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»Die Braut, die sich nicht traut«

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Rituale sind wichtig. Heutzutage ist es »hip«, nicht verheiratet zu sein. Mich interessiert es nicht, »hip« zu sein.

JOHN LENNON

Auch wer sich auf den Weg der Partnerschaft macht, ist gut beraten, sich zuvor selbst lieben zu lernen, damit sein Weg auch wirklich ins Glück führt. Insbesondere wer heiratet, sollte das beherzigen. Denn wer sich nicht selbst liebt und zu sich selbst nicht Ja sagen kann, kann auch nicht zu einem anderen Menschen wirklich Ja sagen. Das aber ist der entscheidende Punkt bei der Heirat, einer Ehe-Schließung. Wenn wir das Ideal einer bis zum Lebensende geschlossenen Beziehung immer seltener erreichen, hat das wohl auch damit zu tun, dass wir immer seltener unser Glück in uns selbst finden und es stattdessen vom Partner erwarten.

Ich habe bereits deutlich meine Meinung zum heutigen Medien-Hype gesagt. Das heißt nicht, dass ich alles ablehnen würde, was mit Unterhaltung zu tun hat. Auch gute Unterhaltung gehört zu den notwendigen Mußestunden, die sich die meisten viel zu selten gönnen. Wir Menschen dürfen und sollen auch träumen, besonders von schönen und die Seele nährenden Dingen. Warum soll es in der heutigen Zeit nicht auch eine ganze Traumfabrik geben? Ich selbst habe deren Produkten, zusammen mit meiner ersten Frau, das Film-Deutungsbuch Die Hollywood-Therapie gewidmet. Mehr dazu im Praxisteil des vorliegenden Buches. Hierher passt etwas daraus einfach so gut, dass ich es als erhellendes Beispiel einfügen möchte:

»Die Braut, die sich nicht traut«, mit Julia Roberts als Maggie Carpenter und Richard Gere als Ike Graham in den Hauptrollen, behandelt genau das Thema, mit dem wir uns hier jetzt befassen – äußerst unterhaltsam und auf den Punkt. Maggie arbeitet als Verkäuferin im Eisenwarenladen ihres schwer alkoholkranken Vaters. Privat ist sie die klassische Verführerin, bandelt mit unwiderstehlichem Charme mit vielen Männern an, sogar mit dem Mann ihrer besten Freundin. Das führt zu verschiedenen Heiratsanträgen, die sie – ebenfalls der typischen US-Mädchen-Sozialisation entsprechend – nicht ablehnen mag, sondern wie selbstverständlich annimmt. Immer erst im letzten Moment, in der vollen Kirche, kommt ihr die ganze Bedeutungsschwere des Rituals zu Bewusstsein, und statt das von allen erwartete Ja-Wort zu sprechen, kann sie nur noch fliehen. Sie spürt intuitiv, dass ihre Zustimmung nicht stimmig wäre, weder für sie noch für ihn.

Ike Graham, Klatschkolumnist der großen Tageszeitung, erfährt »zufällig« von den Eskapaden Maggies und macht sich in seiner Kolumne – ohne Maggie überhaupt zu kennen – lustig über ›die Braut, die sich nicht traut‹. Das bringt ihm eine Frühform dessen ein, was heute Shitstorm heißt, und schließlich seine Entlassung durch die Chefredakteurin der Zeitung, seine Ex-Frau. Immerhin erwirkt deren neuer Mann, Ikes Freund, für ihn eine letzte Chance und Gnadenfrist. Ike muss die Geschichte von Maggie Carpenter sauber recherchieren und sich gegebenenfalls öffentlich entschuldigen.

In deren kleinem Heimatort empfängt Ike eine Wand aus Ablehnung. Aber aus dem anfänglichen Krieg mit Worten, Gesten und kleinen Gemeinheiten entsteht mit der Zeit gegenseitiges Verständnis. Ike wird klar, dass Maggie eigentlich nicht vor dem jeweiligen Mann, sondern vor sich selbst flüchtet, da sie sich selbst überhaupt nicht kennt und gar nicht weiß, wer da eigentlich Ja sagen würde. Aus Verständnis entwickelt sich nach und nach Liebe. Ike versteht jetzt, wie hoffnungslos gefangen Maggie im Netz ihrer Muster ist. Sie kann nicht Ja sagen – weder zu sich selbst und ihrem Leben noch – daraus folgend – zum jeweiligen Verlobten. Sie bleibt auch nur ihrem Vater zuliebe in dessen Eisenwaren-Laden, würde doch aber viel lieber aus den Dingen, die sie tagtäglich verkauft, Kunstobjekte erschaffen. Tatsächlich weiß sie nicht einmal, wie sie Eier am liebsten mag, weil sie sich sofort dem jeweiligen Geschmack des jeweiligen Verlobten anpasst.

Bei den Übungen zur Vorbereitung einer weiteren Hochzeit verliebt sich auch Maggie in Ike, der sie als Einziger zu verstehen scheint. Insofern sagt sie die Hochzeit diesmal rechtzeitig, noch lange vor Betreten der Kirche, ab. Aber Maggie und Ike sind nun so verliebt, dass sie, kurz entschlossen, den schon feststehenden Termin für ihre Hochzeit übernehmen.

Und wieder kann Maggie nicht Ja sagen, zwar kennt sie sich nun selbst etwas besser, aber es reicht nicht, und sie flieht wiederum spektakulär und Ike rennt ihr vergeblich hinterher.

So offenbart der Film nebenbei noch die Falle des Verliebtseins, denn in dieser hormonellen Bewusstseins-Vergiftung sind kaum klare, nachhaltige Entscheidungen möglich. Durch die rosa Brille ihrer Verliebtheit übersahen beide völlig, dass Maggie noch längst nicht wirklich Ja zu sich selbst sagen kann und Ike ebenso wenig zu sich selbst. Er steht gar nicht zum zynischen Klatschkolumnisten, den er gibt, und zu dem, was er sein Leben nennt. Durch Maggies erneute Flucht ernüchtert, und bei jedem für sich allein, wirkt und arbeitet diese Erfahrung in beiden weiter, und sie gehen auf die Suche nach sich selbst.

Eines Tages sieht Ike in (seinem) New York ein Schaufenster mit der Kunst von Maggie Carpenter. Und auch er hat im Prozess des Allein-Seins sich in der Tiefe seiner Seele durchgerungen, seinen Traum vom Schriftsteller zu verwirklichen, statt lebenslänglich zynische Zeitungskolumnen zu verfassen. So verhalf erst die Phase des selbstbestimmten, kreativen Allein-Seins beiden dazu, sich selbst klarer, deutlicher und ehrlicher zu sehen und so überhaupt erst beziehungsfähig zu werden.

Nach langer Vorbereitung der Selbstfindung im Allein-Sein – möglicherweise war früher Verlobungszeit so gemeint – besucht Maggie Ike in New York und macht ihm einen bezaubernden Heiratsantrag, der aber auch eine Warnung vor ihr selbst beinhaltet und das Schattenprinzip durchaus einschließt. Natürlich kann Ike da nur Ja sagen. Nun gelingt ihre Heirat, und die längere und intensive innere Vorbereitung gibt zu den schönsten Hoffnungen für ihr gemeinsames Leben Anlass.

Die Geschichte von Ike und Maggie plädiert dafür, sich Zeit zu lassen, so lange allein zu bleiben, bis man auch für sich selbst glücklich werden kann. Wer aber glücklich mit sich selbst ist, für den ist es fast egal, wen er oder sie heiratet, und es besteht obendrein die Chance, in der Beziehung weiter zu lernen und zu vollenden, was jede/r schon für sich allein begonnen hatte: Selbstverwirklichung. Als Hollywood-Blockbuster mit gleich zwei Weltstars zielte der Film natürlich auf möglichst großen Kassenerfolg. Die Geschichte ist fiktional, ihre Botschaft aber ein Stück echter, ungemein wichtiger Lebensweisheit. Und ein berührendes Beispiel dafür, dass dank einer bewussten Phase selbstbestimmten, kreativen Allein-Seins eine Bindung fürs Leben überhaupt erst Sinn ergeben und gelingen kann.

Während die meisten versuchen, ihren Partner in Richtung des Ideals, das sie selbst glücklich machen würde, zu drängeln, zu nötigen, gar zwingen oder erpressen zu wollen, geht es in Wirklichkeit immer »nur« um die eigene (Selbst-)Verwirklichung. Entwicklung in der Projektion, sie also über den Partner erwirken zu trachten, um sie sich selbst zu ersparen, kann zu beider Glück nie beitragen. Die Freude, dass auch der Partner für sich und auf sein Selbst zuwächst, ist ein zusätzliches großes Geschenk und ihm von Herzen zu gönnen.

Direkt nach der Trennung und dem Spektakel ihrer gescheiterten Hochzeit werden sich Maggie und Ike vielleicht einsam und verlassen gefühlt und gelitten haben. Aber die folgende, bewusst genutzte Zeit des Allein-Seins hat sie weitergebracht und wachsen lassen, jeden für sich selbst und dann auch aufeinander zu. Das mag schon den fundamentalen Unterschied zeigen, zwischen dem Gefühl des Mangels bei Einsamkeit und dem Zustand des Allein- und Für-sich-Seins.

Wer mit sich selbst glücklich ist und – auch allein – ein erfülltes Leben lebt, kann es auch mit jedem und jeder anderen. »Die Braut, die sich nicht traut« tat also gut daran, sich nicht auf jemand einzulassen, bevor sie sich auf sich selbst eingelassen hatte. Zuvor hatte sie sich nicht in ihr Innerstes gewagt, um herauszufinden, wer sie ist und wer sie in Zukunft sein will. Sie hatte sogar ihre beste Freundin gefragt, ob sie wirklich jeden Mann anflirtete! Nun konnte diese es ihr am Beispiel ihres eigenen Ehemannes überzeugend bestätigen. Maggies fluchtartiges Nein zu den Fremden, die da jeweils neben ihr am Altar standen und sie fürs ganze Leben haben wollten, war also eher ein verdruckstes Ja zu sich selbst.

Letztlich ist erst reif für eine Beziehung, wer seine eigenen Schatten- und Lichtseiten im Hinblick auf sein ganzes Potential gesehen, anerkannt und angenommen hat. Sich selbst anzunehmen, wie man ist, macht reif und reich und damit auch im tiefsten Sinne beziehungsfähig.

Noch einen wesentlichen Schritt weiter gedacht, könnte jede(r), die oder der mit sich selbst glücklich ist, nicht nur mit jeder oder jedem anderen ebenfalls glücklich werden, sondern auch den Partner glücklich machen. Das hieße, ihn oder sie auch zu seinem/ihrem eigenen vollen Potential in Resonanz zu bringen.

Beziehung wird so zum Luxus für jene, die es allein schaffen würden, es aber auch gemeinsam genießen wollen.

Glücklich mit mir selbst

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