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4.

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Die Sonne stand mittlerweile fast im Zenit, und der Wind hatte spürbar nachgelassen. Über der Insel lastete Gluthitze, und das Leben im Dorf war fast vollends erlahmt. Die Menschen hatten sich in ihre Hütten zurückgezogen, die aus Zweigen und Palmenblättern gebaut waren.

Lediglich Charangu und seine Gefolgsleute harrten am Rand des Palmenhains aus, der sich auf der Südwestseite der Insel zwischen dem Strand und dem Dorf erstreckte.

Ein Sonnenschirm aus indischer Seide überdeckte die Sänfte, die Charangu nach seinem eigenen Entwurf hatte bauen lassen. Seine Träger, sehnige junge Polynesier, hockten dienstbereit hinter der Sänfte auf dem Erdboden. Die Dorfältesten, fünf Männer mit faltiger Haut und weißem Kraushaar, hatten sich beiderseits neben dem königlichen Fortbewegungsmittel niedergelassen.

Guao, der Gibbon-Mann, thronte hinter Charangu auf der gepolsterten Rükkenlehne. Mit trägen Bewegungen lutschte der Affe an einer Mango-Frucht, bis er sie schmatzend verschlang. Sofort sprang einer der Sänftenträger auf und reichte ihm eine neue Frucht. Guao nahm sie entgegen, ohne den Mann eines Blikkes zu würdigen.

Charangu hatte seinen seidenen Umhang zurückgelassen. Wie die Dorfältesten und die Träger, war auch er jetzt nur mit einem bunten Hüfttuch bekleidet. Der Inder war mittelgroß und kräftig gebaut. Die Straffheit seines Körpers ließ vermuten, daß er kaum älter als dreißig Jahre war.

Das Kinn in seine rechte Handfläche gestützt, starrte er mit düsterem Blick auf die Lagune hinaus.

Die Brandung war schwächer geworden. Deutlich zeichnete sich das Bild des großen englischen Schiffes über dem leuchtenden Blau des Wassers ab.

Für Charangu war dieses Schiff ein häßlicher Fremdkörper, den er am liebsten mit einer Verwünschung zur Hölle geschickt hätte. Er verfluchte diesen Tag, an dem die Fremden seine Kreise störten. Es war schlimm genug gewesen, daß Moana sich erdreistet hatte, ihrem Schicksal eigenmächtig ein Schnippchen zu schlagen. Doch dieses kleine Mißgeschick hätte sich noch beheben lassen.

Die Engländer aber mußte der Teufel persönlich geschickt haben. Vielleicht war es ein Zufall, daß sie ausgerechnet zu dem Zeitpunkt aufgekreuzt waren, als das Mädchen floh. Vielleicht war es aber auch ein böses Omen. Charangu erschauerte bei dem Gedanken. Er ahnte, daß er sein Gehirn noch mächtig anstrengen mußte, wenn er die verzwickte Lage zu seinen Gunsten wenden wollte. Und daß es verzwickt werden würde, zeichnete sich schon jetzt ab. Denn die dreimal verfluchten Engländer dachten offenbar nicht im Traum daran, Segel zu setzen und zu verschwinden.

Den Verlust Moanas hätte man letzten Endes noch verschmerzen können. Es gab genug andere junge Mädchen auf der Insel, und die Polynesier waren ein kinderfreudiges Volk.

Sofern die Fremden aber daran dachten, sich hier häuslich niederzulassen, konnte es böse Komplikationen geben.

Charangu beschloß, die Perlentaucher nachmittags wieder an die Arbeit zu scheuchen – ob die Engländer nun verschwunden waren oder nicht. Wegen des Zwischenfalls mit Moana waren die Arbeitsstunden am Vormittag ohnehin ausgefallen. Verlust genug. Aber die Götter, die wegen der Flucht des Mädchens zürnten, hatten jegliche Tätigkeit verboten.

Charangu grinste.

Er mußte erst offiziell verkünden, daß der Zorn der Götter beendet war. Danach konnte das Leben auf Kahoolawe seinen gewohnten Gang gehen. Er allein hatte das in der Hand, und dabei sollte es bleiben. Kein gottverdammter Fremder sollte ihm einen Strich durch diese Rechnung ziehen.

Unvermittelt wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

Die Dorfältesten begannen aufgeregt zu schnattern und sprangen auf. Auch die Sänftenträger tauchten jetzt neben dem Inder auf, hielten sich jedoch in ehrerbietigem Abstand. Gestikulierend starrten sie auf das Meer hinaus.

Charangu beugte sich abrupt vor. Dabei stieß er den Gibbon an, der wütend zu zetern begann, weil seine Mango-Frucht in den Sand fiel. Charangu versetzte ihm einen Hieb, ohne sich umzudrehen. Der Affe verstummte, ließ sich mit der Grazie eines Mehlsacks zu Boden fallen und versteckte sich beleidigt hinter der Sänfte. Niemand außer dem Inder durfte sich dem Affen gegenüber derartiges herausnehmen.

„Das große Boot verliert ein kleines Boot!“ rief Hunaui, das Oberhaupt der Dorfältesten. Seine Stimme klang dabei furchtsam und sensationsgierig zugleich.

„Ich sehe es selbst“, antwortete Charangu unwirsch. Die Sprache der Polynesier beherrschte er perfekt. Für ihn war diese Sprache allerdings nichts weiter als eine stupide Aneinanderreihung von Urlauten.

Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf das Geschehen bei der schlanken Galeone. Die Sicht war hervorragend. Das Beiboot war zu Wasser gelassen worden, und blitzende Lichtreflexe zeigten an, daß die Riemenblätter eingetaucht wurden.

Charangus Anspannung wich. Zwar empfand er noch keine Erleichterung, aber wenigstens tat sich endlich etwas. Das Warten war nervenzermürbend gewesen. Trotz der beträchtlichen Entfernung war deutlich, daß es sich diesmal um ein größeres Beiboot handelte als bei der ersten unliebsamen Begegnung mit den fremden Seefahrern.

Neue Besorgnis wuchs in dem Inder.

Wenn die Engländer eine gewaltsame Aktion planten, war es schlecht bestellt um ihn. Es gab keine Feuerwaffen auf Kahoolawe, und es waren weniger als hundert Männer, die auf der Insel lebten. Selbst wenn er ihnen befahl, sich mit ihren primitiven Waffen zum Kampf zu stellen, würden sie ein rasch aufgezehrtes Kanonenfutter sein.

Nein, eine kriegerische Auseinandersetzung war alles andere als wünschenswert. Diplomatisches Geschick allein konnte helfen.

Schließlich geht es nur um das Mädchen, dachte Charangu, um sich selbst zu beruhigen, wenn ihnen soviel an der Kleinen liegt, dann sollen sie sie eben behalten!

Wieder wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Diesmal auf einen anderen bemerkenswerten Umstand.

Die Männer in dem Beiboot nahmen zielstrebig den richtigen Kurs. Ohne erkennbare Mühe fanden sie das natürliche Tor im Korallenriff auf Anhieb.

Charangu gelangte zu der Überzeugung, daß die Fremden über außergewöhnliche seemännische Fähigkeiten verfügten. Möglicherweise kannten sie sich sogar in der Südsee aus. Wenn das allerdings der Fall war, würden sie allzu rasch das Ungewöhnliche an den Lebensumständen auf Kahoolawe erkennen.

Charangu schüttelte sich. Wieder wurde sein Unbehagen stärker. Die Möglichkeit, Moana zum Austausch in die Waagschale zu werfen, vermochte ihn nicht länger zu beruhigen.

Gespannt spähte er zu dem zügig herannahenden Boot. Etwa zehn oder zwölf Männer waren es, die sich in die Riemen stemmten. Und sie verfügten über Bärenkräfte. Das ließ sich unschwer an der rauschenden Fahrt erkennen, die das Boot lief.

Zusehends schmolz die Entfernung zusammen. Einzelheiten wurden deutlicher, immer deutlicher.

Und jäh hatte Charangu das Gefühl, von einem imaginären Fausthieb getroffen zu werden.

Es riß ihn regelrecht aus der Sänfte. Er beugte sich vor und schirmte die Augen mit der Handfläche ab. An dem zunehmenden Geschnatter der Polynesier hörte er, daß sie das gleiche beobachteten wie er.

Dieser schwarzhaarige englische Riese im Heck des Bootes war aufgestanden.

Auf seiner Schulter thronte ein pechschwarzer Affe, hoch aufgerichtet, den Kopf mit unverschämter Arroganz in den Nacken geworfen.

Charangu hatte ein Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen.

Der Engländer hatte ihn bis in das Mark seiner Knochen durchschaut.

Jetzt gab es nur noch eins. Charangu faßte diesen Entschluß in aller Eile, wie es seine rebellierenden Nerven geboten.

Freundlichkeit!

Man mußte den Fremden mit allergrößter Freundlichkeit entgegentreten.

Er straffte seine Haltung.

„Auf die Knie!“ rief er energisch. „Respekt vor dem fremden Gott!“

Die Polynesier gehorchten und schienen sogar froh, daß ihr König mit dieser Verhaltensmaßregel das Unerklärliche in geordnete Bahnen lenkte.

Es sah in der Tat wie ein Paradies aus, dem sie sich näherten.

Zierliche Auslegerboote ruhten auf dem weißgoldfarbenen Strand, der vom Wasser bis zum Palmenhain etwa fünfzig Yards breit war. Die mächtigen Bäume bildeten ein natürliches Dach, unter dem tropische Pflanzen in verschwenderischer Üppigkeit gediehen. Jenseits dieser grünen Wand aus Palmen, Kletterpflanzen und Bodengewächsen ragte eine dunkle Bergformation auf, deren höchster Punkt kegelförmig war. Wahrscheinlich handelte es sich um einen erloschenen Vulkan.

Hasard brauchte keinen Kieker, um zu erkennen, was sich dort am Rand des Palmenhains abspielte.

Die kleine Gruppe von Menschen war beim Anblick des Bootes in Bewegung geraten. Einige von ihnen rannten eilig hin und her. Nur Charangu und die alten Männer blieben an ihrem Platz. Anwachsendes Stimmengewirr war bis auf die Lagune zu hören. Jemand brachte den seidenen Umhang und legte ihn um Charangus Schultern. Der Inder hatte sich in seiner Sänfte aufgerichtet und scheuchte seine Untergebenen mit herrischen Bewegungen durch die Gegend. Auch der dicke alte Gibbon-Affe war wieder zur Stelle. Jetzt hockte er zu Charangus Füßen.

Die Männer der „Isabella“ pullten zügig weiter. Knapp eine halbe Kabellänge trennte sie noch von dem paradiesischen Strand.

Ein Paradies, das keins sein konnte – davon war Hasard überzeugt. Wo Menschen verfolgt wurden und Todesängste ausstanden, konnte von einem Paradies nicht die Rede sein.

Er hatte vorsorglich Pistolen und einen Vorrat an chinesischem Feuer in das Beiboot mannen lassen. Al Conroy war dabei, denn er beherrschte das Instrumentarium der Schwarzpulverladungen mit vollendeter Virtuosität. Es sah allerdings nicht danach aus, daß er seine Künste demonstrieren mußte. Mit im Boot waren außerdem Ferris Tukker, Edwin Carberry, Smoky, Blacky, Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan, Stenmark und Pete Ballie. Ben Brighton war mit der restlichen Crew als Bordwache zurückgeblieben. Siri-Tong bemutterte nach wie vor das Mädchen Moana, wobei Dan O’Flynn ständig auf dem Sprung stand, seinerseits durch kleine Gefälligkeiten zu Moanas Wohlbefinden beizutragen.

Ein sichtlicher Genuß war für Arwenack indessen der erhöhte Platz auf der Schulter des Seewolfs. Anfangs war der Schimpanse verwirrt gewesen, doch Hasard hatte ihn schließlich dazu gebracht, in dieser ungewohnten Pose zu verharren. Mittlerweile trug Arwenack die breite Nase reichlich hoch. Herablassend ließ er seinen Blick über die Männer schweifen, die zu seinen Füßen schwitzten.

„Seht euch diesen schwarzen Stinker an“, knurrte Edwin Carberry, „der glaubt jetzt, er sei was Besonderes.“

„Soll er auch“, entgegnete Hasard lächelnd, „er soll sich fühlen wie ein junger Gott.“

„Warum nimmst du nicht mich auf die Schulter?“ rief Sam Roskill. Seine dunklen Augen funkelten vor Vergnügen. „So ein göttliches Gefühl könnte mir auch gefallen.“

„Verdammt ja!“ prustete Ferris Tucker. „Genug Ähnlichkeit mit einem Affen hat er, der Junge!“

Grölendes Gelächter setzte ein, und Sam Roskill zog den Kopf zwischen die Schultern, schweigend. Diese Kerle verstanden es doch immer wieder, einen gutgemeinten Scherz ins Gegenteil umzukehren.

„Ruhe jetzt“, mahnte der Seewolf, und das Gelächter verebbte.

Die lautstarke Fröhlichkeit war auf der Insel nicht unbemerkt geblieben. Charangu und seine Untertanen standen wie erstarrt und waren verstummt. Erst jetzt, als es im Boot der Seewölfe stiller wurde, setzten sie ihre hektische Betriebsamkeit fort.

Hasard erblickte einen Schwarm von Menschen, der sich aus dem Inneren der Insel zum Strand hin ergoß.

Nicht nur Menschen.

Langarmige, haarige Wesen hangelten überall aus Palmenkronen und Kletterpflanzen zu Boden und schlossen sich den Männern, Frauen und Kindern mit hüpfenden Bewegungen an.

Gibbons in geradezu unüberschaubarer Zahl – eine grauschwarze Menge, die jetzt den Strand erreichte und dort Aufstellung nahm. Frauen und Männer hasteten herum und versorgten die Gibbons mit Nüssen, Früchten und anderen Leckereien. In stoischer Ruhe nahmen die Affen das Naschwerk entgegen.

Hasard rieb sich verdutzt die Augen. Schlagartig wurde ihm klar, welches raffinierte Spiel der Inder hier inszeniert hatte. Der Seewolf hatte von den heiligen Kühen gehört und sogar von heiligen Ratten, die es an bestimmten Orten in Indien geben sollte.

Arwenack wurde unruhig, bleckte die Zähne, keckerte und schirmte die Augen mit der Hand ab. Eine solche Ansammlung von Artgenossen hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt.

Den Männern verschlug es die Sprache, als Hasard sie auf die Versammlung am Strand hinwies. Die Tatsache, daß die Polynesier unbewaffnet und friedfertig warteten, geriet fast zur Bedeutungslosigkeit.

Der Kiel des Bootes knirschte auf den Sand.

Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan und Blacky sprangen ins seichte Uferwasser und zogen die Jolle weiter hinauf. Behende schwangen sich auch die übrigen Mitglieder der Crew aus dem Boot. Zuletzt beförderte Hasard den Schimpansen an Land. Arwenack genoß dabei als einziger den Vorzug, trokkenen Fußes die Insel zu erreichen.

Männer, Frauen und Kinder waren ehrfürchtig auf die Knie gesunken und hielten die Köpfe gesenkt.

Charangu saß bewegungslos in seiner Sänfte, und der alte Gibbon-Affe – offenbar das Oberhaupt der ganzen Sippschaft – thronte wieder auf der Rükkenlehne.

Hasard versuchte, die Zahl der Affen zu schätzen. Es erwies sich jedoch als schwieriges Unterfangen, weil sie teilweise in dichten Gruppen zusammenhockten und sich dabei gegenseitig verdeckten. Alle waren eifrig damit beschäftigt, Früchte und Nüsse zu kauen. Schmatzend und gelangweilt blickten sie den Fremden entgegen. Hasard war aber sicher, daß es mehr als zweihundert Gibbons waren, die diese Insel bevölkerten. Ohne natürliche Feinde mußten sie sich rasend schnell vermehren.

„Baut euch ein wenig auf“, sagte der Seewolf halblaut, „anständig und zurückhaltend, verstanden!“

Die Männer folgten der Aufforderung mit mühsam unterdrücktem Grinsen. Drei, vier Schritte weit gingen sie den Strand hinauf, und dann bildeten sie einen lockeren Halbkreis hinter ihrem Kapitän. Die Arme auf den Rücken gelegt, standen sie da und versuchten, möglichst ernsthafte Mienen aufzusetzen.

Die bedauernswerten Menschen auf dieser Insel hatten es nicht verdient, verlacht zu werden.

Hasard hob die Hand zu einem freundschaftlichen Gruß, wie er es schon bei der ersten Begegnung mit Charangu auf dem Wasser getan hatte.

Arwenack entblößte sein mächtiges Gebiß und rollte mit den Augen.

Hasard wartete gespannt auf die Reaktion des Inders.

Charangus Miene blieb unbewegt, doch unvermittelt stieß er einen knappen Befehl in der Sprache der Polynesier hervor.

Eine Gruppe von Mädchen, die ebenso duftig und zart gekleidet waren wie Moana, sprang auf. Leichtfüßig eilten sie zum Strand und streiften die Blumenkränze ab, die sie um den Hals trugen.

Bevor sie sich den Männern näherten, verneigte sich jedes der Mädchen tief vor Arwenack, der das Geschehen mit fassungslosem Blinzeln verfolgte.

Dann traten die Mädchen auf die Seewölfe zu, lächelten, verneigten sich wieder und legten ihnen die Blumenkränze um.

Die Männer wechselten Blicke, aus denen Verlegenheit sprach, und selbst Ed Carberry brachte ausnahmsweise kein Wort über die Lippen.

Arwenack hielt es nicht länger auf der Schulter des Seewolfs. Mit einem Satz sprang er zu Boden. Um Aufmerksamkeit heischend, trommelte er gegen seine Brust.

Die schwarzhaarige Schönheit, die im Begriff war, sich Hasard mit einem Blumenkranz zu nähern, wich erschrocken zurück. Ihre Gefährtinnen fielen auf die Knie und wagten es vor lauter Respekt nicht, den Schimpansen anzusehen.

Ehe das schwarzhaarige Mädchen seinen Schock überwinden konnte, schnellte Arwenack auf sie zu, riß ihr den Blumenkranz aus der Hand und schlang ihn sich selbst um den Hals. Triumphierend hüpfte er vor den Männern der „Isabella“ im Kreis und klatschte sich selbst Beifall.

Die Seewölfe konnten ihr Lachen nicht mehr zurückhalten.

Hasard ging auf das schwarzhaarige Mädchen zu, das den Tränen nahe war. Behutsam legte er ihr seine Rechte auf die Schulter und gab ihr mit einigen Zeichen zu verstehen, daß alles in Ordnung sei. Sie blickte ihn aus feuchten Augen an, las in seinem Gesicht wie in einem Buch und wurde ruhiger.

Wieder ertönte ein Befehl vom Rand des Palmenhains her.

Sofort sprangen die Mädchen auf und hasteten zurück zu den übrigen Dorfbewohnern.

Charangu bequemte sich nun höchstpersönlich, den Fremden seinen Gruß zu entbieten. Die Sänftenträger packten auf einen herrischen Wink zu, hoben an und schleppten ihren König mitsamt Ober-Gibbon hinunter zum Strand. Fünf Schritte von Hasard und seinen blumengekränzten Männern entfernt ließen sie die Sänfte zu Boden sinken.

Würdevoll stand Charangu auf und hob seinerseits die Hand zu jenem Gruß, der Friedfertigkeit signalisierte. Zu einer Begrüßungsansprache kam er jedoch vorläufig nicht.

Arwenack, der seinen Triumphtanz unterbrochen hatte, stieß plötzlich ein helles Keckern aus, das sich wie Gelächter anhörte. Dieser Eindruck wurde noch dadurch bestärkt, daß er den Kopf heftig auf und ab bewegte und sich den Bauch mit beiden Händen hielt.

Der weißgesichtige alte Gibbon starrte ihn mit stumpfem Blick an.

Urplötzlich brach Arwenack sein Keckern ab, schnellte vor und hangelte mit besagter affenartiger Geschwindigkeit auf die freie Seite der Rückenlehne. Dort blieb er sitzen, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte beifallheischend in die Runde.

Charangu war verdutzt einen Schritt beiseite getreten. Die Sänftenträger hatten sich zu Boden geworfen und starrten den Sand an.

Der Gibbon Guao bewegte sich in seiner Trägheit noch immer nicht. Lediglich den Oberkörper neigte er mißbilligend von seinem herausfordernden Artgenossen weg. Er musterte Arwenack mit einem Seitenblick, etwa so, wie ein Rassepferd einen zottigen Ackergaul betrachtet hätte.

Wieder fletschte Arwenack die Zähne. Mit der Rechten zog er einen imaginären Hut vom Kopf. Aus der Bewegung heraus verneigte er sich tief, wie es Sir Philip Hasard Killigrew bei einer Audienz vor der königlichen Lissy nicht vollendeter vermocht hätte.

Der Ober-Gibbon blinzelte begriffsstutzig. Seine Miene wurde zusehends saurer, und offensichtlich ging ihm der frivole Schimpanse allmählich auf die Nerven.

Unvermittelt beugte Arwenack sich vor und klopfte ihm freundschaftlich auf die haarige Schulter.

Guao zuckte zurück, schwang sich mühevoll von der Sitzlehne und landete mit einem dumpfen Laut im Sand. Die Sänftenträger wichen eilfertig beiseite, als sich ihr oberster Gott schwerfällig watschelnd zu seinen Artgenossen zurückzog und sich inmitten der schmatzenden Meute in Pascha-Pose niederließ. Hier schien er sich vor den unangenehmen Späßen des Neuankömmlings sicher zu fühlen.

Der Schimpanse von der „Isabella“ war im Begriff, ihm zu folgen.

„Arwenack!“ rief Hasard energisch.

Schmollend kehrte der Gefährte der Crew an die Seite des Seewolfs zurück.

Die Insulaner beobachteten es voller Staunen. Ein Gott, der einem Menschen behorchte – das war etwas, was sie nicht fassen konnten. Und umgekehrt mußte dieser riesenhafte Fremde, dem ein Gott gehorchte, selbst einen göttergleichen Status genießen.

Charangu fand endlich Zeit, zu seiner Rede anzusetzen.

„Seid mir gegrüßt, Engländer“, sagte er salbungsvoll, und nur der schaurige Akzent störte den Wohlklang seiner Worte. „Ich bedaure es außerordentlich, daß unsere erste Begegnung einen so unangenehmen Beigeschmack hatte. Lassen Sie mich betonen, daß ein Mißverständnis die Ursache gewesen sein muß. Ich bitte Sie, die Gastfreundschaft meines Volkes auf Kahoolawe zu genießen.“ Er verließ seine Sänfte, ging auf den Seewolf zu und reichte ihm die Hand.

Hasard bemerkte, daß diese Hand, deren Gelenk mit dem Eisenreif bewehrt war, äußerst kraftvoll zuzupacken vermochte. Er blickte dem Inder in die dunklen Augen. Ein unergründliches Feuer glomm in der Tiefe seiner Pupillen. Hasard spürte, daß er vor diesem Mann auf der Hut sein mußte und ihn nicht unterschätzen durfte.

„Ich bedanke mich, auch im Namen meiner Mannschaft“, erwiderte er, „und ich hoffe, daß wir unser gemeinsames Problem lösen werden.“

„Probleme sind dazu da, daß man sie beseitigt“, erwiderte Charangu mit breitem Lächeln. „In den Wirren der Geschehnisse tut man oftmals etwas, was einem hinterher, bei reiflicher Überlegung falsch erscheint.“

Hasard nickte. „Ich weiß Ihre Gastfreundschaft zu schätzen, Charangu. Leider können wir uns aber nur einen kurzen Aufenthalt leisten.“

Er bemerkte ein schwaches Aufleuchten in den Augen des Inders. War er erfreut? Erleichtert darüber, daß die Seewölfe womöglich bald wieder verschwinden würden? Hasard bewahrte diese Vermutung in seinem Bewußtsein.

„Nun“, entgegnete der Inder und verlieh seiner Stimme ein leises Bedauern, „ich hoffe doch, daß Sie und Ihre Männer uns wenigstens für diesen Tag die Ehre Ihrer Anwesenheit schenken werden.“

„Einige Stunden“, sagte Hasard, „das ließe sich einrichten.“

„Wollen Sie dann nicht auch Ihre übrigen Männer vom Schiff rufen? Wir werden ein großes Fest veranstalten. Denn Gäste gibt es nie in unserem Dorf. Für unsere Bevölkerung ist dies gewissermaßen eine einmalige Gelegenheit.“

„Ich verstehe. Aber es gehört zu den Gesetzen der königlich britischen Seefahrt, daß man ein Schiff Ihrer Majestät niemals ohne eine Mindestbesatzung läßt.“

Charangu zog die Augenbrauen hoch. „Ihr Schiff gehört der englischen Königin? Ein Kriegsschiff?“

Der Seewolf lächelte. „Wir segeln im Auftrag der Königin.“

Charangu nickte, obwohl er keineswegs verstand, was dies bedeutete. „Nun, Mister Killigrew, wenn ich dann vorschlagen darf, daß zunächst die Männer, die bei Ihnen sind, an unserem Fest teilnehmen. Später könnten Sie sie vielleicht gegen jene austauschen, die sich noch auf dem Schiff befinden.“

Hasard willigte ein. Er durfte Charangu jetzt nicht vor den Kopf stoßen. Gleichzeitig spürte er, daß irgend etwas in der Luft hing. Was es war, konnte er noch nicht einmal vermuten. Was verbarg der Inder hinter der unergründlichen Fassade seines Gesichts? Es mußte mehr sein als dieses verrückte Schauspiel, das er auf Kahoolawe inszenierte.

Seewölfe Paket 10

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