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Das kleine und das große Glück

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Viele Menschen wissen, dass sie unglücklich sind. Aber noch mehr Menschen wissen nicht, dass sie glücklich sind.

ALBERT SCHWEITZER

Wir sind soziale Geschöpfe. Die Philosophen der griechischen Klassik erkannten den Menschen bereits als zoon politicon, als ein politisches Wesen. Wir verbinden uns von Natur aus mit anderen zu Gruppen und Gemeinschaften und möchten diese Zugehörigkeit auch spüren. Wahrscheinlich war es dieses positive Gruppengefühl, was uns, die Nachkommen des CroMagnon-Menschen, zum Erfolgsmodell der Evolution machte und uns erlaubte, die Neandertaler zu überflügeln. Der niederländische Historiker Rutger Bregman führt in seinem Buch »Im Grunde gut« starke Argumente ins Feld, um zu belegen, wie wir als voneinander lernende Gruppenwesen, die sich mit Freundlichkeit begegneten, die entscheidenden Vorteile in der Entwicklungsgeschichte errangen. Das ist zwar lange her, aber immer noch wirksam.

Gleichzeitig sind wir auch Geschöpfe, die das Allein-Sein zu unserer persönlichen Vollendung brauchen. Um uns zur wirklichen Krone der Evolution zu entwickeln, ist jener Prozess notwendig, den C. G. Jung Individuation nannte. Individuation ist, wie schon das Wort ausdrückt, individuell und auf je eigene Art und Weise anzugehen. Befreite, Verwirklichte oder Erlöste sind diesen Weg auch im Wortsinn allein gegangen. Ashrams und Klöster überall auf der Welt stehen dafür. Auch der historische Gautama Buddha musste sich erst mit Entschlossenheit und Mut gegen die beharrenden Kräfte seitens seiner königlichen Familie behaupten, um sich zu lösen und seinen ureigenen Weg der Individuation zu finden.

Wir kommen aus der Gemeinschaft unserer eigenen Ursprungs- wie auch der gemeinsamen Menschen-Familie und sind beides: Gruppenwesen, aber auch Einzelkämpfer auf dem Weg der Selbstverwirklichung. Die Gemeinschaft lockt mit Gemütlichkeit und Wohlgefühl, die Individuation mit dem Heil. Ob wir auch allein glücklich sein können, hängt davon ab, was wir unter Glück verstehen. Die Mehrheit setzt Gemeinschaftsleben mit Glück gleich und findet es in der Regel im kleinen Glück des alltäglichen Wohlbefindens. Für den Weg zum großen Glück der endgültigen, umfassenden Befreiung brauchen wir aber auch zumindest Phasen des Allein-Seins.

Während die Welt schon längst auf dem Weg in die Ablenkungs-Falle war, sangen DichterInnen wie Rainer-Maria Rilke, Anaïs Nin und Ernest Hemingway noch das Hohelied des Allein-Seins. Und nicht nur sie. Santiago Ramon y Cajal, der Begründer der Neurowissenschaften, schwärmte: »Oh, beruhigendes Alleinsein, wie günstig bist du für das ursprüngliche Denken!« Sie alle wussten: Jeder kreative Schöpfungsakt braucht Zeit für sich allein. Phasen absichtlichen, bewussten Allein-Seins sind erforderlich, um kreatives Potential authentisch und mit Schaffensfreude auszuschöpfen. Nur wer ganz bei sich selbst ist, kann seine Mitte finden und ins Zwiegespräch mit seiner Seele eintreten. Um uns selbst nahezukommen, um uns wirklich kennenzulernen, brauchen wir Zeit für uns ganz allein. Ständige äußere Geschäftigkeit aber ist der Gegenpol zu Selbstfindung.

Es beginnt bei scheinbar banalen Dingen des Alltags, die aber überhaupt nicht banal sind. Geschäftsessen etwa lassen die Hauptsache zur Nebensache werden. Es geht dann eben nicht in erster Linie ums Essen, sondern ums Geschäft. Kein Wunder, dass sie auch noch zum Überessen verführen. Bewusstes Fasten dagegen bringt dich zu dir selbst tut dir gut. Fasten kann man auf vielen Ebenen und damit nicht nur der Falle der Ablenkung, sondern auch der Falle des Übermaßes entgehen. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, wie der Volksmund weiß. Nur wer schweigt, auch in Gedanken, vermag seine innere Stimme zu hören. Immer nur auf andere zu hören, auf sie wirken, Eindruck machen zu wollen bringt uns von uns selbst weg, vertreibt uns aus unserer Mitte. Auf die innere Stimme zu horchen, ihr gehorchen zu lernen bringt uns dem eigenen Selbst näher. Still-Sein, im Idealfall noch den inneren Dialog zum Schweigen zu bringen: Das ist es, was uns zu unserem Selbst führt. Solange wir uns ständig äußeren Reizen aussetzen, bleibt Selbstfindung bestenfalls ein schöner Traum.

Glücklich mit mir selbst

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