Читать книгу Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 18

3.

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„Na ja“, sagte Stewart und war bemüht, seiner Stimme einen gelassenen Klang zu geben. „Wenn das so ist, müssen wir eben verhandeln. Also schön, hier mein Angebot: Ich bin bereit, den Inhalt dieser beiden Goldkisten brüderlich mit euch zu teilen.“

„Fein!“ rief Thomas Lionel und schlug die Hände zusammen, daß es laut klatschte. Er freute sich schon darauf, daß die Kisten endlich geöffnet wurden. Goldbarren waren doch etwas zu Schönes.

O’Leary hatte die Hand am Heft seines Messers und blickte ihn in wilder Mordlust an.

„Noch ein einziges Wort, du Idiot, und ich schneide dir den Hals durch!“ zischte er.

Thomas Lionel senkte den Blick. Die anderen sahen ihn auch wütend an, sogar Simon Llewellyn. Thomas Lionel hatte keine Ahnung, was er wieder falsch gemacht hatte, aber eins war klar: Er riskierte wirklich sein Leben, wenn er die Verhandlungen durch Zwischenrufe störte.

„Teilen“, sagte O’Leary gedehnt. „Und was dann?“ Er richtete den Blick wieder auf Stewart.

„Dann müßt ihr euch selbstverständlich auch meinem Kommando unterstellen.“

„Das hast du dir fein ausgedacht, du Bastard“, sagte O’Leary. „Aber wir lassen uns von dir nicht verscheißern.“ Er war völlig respektlos und saugrob, und es amüsierte ihn, daß Stewart dunkelrot im Gesicht wurde und seine Schläfenadern anschwollen.

„Wie redest du eigentlich mit mir?“ schrie Stewart.

„So, wie’s sich gehört. Der Fall ist doch wohl eher umgekehrt.“

„Umgekehrt?“

„Ja. Du kannst uns allenfalls darum bitten, das Gold mit uns teilen zu dürfen, Stewart.“

„Ich werde dich um einen Scheißdreck bitten, O’Leary“, sagte Stewart wild.

„Klar, aber wir lehnen sowieso ab, mit dir zu teilen. Denn tatsächlich gehört das Gold dem alten Sir John, beziehungsweise uns, da wir, die Männer der ‚Lady Anne‘, ja die spanische Galeone ‚Santa Cruz‘ gekapert haben, nicht wahr?“

„Nein!“

„Du leidest eben an Gedächtnisschwund“, sagte O’Leary verächtlich, „und scheinst einiges vergessen zu haben, was aber sehr wichtig ist. Die beiden hübschen Kisten da, auf denen du mit deinem breiten Hintern hockst, gehören gar nicht dir.“

„Sie gehören der Marine!“

„Scheiß auf die Marine und all ihre Affen! Das Gold gehört uns! Und wir haben nicht die geringste Absicht, mit dir zu teilen!“

„Haben wir nicht!“ brüllten die Kerle.

Stewart schnappte nach Luft. Er glaubte, zerspringen zu müssen oder vom Schlag getroffen zu werden.

„So eine verdammte Unverfrorenheit!“ brüllte er. „Aber damit kommt ihr bei mir nicht durch, ihr Schweinehunde!“

Leider begriff er viel zu spät, daß er diesen Schlagetots und Galgenvögeln auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. O’Leary rückte drohend auf ihn zu, und es war nichts Gutes in seinen Zügen zu lesen.

„Was willst du?“ schrie Stewart ihn an. „Bleib, wo du bist!“

„Es wird Zeit, daß du dein Maul hältst.“

„Ich rede, wann und wie es mir paßt.“

„Wir müssen hier wohl mal gründlich aufklaren“, sagte O’Leary. „Es gibt störende Elemente an Bord, die abgeräumt werden müssen.“ Er stieg über die Duchten und hatte Stewart jetzt fast erreicht.

In diesem Moment explodierte Stewart. Er wollte sich auf O’Leary stürzen, aber der war auf der Hut. Ehe Stewart auch nur einen Hieb landen konnte, hatte der Bootsmann eine Abwehrbewegung vollführt und rammte ihm gleichzeitig die Faust gegen die Brust. Stewart gab einen ächzenden Laut von sich und prallte zurück.

„Gib’s ihm!“ brüllten die Kerle. „Hau ihn zusammen, O’Leary!“

„Tüchtig Zunder!“ rief Simon Llewellyn.

„Mach ihn hin!“ kreischte Thomas Lionel, weil er es für angebracht hielt, ebenfalls einen Kommentar abzugeben.

Diesmal tadelte ihn niemand, und er war sehr zufrieden. Er saß da und meckerte wie ein Ziegenbock. Plötzlich aber zuckte er wie unter einem Peitschenhieb zusammen, denn seine Kopfwunde meldete sich mit stechendem Schmerz.

O’Leary schoß die Fäuste mit voller Wucht auf Stewart ab. Er war ihm voraus, Stewart schaffte es nicht mehr, eine Verteidigung aufzubauen. Ehe er sich’s versah, hatte er das Gleichgewicht verloren und kippte über das Dollbord.

„Bravo!“ schrie einer der Kerle. „Das war gut, O’Leary!“

„Raus mit dem Schwein!“ brüllte ein anderer.

Stewart landete im Wasser, die Fluten schlugen über ihm zusammen, er schien auf Tiefe zu gehen. O’Leary stand aufrecht im Heck der Jolle und rieb sich grinsend die schwieligen Hände.

„Na, wie haben wir das hingekriegt?“ fragte er grinsend.

„Das war prächtig“, sagte Simon Llewellyn. „Jetzt haben wir die Kisten.“

„Ob Stewart absäuft?“ fragte Thomas Lionel.

„Das ist uns doch egal“, erwiderte der Kerl, der zu seiner Rechten saß. „Hauptsache, er ist weg.“

Thomas Lionel warf einen Blick ins Wasser. Es war türkisfarben bis tiefblau. Einige Yards unter der Jolle war ein großer grauer Schatten zu erkennen. Stewart – oder ein Hai? Thomas Lionel kniff die Augen ein bißchen zusammen, konnte aber nichts erkennen.

Die Jolle hatte inzwischen auch die Ostspitze der Insel erreicht und stand etwas querab, ungefähr hundert Yards von ihr entfernt.

O’Leary warf nur einen kurzen Blick hinüber, dann gab er seinen Kerlen einen Wink. „Los, wir gehen sofort auf nördlicheren Kurs. Bei dem Wind aus Südwesten haben wir die Scheiß-Insel schnell hinter uns gebracht.“

„Jawohl“, sagte einer seiner Kumpane. „Die Hunde sollen alle verrecken. Auch die von der ‚Lady Anne‘.“

„Warum haben sie auch mit Steinen nach uns geworfen?“ brummte Simon Llewellyn. „So was tut man nicht.“

Er wollte zu den Kisten kriechen, aber ein Blick von O’Leary genügte, und er verharrte sofort wieder. O’Leary befaßte sich mit einer der Kisten, als sie weiter nach Norden hochgedreht hatten und sich mit zügiger Fahrt von dem Platz entfernten, an dem er Stewart ins Wasser gestoßen hatte.

„Dick verrammelt“, sagte er. „Aber das Schloß kriege ich auf.“ Er begann, mit seinem Messer an dem Schloß zu hantieren.

Die Kerle schauten ihm mit glitzernden Augen zu.

So mußte es sein, wenn man starb: Alles drehte sich, es rauschte, und man sank in unergründliche Tiefen, die keinen Grund zu haben schienen. Stewart spürte, wie ihm die Luft knapp wurde, ein heftiges Stechen setzte in seinen Lungen ein. Für kurze Zeit hatte er mit einem Ohnmachtsanfall kämpfen müssen, wegen der Hiebe, die er von O’Leary hatte einstecken müssen. Ein Faustschlag hatte seinen Bauch getroffen, und ihm war speiübel.

Die erfrischende Kühle des Wassers bewirkte aber, daß ihm doch nicht die Sinne schwanden. Er bewegte die Arme und Beine, und die Auftriebskraft nahm ihn zur Oberfläche mit. Er glaubte zwar, ertrinken zu müssen, und sein Brustkasten schien platzen zu wollen, dann aber schoß er hoch und war an der Luft.

Gierig, mit japsenden Lauten, schöpfte er frischen Atem. Die Schmerzen ließen fast augenblicklich nach. Er tauchte noch einmal kurz unter, hob den Kopf wieder über das Wasser und spuckte prustend etwas von dem salzigen Naß aus, das er in den Mund bekommen hatte.

Gerettet, dachte er und schnaufte. Haß und Wut stiegen wieder in seinem Inneren auf, doch er wußte nicht, wie er es bewerkstelligen sollte, sich an den Hundesöhnen zu rächen.

Die Jolle zog bereits ab – unerreichbar für ihn. Er konnte die Kerle noch sehen, und ihm entging auch nicht, daß O’Leary genau in diesem Moment aufschaute und ihn im Wasser entdeckte.

„He, Stewart!“ brüllte O’Leary. „Sieh zu, daß du Land gewinnst! Die Haie haben noch nicht gefrühstückt!“

„Fahr zur Hölle!“

„Danke, gleichfalls!“

Stewart hob die Faust aus dem Wasser und schüttelte sie in ohnmächtiger Wut. Es gab keine Chance mehr, er konnte dem Boot nicht nachschwimmen. Welchen Sinn hätte es auch gehabt? Die Kerle würden ihm sofort auf die Finger schlagen, wenn er versuchte, sich anzuhängen. Er war machtlos.

Anders ausgedrückt: Ausgebootet hatten sie ihn. Sie verspotteten ihn auch noch, ihr Hohngelächter drang an seine Ohren, während sich die Jolle immer weiter entfernte. Er fluchte, schluckte wieder Wasser, spuckte es aus und wandte sich der Insel zu.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als an Land zu schwimmen. Das Gold war er los, und die drohende Haigefahr saß ihm wie eine Faust im Nacken. Immer wieder sah er sich nach den grauen Mördern um, während er in hastigen Zügen zu schwimmen begann.

Noch zeigten sich keine Dreiecksflossen, aber er wußte, daß sie sehr schnell und völlig überraschend auftauchen konnten. Und die Barrakudas? Gab es die gefährlichen, räuberischen Pfeilhechte nicht auch in diesen Breiten? Mit Sicherheit. Sie traten in Schwärmen auf, und sie stiegen von unten hoch, nichts kündigte ihr Nahen an.

Stewart spürte, wie er im Wasser zu schwitzen begann. Sein Herz schlug heftig, sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Rückte das Ufer näher? Warum ging es nicht schneller? Er mußte es erreichen, bevor die Haie erschienen. Oder die Barrakudas. Und was war, wenn ihn ein Krake fing und in die Tiefe zerrte?

Gräßliche Visionen zogen an seinem geistigen Auge vorbei. Er sah sich mit Haien kämpfen, mit Sharks, wie sie daheim in England genannt wurden. Ein Riesenschwarm Barrakudas fiel über ihn her und zerfetzte ihn, bis nur noch das Skelett von ihm übrig war. Gigantische Tentakel zerrten an ihm und würgten ihn, bis ihm die Augen aus dem Kopf traten.

Angst!

Nie zuvor hatte Charles Stewart, der sich selbst für einen harten Kerl hielt, sie so verspürt wie in diesem Augenblick. Am liebsten hätte er aufgeschrien. Seine Kräfte drohten ihn zu verlassen. Er konnte kaum noch schwimmen. Und das Ufer der Insel schien immer noch weit entfernt zu sein.

Das Hohngelächter, das zwar allmählich verebbte, aber noch immer in seinen Ohren nachhallte, verschlimmerte seinen Zustand. Er war ein Versager, nichts hatte geklappt. Er hatte es mit seiner eigenen Mannschaft verdorben, mit Tottenham und dessen Leuten und nun sogar mit den Galgenstricken, die sich auf seine Seite geschlagen hatte. Es gab keine Zukunft mehr für ihn – hoffnungslos. Er war erledigt.

Mit Ach und Krach erreichte er den Strand und ließ sich auf den feinen weißen Sand sinken. Wenigstens hatte ihn kein Raubfisch gepackt. Aber war das wirklich ein Vorteil, die Rettung, eine Wende des Schicksals?

Kaum. Er atmete tief durch. Die Schmerzen schwanden, er fühlte sich von neuer Energie durchströmt. Er setzte sich in den Sand, zog die Knie an den Körper und blickte der Jolle nach. Sie war jetzt nur noch ein kleiner Punkt an der Kimm.

Sollen sie verrecken, die Hunde, dachte er. Er wünschte es ihnen, daß sie den Spaniern in die Hände fielen. Die würden nicht lange fackeln, wenn sie die Kisten mit dem Gold bei ihnen entdeckten. Vielleicht war es sogar gut, daß er nicht mehr mit diesen Hundesöhnen zusammen war.

Plötzlich hegte er wieder Zuversicht. Was hatte er schon verloren? Das Gold. Aber er hatte sein Leben, war nicht verletzt und konnte neue Unternehmungen starten. Warum eigentlich nicht? Es gab noch eine Menge Gold zu holen, beispielsweise das, was sich an Bord der „Lady Anne“ befand. Oder den ganzen Schatz des Seewolfes. Der Bastard mußte gewaltige Reichtümer in seinem Schlupfwinkel gehortet haben.

Daran dachte Stewart, und die Vorstellung von Macht und Reichtum war ein antreibendes, aufreizendes Element. Er erhob sich, atmete noch ein paarmal tief durch und brach zur Bucht auf. Er mußte durch das Dickicht und den Dschungel, doch er hatte immer noch sein Messer und bahnte sich damit einen Weg.

Die Angst, die ihn gepackt hatte, war wie weggewischt. Mit einemmal lächelte er kalt. Tottenham würde staunen, wenn er ihn sah. Die Auskunft über den Zweidecker der Chinesenhure und die Galeone des Seewolfs würde ihn anstacheln. Schließlich war es ja sein Auftrag, dieses Piratenpack zu stellen und zu vernichten.

Im Grunde genommen, so resümierte Charles Stewart, sah es doch nicht so schlecht aus. Er war kerngesund und schon fast wieder voll bei Kräften. Ein starker Mann konnte noch viel beginnen. Warum verzweifeln? Er war in der Karibik, und diese konnte sich immer noch in eine Goldgrube für ihn verwandeln, wenn er es nur geschickt genug anpackte.

Allmählich wurde es wärmer. Der Dschungel war voller Geräusche, Vögel kreischten und zirpten, kleine Affen keckerten. Mückenschwärme und anderes Ungeziefer umtanzten Stewart, dorniges Gerank streifte seine Arme und Beine und verursachte Kratzer. Einmal sah er den Kopf einer Schlange, der pendelnd von einem Mangrovenast herunterhing. Mit Sicherheit handelte es sich um ein giftiges Reptil.

Doch all das vermochte Stewart nicht aufzuhalten. Er schlug sich durch das Zweig- und Blattwerk mit dem scharfen Messer und näherte sich unbeirrt dem Lager an der Nordbucht der Insel. Keinen Moment zweifelte er daran, daß er sich in der Richtung nicht getäuscht hatte. Er verfügte über einen ausgezeichneten Orientierungssinn und kannte sich auch schon einigermaßen gut auf dem Eiland aus. Bald sollte er die Bestätigung erhalten, daß er sich nicht geirrt hatte.

Er geriet auf einen winzigen Kahlschlag, auf dem er die Spuren von Behausungen zu entdecken glaubte. Abgerissene Hütten? Hatten hier Eingeborene gelebt? Er verharrte kurz und untersuchte den Untergrund. Vielleicht täuschte er sich auch. Die pflanzliche Verwesung schritt im Urwald schnell voran, es ließ sich nicht mehr genau erkennen, ob die Überreste dieser Matten und Schilfgeflechte einmal zu primitiven Hüttendächern gehört hatten.

In der Nähe gurgelte Wasser. Er stieß auf einen Flußlauf. Hatten hier Boote gelegen? Vielleicht. Möglich war es. Aber was kümmerte es ihn? Er mußte das Lager an der Bucht erreichen, und zwar so schnell wie möglich. Das war sein Ziel.

Stewart konnte nicht ahnen, daß an diesem Platz, den er soeben zufällig entdeckt hatte, zwei kleine Familien gelebt hatten: der Engländer Speckled Red und der Korse Louis Lamare mit ihren Indianerfrauen Tampa und Onda sowie drei kleinen Kindern. Diese Menschen, die ausgesprochen friedlich lebten und jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gingen, hatten von Anfang an alles verfolgt, was sich auf und vor der Insel zugetragen hatte.

Sie waren stumme Zeugen gewesen, als Siri-Tong nackt in dem Lagunensee gebadet hatte, um die Kerle der „Lady Anne“ anzulocken. Alles hatten sie beobachtet: Wie Sir John und seine Spießgesellen überrumpelt und niedergeschlagen worden waren, wie man sie am Strand an die Stämme der Mangroven gebunden hatte – alles, bis hin zum Auftauchen der „Orion“ und der „Dragon“ und den damit verbundenen Komplikationen.

Dann aber hatten sie sich heimlich im Schutz der Nacht von der Insel zurückgezogen, weil sie richtig vermuteten, daß die Männer früher oder später landen und Lager errichten würden.

In einem solchen Fall war es gefährlich für Frauen – besonders für Eingeborene –, sich im Urwald versteckt zu halten. Irgendwie entdeckte man sie doch. Und hatten nicht schon die Kerle des John Killigrew vorgehabt, Frauenzimmer aufzuspüren und zu vergewaltigen? Das war ihre ursprüngliche Absicht gewesen, als sie die Grand Cays angesteuert hatten.

Somit waren Red und Lamare nur gut beraten, wenn sie sich wie jetzt auf einer Nachbarinsel verborgen hielten. Noch zwei Abstecher hatten sie in der Dunkelheit unternommen, um auch die letzte Phase, die Auseinandersetzung zwischen der „Orion“ und der „Dragon“ und das Eingreifen des Zweideckers der Roten Korsarin, mitzuerleben. Doch das wagten sie in der Zwischenzeit nicht mehr. Und daran taten sie gut. Sich mutwillig in Gefahr zu begeben, war schädlich für die Gesundheit.

So hatte sich Sir Henry, Duke of Battingham, auszudrücken geruht, doch inzwischen hatte auch er gelernt, wie fatal es sein konnte, riskante Unternehmen zu finanzieren. Die große „Expedition“, die Suche nach dem „Bastard“, dem Seewolf, war gescheitert. Und er, Sir Henry, hatte die Ehre, als Gefangener an Bord der „Caribian Queen“ zu hocken und einen Kerl wie Barba ertragen zu müssen.

Stewart schob sich weiter durch das Dickicht und vernahm jetzt die Stimmen von Männern. Weit war die Bucht nicht mehr entfernt, es konnte sich höchstens noch um ein paar hundert Yards handeln, dann hatte er sie erreicht.

Doch es wartete eine weitere kalte Dusche auf ihn, diesmal zwar im übertragenen Sinne, aber nicht weniger schockierend als das „Ausbooten“, das der Hund O’Leary herbeigeführt hatte. Es raschelte im Gestrüpp vor Stewart, und plötzlich schob sich der Lauf einer Muskete zwischen den lappigen, feuchten Blättern hervor. Die Mündung zielte genau auf seine Brust. Er blieb stehen und griff in einer instinktiven Geste nach dem Messer, ließ die Hand dann aber doch wieder sinken.

„Ich bin’s“, sagte er und wunderte sich darüber, wie heiser seine Stimme klang. „Kapitän Stewart.“

„Von mir aus auch der Philipp von Spanien“, sagte der Mann mit der Muskete. Es war Ross, ein Mann der „Orion“, der zu den besten Kameraden des Decksältesten Francis Bush gehörte. „Was, zum Teufel, wollen Sie hier noch?“

„Mit Sir Edward Tottenham sprechen.“

„Soll das ein Witz sein?“

„Ich habe nicht den geringsten Anlaß, irgendwelche Witze zu reißen“, sagte Stewart wütend. „Und nehmen Sie die Muskete herunter, verdammt noch mal.“

„Sir“, sagte Ross kalt. „Ich bin hier als Wachtposten unterwegs und habe den strikten Befehl, jeden Eindringling oder Unbefugten festzunehmen und Vorkommnisse, gleich, welcher Art, unverzüglich zu melden. Sie haben Glück, daß die anderen Patrouillenposten Sie noch nicht entdeckt haben.“

„Ich bin weder ein Unbefugter noch ein Eindringling“, sagte Stewart gepreßt.

„Das zu klären, ist nicht meine Aufgabe“, sagte Ross und trat ganz aus dem Gesträuch hervor. „Wenn ich jetzt bitten darf? Gehen Sie brav vor mir her. Geben Sie mir Ihr Messer. Machen Sie keine Dummheiten. Ich habe die Order, abzudrücken, und das tue ich, wenn Sie Tricks versuchen.“

Stewart hatte keine andere Wahl. Er mußte sein Messer abgeben. Ross untersuchte ihn kurz, dann dirigierte er ihn vor sich her durch das Unterholz. Stewart hob zwar nicht die Hände, aber er fühlte sich bereits als Gefangener. Verbissen kämpfte er dagegen an. Er dachte an sein Ziel. Es war jetzt seine Aufgabe, Tottenham zu überzeugen. Dazu bedurfte es eines gewissen diplomatischen Geschicks – an dem es aber ihm, Stewart, so glaubte er, nicht mangelte.

Wieder waren Geräusche im Dickicht, eine Stimme fragte: „Wer da?“

„Hier Ross“, erwiderte der Decksmann der „Orion“. „Ich habe Stewart bei mir.“

„Wen? Mann, mich kannst du doch nicht auf den Arm nehmen!“

„Er ist aber wirklich hier“, sagte Ross und grinste hart. „Ich habe es erst auch nicht glauben wollen.“

Der zweite Posten gesellte sich zu ihnen, er gehörte ebenfalls zu der Crew der in der Bucht gesunkenen „Orion“. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte er Stewart.

„Dazu gehört Dreistigkeit“, sagte er. „Und wo sind die anderen?“

Stewart schwieg, und gemeinsam führten die beiden ihn an den Strand der Nordbucht. Ein Pfiff ertönte, und ein auf einer riesigen Sumpfzypresse postierter Ausguck meldete dem Kommandanten und den Offizieren das Auftauchen des sonderbaren Trios.

Im Lager standen bereits die ersten Hütten. Sie waren das Ergebnis fleißiger Arbeit, die in erster Linie von Tottenhams Besatzung, aber auch von den Männern der „Dragon“ unter Arthur Gretton vorangetrieben worden war. Die erlauchten Gentlemen der Adels-Clique und die letzten Männer der Sir-John-Crew hingegen ließen sich nur widerwillig zu jeder Art von körperlicher Tätigkeit bewegen.

Es war nicht Sir Edward, der jetzt als erster vor Stewart hintrat. In diesem einen Punkt hatte er sich verrechnet, und auch sonst lag er falsch. Die kalte Dusche begann, auf ihn niederzurauschen.

Vor den Hütten scharten sich rasch die Männer zusammen. Stewart hob den Kopf und blickte ihnen hochmütig entgegen. Er suchte Tottenham, konnte ihn aber nirgends entdecken.

Das macht nichts, dachte er, sie müssen ihn rufen. Es ist ihre Pflicht, und ihre Pflichten dürfen sie nicht vernachlässigen, schon gar nicht bei einem Mann wie Tottenham, der sich ständig auf die Dienstvorschriften beruft.

Noch immer befand sich Charles Stewart in dem Irrwahn, als Kapitän der „Dragon“ respektiert zu werden, beziehungsweise, herumkommandieren zu können.

Marc Corbett, der Erste Offizier der „Orion“, und Arthur Gretton, der Erste der „Dragon“, traten ihm entgegen. Stewart blieb vor ihnen stehen und warf einen prüfenden Blick auf die See. Die Jolle war nicht mehr zu sehen, sie mußte bereits hinter der Kimm verschwunden sein.

„Stewart“, sagte Corbett. „Was wollen Sie hier?“

„Das habe ich ihn auch gefragt“, sagte Ross.

„Ich will mit Kapitän Tottenham sprechen“, entgegnete Stewart gereizt. „Und ich verlange die sofortige Verfolgung meiner Jolle.“

„Ihrer Jolle?“ wiederholte Corbett. „Was ist denn geschehen? Wir haben sie gesichtet und auch Gebrüll gehört, wußten aber nicht, um was es sich handelte.“

„Man hat mich über Bord gestoßen“, erklärte Stewart. „Weil ich verlangt habe, die Insel wieder anzulaufen. Diese Insel. Verstehen Sie, was ich meine?“

„Nein“, erwiderte Corbett.

„Das müssen Sie uns genauer erklären, Mister Stewart“, sagte Gretton aufreizend langsam und unter besonderer Betonung des Wortes „Mister“.

Seewölfe Paket 22

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