Читать книгу Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 40
3.
ОглавлениеVor der „Isabella VIII.“ dehnte sich endlos weit das Meer. Darüber stand wie eine Glocke aus blauem Samt der Himmel, von dem heiß die Sonne schien.
Eine unendlich sanfte Dünung hob und senkte die ranke Dreimastgaleone im gleichen Rhythmus und schaukelte sie ihrem noch fernen Ziel entgegen.
Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, lief Kurs auf die polynesischen Südsee-Inseln.
Wenn ihre Berechnungen stimmten, dann lag – noch weit voraus – die Insel Tahiti vor ihnen.
Die Seewölfe kannten sie nur vom Hörensagen, aus den Berichten anderer, die diese Inselgruppe schon angelaufen hatten. Man hatte Tahiti immer als das Paradies schlechthin beschrieben.
Hasard beabsichtigte nur, diese herrlich gelegenen Eilande anzulaufen und sich nebenbei nach seltenen Gewürzen umzusehen. Natürlich wollten sie auch Land und Leute kennenlernen, ihren geistigen Horizont erweitern und neue Erkenntnisse sammeln.
Die Rote Korsarin, Siri-Tong, hatte das Steuer übernommen und den blonden Schweden Stenmark abgelöst. Mit routinierter Sicherheit bewegte sie das Ruder.
Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, hatte vor ein paar Tagen zusammen mit Smoky das Ruderhaus abgebaut. Es war nicht im eigentlichen Sinne abgebaut, sondern nur „flachgelegt“ worden, und es konnte bei Bedarf mit ein paar Handgriffen wieder aufgebaut werden.
Aber nach schlechtem Wetter sah es nicht aus, überkommende See war also nicht zu befürchten.
Der Seewolf stand neben der zarten Halbchinesin und blickte zur Kuhl hinunter. Dort saß auf der Kuhlgräting der alte Segelmacher Will Thorne, der emsig mit Segelnadel und Garn hantierte. Die beiden schwarzhaarigen Zwillinge des Seewolfs, Hasard und Philip, hockten daneben und ließen sich von Thorne immer wieder die Handgriffe zeigen, die der Alte flink und sorgsam ausführte.
Dazwischen hockte in stiller Eintracht der Schimpanse Arwenack, der genau so interessiert zusah, aber anscheinend wieder etwas im Schilde führte, denn immer wieder schoß seine haarige kleine Pranke vor, um nach dem blitzenden Ding zu greifen.
Seit sie die kalten Zonen des nördlichen Eismeeres verlassen hatten und wieder im Pazifischen Ozean segelten, fühlte sich der Affe ausgesprochen wohl. Ebenso erging es Sir John, dem Papagei, der lange in der Mannschaftsmesse eingesperrt gewesen war.
Jetzt saß er oben auf der Rahnock, krächzte laut und umflog die „Isabella“ ab und zu in einem großen Bogen. Hin und wieder stürzte er sich auch mit ausgebreiteten Schwingen wild krächzend an Deck und fing seinen mörderischen Sturzflug erst kurz vor den Planken ab. Dann ging das große Gezeter los.
„Ein Bild des Friedens“, sagte der Seewolf zu Siri-Tong. „Keiner streitet, es mangelt an nichts, und anscheinend sind alle zufrieden, bis auf Ed Carberry.“
„Ed sieht aber sehr zufrieden aus“, meinte die Rote Korsarin.
„Er ist es aber nicht, es ist ihm zu ruhig, es passiert nichts, und das kann der gute Ed nun mal nicht ausstehen. Er fühlt sich dann immer degradiert, wie er selbst einmal sagte.“
Siri-Tong lachte leise und warf einen Blick auf den Profos, der an der Backbordseite am Schanzkleid der Kuhl stand und ab und zu in die See spuckte.
Er hatte zwar die Arbeit an Deck eingeteilt, und die Seewölfe waren auch fast alle beschäftigt, aber das waren reine Routinearbeiten, bei denen der Profos sich schlecht hinstellen und brüllen konnte, weil es etwas zu bemängeln gab.
Nach einer Weile sahen sie ihn, wie er sich vom Schanzkleid abstieß und zum Vordeck ging. Dort besprach er etwas mit dem Decksältesten Smoky.
Siri-Tong warf ab und zu einen Blick auf den Kompaß, blickte dann fast gleichzeitig nach dem Stand der Segel und korrigierte kaum merklich den Kurs. Dann verlor sich ihr Blick wieder fast träumerisch in der blauen Ferne.
Hasard sah sie von der Seite an und fragte sich, was wohl in ihrem hübschen Köpfchen für Gedanken spazierengingen.
„An was denkst du?“ fragte er schließlich.
Ihr Blick kehrte aus der Ferne zurück und suchte seine Augen.
„Ich dachte an die Schlangen-Insel“, sagte sie. „Ich habe in letzter Zeit oft an die Insel gedacht, und ich würde gern wissen, wie es dort wohl zum jetzigen Zeitpunkt aussieht. Wie mag es Thorfin Njal oder Jean Ribault ergehen? Was tun die anderen? Das alles sind Fragen, die mich beschäftigen.“
„Der Wikinger“, sagte Hasard und mußte lächeln, als er sich den Nordmann mit dem blinkenden Kupferhelm vorstellte. Vor seinem geistigen Auge erschien der Franzose Jean Ribault, der draufgängerische Haudegen aus der Karibik, und all die anderen.
Ja, er hätte auch gern gewußt, wie es dort wohl aussah, nur so, aus reiner Neugier, und was sie alle so trieben.
„Hast du Sehnsucht nach der Schlangen-Insel?“ fragte er leise.
„Ja“, gab sie ehrlich zu. „Dort zieht es mich stärker hin als zu meiner eigentlichen Heimat, dem Land des Großen Chan.“
Hasard runzelte leicht die Stirn. „Es gefällt dir nicht mehr an Bord?“
„Du hast mich falsch verstanden, Hasard. Es war nur ein Gedanke, du denkst doch auch ab und zu mal daran.“
„Ja, das ist richtig. Ich habe immer vor, die Schlangen-Insel einmal zu einer uneinnehmbaren Festung auszubauen, aber bei dem Vorsatz blieb es bisher immer. Meist kam etwas dazwischen. Nun, bis wir die Insel wieder anlaufen, wird noch viel Zeit vergehen, aber wir werden sie wieder anlaufen, das steht fest.“
Während er sprach, hatte er weiterhin auf die Kuhl geblickt, und dort hatte der Schimpanse Arwenack jetzt endlich die begehrte, blitzende Segelnadel erwischt.
Er zog daran, packte blitzschnell zu und wollte türmen. Aber Will Thorne hatte noch den starken Faden im Segel hängen, und als der Schimpanse losrannte, wurde er jäh gestoppt, ließ die Nadel fahren und überschlug sich vor Schreck.
Zeternd und keckernd stand er da. Seine Wut und Enttäuschung waren ihm deutlich anzusehen. Außerdem nutzte der karmesinrote Aracanga Arwenacks Verwirrung und flog einen Sturzangriff auf ihn, was den zeternden Affen erneut erschreckte.
Das war das Signal für die Zwillinge, und gleich darauf balgten und tobten sie herum, bis Arwenack kreischend in den Großmars nach oben flüchtete und Sir John seinen Protest von der Rahnock auf das Deck schrie.
Auch Siri-Tong verfolgte amüsiert das Geschehen, und damit war das Thema Schlangen-Insel wieder so gut wie vergessen.
Hasard wollte etwas später noch einmal daran erinnern und auch noch von den gewaltigen, fast unvorstellbaren Schätzen sprechen, aber dann gab es eine Unterbrechnung.
„Deck!“ schrie Gary Andrews aus dem Großmars. „Schiff drei Strich Steuerbord voraus!“
Weit und breit war ihnen bisher kein Schiff begegnet. Das letzte Mal hatten sie einen Segler gesichtet, als sie an einer unbekannten Insel mitten im Pazifik vorbeiliefen. Die Identität war immer noch nicht geklärt, denn der Fremde war nur für kurze Zeit am Horizont aufgetaucht.
An der Kimm Steuerbord voraus hob sich ein winziger Strich ab. Seine Masten waren gerade noch durch das Spektiv erkennbar, aber es stand außer Zweifel, daß der Segler in spitzem Winkel ihren Kurs kreuzen würde. Vermutlich weit achteraus, das stand noch nicht fest.
Der Seewolf wurde neugierig.
War es ein Engländer, ein Franzose oder vielleicht ein Spanier, der sich hier herumtrieb?
„Vielleicht ist es ein Don“, sagte Ben Brighton. „Wir hatten schon lange keinen mehr vor den Rohren. Aber die treiben sich doch kaum in dieser Gegend herum.“
„Die sind überall zu Hause, um zu plündern“, sagte Hasard. „Wir werden uns den Burschen mal ansehen. Wir gehen einen Strich nach Steuerbord. Laß unsere Flagge einholen, Ben.“
„Aye, aye, Sir!“
Inzwischen war der junge Dan O’Flynn aufgeentert. Jetzt hing er auf halber Höhe in den Wanten und blickte auf den Strich, der langsam Konturen annahm und größer wurde.
Er enterte wieder ab und erklomm das Achterkastell.
„Scheint ein ganz schöner Brocken zu sein“, sagte er zu Hasard. „Wenn mich meine Augen nicht täuschen, dann ist es eine dickbauchige Galeone.“
„Und der Kapitän trägt eine Augenklappe und hat eine Narbe auf der Stirn“, setzte Brighton hinzu.
„Darauf habe ich nicht geachtet“, erwiderte Dan grinsend.
Was eine Begegnung zwischen einem Spanier und einem Engländer auf See bedeuten konnte, das hatten sie schon oft erfahren. Mitunter verlief sie sehr reizvoll, aber oft genug gab es auch Kleinholz und treibende Schiffstrümmer. Das brachte immer die jeweilige Situation mit sich. Man beschnüffelte sich kurz, und dann ging es zur Sache.
Hasard wandte sich an Carberry, der händereibend auf dem Quarterdeck stand und es wieder mal nicht erwarten konnte.
„Gefechtsbereitschaft, Sir?“ fragte er erwartungsvoll, noch ehe Hasard etwas sagen konnte.
„Ja, das wollte ich gerade sagen, Ed. Laß auch sofort die englische Flagge einholen. Al Conroy soll die Culverinen überprüfen, aber die Stückpforten bleiben vorerst geschlossen.“
Auf der „Isabella“ begann eine emsige Aktivität. Jeder kannte seine Handgriffe, jeder wußte was zu tun war, tausendmal hatten sie die gleichen Griffe getan, und sie konnten sie bereits im Schlaf. Die Flagge war schon eingeholt worden, die spanische lag ebenfalls bereit, falls sich erweisen sollte, daß ihnen ein Don entgegensegelte.
Sollte das der Fall sein, so überlegte Hasard, würden sie ihr Spielchen mit ihm treiben, und daran würde er ganz sicher keinen großen Spaß haben. Er entschied sich blitzschnell, und die Seewölfe sahen ihm an, daß er wieder etwas ausheckte, das nicht gerade zum Ruhme Spaniens beitragen würde.
„Wir sind spanische Handelsfahrer“, sagte Hasard. „Wir fahren auf eigene Rechnung für das altbekannte Kontor in Sevilla. Alle Blondhaarigen verschwinden unter Deck. Na, ihr kennt das Spiel ja noch. Es wird bestimmt wieder sehr lustig.“
„Nur für den Don nicht“, sagte der Profos grinsend. „Die sehen anschließend immer verdammt alt aus.“
Gelächter brandete auf, das jedoch schnell wieder erstarb.
„Und wenn er uns gar nicht beachtet?“ fragte Smoky.
„Dann segeln wir weiter“, sagte Hasard achselzuckend. „Was soll’s also! So oder so, etwas wird geschehen, ich bin ganz sicher, daß er uns beachtet.“
Inzwischen war der Brocken größer geworden, und die Bauweise ließ keinen Zweifel daran, daß es ein Spanier war. Es war eine dicke, etwas träge wirkende Galeone, die sich durch die See wälzte, als hätte sie irgendwelche Beschwerden.
Hasard griff wieder zum Spektiv. Die Galeone rückte sprunghaft näher heran.
Ferris Tucker blickte ebenfalls durch das Spektiv, das der Seewolf ihm reichte. Ein paarmal nickte er vor sich hin.
„Ja, ein Spanier“, sagte er, „obwohl man die Flagge nicht erkennen kann. Die typische Bauweise, und seine Armierung ist auch nicht übel. Der hat dreimal so viele Kanonen wie wir.“
Bill, der jüngste Mann an Bord, ging mit der spanischen Flagge nach achtern und zog sie auf.
Carberry grinste immer noch von einem Ohr zum anderen. Mit jeder Sekunde verbesserte sich zusehends seine Laune.
„Oh“, sagte er freundlich, „wir würden selbst dem Teufel Salz in offene Wunden streuen, nicht wahr, Ferris? Und wenn dieser lausige Don zehnmal mehr Kanonen hat als wir, das soll uns nicht jucken. Wir werden es ihm schon zeigen.“
„Vorausgesetzt, er will etwas von uns“, sagte Ferris Tucker abschwächend. „Hasard hat aber etwas anderes vor.“
„Ich meine ja auch nur, wenn es schiefgeht“, maulte Ed.
„Klar, dann werden wir es ihm zeigen.“
Als die spanische Flagge am Heck der dickbäuchigen Galeone endlich zu erkennen war, meldete Al Conroy das Schiff gefechtsklar bis auf die geschlossenen Stückpforten.
Alles war in unglaublicher Schnelligkeit abgelaufen, und daher nickte der Seewolf auch anerkennend.
Etwas später änderte der Spanier noch einmal leicht den Kurs, und jetzt war es klar, daß er etwas von ihnen wollte.
Aber seine Stückpforten waren ebenfalls geschlossen, und der Seewolf begann sich insgeheim zu fragen, ob die Dons vielleicht genau das gleiche Spiel trieben.
Danach sah es aber nicht aus. Der Spanier schien sorglos, dahinzusegeln und sich auf die Begegnung mit einem Landsmann zu freuen. Sollte er, dachte Hasard lächelnd.
Er schickte die Rote Korsarin unter Deck, ebenso die Zwillinge, und ließ den Gefechtsrudergänger Pete Ballie ans Steuer.
„Der Don geit Segel auf!“ schrie die Stimme aus dem Großmars.
Die Blinde und die Schiebblinde des Dons verschwanden, ein Segel nach dem anderen wurde ins Gei gehängt.
„Nein, der hat keine feindlichen Absichten“, vermutete Ben. „Der würde sich nie eine derartige Blöße geben. Er hält uns für Landsleute und denkt nicht im Traum daran, daß hier ein Engländer vor seiner Nase herumkrebst.“
Hasard gab keine Antwort. Sein Blick war starr auf die andere Galeone gerichtet. Durch den Kieker erkannte er Gestalten an Deck, uniformierte Seesoldaten in ihren bunten Kürbishosen und blinkenden Helmen. Nichts deutete darauf hin, daß der Spanier gefechtsbereit war.
„Hängt die Segel ins Gei!“ befahl Hasard, als der Don nur noch ein paar Kabellängen entfernt war und in der sanften Dünung schaukelte.
Er vergewisserte sich noch einmal, daß jeder Mann der „Isabella“ auf seinem Posten stand, daß es aber gleichzeitig so aussah, als wäre alles ganz harmlos.
Dann nickte er zufrieden, als die Segel, eins nach dem anderen, aufgegeit wurden.
„Die Initiative überlassen wir ihm“, sagte er. „Wir warten einfach ab, was er will, er wird sich schon melden.“
Die Verwunderung an Bord der „Isabella“ wurde noch größer, als der Don ein Beiboot abfierte.
„Schade“, murmelte der Profos bedauernd. „dabei hatte ich mich so auf die erste Begegnung mit den Dons gefreut. Nach der langen lausigen Kälte hätte ich mich gern einmal wieder so richtig warm geprügelt. Die Dons sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.“
Gesichter verzogen sich grinsend nach Eds Worten. Für den Profos war die Begegnung eine einzige Enttäuschung.
Ganz langsam trieben die Schiffe aufeinander zu. Pete Ballie hielt die „Isabella“ jedoch so, daß er im Notfall immer noch an der Luvseite lag. Wie unabsichtlich sah das aus, und der Spanier schien sich auch nichts dabei zu denken.
Hasard blickte auf den Namen am Bug, der in dicken Goldlettern prangte. Der Name sagte ihm nichts. Das schiff hieß „Patria“, was soviel wie Heimat oder Vaterland bedeutete.
Es dauerte lange, bis ein halbes Dutzend Spanier in dem Boot Platz nahm. Einer von ihnen war entweder der Kapitän oder der erste Offizier, so genau ließ sich das nicht erkennen. Jedenfalls bekleidete er einen höheren Rang.
Ein kleines Segel wurde gesetzt, das Boot nahm Fahrt auf und hielt auf die ranke Galeone zu.
Hasard sah gelassen zu. Die Seesoldaten trugen keine Musketen, sie hatten nur ihre Pistolen im Gürtel, und der Ranghöchste, in weißen Seidenstrümpfen und grünen Kürbishosen, trug einen Degen, der ihm sehr hinderlich schien, denn alle Augenblicke rückte er unruhig auf der Ducht hin und her.
Eineinhalb Kabellängen trennten das Boot noch von der „Isabella“, als sich der ranghöchste Spanier aufrichtete und in Richtung „Isabella“ knapp verneigte.
„Ein ganz höflicher Bursche“, sagte Ben anerkennend. „Der bricht vor lauter Höflichkeit ja fast ab.“
Das kleine Boot näherte sich nur langsam, aber die Gesichter der Spanier waren jetzt deutlich zu erkennen.
Der Kapitän, oder was immer er sein mochte, hatte ein hageres, fast asketisches Gesicht, in dem dunkle Augen brannten. Seine Nase stach scharf aus dem Gesicht hervor, seine Lippen waren schmal, und er hatte eine hohe Stirn.
Die grünen Kürbishosen, die er trug, waren durch rote Längsstreifen verziert. Er trug keinen Brustpanzer, dafür ein breites ledernes Wams mit einem verzierten Gürtel.
Hasard blieb an der Schmuckbalustrade des Achterkastells stehen. Auf der Kuhl hatten Ben Brighton, der junge O’Flynn, der Profos und Blakky Stellung bezogen. Die Jakobsleiter war bereits abgefiert worden.
Das kleine Segel wurde eingeholt, und in einem kleinen Bogen lief das Beiboot auf die Bordwand zu.
Der Mann in den bunten Kürbishosen richtete sich wieder auf und blieb stehen.
„Capitano Don Alfredo de los Domirez bittet, an Bord der ‚Isabella‘ aufgenommen zu werden!“ sagte der Mann mit fester, lauter Stimme.
Hasard vollführte mit der Hand eine einladende Bewegung.
„Es ist mir eine Ehre, Don Alfredo“, sagte er.
Die Seewölfe gaben sich so routiniert wie alte Spanier und waren längst in ihre Rollen geschlüpft.
Don Alfredo enterte umständlich auf. Umständlich deshalb, weil ihn der Degen ständig behinderte.
Dann stand er an Deck und musterte hoheitsvoll die Gesichter.
„Bitte, Capitano“, sagte der junge O’Flynn. „Man erwartet Sie bereits auf dem Achterkastell.“
Nichts an Dans Aussprache deutete darauf hin, daß er kein Spanier war. Nicht der kleinste Akzent verriet ihn, und so nickte der Spanier und ließ sich zum Achterkastell begleiten.
Unterwegs sah er sich die „Spanier“ an. Es waren Prachtexemplare darunter, fand er. Kerle, die doppelt so breit waren wie die meisten seiner Seesoldaten, Brocken, deren Gestalt allein schon furchteinflößend wirkte.
Auf dem Achterkastell wurde er von Hasard begrüßt. Die beiden Männer gaben sich die Hände.
„Capitan Pedro Moreno“, stellte Hasard sich vor, und er gab sich so verbindlich, wie sich ein spanischer Handelsfahrer dem Capitano eines Kriegsschiffes gegenüber gewöhnlich gab.
Don Alfredo musterte ungeniert das Schiff, nickte kaum merklich und war höchst erstaunt.
Ja, das ist ein Schiff, dachte er. Da ist alles dran, da ist mehr dran als an jedem anderen Spanier.
Diablo, er als alter Kap Hoornier hatte gewiß schon ungezählte Galeonen gesehen, aber hol’s der Teufel, das hier war doch eins der besten, herrlichsten, prachtvollsten und ranksten Schiffe, die je seinen Kurs gekreuzt hatten.
In Hasards Gesicht regte sich kein Muskel, als der Spanier ungeniert das Ruder musterte. Die Spanier hatten auf der „Patria“ einen Kolderstock, wie alle anderen auch, aber hier gab es ein Ruder, das den Kolderstock ersetzte, und das wunderte den Don.
Auch die Masten wunderten ihn, und er kam nicht umhin, ebenfalls über die Culverinen zu staunen mit ihren überlangen Rohren.
Dieses Schiff hatte zweifellos der beste Baumeister von Spanien entworfen, und der beste Schiffsbauer hatte es auf Kiel gelegt.
Er wollte sich jedoch nicht den Anschein totaler Unwissenheit geben, und so nickte er dem Seewolf freundlich zu.
„Man versteht es in Spanien, immer bessere und schnellere Schiffe zu bauen, Capitano Moreno“, sagte er anerkennend. „Vermutlich sind Sie ein reicher Mann, ein reicher Kaufmann“, setzte er hinzu.
„Ich fühle mich geschmeichelt“, sagte Hasard. „Nun, ich bin ein wenig begütert, aber das sind andere Handelsfahrer mitunter ja auch.“
Don Alfredo gab sich leutselig, aber er verhehlte auch seine Neugier nicht, und so stellte er immer wieder ein paar scheinbar nebensächliche Fragen.
Nein, er hat keinen Verdacht geschöpft, überlegte Hasard. Er ist auf beiden Augen blind, oder sie spielten ihre Rolle so vorzüglich, daß Don Alfredo ihnen alles abnahm.
„Ihr Ziel ist Tahiti?“ fragte Don Alfredo.
„Ja, Tahiti wollen wir anlaufen“, gab Hasard zu. „Wir suchen seltene Gewürze.“
„Interessant, Capitano. Ich habe im Auftrag der Regierung das gleiche Ziel. Und da wir uns hier begegneten, wollte ich gern einen Landsmann begrüßen.“
„Auch ich bin hocherfreut“, log der Seewolf. „Man trifft so selten auf einen Landsmann.“
Der Spanier war immer noch leutselig und jovial und benahm sich nicht so wichtigtuerisch wie der Capitano eines Kriegsschiffes. Vielleicht freute er sich wirklich, einen Landsmann zu sehen. Daß dieser Landsmann ein Engländer war, konnte er nicht wissen. Aber seine Freude wäre sicher merklich kleiner geworden.
„Sie werden bald noch mehr Landsleute treffen“, versprach der Capitano geheimnisvoll. „Mehr als sechs Schiffe sind mit Ziel Tahiti und die Insel unterwegs.“
„Das freut mich aufrichtig“, entgegnete Hasard, und diesmal lag die Freude fast ehrlich auf seinem Gesicht.
Donnerwetter, dachte er, was wollten sechs spanische Schiffe hier auf den friedlichen Inseln? Sie waren ganz sicher nicht unterwegs, um mit den Insulanern friedlichen Handel zu betreiben. Wo sie auftauchten, brachten sie nur Ärger, Angst und Verzweiflung.
Aber es war gut, das zu wissen, was Don Alfredo in seiner liebenswerten Ahnungslosigkeit ausplauderte.
Er wollte den Kapitän in die Kammer zu einem kleinen Trunk einladen, um ihn unauffällig auszuquetschen, doch der Spanier lehnte bedauernd ab.
„Ich wollte nur ein paar Neuigkeiten austauschen, Capitano Moreno“, sagte er. „Meine Zeit ist begrenzt, aber wir werden uns vermutlich auf den Inseln wiedersehen und dann mehr Zeit haben. Möglich, daß ich später Ihre Hilfe brauche, und ich hoffe auf Ihre Einsicht dabei. Schließlich dienen wir alle der spanischen Krone und seiner Majestät.“
Daher weht der Wind also, dachte Hasard, aber er gab sich auch weiterhin verbindlich und liebenswürdig.
„Selbstverständlich stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung“, sagte er lächelnd. „Heißt das, daß Sie mein Schiff für irgendwelche Aufgaben requirieren wollen, falls Sie Hilfe brauchen?“
„Mein lieber Capitano! Welch hartes Wort! Ich nehme an, daß Sie anschließend nach Spanien zurücksegeln werden?“
„Allerdings.“
„Nun, von requirieren kann keine Rede sein. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß Sie etwas Fracht mitführen werden, falls sich das ergeben sollte. Sie stellen lediglich etwas Laderaum zur Verfügung, weiter nichts.“
So ist es üblich, dachte Hasard und verkniff sich das Grinsen.
„Ich stehe selbstverständlich zu Ihrer Verfügung“, sagte er. „Sie können über mein Schiff ganz nach Belieben verfügen, falls sich das als erforderlich erweisen sollte.“
Dann fragte er geradeheraus, um was es ginge.