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7.

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Die Nacht senkte sich rasch über Kahoolawe. Der Übergang vom hellen Tageslicht zur sanften Dunkelheit vollzog sich wie in einem Atemzug. Europäer, die dieses Phänomen in südlichen Breiten zum ersten Male erlebten, pflegten in Erstaunen zu geraten. Für den Seewolf und seine Männer war es indessen nichts Ungewöhnliches mehr.

Auf der Insel war Ruhe eingekehrt. Die Menschen hatten sich auf Charangus Anordnung folgsam in ihre Behausungen zurückgezogen. Auch für die Gäste aus dem unbekannten Teil der Welt gab es hinreichende Unterkunft. Nur vereinzelt war noch das Gezeter der Gibbons zu hören. Weiter entfernt kreischten einige der wenigen Tropenvögel, die Kahoolawe bevölkerten.

Am Rand des Palmenwaldes, der den Dorfplatz umgrenzte, hatten Hasard und Siri-Tong unter einem schrägen Schutzdach ihr Nachtlager aufgeschlagen. Es hatte sich nur wenig abgekühlt. Dennoch warfen sie sich die Decken über, die sie von der Galeone hatten herüberschaffen lassen. Während der Nachtstunden würden die Temperaturen noch beträchtlich absinken.

Der Himmel war sternenklar, und eine dünne Mondsichel spendete fahles Licht. Dennoch war es unter den mächtigen Kronen der Palmen fast völlig dunkel. Nur auf der Lichtung, die das Dorf einnahm, waren die Konturen der Hütten mit verschwommenen Schattenlinien zu erkennen.

Die Männer von der „Isabella“ hatten sich in verschiedenen Hütten für die Nacht eingerichtet – so, wie es sich durch die freundschaftlichen Kontakte, die sie tagsüber geknüpft hatten, ergeben hatte. Nach den ausgiebigen Gaumengenüssen waren sie alle augenblicklich in tiefen Schlaf gefallen. Diese angenehme Seite des Lebens hatte sie schläfriger werden lassen, als die härteste und knochenschindendste Arbeit an Bord der Galeone es vermocht hätte.

Hasard hatte sich vor Einbruch der Dunkelheit auch mit Ben Brighton verständigt. Ben würde eine verstärkte Nachtwache auf der „Isabella“ aufziehen lassen, und die Männer erhielten ausdrückliche Order, die Ohren zu spitzen und die Insel in regelmäßigen Abständen mit dem Kieker zu beobachten. Zur weiteren Verständigung verfügten die Seewölfe über die bewährten Mittel aus Al Conroys Trickkiste.

Arwenack, der mittlerweile jedes Interesse an den trägen und vollgefressenen Gibbons verloren hatte, kauerte neben dem schrägen Schutzdach aus Palmenblättern. Seine gedrungene Statur und sein schwarzes Fell verschmolzen mit der Dunkelheit, die ihn umgab. Tiefe Atemzüge zeigten an, daß auch der Seewolf und die Rote Korsarin zur Ruhe gefunden hatten. Eine wohlverdiente Ruhe nach den Strapazen der zurückliegenden Tage.

Die Zeit verrann. Sekunden zu Minuten und Minuten zu Stunden. Arwenack harrte regungslos aus. Der Instinkt hielt ihn in der Nähe seines Herrn. Ein Instinkt, der aus der fremden Umgebung herrührte, in der der Schimpanse sich ebensowenig auf Anhieb heimisch fühlen konnte wie ein Mensch. Er brauchte das Vertraute, und das waren in diesem Fall Hasard und Siri-Tong.

Auch das Zetern der Gibbons hatte mittlerweile nachgelassen. Nur vereinzelte Schreie von Vögeln waren noch aus größerer Entfernung zu hören.

Doch diese Schreie reichten nicht aus, um jene kaum merklichen Geräusche zu überdecken, die Arwenack plötzlich vernahm.

Ein leises Rascheln. Dann wieder Stille.

Arwenack hob den Kopf. Aber er bewegte sich nicht.

Wieder ein Rascheln.

Es war eine Erfahrung, die den Schimpansen handeln ließ. Eine Erfahrung, die er seinem Leben an Bord der englischen Galeone verdankte. In unzähligen gefahrvollen Situationen hatte er das Verhalten der Menschen beobachtet. So wußte auch er jetzt, was er zu tun hatte.

Langsam und völlig lautlos bewegte er sich auf den schlafenden Seewolf zu und zupfte an seiner Schulter.

Hasard erwachte sofort, doch er rührte sich nicht, sondern schlug lediglich die Augen auf.

Er sah die leuchtendweißen Zähne Arwenacks und das Helle seiner Augen. Unvermittelt legte der Schimpanse seinen langen schwarzen Zeigefinger vor die Lippen.

Hasard begriff augenblicklich. Vorsichtig schälte er seine Arme aus der Dekke und berührte Siri-Tong sanft am Oberarm. Auch sie reagierte so, wie es in vielen Momenten der Gefahr zur lebensrettenden Gewohnheit geworden war.

Der Seewolf und die Rote Korsarin blieben regungslos und stellten sich schlafend. Und nun hörten auch sie das, was den guten alten Arwenack alarmiert hatte.

Schritte.

Sie versuchten, sich so leise wie möglich zu bewegen. Doch auf dem mit Pflanzen und trockenem Gestrüpp überdeckten Boden war absolute Geräuschlosigkeit praktisch ausgeschlossen.

Langsam, unendlich langsam, befreiten sich der Seewolf und die Rote Korsarin vollends von ihren Decken.

Jäh waren die Schritte in ihrer unmittelbaren Nähe. Von allen Seiten.

Arwenack stieß plötzlich ein helles Keckern aus.

Im selben Moment geschah es.

Dunkle Gestalten stürmten auf Hasard und Siri-Tong ein. Ihre Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, daß sie die Silhouetten der Männer erkennen konnten.

Zischende Geräusche waren zu hören. Es blinkte metallisch. Knüppel und Messer.

Der Seewolf und die Rote Karsarin schnellten hoch.

Keins der Mordinstrumente traf sein Ziel.

Arwenack suchte mit einem schrillen Laut das Weite.

Ein dumpfer Schlag traf die Stelle, an der sich eben noch Siri-Tongs Kopf befunden hatte.

Aus dem Aufspringen heraus wirbelte der Seewolf herum. Unmittelbar vor ihm war eine der schattenhaften Gestalten. Der Polynesier konnte seinen eigenen Sprung nicht mehr bremsen. Von seinem ganzen Körpergewicht getrieben, fuhr sein Messer an der Stelle in den Erdboden, an der er den Kapitän der fremden Galeone noch vermutete.

Hasard schlug unbarmherzig zu. Der Mann sackte in sich zusammen und begrub das Messer unter sich. Aus den Augenwinkeln heraus sah Hasard, daß Siri-Tong wie eine Tigerin kämpfte. Mindestens drei oder vier Gestalten waren es, die auf sie eindrangen. Wie es schien, hatte Siri-Tong einen der Knüppel erwischt, mit denen die Polynesier bewaffnet waren.

Aber der Seewolf war selbst noch zu sehr in Bedrängnis. Er schaffte es noch nicht, der Roten Korsarin zu Hilfe zu eilen. Ein Messer blitzte haarscharf vor ihm auf. Hasard wich aus, unterlief den Angriff reaktionsschnell und konterte mit blitzartiger Gegenwehr. Der Angreifer schrie erschrocken auf, als er plötzlich von den Fäusten des Seewolfs emporgehoben wurde. Das Messer wirbelte durch die Luft und fiel irgendwo zu Boden – gefolgt von seinem Eigentümer, der hart aufschlug.

Hasard erhielt kaum Zeit zum Luftholen. Arme schlangen sich plötzlich von hinten um seinen Hals und drückten mit unerwarteter Kraft zu. Ein zweiter Angreifer schnellte von vorn auf ihn los. Der erhobene Knüppel wurde vor dem helleren Nachthimmel erkennbar. Hasard spannte seine Muskeln und mobilisierte alle Kraftreserven. Seine Fäuste ruckten empor und bekamen die Oberarme des Mannes zu fassen, der ihm im Nacken hing. Und beiden Angreifern wurde auf schmerzliche Weise klar, daß sie sich in der Muskelkraft des Seewolfs mächtig verschätzt hatten.

Hasard ging in die Knie und riß den Mann, der seine Kehle zudrückte, mit einem blitzartigen Ruck nach vorn. Der Polynesier stieß einen Schrei aus, als er fast waagerecht durch die Luft segelte. Und im nächsten Sekundenbruchteil verstummte er. Denn der Knüppel, der eigentlich dem Seewolf zugedacht war, traf ihn. Dann ging auch der Knüppelschwinger zu Boden, als er von dem Anprall seines Gefährten überrascht wurde.

Der Seewolf kreiselte herum. Siri-Tong hatte immer noch drei Gegner am Hals. Aber die Rote Korsarin hegte die gleichen Gedanken wie Hasard. Sie wollte diese Männer nicht töten – diese Menschen, die von Charangu zu willenlosen Werkzeugen erniedrigt worden waren.

Hasard wollte sich mit dem Burschen befassen, der sich soeben unter dem Körper des Bewußtlosen hervorschälte. Doch der Mann dachte nicht mehr an einen Angriff. In panischer Hast warf er sich herum und war im nächsten Moment in der Dunkelheit des Palmenwaldes verschwunden.

Unterdrücktes Keuchen und das Scharren von Schritten waren nach wie vor zu hören. Siri-Tong wehrte ihre zwei verbliebenen Gegner mit dem Knüppel ab, den sie als Barriere gegen die immer wieder zustoßenden Messer benutzte.

Der Seewolf war mit einem Satz bei ihr, und ehe die beiden Burschen begriffen, was ihnen blühte, hatte er sie im Nacken gepackt. Als er sie mit den Köpfen zusammenstieß, versanken sie augenblicklich in tiefen Schlaf.

„Meinst du, ich hätte das nicht selbst geschafft?“ sagte Siri-Tong, die nur ein wenig außer Atem geraten war. Ihre Augen sprühten Funken.

Hasard wollte antworten, doch ein Rascheln war plötzlich hinter seinem Rücken zu hören. Er wirbelte herum. Dann mußte er lächeln.

Ein Schatten glitt auf ihn zu, hangelte an seinem Arm empor und hockte im nächsten Moment auf seiner Schulter.

„Allmählich findet er Gefallen daran.“ Die Rote Korsarin lachte. „Paß auf, du wirst ihn bald nicht mehr los!“

„Diesmal hat er sich den Ehrenplatz redlich verdient“, entgegnete Hasard, „ich wüßte nicht, wo wir ohne ihn wären.“

Arwenack keckerte fröhlich, als hätte er die Worte des Seewolfs verstanden.

Hasard wußte indessen, daß mit dem Überfall die Geschehnisse dieser Nacht keineswegs ausgestanden waren. Er hatte das sichere Gefühl, daß es jetzt erst richtig losging.

Dan O’Flynn warf sich im Schlaf hin und her – von wirren Träumen geschüttelt, die wie eine Vorahnung aus seinem Unterbewußtsein auf ihn einstürmten. Die Unbefangenheit und Geradlinigkeit der Polynesier hatte es ihm erlaubt, für die Nacht eine Hütte mit Moana zu teilen.

Etwas fauchte an seinem Gesicht vorbei. Ein harter Schlag ließ den Boden unter seinem Kopf erbeben.

Dan war schlagartig hellwach und zuckte hoch. Eine Faust traf seinen Brustkasten und schleuderte ihn zurück. Er sah den Knüppel, der ihn um Haaresbreite verfehlt hatte. In der Dunkelheit der Hütte hörte er nur den hastigen Atem der Männer. Wie viele es waren, vermochte er beim besten Willen nicht abzuschätzen.

Geistesgegenwärtig griff er nach dem Knüppel, bevor dessen Besitzer ihn hochreißen konnte. Wieder traf ihn ein Faustschlag, doch Dan ließ nicht locker. Er zog mit einem kraftvollen Ruck. Der Mann, der den Knüppel hielt, fiel auf ihn und drängte ungewollt den anderen zur Seite, der ihn mit Fausthieben außer Gefecht zu setzen suchte.

Plötzlich ein leiser, erstickter Schrei. Dann war es sofort wieder still.

Es traf Dan bis ins Mark, denn er begriff augenblicklich, was geschah.

„Moana!“ keuchte er und versuchte gleichzeitig, die Last von seinem Körper zu wälzen.

Aber das Mädchen antwortete nicht. Hatten die Kerle sie schon umgebracht? Oder vielleicht nur bewußtlos geschlagen? Dans Nerven begannen zu rebellieren. Endlich gelang es ihm, den Mann zur Seite zu schleudern, der verzweifelt nach seinem Knüppel rang.

Doch sofort waren wieder die anderen zur Stelle, die Dan in der Dunkelheit nicht erkennen konnte.

Die Übermacht war zu groß. Mit geballtem Ansturm brachten sie Dan O’Flynn zu Fall, noch bevor er vollends auf die Beine gelangen konnte. Ein harter Schlag traf ihn. Er sank zurück und kämpfte verzweifelt gegen die Ohnmacht an, die in ihm aufzuwallen drohte.

Ein scharfer, gezischter Befehl ertönte.

Die Angreifer wandten sich ab und schienen es eilig zu haben. Ihre Schritte entfernten sich rasch.

Dan wandte alle Willenskraft auf, die in ihm steckte. Und mit der Zähigkeit seines jungen, gestählten Körpers gelang es ihm, die Bewußtlosigkeit zu bezwingen. Zwar brauchte er endlos lange, wie es ihm erschien, die Benommenheit abzuschütteln, doch schließlich schaffte er es, sich aufzurappeln. Schmerzen hämmerten in seinem Kopf. Er schwankte bedrohlich. Aber er blieb auf den Beinen. Sich zu bücken, riskierte er nicht. Mit den Füßen suchte er die Stelle ab, an der Moana geschlafen hatte.

Die Gewißheit traf ihn wie ein erneuter, imaginärer Hieb.

Die heimtückischen Kerle hatten das Mädchen entführt.

Dan stürmte ins Freie. Die Hütte stand am Rand des Dorfplatzes. Alles war ruhig. Niemand schien den Zwischenfall bemerkt zu haben. Wie gehetzt warf er den Kopf herum und spähte angestrengt nach allen Seiten.

Plötzlich waren Schritte zu hören. Hatten sich die Kerle bis eben versteckt? Suchten sie erst jetzt das Weite? Dan dachte keine Sekunde lang darüber nach.

Er war sicher, schattenhafte Bewegungen zwischen den lichten Stämmen der Palmen zu erkennen. Der hellere Nachthimmel, vor dem sich die Bäume abzeichneten, ermöglichte dies. Die Entführer flohen zur Ostseite der Insel. Dan sah es jetzt deutlich, und seine scharfen Augen hatten ihn noch nie im Stich gelassen.

„Ar – we – nack!“ brüllte er, während er schon loslief. „Ar – we – nack!“ Der alte Schlachtruf der Seewölfe hallte weit durch die Stille der Nacht.

Dan erreichte die Baumreihen.

„Ar – we – nack!“ schrie er wieder. „Nach Osten! Nach Osten!“

Hasard und Siri-Tong hörten es, als sie zum Zentrum des Dorfes eilten. Sie erkannten die Stimme Dan O’Flynns sofort.

Innerhalb von wenigen Sekunden wurde es lebendig. Von allen Seiten stürmten die Männer der „Isabella“ herbei. Gary Andrews hatte eine Fackel angezündet. Der blakende Feuerschein erhellte den Dorfplatz nur spärlich. Die Polynesier, die aus dem Schlaf geweckt worden waren, verharrten zögernd in der Nähe ihrer Hütten.

Die Männer versammelten sich um Hasard und Siri-Tong. Old Donegal Daniel O’Flynn tauchte als letzter auf.

„Habt ihr es gehört?“ rief er aufgeregt. „Nach Osten, hat er geschrien, nach Osten!“

„Ich weiß“, entgegnete der Seewolf, „wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn mich nicht alles täuscht, werden wir Zeugen einer Riesenschweinerei. Batuti, Matt und Jeff, ihr bleibt bei mir.“

„Aye, aye, Sir“, antworteten die drei wie aus einem Mund.

„Siri-Tong“, fuhr Hasard fort, „du gehst mit den anderen so schnell wie möglich zurück an Bord. Ich vermute, daß sich auf der Ostseite der Insel etwas abspielt, wovon wir noch nicht die geringste Ahnung haben. Ihr setzt Segel und seht nach dem Rechten. Kann sein, daß wir auf dem Landweg nicht viel schneller sind als ihr. Vor allem müssen wir uns jetzt um Dan kümmern.“

„In Ordnung“, antwortete die Rote Korsarin und gab den Männern ein Zeichen, ihre Ausrüstung und sonstige Habseligkeiten zusammenzusuchen. Sie respektierte die Entscheidung des Seewolfs, obwohl es ihr widerstrebte, ihn jetzt allein zu lassen. Aber es bestand eine Übereinkunft zwischen Hasard und ihr, daß sie seine Anordnungen vor den Männern niemals kritisierte, geschweige denn ihm widersprach. Siri-Tong wußte, wieviel Hasards Autorität bedeutete.

Nur der alte O’Flynn wagte einen Einwand.

„Es geht um meinen Sohn“, sagte er, während die anderen schon losrannten, um ihre Sachen zusammenzuklauben. „Ich komme mir verdammt schäbig vor, wenn ich jetzt einfach abhaue und ihn im Stich lasse.“

Hasard, der die Fackel von Gary Andrews übernommen hatte, klopfte dem alten Seebären verständnisvoll auf die Schulter.

„Uns liegt Dan genauso am Herzen wie dir, Donegal. Du kannst dich darauf verlassen, daß wir die Beine in die Hand nehmen werden, um ihn so schnell wie möglich herauszuhauen.“

Old O’Flynn stieß ein zögerndes Brummen aus. Schließlich nickte er zustimmend. „Schon gut, schon gut, Hasard, Sir. Ich weiß ja Bescheid.“

Dem Seewolf tat es in der Seele weh, den alten Mann abweisen zu müssen. Aber mit seinem Holzbein war er nun einmal eine unnötige Last, wenn es um eine rasche Verfolgung ging. Nur an Bord, auf den vertrauten Decksplanken, stand er noch immer seinen Mann, wenn die „Isabella“ in ein Seegefecht verwickelt und in Feuerrauch und Pulverdampf gehüllt war.

„Du beeilst dich besser, Donegal“, sagte Hasard deshalb, „bis die anderen ihren Kram zusammenhaben, kannst du schon die Jolle klarieren. Jede Minute zählt jetzt.“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Old O’Flynn, machte kehrt und humpelte los, so schnell er konnte. Ihm war anzusehen, daß er froh war, jetzt eine Aufgabe zu haben.

Batuti, Matt Davies und Jeff Bowie kehrten zu Hasard zurück. Sie trugen die schweren Entermesser an ihren Hüften und Jeff zusätzlich eine große lederne Umhängetasche, in denen sich Höllenflaschen und einige weitere Spielereien aus Al Conroys unermeßlichem Arsenal befanden.

Siri-Tong war bereits zum Rand des Dorfes gelaufen. Die ersten Männer kehrten aus den Hütten zurück und versammelten sich bei der Roten Korsarin. Sie drehte sich noch einmal um und winkte dem Seewolf zu.

Hasard hob ebenfalls die Hand.

„Vorwärts jetzt“, sagte er rauh.

Die Polynesier beobachteten sie mit stummen Blicken, als der große schwarzhaarige Mann, der riesenhafte Gambianeger und die beiden Männer mit den furchterregenden Hakenprothesen auf die königliche Hütte Charangus zumarschierten.

Hasard schlug den Bastvorhang beiseite, der den Eingang verdeckte. Mit der Linken streckte er die Fackel in das Innere der Hütte. In der Rechten hielt er seinen Radschloßdrehling.

„Der Hundesohn hat sich verdrückt!“ stieß Batuti hervor, der über Hasards Schulter lugte.

Für den Seewolf war es keine große Überraschung. Er nickte nur, drehte sich um und schob die Waffe wieder unter den Gurt.

„Weiter!“

Als sie zum Ostrand des Dorfes liefen, war Siri-Tongs Gruppe vollzählig. Während Hasard und seine drei Begleiter im Palmenwald verschwanden, eilte die Rote Korsarin mit den anderen zum Strand hinunter.

Dort wartete Old O’Flynn schon bei der Jolle. Ein paar Schritte entfernt hatte er einen von Al Conroys Brandsätzen auf den hellen Sand gebettet. Das vereinbarte Zeichen für Ben Brighton und die Bordwache auf der Galeone.

„Zünden!“ rief Siri-Tong.

Old O’Flynn humpelte auf den Brandsatz zu und ging in die Hocke. Geschickt schlug er Feuer mit zwei Flints und zündete die Lunte im Handumdrehen.

Die Rote Korsarin packte selbst mit an, als die Männer begannen, die Jolle zum Wasser hinunterzuschieben. Old O’Flynn folgte ihnen und war zur Stelle, als das große Beiboot im seichten Uferwasser dümpelte. Siri-Tong und die Männer schwangen sich auf die Duchten. Gary Andrews, Big Old Shane und Moses Bill folgten als letzte, nachdem sie die Jolle auf größere Tiefe geschoben hatten.

Mit kraftvollen Schlägen begannen die Männer zu pullen. Das Boot gewann rasch an Fahrt.

Am Ufer erreichte die Lunte die Pulverladung des Brandsatzes. Eine weiße Stichflamme schoß zischend empor, und im nächsten Moment breitete sich hellrote Glut aus, die als übermannshoher Feuerball minutenlang loderte. Nur allmählich sank die Glut in sich zusammen, und der rötliche Schein, der sich auch auf die dunkle Wasserfläche gelegt hatte, schwand.

Siri-Tong warf einen Blick voraus.

Die Umrisse der „Isabella“ zeichneten sich wie ein scharfliniger Scherenschnitt vor dem Blau des Sternenhimmels ab. Und deutlich waren nun auch die Silhouetten der Männer zu erkennen, die an Bord in Bewegung gerieten und in den Wanten aufzuentern begannen. Befehle erklangen. Eine der Stimmen hallte so mächtig, daß sie mit Sicherheit noch im Dorf der Polynesier auf Kahoolawe zu hören war. Edwin Carberry war in seinem Element.

„Reise, reise, aufwachen, ihr müden Kakerlaken! Ihr pennt ja noch immer, ihr Heringe! Tempo, Tempo, bewegt euch, ihr verdammten Affenärsche, oder ich ziehe euch die Haut in Streifen ab!“

Siri-Tong mußte lächeln. Der gute alte Profos genoß es hörbar, daß sie nicht an Bord war. Noch nicht. Wenn er gewußt hätte, daß die Rote Korsarin herannahte, dann hätte er sich vermutlich an seinen eigenen Worten verschluckt. Denn Siri-Tong legte seit einiger Zeit besonderen Wert darauf, daß die Söhne des Seewolfs einen halbwegs anständigen Wortschatz mit auf ihren Lebensweg bekamen. Deshalb scheute sie sich nicht, Carberrys Ausdrucksweise bei jeder passenden Gelegenheit in Grund und Boden zu verdammen.

Als die Jolle kurze Zeit später längsseits ging, setzten die Männer im Handumdrehen Segel. Das Tuch flatterte in einer handigen Brise, die aus Nordwest wehte. Besser konnten die Seewölfe es nicht erwischen. Knarrend setzte sich das Ankerspill in Bewegung, während die Jolle noch an Bord gehievt würde.

Siri-Tong eilte zu Ben Brighton auf das Quarterdeck. Mit wenigen Worten informierte sie ihn über die Lage.

„Kurs Südost!“ rief der Erste Offizier mit energischer Befehlsstimme.

„Aye, aye, Sir! Kurs Südost!“ antwortete Pete Ballie aus dem Ruderhaus und wenig später: „Kurs Südost liegt an, Sir!“

Auf dem Hauptdeck brüllte Edwin Carberry und scheuchte die Männer an die Brassen.

Unter Vollzeug nahm die Galeone Fahrt auf.

Seewölfe Paket 10

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