Читать книгу Der Fluch des Pharao - Rudolf Stratz - Страница 16
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ОглавлениеAus dem Tagebuch Sabine Ritters
Als der schwarze, alte Mann glücklich weg war, war mir ganz unheimlich zumute. Es presste mir etwas das Herz zusammen. Es war wie eine unbestimmte, aber schreckliche Angst vor der Zukunft — nicht für mich, sondern für Herrn Sanders, der das Schicksal so ohne Not herausfordert. Es wäre doch wirklich schade um ihn. Er ist doch Millionär. Was gehen ihn die Mumien an? Kein Mensch verlangt von ihm, dass er sich für die ägyptische Wissenschaft opfert, von der er doch gar nichts versteht, und wenn er auch jetzt noch so majestätisch als Pharao an meiner grünen Seite sass.
Ich hätte als die Pharaonin natürlich immer gnädig lächeln müssen. Ich schaute oben von meinem sehr wackeligen Sitz auf der Sänfte bang durch die Halle. Da sah ich überall betroffene Gesichter. Die Ladies und Gentlemen standen wie gelähmt. Es wollte niemand recht reden. Die Feststimmung war gründlich verflogen.
Der Mr. Nothomb mit seiner unverwüstlichen Laune war auch nicht mehr da. Der hatte in aller Eile seinen Priestermantel einem nubischen Krieger zum Aufheben zugeworfen und war in Frack und weisser Binde hinaus nach dem Sethostempel gerannt. Dort in der Garderobe hatte er seinen Zylinder einer lebensgrossen zweiköpfigen Götterstatue auf den einen Kopf gesetzt. Das hatte ich vorhin gesehen. Mit dem Zylinder im Genick fuhr er Hals über Kopf nach dem Telegraphenamt. Man hörte in der Ferne sein Töffen.
Die Mrs. Sanders faltete die Hände vor dem riesigen Skarabäus, den sie auf der Brust eingestickt trug. Sie warf einen verzweifelten Blick auf ihren Mann, er müsse helfen und den Abend retten.
Es ist vielleicht nicht gut, dass ein Pharao raucht. Es stört die Illusion. Nun gar eine kurze englische Pfeife. Aber es wirkte doch sehr gemütlich und beruhigend, als Herr Sanders breitbeinig neben mir in der Sänfte stand und zwischen den ersten Zügen, die er paffte, zu reden anfing.
Er redete so, wie die Engländer nach Tisch reden. Die haben doch so eine trockene und humoristische Art. Sie machen ganz ernste Gesichter und zwinkern nur ein bisschen mit den Augen, dass die andern bei den ernstesten Sätzen lachen müssen. So hatte Sanders nach ganz kurzem die Lacher auf seiner Seite. Nach seiner Auffassung war der alte Gentleman, der da plötzlich aus dem Kasten gesprungen war, eine neue Einrichtung von Cook and Son — eine Gespenster-Company Limited —, um durch eine neue Sensation den Touristenverkehr im Niltal zu heben — wenn nicht etwa betrüblicherweise — das sagte mein Pharao sehr bedenklich — dieser zynische Nothomb den missvergnügten alten Herrn von vorhin ausstaffiert und in Gang gesetzt habe, um seinen Blättern eine vorläufige Kostprobe garantiert echtes altes Ägypten vorzusetzen und sie so auf die kommenden Knalleffekte seiner Berichte vorzubereiten.
Denn er sei allerdings entschlossen, von dem Ritt auf das Scheschonkgrab abzusehen, schloss Sanders traurig und unter einem allgemeinen Gemurmel des Bedauerns, aber erst an dem Tag, an dem die Hölle gefriere. Aber bis dahin, hoffe er ernstlich, habe es noch gute Wege. Des Teufels Grossmutter habe noch Kohlen genug, und diese Zeit wolle er, Sanders, weise im Tal der Könige ausnutzen und seine Arbeit dort weder wie jetzt eben hier bei einem Speech unter Freunden, scherzhaft, noch, einer missvergnügten Mumie zuliebe, tragisch, sondern ganz nüchtern, als eine nützliche und gute Sache betrachten. Auf das Gerede der Mumien dürfe man als moderner Mensch nichts geben. Mumien seien immer unzufrieden. Sie seien schon zu alt. Sie lebten sich nur langsam in die Neuzeit ein. Man müsse ihnen nötigenfalls mit ein wenig Humor begegnen.
Es war ihm natürlich mit all dem Unsinn nicht ernst. Aber seine nachlässigen Worte hatten, weil alles darüber lachen musste, die Stimmung wiederhergestellt. Jetzt gab er der Musik ein Zeichen. Das Saxophon setzte ein, und die Harfen und Flöten und Zimbeln halfen bei dem Tango mit, dass es allen in den Schuhen und Sandalen zuckte. Sanders sprang mit einem Satz wie auf der Olympiade von der Sänfte, packte mich um die Taille, schwenkte mich mit einem Schwung durch die Luft herunter auf den Boden. Er musste athletische Kräfte haben. Denn ich bin bei meiner Länge doch auch kein Federgewicht. Er liess mir kaum Zeit, auf die Füsse zu kommen, legte den Arm um mich und tanzte mit mir los.
Wir tanzten als Pharao und Pharaonin voraus zwischen den riesigen bunt bemalten Säulen. Das gab den andern allen Mut, und sie tanzten hinterher. Da war binnen kurzem wieder das Stimmengewirr von früher, und alles sprang durcheinander, und die gute Laune war wieder da und der komische kleine Mann von vorhin vergessen.
Aber ich konnte ihn nicht vergessen, sondern sagte, während wir tanzten, in einer Angst, die ich nun einmal nicht loswurde, zu Sanders:
„Das Leben hat Ihnen doch so viel gegeben!“
„Meinen Sie?“ sagte er gleichgültig. Ich fuhr halblaut und ein bisschen ausser Atem vom Tanzen fort:
„Das ist doch klar. Jeder Mensch beneidet Sie! Das sehe ich doch hier den ganzen Abend. Das begreife ich auch selber. Sie haben ja einfach alles!“
„Das ist aber sehr wenig!“ meinte er und lachte herzlich. Ich sagte:
„Das ist mir zu hoch! Das verstehe ich nicht!“
„Nun — je weniger man hat, desto mehr hat man!“ sagte Sanders und tanzte mit mir um eine Säule mit einem riesenhaften Sperbergott. Er tanzte ausgezeichnet. Er führte blendend. Er hatte dabei immer noch Zeit, mit seinen Gästen auf englisch, französisch, italienisch ein paar scherzhafte Worte zu tauschen. Er war wirklich ein internationaler Weltmann. Wir beide, er und ich, sprachen miteinander gut deutsch. Ich konnte mir nicht helfen. Ich frug gepresst:
„Warum müssen Sie denn durchaus in dem Pharaograb Ihr Leben aufs Spiel setzen?“
„Es ist nicht so schlimm!“ sagte Sanders zerstreut. Es war, wie wenn man ein Kind beruhigt. Das ärgerte mich. Ich versetzte erbittert:
„Die Mumien können doch sehr ungemütlich sein! Fragen Sie nur Mrs. Adams! Die kann Ihnen von Beschwörungen erzählen, die durch Jahrtausende fortwirken. Die weiss das ganz genau!“ Ich wurde gegen meinen Willen leidenschaftlich. „Warum muss denn ein Mann wie Sie sich solchen unberechenbaren und unnötigen Gefahren aussetzen?“
„Oh — ich bleibe am Leben!“ sagte Sanders beiläufig, wie wenn wir vom Wetter sprächen. „Es würde mir auch gar nicht passen! Ich habe in nächster Zeit dringend in Chicago zu tun!“
„Und wenn Ihnen doch etwas passiert?“ frug ich. Da schaute er mich aus seinen grossen blauen Augen an und sagte ganz ruhig:
„Na — und was ist denn dann weiter gross an mir verloren?“
Das klang so seltsam, dass ich ganz erschrocken war und eine Weile beim Tanzen schwieg und über diese Worte nachdachte. Dann sagte ich:
„Das meinen Sie doch nicht im Ernst?“
Aber jetzt war es ihm ernst. Das sah man an seinem Gesicht. Das war ganz verändert.
„Na — wenn ich morgen nicht mehr bin!“ sagte er. „Diese Lücke in der Welt schliesst sich automatisch ganz schnell. Eine Anzahl Banken und Hoteldirektionen und Automobil- und Jachtfirmen und Londoner Schneider und Kammerdiener und Köche und Bilderhändler werden mir eine Zeitlang nachtrauern. Die übrige Menschheit kann mich wirklich verschmerzen!“
„Wie kann man sich selbst nur so heruntersetzen!“ sagte ich zornig. Ich war ganz erbittert auf ihn. Er erwiderte:
„Was habe ich denn für die Menschheit getan? Antwort!“
Das wusste ich nicht. Darauf er:
„Gar nichts!“
Die Musik hörte auf. Er führte mich zu unseren Thronsesseln zurück. Während wir die Stufen hinaufstiegen, sagte ich:
„Da sind Sie ja ein armer reicher Mann!“
Er antwortete nicht. Als wir uns gesetzt hatten, beugte er den Kopf mit seiner Königstiara zu mir und wiederholte:
„Nofretete: was habe ich denn in meinem Leben getan? Nichts! Deswegen will ich ja jetzt etwas tun und mich an das Grab des Scheschonk wagen!“
Mir war traurig zumute. Wir schauten auf das Getümmel der Tanzenden. Jetzt hatte ich die dumme Vorstellung, als tanzten die alle auf einem Kirchhof und wären nur zu Mitternacht auferstanden. Überall war so ein Grauen. Die Tierköpfe wurden mir unheimlich. Die moderne Jazzmusik quälte mich. Ich hatte immer ein Gefühl: Wir tun da etwas, was wir nicht tun sollen! Das hat vorhin auch die Mumie gemeint. Das hat Mrs. Adams gemeint, wenn sie vorhin wieder von dem Fluch des Tutanchamen geschrieben hat.
Ein bleicher junger Ägypter trat heran und begrüsste mich vertraulich wie eine alte Bekannte. Die furchtbare Uräusschlange auf seinem Haupte passte gar nicht zu seinem etwas faden Gesicht. Er machte einen dürftigen und verlegenen Eindruck und schien doch anzunehmen, dass ich ihn kennte. Ich wusste nicht, was ich mit ihm machen sollte. Sanders lachte. Er hatte schon wieder die wohlgelaunte Gemütsruhe, wie sie die englischen Klubleute haben.
„Oh — Nofretete!“ sagte er. „Sehen Sie nicht Zepter und Lebensschlüssel, Sonne und Säule auf seinem Gewand? Das sind die Hieroglyphen des Pharao Tutanchamen selber! Er will Ihnen als höflicher Schwiegersohn guten Tag sagen!“
„Schwiegersohn?“ frug ich ungläubig. Es entsetzte mich, dass ich auch noch mit diesem Geisterkönig verwandt sein sollte, der den Menschen den Tod brachte. Sanders lachte wieder.
„Sie haben Ihren ganzen Familienstand vergessen! Sie haben sieben Töchter, Nofretete!“ belehrte er mich. „Die dritte — die Anch-nes-atem — haben Sie Tutanchamen zur Frau gegeben. Ich kann Ihnen nicht helfen: Sie sind Schwiegermutter!“
Das verdross mich. Die Nofretete sollte schön und jung sein. Der matte Tutanchamen, der aussah, als ob er wirklich vergiftet worden wäre, ging mir auf meine schon so unruhigen Nerven. Ich war wenig freundlich zu dem Schwiegersohn. Er empfahl sich auch bald. Er war, wie Sanders sagte, ein Beamter bei einem der Gemischten Gerichtshöfe.
In mir blieb eine trübe Stimmung. Das Fest im Tempel dauerte stundenlang. Ich wurde eine quälende Sorge um Sanders nicht los, auch wenn wir als König und Königin miteinander lachten und schwatzten. Ich sagte mir vergebens, dass ich ihn eben erst kennengelernt habe und dass er mich doch rein gar nichts anginge. Aber ich sah immer drohend vor ihm die kleine, böse, schwarze Mumie des Pharao Scheschonk. Das war bei mir die reine Zwangsvorstellung. Ich war ganz wütend auf mich. Ich kannte mich gar nicht wieder, im heissesten Indien hatte ich mich besser in der Gewalt.
„Ich werde mich ungesäumt erkundigen, wer dieser entrüstete alte Gentleman heute nacht eigentlich war!“ sagte Sanders, als kurz vor Morgengrauen endlich der Aufbruch der Gäste erfolgte. Die wenigsten von ihnen nahmen sich die Mühe, sich noch umzuziehen. Sie kehrten in ihren Kostümen nach Luxor zurück. Die Eingeborenen des Landes schliefen ja und konnten keinen Anstoss nehmen.
Draussen, vor den Tempeln, war noch stille, dunkle Nacht, und Sternenhimmel. Die Palmen standen ganz hoch und reglos, schwarz, wie mit der Schere ausgeschnitten. Es wehte eine kühle Luft. Am Eingang sah man die vielen weissen Laternenaugen der Automobile und die roten Zigarettenpünktchen der Chauffeure. Aber Sanders ging mit mir nicht dorthin. Er hatte seinen Streitwagen mit den beiden federgeschmückten Schimmeln vorfahren lassen und stieg hinein und stellte mich einfach neben sich.
„Ich kann doch meine Pharaonin nicht im Stich lassen!“ sagte er in einem ganz sonderbaren Ton, wie um sich zu entschuldigen, dass nicht Mrs. Sanders als Nilpferd mit ihm fuhr. Ich erwiderte nichts.
Wir fuhren los. Die ganze weite Nilebene lebte im Mondschein so wie auf dem Blocksberg, alles in der Richtung nach Luxor. Automobile voll Götter hupten an uns vorüber. Anubis mit seinem Schakalskopf sauste auf dem Kraftrad. Wir überholten eine ganze Droschke mit schlafenden Isispriestern. Dann Mrs. Sanders als Nilpferd auf einem Reiteselchen. Sie hielt es für originell, so nach Hause zu traben. Sie winkte uns vergnüglich zu. Der Krokodilgott und die Löwin wanderten sogar Arm in Arm zu Fuss, weil es sich so besser flirten liess. Es war um uns ein merkwürdiger Nachtspuk, bis mich Sanders am Tor meines Hotels absetzte.
Wir gaben uns zum Abschied die Hand. Er behielt meine in seiner und sagte:
„Ich möchte Sie bald wiedersehen, Nofretete!“
Ich sagte nichts. Er wies über den Nil, der breit und silbern und feierlich ganz nahe von uns dahinströmte.
„Ich will nach dem Frühstück hinüber in das Tal der Könige reiten und den Kriegsschauplatz erkunden!“ sagte er. „Kann ich nicht auf dem Rückweg Sie drüben in der Ebene irgendwo treffen, wo nicht halb Europa und Amerika uns kontrollieren, sondern höchstens einige Büffel und Fellachen? Mrs. Adams wird Ihnen hoffentlich keine Schwierigkeiten machen?“
„Ach — Mrs. Adams ist nicht so!“ sagte ich.
„Gut denn!“ sagte er. „Also sagen wir um zehn Uhr an den Memnonskolossen!“