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ОглавлениеBericht des Ägyptologen Dr. Philipp Bechtold
„Wie die Blätter im Herbst, so sind die Geschlechter der Menschen.“ Ich habe in einer meiner Schriften die Generationen des Menschengeschlechts mit den Schauspielern eines Stadttheaters verglichen, die an dem einen Abend in Ritterrüstung und Sturzhelm, am andern als Dandies und Mondänen im Salon, am dritten als Räuber und Dirnen agieren, und schliesslich steckt in all den wechselnden Hüllen immer der gleiche arme Komödiant mit all seiner Sorge und Not. Rastlos dreht sich das Rad des Seins und kommt doch nicht vom Fleck, wenn man nicht den tieferen Sinn des Seins erkennt — das, was das Rad bewegt.
Mag man es den Weltwillen nennen, im ewigen Wechsel zwischen Tod und Leben, oder die rastlose Neugeburt der Platonischen Ideen oder die tiefe Sehnsucht nach dem Nichtsein des Nirwana, das wir uns doch gar nicht vorzustellen vermögen — der Dichter lehrt uns, dass alle Dinge dieser Welt nur ein Gleichnis sind. Eine Gleichung mit der Grossen Unbekannten.
Wenn sie Weltbilder dieser Zeitlichkeit oder nur der farbige Abglanz der uns verschlossenen Wirklichkeit sind — warum soll man mit diesem Goldschaum und Silberflitter nicht spielen, wie Kinder zu Weihnachten mit Äpfeln und Nüssen? Wir brauchen ja das äussere Gesicht des Lebens nicht so ernst zu nehmen, weil wir wissen, dass es nur eine Larve ist. Larven auch in dieser mitternächtigen Fastnacht im Tempel von Karnak.
Das sagte ich auch meiner Frau, als sie entrüstet die Einladungskarte zu diesem Abendfest aus der Hand legte.
„Erstens kennen wir diesen Herrn Sanders überhaupt nicht persönlich . . .“
„Das stört ihn nicht! Er stöbert die Leute auf und verschlingt sie, wie er sie findet! Es muss ein hartes Los sein, so in allen Erdteilen chronisch am Menschenhunger zu leiden.“
„. . . . und zweitens ist es eine Blasphemie, in dem Tempel von Karnak einen alltäglichen Kostümball zu veranstalten!“
„Es soll ihn — oder vielmehr seine Frau auch Mühe genug gekostet haben, die Erlaubnis zu erlangen!“
„Na jedenfalls: ich glänze durch Abwesenheit!“
„Ich weiss nicht, ob man so etwas nicht der Kuriosität halber einmal mitnehmen soll!“ sprach ich. „Stelle dir einmal vor: Ein einziges Mal in unserem Leben verwandelt sich das Vorstellungsbild, das wir von dem alten Ägypten mit einer ständigen unbefriedigten Sehnsucht mit uns tragen, in mondbeglänzte Wirklichkeit. Auf viele Stunden in der Runde öffnen sich drüben überm Nil die Gräber. Die Pharaonen treten aus ihren Grüften, die Grossen, die schlanken braunen Prinzessinnen aus ihren Gärgen — die Priester, die Hexenmeister ihrer Zeit, schreiten undurchdringlich, gemessen, in paarweisen Zügen, die Helden fahren auf Sichelwagen, das Volk drängt sich — dies ewige Volk am Nil. Mrs. Meg Sanders soll es sich Unsummen haben kosten lassen, um alles so stilecht wie möglich zu gestalten. Es wird ein Eindruck, den man nicht wieder vergisst!“
„Wenn man es so auffasst . . .“ sprach meine Frau Wilburg. Darauf ich:
„Sei kein Philister, teures Weib! Rüste für uns ein paar Fähnchen bunten Stoff. Wir wollen heut abend bei dem Fest nichts mit den Königen zu tun haben. Wir wollen uns bescheiden im Hintergrund unter die Kärrner mengen!“
Und so geschah es, dass wir an dem Fest im Karnaktempel teilnahmen und zum Glück auch gerade in der Nähe standen, als der verirrte Fremdling aus dem zwanzigsten Jahrhundert, das Fräulein Sabine Ritter, verstört den Ausgang suchte.
Eigentlich hatte ich Mühe, ein Lachen zu unterdrücken, als ich da unter mir das Fräulein von heute mittag auf dem Boden sitzen sah, gar nicht mehr so unternehmungslustig wie damals, sondern mit offenem Mund und grossen braunen Augen und einem blassen und völlig verdatterten, aber immer noch sehr hübschen Gesicht.
„Na — Sie einzige Zivilistin — was machen Sie denn da?“ frug ich munter. Und sie tonlos aus der Tiefe:
„Können Sie mir einen Arzt empfehlen?“
„Warum denn? So einem Springinsfeld wie Sie?“
Ich hob sie auf und stellte sie in ihrer ganzen schlanken und sehr wohlproportionierten Länge auf die Beine. Sie starrte immer noch fassungslos auf mich und ebenso auf meine Frau, die in einem nilgrünen, mit goldener Schärpe gegürteten Gewand herangetreten war, und reichte ihr mechanisch die Hand. Dann strich sie sich mit dieser Hand über die Augen, wie um uns zu verscheuchen, und frug, als wir blieben, mit erstickter Stimme:
„Wer seid ihr denn eigentlich?“
„Augenblicklich der selige Ramose, Vorsteher Thebens zur Zeit des grossen Pharao Amenophis des Vierten, des Ketzerkönigs und Sonnengotts!“ sprach ich wohlgelaunt. „Ich bewohne mit meiner lieben Frau hier, der Hofdame Teje, eine prachtvoll erhaltene Säulenkatakombe drüben in der Ebene überm Nil. Wir sind da abgebildet, wie wir Hand in Hand in das Totenreich hinabsteigen. Aber heute, wo das ganze alte Ägypten aus seinen Grüften aufersteht, haben wir altes Jubelpaar uns auch mal wieder auf den Weg gemacht!“
Das Fräulein rieb sich immer noch ungläubig ihre klugen Augen.
„Sagt mal: bin ich nun eigentlich verrückt oder seid ihr’s?“ frug sie.
„Keines von beiden!“ belehrte ich sie. „Hätten Sie mir heute mittag, als sie mich nach dem Weg nach der Stadt hinaus frugen, verraten, dass Sie nach Karnak wollten, so hätte ich Ihnen gleich sagen können, dass der amerikanische Grüftesprenger drüben in Luxor in dem Palasthotel, wegen dessen Mrs. Adams, wie Sie mir sagten, hierhergereist ist . . .“
„Ja. Sie findet es taktlos, bei seinem Begräbnis zu fehlen . . . .“
„Na ja . . . also dass dieser Nabob oder vielmehr seine Frau — denn er macht, scheint’s, diesen ganzen Gesellschaftsschwindel nur so mit — also dass Mrs. Sanders heute abend ein grosses altägyptisches Kostümfest hier im Ammonstempel gibt und dazu die halbe europäische Fremdenkolonie bis nach Kairo und Heluan und nach Assuan hinauf eingeladen hat, darunter auch mich, als Ägyptologen, und meine Frau hier, obwohl sie uns eigentlich gar nicht kennt. Der Kuriosität halber sind wir hergegangen. So etwas sieht man nicht leicht wieder. Mrs. Sanders lässt sich den Mumienzauber einige Barren Gold aus ihren New-Yorker Stahlkellern kosten. Die gute Frau ist auf der ganzen Welt für ihre exzentrischen Feste berühmt. Sie feiert sie auf ihrer Hetzjagd um die Erde, wie sie fallen. Weil sie augenblicklich wegen des Königsgrabs zufällig in Ägypten ist, müssen diesmal die armen Pharaonen herhalten. Ich glaube, heute drehen sich manche Mumien in ihren Särgen um!“
„Ach so!“ sagte das Fräulein und musste mit blassem Gesicht lachen. Aber allmählich kriegte sie wieder ihre gesunde braune Globetrotterfarbe. „Na — da komme ich mir ja schön dumm vor, hinterher! Aber — Sie glauben ja gar nicht, wieviel Geld ich nicht hab’ — wie soll ich von dem Spleen von Leuten wissen, die offenbar zuviel Geld haben, wie die Mrs. Sanders?“
„Sehen Sie das Wesen mit dem Nilpferdkopf, das geschäftig hin und her rennt“, frug ich, „und die Honneurs des Ammonstempels macht und überall und nirgends ist?“
„Das kleine kugelrunde Geschöpf?“
„Das ist die Nilpferdgöttin Epet, im gewöhnlichen Leben Mrs. Sanders. Die Miss mit dem Kobrakopf, die wie ein Schatten hinter ihr hergleitet, das ist die Schlangengöttin Napret, ihre Privatsekretärin, die die Einladungen zu dem Maskenball verschickt hat.“
Ich wurde ernster, als ich auf das lachende bunte Götter-, Tier- und Menschengewirr im Mondschein blickte.
,,Soll man mit Gespenstern spielen?“ sagte ich. „Für Mrs. Sanders scheint das ganze Leben ein Spiel. Der Dollar ist rund und rollt und die Erde ist rund und dreht sich, weil der Dollar sie in Bewegung hält. Diese ganze steinerne Ewigkeit ist für Mrs. Sanders nur eine Folie für ein Maskenfest. Die Welt ein grosser Lunapark. Die Frau ist eine Athletin in Vergnügungsstrapazen!“
„Und gerade diesmal stimmt es doch nicht!“ sprach meine liebe Frau und Mitarbeiterin. „Jetzt gleich zieht feierlich ihr Mann als der Pharao Amenophis hier ein, der Ägypten statt des düsteren Totenkults als Sohn der Sonne regieren wollte. Schön genug ist er dazu. Ich habe noch selten solch einen blendenden Mann gesehen!“
„Aber seine Gemahlin war die ebenso schöne Nofretete!“ lachte ich.
„. . . und die dicke kleine Mrs. Sanders kann unmöglich an seiner Seite die weltberühmte Nofretete vorstellen. Sie soll es probeweise versucht haben. Aber das Ergebnis war heute vormittag niederschmetternd. Nun hat sie sich, humoristisch wie sie ist, für das Nilpferd entschieden!“
„Für ein höchst quecksilbernes Nilpferd!“ sagte ich. „Und der arme schöne Pharao Amenophis muss als Strohwitwer einziehen!“
Unser Fräulein aus der Fremde hatte geschwiegen und zugehört. Sie musste erst die Überraschungen dieses Abends in sich verarbeiten. Ich merkte, dass ihr die blonde Ruhe meiner Frau wohltat. Meine Frau Wilburg war ja freilich gut anderthalb Jahrzehnte älter als sie, aber sie hatte nichts Mütterliches, sondern eher etwas von einer frischen und freundlichen älteren Schwester zu ihr, und das erzeugte in dem unruhigen Geist dort drüben offenbar Vertrauen. Man sah es an dem weichen, jetzt rein mädchenhaften Ausdruck, mit dem ihre dunklen Augen an der Wilburg hingen. Und diese tauschte mit mir, dem thebanischen Bürgermeister Ramose, als Palastdame Teje einen Blick, und wir kamen uns beide komisch in unserer baumwollenen Antike und unsern Kopftüchern und Sandalen vor, und sie meinte:
„Weisst du, Alter: es ist ja ein grosser Garderobenraum am Eingang, im Sethostempel, eingerichtet. Es ist am besten, ich ziehe mich schnell um und mache mich wieder menschlich und bringe das Fräulein in ihr Hotel zurück!“
„Ach ja bitte — tun Sie das!“ bat unsere kleine verirrte Europäerin stürmisch, die eigentlich gar nicht klein, sondern gross und schlank war und nur jetzt den Eindruck der Hilfsbedürftigkeit machte. „Ich gehöre ja gar nicht hierher! Ich habe ja gar keine Einladung. Ich wirke ja ganz stilwidrig wie eine graue Motte in dem kümmerlichen Reisefähnchen. Der Pharao mich sehen und mich an die Luft setzen lassen ist eins!“
„Kommen Sie!“ Meine Frau nahm sie an der Hand und wollte sie zum nahen Ausgang am zweiten Pylon führen. Aber wir hatten die Rechnung ohne die Götter und ihr Gefolge gemacht. Die waren gastlich gesinnt. Denen gefiel die Miss. Sie liessen sie nicht hinaus.
„Oh — bleiben Sie doch!“ miaute die Katzengöttin Pechet in freundlichem Angelsächsisch, und die Löwengöttin Sachmet grollte liebenswürdig:
„Wir wären so froh!“
Und die Kuhgöttin Hathor sprach dumpf unter ihrem schlangenumwickelten Hörnerkopf aus Papiermaché, den Mrs. Sanders wie alle Kostümstücke des Festes genau nach altägyptischem Muster hatte anfertigen lassen:
„Man wird sich um Sie kümmern!“
„Man wird Sie irgendwie kostümieren!“ versprach ein freundliches Tempelmädchen mit britisch hellblauen Augen und einer pechschwarzen Perücke über dem schokoladebraun angestrichenen Gesichtchen. Ein höchst weltlich schmunzelnder, dicker Hoherpriester ergänzte:
„Sie werden so lieblich aussehen, Madam!“
„Die Dame ist angegriffen und muss nach Hause!“ beharrte meine Frau energisch und wollte sich Platz machen. Ich hielt sie am Arm zurück. Nicht nur, weil ich merkte, dass in unsrem Schützling die Lebenslust erwachte und die Verlockung, das Fest mitzumachen, verstohlen die hübschen jungen, an sich schon nilbräunlichen Züge belebte. Ich deutete auf die Mitte des Tempelsaals.
,,Siehst du dort den Reverend Thomson — ich meine den Krokodilgott Sechos — eigentlich der Gott der Unendlichkeit? Er hat seinen Krokodilskopf ins Genick zurückgeklappt. Das können sie nämlich hier, wenn es not tut, alle, damit sie nachher beim Jazzen Luft haben. Er hat sich durch die Schlange dem Nilpferd vorstellen lassen. Er spricht mit dem Nilpferd und weist auf unser Fräulein. Da — da saust der Hippopotamus schon auf sie los und öffnet sein Visier!“
Auch der nachsichtigste Beobachter wird Mrs. Sanders nicht für eine Schönheit erklären können. Sie ist trotz ihrer noch nicht dreissig Jahre von einer gesunden, man möchte sagen natürlichen Dicke. Ebenso natürlich der Krauskopf über einem humoristischen Mopsgesicht. Sie scheint ein Russe an Gesundheit und unverwüstlich guter Laune. Mit der fasst sie offenbar alle Dinge dieser Welt auf, auch ihr eigenes Äeusseres. Das nimmt sie auch von der vergnüglichen Seite und macht daraus als Nilpferd das Beste. Das vermag nur ein sehr gutmütiger Mensch. Der ist sie offenbar in ihrer atemlosen Amüsiersucht, die wahrscheinlich nur vollkommene innere Leere ist. Es geht etwas von sonniger Barbarei jenseits des Grossen Teiches von ihr aus.
Mich und meine Frau hat sie, wie gesagt, noch nie gesehen. Aber sie bildet sich ein, uns zu kennen, und schüttelt uns herzlich die Hände.
„So froh, Sie einmal wiederzusehen! Trafen wir uns nicht zuletzt vor einem Jahr in Tokio? Nein? Wahrlich schade!“ Ein wohlwollender Blick auf die Dritte im Bunde. „Oh — und wer ist die hübsche Miss?“
„Ja — wenn wir das selber wüssten!“ sagte ich lachend. „Eine Deutsche! Erst heute morgen aus Alexandrien in Luxor eingetroffen. Kommt aus Indien! Mehr ist uns nicht bekannt!“
Aber nun stellte das Fräulein selber sich vor.
„Ich heisse Sabine Ritter, gnädige Frau!“ sagte sie bescheiden und zurückhaltend in ausgezeichnetem Englisch. „Und habe hier leider in den Anfang Ihres Festes hineingeschlafen und bitte um Entschuldigung, dass ich es durch mein unpassendes europäisches Exterieur verunschöne, und will jetzt machen, dass ich wegkomme! Guten Abend!“
Damit wollte sie wirklich gehen. Aber sie rechnete nicht mit Mrs. Sanders’ unersättlichem Menschenhunger. Dieser armen Reichen war alles recht, was in ihrer Welt, der Gesellschaft, wirkte.
„Verunschönen? — sagt die Miss!“ rief sie begeistert. „Wer so aussieht wie Sie, meine Liebe! Nein! Sie sind mein Gast! Sie müssen bleiben!“