recht glauben wollen, Mister O’Leary. Deshalb erkläre ich es ganz deutlich: Wir sollten gemeinsam versuchen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren und die Goldbeute zurückzuerobern. Natürlich werden wir das Gold nicht der Krone übereignen, sondern unter uns aufteilen. Genauso, wie das Sir John vorgehabt hat.“

O’Leary begann zu grinsen. Eben dies war genau nach seinem Geschmack.

„Wenn das so ist“, sagte er gedehnt, „sind wir uns natürlich einig, Sir Robert. Also, ich habe leider nur gesehen, wie die ‚Lady Anne‘ mit einem Teil von diesen Halunken losgesegelt ist.“ Umständlich begann er zu beschreiben, wie die Karavelle nach Südosten gesegelt sei und damit einen Kurs entlang der Atlantikseite der Bahama-Inseln aufgenommen habe. O’Leary hatte indessen nur eine ungefähre Vorstellung von den Bahamas. Das Kartenmaterial, über das Sir John Killigrew verfügt hatte, war alles andere als das Beste gewesen, was es derzeit für Navigationszwecke in der Karibik gab.

„Ihr Bericht gibt Anlaß zur Hoffnung“, sagte Sir Robert im Tonfall eines Schulmeisters, der einen besonders willigen Zögling lobt. „Ich kann also davon ausgehen, daß Sie und Ihre Crew mit von der Partie wären, wenn wir die erforderliche Ausrüstung zusammenhaben?“

„Klar doch“, sagte O’Leary großspurig. „Wir sind alle dabei. Das Wichtigste, was wir brauchen, wären wohl Waffen, denke ich.“

„Womit Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben“, erwiderte Sir Robert. „Ich möchte Sie allerdings bitten, über unser Gespräch vorerst Stillschweigen zu bewahren. Wir müssen Unruhe vermeiden. Denken Sie an die Crew der ‚Dragon‘.“

O’Leary nickte eifrig. Er genoß es, so vollständig ins Vertrauen gezogen zu werden. Dieser Monk war schon ein raffinierter Bursche. Wenn es einer schaffte, die ‚Lady Anne‘ zurückzuholen, dann vermutlich er. Denn mit dem alten Killigrew konnte man wohl kaum mehr rechnen.

Seewölfe Paket 22

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