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Weiterer Bericht des Dr. Philipp Bechtold

Es war ein Winternachmittag, wie jeder Wintertag in Ägypten ist: Strahlend blauer Himmel, heisse Sonne, kühler Wind. Mr. Nothomb war gegangen. Vor mir lagen seine Quartblätter, in englischer Sprache mit der Schreibmaschine beschrieben. Ich musste mich wohl oder übel mit ihnen beschäftigen. Aber vorher trat ich, etwas unmutig über die Behelligung, meiner Gewohnheit nach mit blossem Kopf für ein paar Minuten in die grelle Helle unter den Palmen des Platzes hinaus, um etwas die kühle Nilbrise zu geniessen, die in den Mittagsstunden durch das breite Tal flussaufwärts weht.

Eine junge Dame kam da mit dem raschen und flüchtigen Gang der europäischen Touristin vom Nilufer her. Sie war ein grosses, schlankes, lebhaftes Mädchen von etwa vierundzwanzig Jahren mit intelligenten braunen Augen in dem hübschen, heiteren und freimütigen Gesicht, das kein Schleier unter dem weissen Tropenhelm schützte. Es hätte auch nicht mehr viel geholfen. Denn ihre freundlichen Züge waren schon so braun gebrannt, als käme sie eben vom Äquator statt vom Nil. Es stand ihr übrigens ganz gut. Es passte zu ihrem unbekümmerten, offenbar entschlossen zupackenden Wesen.

Sie sah mich — es war sonst niemand in der Nähe —, blieb stehen, lächelte liebenswürdig und frug mit einer frischen und hellen Stimme auf englisch:

„Bitte, Sir, wie komme ich denn am schnellsten hier aus dem Städtchen ’raus?“

Ich erkannte ihre deutsche Aussprache des Englischen und erkundigte mich auf deutsch:

„Ja — wohin wollen Sie denn?“

„Ach — Sie sind Deutscher! Das ist ja famos!“ Sie kam zutraulich näher. Sie hatte, dabei im Wesen völlig Dame, eine grosse Sicherheit des Auftretens. Sie war offenbar schon weit in der Welt herumgekommen. Sie schaute mir vergnüglich ins Gesicht. Sie schien mir immer reizender, wie sie da, die Hände in den Jackentaschen ihres knappen, grauen Reisekleids, im Sonnengeflimmer durch die Palmenzweige fest in ihren derben, hellbraunen Schnürschuhen stand und dabei lachend die weissen Zähne zeigte.

„Wohin? Gott — vorläufig nur ein bisschen bummeln!“

„Allein?“

„Na — mich stiehlt doch keiner!“ sagte die junge Dame mit grosser Gemütsruhe. „Sonst wäre ich da im Südzipfel von Indien längst abhanden gekommen. Da komme ich nämlich her!“

„Auch allein?“

,,Ach nein! Doch mit Mrs. Jane Adams!“

„Der berühmten alten Theosophin?“

„Ja — der! Ich bin ihre Reisebegleiterin! Wir sind eben aus Alexandrien mit dem Schnellzug angekommen. Wir mussten doch plötzlich Hals über Kopf hierher!“ Sie trat unbefangen noch einen Schritt näher, eine Frage in den glänzenden braunen Augen. „Bitte — seien Sie nicht böse — aber vielleicht können Sie mir Auskunft geben und ich kann es Mrs. Adams gleich rapportieren: dieser Deutschamerikaner, der sich in den Kopf gesetzt hat, das Grab des Königs Sche . . . Sche . . . Herrgott — wie heisst der Pharao nun wieder?“

„Sie meinen Scheschonk den Ersten?“

„Ja — des Königs Scheschonk zu entdecken — der wahnsinnig reiche Mensch — der ist doch hoffentlich noch da?“

„Drüben bewohnt Herr Sanders mit Frau, Gefolge und Dienerschaft ein ganzes Stockwerk in dem Luxushotel!“

„Na — Gott sei Dank! Mrs. Adams wird so froh sein! Als sie gestern abend in Alexandrien in der,Egyptian Gazette’ las, Herr Sanders wisse nun den Ort, wo das lang gesuchte Grab des Scheschonk sei, und werde es bald betreten, da war sie nicht zu halten. Sie müsse rechtzeitig zu seinem Begräbnis hierher — sagte sie!“

„Zu seinem Begräbnis?“

„Nun ja. Er muss doch sterben!“

,,Sterben?“

„So sagt Mrs. Adams! Sie ist überzeugt, dass die ersten, die einen Pharao in seiner Ruhe stören — dass die das nun mal mit ihrem Leben bezahlen müssen!“

„Und das glauben Sie? Sie machen doch sonst einen ganz vernünftigen Eindruck?“

„Ich will nicht klüger sein als Mrs. Adams. Wir haben da im dunkelsten Südindien tolle Sachen genug gesehen. Wenn ich die zu Hause erzähle, glaubt es mir kein Mensch, und ich selber würde es nicht glauben, wenn ich es nicht persönlich gesehen und erlebt hätte!“

„Das sind Autosuggestionen!“

„Lassen Sie das bloss nicht Mrs. Adams hören! Sonst wird die alte Lady ungemütlich. Sie sagt: der Fluch des Pharao sei doch über jedem Königsgrab eingemeisselt und müsse sich erfüllen. Das wisse doch jeder vernünftige Mensch ausserhalb Europas. In Europa gäbe es überhaupt keine Vernunft. Wenn Mrs. Adams das sagt, wird es schon so sein. Ich vertrau’ ihr. Sie ist doch meine mütterliche Freundin!“

„Ja. Das scheint ein hoffnungsloser Fall!“ sagte ich. „Die alte Dame ist Theosophin und als solche in allen Erdteilen bekannt. Da sind Sie ja beide hier in Ägypten, im Land der Rätsel, am rechten Ort!“

„Und Sie wohnen hier und haben da Ihr Haus?“ Das Fräulein schüttelte bedauernd den hübschen gebräunten, nur von der Wölbung des Tropenhelms beschatteten Kopf. „Und sind gewiss Direktor einer Baumwollspinnerei oder Rohzuckerfabrikant, weil Sie dabei so ungläubig lächeln!“ Sie wurde lebhafter. „Fabrikanten — die kenn’ ich nämlich! Die lächeln immer, wenn Plus und Minus nicht glatt aufgeht. Eine Rechnung, die stimmt — die ist nämlich falsch, sagt Mrs. Adams!“

„Sehr richtig!“

„Das sagen Sie auch?“

„Ich bin auch nicht des Geldverdienens wegen am Nil!“ sprach ich freundlich. „Ich bin Privatgelehrter! Gelehrter, gnädiges Fräulein — nicht Geisterseher!“

Das junge Mädchen zuckte die Achseln.

„Ach — ohne das wäre die Welt furchtbar langweilig!“ sagte sie. „Da lohnte es sich ja gar nicht erst, aus Europa wegzugehen. Es ist bei mir schon das zweite Mal. Ich war schon einmal in Peru, bei den Inkas. Das war fein. Da war ich Sekretärin und Photographin bei einer ganz kleinen deutschen wissenschaftlichen Expedition. Ich erzähle es Ihnen nur, weil Sie Gelehrter sind!“ Sie schirmte das kluge, junge Augenpaar mit der Hand und reichte sie mir dann mit einem kräftigen Druck. „Also da geht’s hinaus ins Freie? Danke schön! Ich bin ja so wahnsinnig gespannt auf Ägypten. Alexandrien — das war ja noch nichts Rechtes!“

Sie wanderte davon. Sie hatte einen ein wenig wiegenden flotten Gang und trug dabei den Kopf im Nacken. Ich schaute ihr nach, wie sie durch die vor Hitze zitternde Luft gross und schlank dahinschritt. Meine Frau blickte aus dem Fenster und frug lachend: „Na — du alter Schwerenöter — wer war denn das hübsche, dunkeläugige Mädel, wegen der du dir beinahe den Sonnenstich geholt hast?“

„Ja. Ich weiss nicht! Jedenfalls ein abenteuerliches Menschenkind!“ sagte ich. „Da könnte sie sich doch jetzt eine Droschke mit einem Sonnendach nehmen. Nein! Sie schlägt doch wahrhaftig in der prallen Mittagsglut zu Fuss den Weg nach dem Karnaktempel ein! Na — dort kann sie gerade heute was erleben! Heute ist da ja ein ganz besonderer Abend. Da werden alle Nilgeister lebendig!“

Der Fluch des Pharao

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