Читать книгу Als Stichling unter Haien - Ruth Broucq - Страница 10
7.) Unter Aufsicht
ОглавлениеDurch das Klingeln des Telefons werde ich aus meinem aufreibenden Traum gerissen.
Nina spricht kurz mit jemanden, dann ruft sie: „Ruth, Telefon! So, sag es ihr bitte selbst und schimpf nicht mit mir.“ Sie hält mir den Hörer entgegen. Benommen gehe ich die vier Schritte zu ihrer Bettkante und nehme das Gerät an: „Ja, hallo? Wer ist denn da?“ frage ich in die Sprechmuschel. „Das kann ich Dir sagen, das machst Du nicht noch mal mit uns! Was fällt Dir überhaupt ein? Wie sollen wir für Deine Sicherheit sorgen, wenn wir nicht einmal wissen wo Du bist? Wenn Du das noch mal machst, ist unsere Vereinbarung gestorben. Ist das klar? Dann kannst Du mal sehen, woher Du Leute bekommst, die Du zum Affen machen kannst. Merke Dir gefälligst, Du irgendwohin willst, hast Du einen von uns mitzunehmen. Ich habe gedacht, ich höre nicht recht. Fährt gelassen spazieren. Glaubst Du denn, wir spielen aus Spaß Kindermädchen bei Dir? Ist Dir die brenzlige Situation nicht richtig bewusst? Nun sag mal, was Du Dir dabei gedacht hast?“ schimpft Holger wütend durch die Leitung.
Erschrocken halte ich den Hörer ein Stück vom Ohr weg, dann erwidere ich kleinlaut: „Was regst Du Dich auf? Mir ist doch nichts passiert! Außerdem war ich ja nicht alleine. Nina war doch bei mir.“
Höhnisch antwortet er: „Na, dann hattest Du ja den besten Schutz! Willst Du Nina jetzt zu Deinem Bodyguard machen? Mir egal! Du musst es nur sagen. Ich habe nämlich keine Schwierigkeiten meine Freizeit ohne Dich einzuteilen. Nur eines musst Du Dir merken, solange wir die Verantwortung für Deine Sicherheit tragen hast Du Dich gefälligst an die Abmachungen zu halten. Ist das jetzt klar? Vielleicht kannst Du Dir vorstellen, dass ich mir Sorgen gemacht habe? Stell Dir nur vor, Dir wäre was passiert. Damit hättest Du nicht nur Dir selbst, sondern auch unserem Ruf geschadet. Also erzähl, was hast Du weiterhin vor?“
Schuldbewusst sage ich: „Entschuldige. Du hast ja recht. Es soll nicht wieder vorkommen. Ich war mit Nina im ‚Luisa’. Da ihr sowieso Dienstschwierigkeiten hattet, hab ich gedacht, dahin könnte ich auch ohne euch fahren. Was soll mir bei Ede schon passieren?“
Etwas ruhiger geworden lenkt er ein: „Das stimmt schon. Aber die Wege musstet ihr doch alleine machen, oder? Es sei denn, Ede hat euch nach Hause gebracht. Hat er?“
Ich muss zugeben: „Nein, das nicht. Ich sehe ja auch ein, dass Du recht hast. Lass uns jetzt bitte das Thema beenden. Ich muss mich beeilen. Es ist Zeit für mich, ich muss noch erst nach Hause, mich umziehen, bevor ich ins Geschäft fahre.“
Dabei denke ich: er übertreibt es aber wirklich. Was fällt ihm denn ein, so mit mir zu reden? Bin ich eine seiner Huren? Oder sein dressierter Köter? Wer bezahlt hier eigentlich wen? Er macht sich Sorgen um mich? Das ich nicht lache! Höchstens um die Kohle und sein Image. Außer Geld und Prestige ist ihm doch nichts wichtig. „Auf gar keinen Fall erlaube ich Dir alleine in Deine Wohnung zu gehen. Ich werde Jörg anrufen, der kann Dich in einer halben Stunde abholen. Er wird Dich begleiten. Hast Du verstanden? Du wartest bis Jörg Dich abholt!“ gibt er die eindringliche Anweisung.
Obwohl ich diese Vorsichtsmaßnahme am helllichten Tag für übertrieben halte, stimme ich zu.
„Der war aber sauer! Schreit mich an, ob wir beide verrückt geworden wären. Meinst du nicht auch, dass die die Sache etwas hochspielen? Wie lange soll das denn noch so gehen? Nun warst Du froh, endlich wieder frei zu sein, dabei bist Du im Moment auch wie eine Gefangene. Keinen Schritt kannst Du ohne die Jungs gehen. Was glaubst Du, wie lange das noch nötig ist?“ fragt Nina.
Achselzuckend antworte ich: „Ich weiß es nicht. Lässt Du mich zuerst ins Bad? Wir müssen uns beeilen! Sonst kommen wir zu spät zum Dienst.“ Sie nickt, da sie sich erst ihre Kleidung rausuchen will. Das dauert. Das kenne ich. Sie braucht in der Regel zwanzig Minuten, um sich zu entscheiden, was sie anziehen will. Bis dahin kann ich längst geduscht und angezogen sein.
Als ich gerade mit Schminken und Frisieren fertig bin, klingelt es auch schon. Durch die Sprechanlage meldet sich Jörg. Ich sage ihm, dass ich runterkomme. Im Hinausgehen ruft Nina mir hinterher, dass sie sich etwas verspäten würde.
Missbilligend mit dem Kopf schüttelnd ziehe ich die Türe hinter mir zu, um Streit zu vermeiden. Es ist immer das gleiche mit ihr. Schon einige Zeit sind alle Kollegen sauer auf sie, weil sie sich durch die Freundschaft mit mir öfter mal einige Freiheiten herausnimmt. So wie heute, indem sie später zum Dienst kommt. Schon oft hatte ich ihr in den letzten Monaten gesagt, dass das nicht ginge. Obwohl sie es einsieht, ändert sie ihr Verhalten nicht. Sobald ich meine Nerven akklimatisiert und die geschäftlichen Dinge geklärt habe, werde ich Ordnung in manche Dinge bringen. Jörg begrüßt mich mürrisch.
Während ich mich schnell umziehe, wartet er im Wohnzimmer. Dann fahren wir ins Casino. Dort treffen wir pünktlich um sechzehn Uhr ein. Schon beim Eintreten sehe ich, dass etwas nicht stimmt. Franz steht mit sorgenvoller Miene am Kessel. Als ich näher komme, sagt er, statt der sonst freundlichen Begrüßung: „Gut, dass Du kommst, Ruth. Ich kriege den Kessel nicht eingestellt. Hier, sieh Dir mal das Bild an. Ich habe schon alles versucht, aber es klappt nicht! Der Kessel hat zu viel Abweichung. Die Kugel fällt nur im halben Kessel. Wir müssen den dringend wegbringen. Ich werde jetzt einmal versuchen, ob ich mit Drehen eine Änderung erreichen kann. Du solltest aber trotzdem schon mal den Seeboldt anrufen. Mach einen Termin zum Abdrehen. Mit fünfzehn Zahlen Abweichung können wir nicht weiterarbeiten. Der Meinung bist Du doch auch?“
Nickend sage ich: „Ja klar. Ich werde sofort den Fritz anrufen. Für Heute müssen wir halt versuchen, ob wir mit dem Drehen eine bessere Stellung finden. Aber bitte Franz, lass Dir Zeit damit. Suche so lange, bis Du den besten Stand gefunden hast. Ich werde mal hören, ob ich gleich für Morgen einen Termin bekommen kann. Dann muss ich auch noch schnell einen Leihwagen bestellen.“
Ich will mich abwenden, um zum Telefon zu gehen, als seine Antwort mich aufhält: „Du brauchst doch keinen Leihwagen. Ich kann den Kessel in meinem Kofferraum transportieren.“
Kopfschüttelnd erkläre ich: „Nein, das glaube ich nicht. Den bekommt man nicht in einen Kofferraum. Der Kessel hat einen Durchmesser von 1m sechszehn. So einen großen Kofferraum gibt es nicht. Es sei denn, Du würdest ihn schräg legen. Das verträgt das Holz aber nicht, dann würde er sich beim Transport noch mehr verziehen. Sieh mich nicht so ungläubig an, das haben wir schon mal versucht. Sobald ich einen Termin weiß, werde ich den Leihwagen besorgen.“
Entschlossen gehe ich Richtung Telefon. Schon nach dem dritten Rufzeichen meldet sich der Besitzer der Werkstatt persönlich. „See-boldt!“ nennt er seinen Namen, dabei spricht er die beiden Silben betont und mit einer kleinen Pause dazwischen aus. „Grüß Dich, Fritz! Die Ruth hier! Kann ich Dir Morgen unseren Kessel bringen? Er muss dringend abgedreht werden.“ sage ich eindringlich.
„Hallo Ruth! Morgen wird das nicht möglich sein. Hast Du vergessen, dass Morgen Sonntag ist? Du weißt doch wie das ist mit den Arbeitern. Die wollen sonntags nicht arbeiten. Übermorgen ist es auch schlecht. Wir haben für Montag schon zu viele Anmeldungen. Für Dienstag könnte ich Dir hundertprozentig zusagen, wenn er nicht beschichtet werden muss. Nur fürs Abdrehen würdet Ihr dann gleich als Erster drankommen. Kannst Du so lange noch zurechtkommen? Wie viel Abweichung hat er denn?“ wehrt er mein Ansinnen gleich ab.
„Nein, Fritz. Bis Dienstag kommen wir bestimmt nicht klar. Wir haben schon fünfzehn Zahlen, der Kessel hat ein starkes Tief. Wir versuchen zwar jetzt mal mit Drehen ein besseres Bild zu bekommen, aber so lange wird es bestimmt nicht gehen. Dass es Morgen nicht geht, sehe ich ein. Aber am Montag musst Du uns helfen. Noch länger können wir mit der Torte nicht arbeiten! Der Kölner wird am Montag ganz früh bei Dir sein. In Ordnung?“ weise ich ihn noch einmal deutlich auf die Dringlichkeit hin. Nachdem er versprochen hat, sein Möglichstes zu tun, lege ich mit verächtlicher Miene auf.
Als Franz meinen Gesichtsausdruck sieht, fragt er: „Was ist los? Klappt es nicht?“
Missmutig erwidere ich: „Du wirst Dich wohl zwei Tage abstrampeln müssen. Wir hatten beide vergessen, dass Morgen Sonntag ist. Er wollte mich auf Dienstag vertrösten, aber darauf habe ich mich nicht eingelassen. Zwar hat er mir dann für Montag zugesagt, aber ich bezweifle, ob er das dann noch weiß. Er war mal wieder total besoffen! Es ist schon zum Kotzen, dass man auf diese eine Werkstatt angewiesen ist. Wie steht das Törtchen denn jetzt, nachdem Du es gedreht hast? Kannst Du ein halbwegs vernünftiges Bild bekommen?“
Skeptisch wiegt Franz den Kopf hin und her, zweifelt: „Ich hab noch immer sieben Zahlen. Das ist zwar schon etwas besser, aber noch nicht gut genug. Leider werd ich es nicht anders hinkriegen. Sieh Dir das hier mal an. Der Kessel hat auf einem Drittel ein starkes Tal. Wir werden wohl mindestens 2 tote Sektoren haben. Wenn wir damit 2 Tage arbeiten müssen, kann ich nur hoffen, dass keine Raben kommen. Sonst kann es teuer werden. Wenn der Betrieb so bleibt, wie die letzte Zeit, werden wir mit der Abweichung über die Runden kommen. Den Lutschern fällt das sowieso nicht auf. Es darf uns nur keiner von den Räubern besuchen. Aber warte mal das Test-Bild ab, dann sehen wir mehr.“
„Gut Franz. Mach das. Jetzt muss ich mal nach dem Leihwagen fragen. Schließlich ist Morgen Sonntag, das könnte ein Problem sein.“ Ich will mich wieder dem Telefon zuwenden.
Er besteht hartnäckig auf seiner Meinung: „Nun warte doch damit erst mal. Ich messe gleich mal meinen Kofferraum aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die Maschine nicht da reinkriege. Früher hab ich den Transport doch auch immer selbst gemacht.“
Er ist unbelehrbar, denke ich und schweige. Früher waren die Kessel kleiner. Also soll er sich selbst von der Unmöglichkeit seines Vorhabens überzeugen.
Nachdem ich mir an der Theke einen Kaffee geholt habe, gehe ich wieder in den Kassenraum und greife zum Telefon. Ich will meine süße, kleine Tochter anrufen. Vorsichtshalber habe ich die Kleine bei meiner Freundin Annette, welche 50 Kilometer entfernt wohnt, untergebracht. Als Annette mir dann erklärt, dass ihre vier Kinder mit meiner Kleinen spazieren sind, bin ich sofort beunruhigt. Beschwichtigend meint sie, dass doch die Großen dabei wären. Ich müsse mir keine Sorgen machen, die würden schon aufpassen. Sobald die Kinder zurück wären, würde sie mich anrufen.
Inzwischen sind einige Spieler gekommen, der Raum füllt sich langsam. Gerade will ich das Kassenhäuschen verlassen, als Nina, aufgedonnert wie ein Pfau, zur Tür herein hastet. Auf meinen demonstrativen Blick auf die Uhr sagt sie nur: „Hei, da bin ich!“
Die Verspätung von einer dreiviertel Stunde übergeht sie. Eben will ich ihr einen Verweis erteilen, als die Eingangstür wieder geöffnet wird. Die Ankommenden retten Nina vor der Rüge, doch ich nehme mir vor, strenger zu werden. Es sind Klaus und Wilhelm, die direkt auf mich zusteuern. Ich bin erstaunt, dass die Beiden zusammen kommen. Obwohl sie seit einiger Zeit geschäftlich liiert sind, ist allgemein bekannt, dass sie sich nicht sonderlich mögen. Ja, wahrscheinlich hassen! Ich glaube, dass ich zu den wenigen Leuten gehöre, die den Grund für die beiderseitige Abneigung kennen.
Bei der Entstehung ihrer Differenzen war ich, vor Jahren in Belgien, zugegen. Udo, damals in Maasmechelen wohnhaft, hatte das Casino in Vroenhoven über mich an Klaus und Wilhem vermittelt. Durch meine Überzeugungskraft hatten die Beiden das belgische Geschäft finanziert. Udo und ich hatten uns jeweils eine 20%tige Beteiligung davon abgebissen. Was nicht unüblich war. Bei dem fürchterlichen Verlust, welchen wir von Beginn an erlitten, war ich mangels finanzieller Masse schon nach 14 Tagen gezwungen, auf meine Beteiligung zu verzichten. Also wurde ab dem Moment meine Mitarbeit im Service bezahlt. Der geschäftliche ‚Brand’ ging noch 14 Tage munter weiter, so dass ich über meine Entscheidung froh war. Als Klaus dann seinen lange geplanten Urlaub nach einigem Zögern nun doch antrat, erklärte er sich ‚Außer’! In seiner Abwesenheit schafften wir es, aus dem Brand und vorzukommen. Mit zäher Energie und Ausdauer murmelte Wilhelm, selbst täglich 12 Stunden am Kessel stehend, seinen Verlust und noch ein kleines Vermögen ein. Mit seinen 20% war Udo genauso zufrieden wie das Personal mit den zusätzlichen 5%igen Steaks. Die gab der Dicke gerne. Er honorierte so die aktive Mitarbeit eines jeden Angestellten. Als Klaus bei seiner Rückkehr die Situation erfuhr, war er sauer, der Neid war ihm anzusehen. Gleich an seinem ersten Anwesenheitstag hatten wir nach 2 Wochen zum ersten Mal wieder Brand. Hektisch rannte Klaus hin und her und machte jeden nervös. Er war zu nichts zu gebrauchen. Noch eine Woche murmelte der Dicke in aller Seelenruhe beträchtliche Summen ein und holte somit einen großen Teil des Verlustes für Klaus wieder zurück. Dann war Wilhelm die ständige Nörgelei, die noch zu Klaus Untätigkeit hinzukam, seines Partners endlich leid. Als der Dicke seine Meinung sagte, bekamen die Beiden einen heftigen Streit. Wilhelm reiste ab. Da Klaus nicht den Nerv hatte, alleine weiterzuarbeiten, gab auch er den Laden auf. Seit diesem Ereignis schimpft der Dicke: Klaus sei ein fauler, schlechter Verlierer und habe nur immer Glück mit seinen fleißigen Partnern gehabt.
Klaus dagegen behauptet: der Dicke wäre ein gefräßiges, stures Kameradenschwein.
Trotzdem arbeiten sie seit längerer Zeit in dem Vierer-Team zusammen und sind dabei reich geworden. Was Geld so alles zusammenschmiedet. Erstaunlich!
Der drei Zentner schwere, 1m neunzig große Wilhelm lächelt durch seine dicke, dunkel getönte Hornbrille zu mir herab, dabei reicht er mir die Hand: „Tag.“
Klaus steht daneben, behält die Hände in den Taschen seines Regenmantels und macht einen abwesenden, fahrigen Eindruck. Ohne ein Wort des Grußes sagt er mit herabgezogenen Mundwinkeln: „Wir müssen mit Dir sprechen! Kann man sich hier irgendwo in Ruhe unterhalten, ohne dass gleich jeder mithört? Hast Du ein Büro? Ich habe wenig Zeit, also mach!“ Sein Befehlston und seine abweisende Haltung stinken mir auf Anhieb, deshalb antworte ich absichtlich langsam, gedehnt: „Was bist Du so hektisch? Bei mir zu Hause heißt das mal erst: Guten Tag! Kennst Du das nicht? Stell Dir vor, ich habe mir fast gedacht, dass Ihr nicht gekommen seid, um den schönen Laden zu bewundern. Wir haben im Keller einen Aufenthaltsraum, dahin können wir gehen. Komm mit!“
Leicht verärgert gehe ich energisch den Beiden voran, quer durch den Saal, durch den Toilettenvorraum, über die Außentreppe zum Ruheraum. Als ich die heillose Unordnung in dem von mir liebevoll eingerichteten Raum sehe, schäme ich mich fast ein wenig.
Kaum sitzen wir uns gegenüber, als Klaus sofort zur Sache kommt: „Ede hat uns heute Nachmittag Dein Angebot unterbreitet. Ich sage Dir gleich, dass ich für meinen Teil nicht begeistert bin. Ich bin nämlich nicht davon überzeugt, dass Franco darauf stillhält, wie Du ihn abserviert hast. Ist ja auch’ ne Dreistigkeit von Dir! Auch wenn der Verbrecher es nicht anders verdient hat. Machst Du Dir eigentlich keine Gedanken darüber, dass er einen Racheakt planen könnte? Ich habe ehrlich gesagt, keinen Bock auf Kontakte und schon gar nicht auf Randale mit dem. Mitten im Feuer zu stehen behagt mir nicht. Schließlich hast Du damals, als Du das Verhältnis mit dem Ittaker angefangen hast, auch nicht auf meine Warnung gehört. Ich hab Dir damals schon gesagt, alles was hier an Graubacken rumläuft ist ‚Ausgleich drei. Ausgleich eins hat Arbeit genug zu Hause. Aber Du musstest Dir ja diese Wanze ins Bett holen. Deshalb musst Du ihn auch ohne meine Hilfe jetzt wieder loswerden. Ich will mit dem Kerl nichts zu tun haben, egal in welcher Form. Deshalb habe ich auch vergangenes Jahr abgelehnt, als er mir die Beteiligung angeboten hat.“
Angriffslustig gehe ich in Kampfstellung: „Wenn Du gekommen bist, um mir dumme Vorträge zu halten, kannst Du gleich wieder gehen. Was willst Du hier, wenn Du kein Interesse hast? Dich in reine Privat-Angelegenheiten mischen? Dazu brauch ich Dich nicht! Wenn Du Angst hast vor Schwierigkeiten, lass einfach die Finger davon. Ich war und bin nicht auf Dich angewiesen !“
Aggresiv geht er noch weiter: „Wenn es nach mir ginge, wäre ich gar nicht hierhin gekommen. Dass man mit Dir nicht vernünftig reden kann, hätte ich schon daran sehen müssen, dass Du blöde Kuh Dir von der Graubacke auch noch ein Balg andrehen lässt. Dann bist Du auch noch so dreist und verlangst einen unverschämt hohen Preis dafür, dass andere für Dich die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. Frechheit! Auf den Zusammenstoß kann ich gut verzichten, da bin ich nicht scharf drauf.“ Empört springe ich auf und sage kalt und abweisend: „Dann lass es! Und geh! Mich beleidigen zu lassen, habe ich nicht nötig!“
Nun greift der Dicke energisch ein: „Klaus, was soll das? Bleib doch mal sachlich! Ruths Privatsache mit Franco geht uns doch nichts an. Es geht um etwas anderes, Ruth. Dass Dein Preis doppelt so hoch ist, wie Francos Vorstellung, weißt Du selbst. Aber so wie ich Dich kenne, brauche ich darüber nicht zu verhandeln. Darum geht es hier auch nicht, es ist nur so, dass es sich für uns vier auch noch lohnen muss, das ist Dir klar. Deshalb haben wir Dir einen anderen Vorschlag zu machen. Wenn Du bereit bist, uns für den gleichen Preis 60% zu abzugeben, würden wir es machen. Solltest Du allerdings dafür eine höhere Summe haben wollen, treten wir zurück. Dann ist die Sache für uns erledigt. Dieses Angebot kannst Du Dir überlegen.“ sagt er in seiner sachlichen Art.
Nachdenklich setze ich mich wieder. Bevor ich etwas sagen kann, wird die Türe schnell aufgestoßen. Breitbeinig steht Holger im Raum. „Guten Tag, zusammen! Ich wollte mal sehen, ob alles in Ordnung ist.“ sagt er, dabei sieht er mich vorwurfsvoll an. „Ja, alles in Ordnung! Das sind Ede’s Partner. Ihr kennt doch sicher Holger? „ stelle ich die Herren gegenseitig vor.
Alle schütteln den Kopf. „Du musst entschuldigen, wenn ich hier so reinplatze. Aber kannst Du nicht wenigstens oben Bescheid sagen, mit wem Du hier unten bist? Man sagt mir an der Theke, Du wärest mit zwei Männern hier runtergegangen. Woher soll ich denn wissen, dass es Freunde sind?“ erteilt er mir heute den zweiten Verweis.
Genervt antworte ich: „Aber die Croupiers kennen die Beiden doch! Die Bedienung nicht, stimmt. Also gut, ich hätte Bescheid sagen sollen. Du hast ja recht. Werde ich demnächst dran denken. Bestimmt!“
Als Holger gegangen ist, fragt Klaus neugierig: „Dein Leibwächter? Den hast Du im Moment sicher nötig. Also was ist? Äußere Dich zu dem Vorschlag!“
Überlegend sage ich: „Im Prinzip macht es mir nichts aus 10% mehr abzugeben. Nur zum gleichen Preis widerstrebt mir. Aber okay, ich will Euch was sagen. Das dieses ganze Spektakel nicht besonders gut für’s Geschäft war, ist sicher auch Euch klar. Deshalb wäre es sinnvoll, den Laden mal für kurze Zeit zu schließen. Da eine Renovierung dringend von Nöten ist, könnte man diese Zeit dazu nutzen. Derweil wird es sich herumsprechen, dass neue Inhaber kommen. Schon aus Neugierde werden dann alle Spieler wiederkommen. Also kurz und gut, wenn Ihr zu der Kaufsumme noch die Renovierungskosten übernehmt, könnt Ihr die 60 % haben. Überlegt es Euch. Das ist mein letzter Vorschlag! Wann gebt Ihr mir Bescheid?“
Selbst Klaus widerspricht meinen bestimmten, abschließenden Worten nicht. Beiden ist klar, dass ich nur noch eine Entscheidung akzeptieren werde. Sie versprechen die Antwort für den nächsten Abend.
Als wir den Saal betreten, winkt Monika mir durch die Schalteröffnung zu. Sie hält den Telefonhörer hoch. Sofort durchquere ich mit kurzen, schnellen Schritten den Raum.
„Chefina, die Annette!“ sagt die Kassiererin. Durch den Schalter sehe ich den inzwischen gut gefüllten Spielsaal.
„Hallo Mami, wo warst Du denn so lange? Hör mal, ich war mit den Kindern an einem großen Wasser. Da waren auch Enten, die haben wir gefüttert. Aber so groß wie im Urlaub war das Wasser nicht. Wann fahren wir wieder in Urlaub, Mama? Fahren wir dann nach Chinesien? Die Tanja will das nicht glauben. Mama, wann kommst Du denn?“ ertönt Rabeas süßes Geplapper durch die Leitung.
Lachend antworte ich: „Hallo, mein Schatz! Im Moment kann die Mama nicht kommen, aber bald. Ich muss arbeiten. Du bleibst doch gerne bei der Tante Nette, oder? Da kannst Du doch schön spielen. Ich komme bald, Puppi. Dann fahren wir auch wieder in Urlaub. Sei schön lieb, hörst Du?“ Schon bei einem anderen Thema fragt sie wissbegierig: „Arbeitest Du im Casino? Mein Papa auch?“
Ich muss mir Mühe geben, den fröhlichen Klang meiner Stimme beizubehalten: „Nein Maus! Du weißt doch, Dein Papa ist verreist. Ganz weit weg. Nächste Woche komme ich zu Dir. Sei lieb, gib mir noch mal die Tante Nette!“ „Ja, Tschüs, Tschüs!“ trällert sie fröhlich.
Noch einmal warne ich meine Freundin eindringlich: „Bitte, Annette. Lass die Kleine nicht unbeaufsichtigt. Noch weiß ich nicht genau, wo Franco sich aufhält. Ich habe Angst, dass er das Kind entführen will. Wie sollen Deine Kinder sich gegen ihn wehren? Auch wenn er Deine neue Wohnung nicht kennt, ist es kein Problem die Adresse herauszufinden. Versprich mir bitte, dass Du bei Spaziergängen mitgehst. Sonst habe ich keine ruhige Minute mehr.“
Nachdem sie mir das Versprechen gegeben hat, lege ich mit einem Seufzer den Hörer auf.
Nachdenklich blicke ich in den Saal. Obwohl sich mindestens 30 Gäste im Raum befinden, ist der Betrieb immer noch lange nicht so rege, wie vor Monaten.
Klaus und Wilhelm stehen noch mitten im Raum und beobachten den Lauf der Kugel und das Spielgeschehen.
Entschlossen gehe ich auf den Kölner zu. Nun wird es langsam Zeit, dass ich mich informiere, wie Franz mit der neuen Kessel-Einstellung zurechtkommt. Er sieht mich mit bedenklicher Miene an und sagt: „Wie das zwei Tage gehen soll, ist mir ein Rätsel. Sieh Dir mal an, was ich geworfen habe. Wie ich schon vermutet habe, sind zwei Sektoren total tot. Wenn das mal gut geht!“
Er reicht mir eine Permanenzen-Karte, auf der er die Zahlenfolge notiert hat. Ich werfe einen kurzen Blick darauf, interessiere mich aber mehr für die Kugel, welche gerade die letzten Runden läuft. In der letzten Runde sehe ich ganz deutlich, wo der Schwachpunkt in unserem Kessel ist. Ein aufmerksamer Beobachter kann daran sehen, dass sich der Kessel in der Vertiefung im Kessel deutlich Schwung holt. Bei unserem Beobachtungsspiel, bei dem die Kugel freien Einfall in die Fangnischen hat, ist eine solche Macke im Kessel für die Bank nicht ungefährlich. Es gibt genügend kluge Spieler, die solche Schwächen, wenn sie die erkennen, sofort ausnutzen. Meine Gedanken leise aussprechend sage ich: „Du hast recht. Hoffentlich kommt heute kein Geier. Dann kannst Du Dich nur noch wehren, indem Du das Mittelstück verdrehst. Aber was sollen wir machen? Wir können doch deswegen nicht einfach die Türe abschließen. Heute und Morgen müssen wir uns mit der kaputten Maschine durchbeißen.“ Kaum habe ich den Satz zu Ende gesprochen, als der erste schwierige Patient zur Tür hereinkommt. „Da haben wir den Salat. Der erste Rabe ist schon eingetroffen. Ich mache mit Dir jede Wette, es kommen heute noch mehr. Es ist, als ob die Leute das riechen, das wir Schwierigkeiten mit der Maschine haben.“ knurrt Franz deprimiert vor sich hin.
Der lange, bärtige Italiener (ein Croupier von Klaus) ist als nicht ungefährlicher Spieler bekannt. Da er auch seit Jahren in der Branche tätig ist, ist mir klar, dass er den Schwachpunkt in unserem Kessel nach ein paar Minuten erkannt haben wird. Er steuert auf Klaus und Wilhelm zu, begrüßt seinen Chef und dessen Begleiter.
Dann wendet er sich zu mir, hebt die Hand zum Gruß und ruft über den Tisch hinweg: „Chefin, alles klar? Ich habe gehört, ’kleines Schweinchen’ ist nicht mehr hier. Dann kann man ja bei Dir mal in Ruhe ein paar Mark anschaffen!“
Geflissentlich überhöre ich die Anspielung auf Franco, mit dem er, obwohl sie Landsleute sind, immer verfeindet war. Freundlich lächelnd erwidere ich in der gleichen Lautstärke: „Meinst Du nicht, dass ich genügend Italiener zu ernähren habe? Du musst nicht unbedingt auch noch dazu gehören. Aber stell mal drauf. Dann werden wir sehen, wer anschafft.“ Alle Gäste lachen über meinen Scherz. Nur Klaus verzieht angewidert das Gesicht und wendet sich grußlos zum Gehen. Nachdem er die Hand zum Gruß gehoben hat, folgt Wilhelm. Der Dicke hat bessere Manieren.
Franz flüstert mir zu: „Was wollten denn die Beiden? Willst Du Prozente verkaufen? Das würde ich an Deiner Stelle nicht machen. Jetzt hast Du doch endlich mal die Chance in Ruhe ein paar Mark anzuschaffen. Wozu willst Du Dir Partner nehmen? Sei bloß nicht so voreilig! Warte doch erst mal ein paar Tage ab, wie es läuft. Jetzt, da Dir endlich niemand mehr reinreden kann, suchst Du gleich wieder neue Teilhaber. Ich verstehe Dich nicht. Was für Vorteile erhoffst Du Dir denn davon?“
„Das kann ich Dir sagen, Franz.“ sage ich ehrlich. „Entlastung sowie finanzielle Rückendeckung. Ich glaube, Du ahnst nicht einmal, wie schlecht es um meine Finanzen steht. Nur einen Größeren Verlust könnte ich mir schon nicht erlauben. Gestern Abend sah es durch den Tankwart schon bedenklich aus. Das halten meine angekratzten Nerven im Moment einfach nicht aus. Außerdem kann ich keine sieben Tage pro Woche arbeiten. Schließlich muss ich mich auch noch um mein Kind kümmern. Mindestens an zwei Wochentagen möchte ich mit der Kleinen Zusammensein. Da sie schon keinen vernünftigen Vater hat, soll sie wenigstens das Gefühl haben, dass ihre Mutter für sie da ist. Wenn ich das Geschäft alleine betreibe, habe ich zu wenig Zeit für sie. Ich weiß, dass Du um Deine Prozente fürchtest. Aber mach Dir darum keine Sorgen. Auch wenn ich einen Teil abgebe, werde ich dafür sorgen, dass Du noch zurechtkommst.“
Offensichtlich habe ich ihn nicht überzeugt, denn er versucht mich umzustimmen. „Arbeitsmäßig ist es nun wirklich kein Problem. Du hast doch hier genug Leute, zu denen Du Vertrauen haben kannst. Du kannst unbesorgt zwei Tage in der Woche frei machen. Wenn etwas Ungewöhnliches sein sollte, können wir Dich schnell anrufen. Du wohnst doch nur ein paar Meter entfernt. Und finanziell ist es ja nicht ganz so schlimm, wie Du sagst. Was wir an Kassenlage haben, weiß ich doch. Das muss man uns erst mal abnehmen. Dabei geht es mir nicht um mich. Aber ich finde, dass Du nach all den Jahren, in denen Du nur für diese beiden Ochsen geschuftet hast, die Dein Geld noch mit verpulvert haben, endlich mal nur für Dich arbeiten solltest. Ich bin davon überzeugt, dass Du das im Alleingang besser schaffst. Versuch es doch wenigstens erst mal, bevor Du Partner nimmst. Sei nicht so eilig. Lass Dir mehr Zeit!“
Seine eindringlichen Worte werden durch freudiges Gejubel der Spieler unterbrochen. Der lange, bärtige Italiener hat einen Volltreffer gelandet. Während der Gewinner völlig gelassen bleibt, jubeln alle anderen kleinen Spieler.
Das fehlt auch noch, denke ich. Dabei beobachte ich, wie Perücke die Jetons mit dem Rateaux auseinanderschlägt. Nachdem er die kleineren Gewinne ausgezahlt hat, beginnt er den großen Gewinnsatz zusammenzurechnen. Dann fragt er: „Dreizehnhundertzwanzig, Luigi. Wie hättest Du es gerne? Dreihundertzwanzig a fünf? Mit tausend groß?“ Erwartungsvoll sieht er den Angesprochenen an.
Kopfschüttelnd antwortet dieser: „Nein, gib mir nicht so viel Masse. Gib ein hundertzwanzig mit zwölfhundert.“
Mit undefinierbarem Gesichtsausdruck nimmt der Kölner ein Staubtuch, putzt den Kessel und verdreht dabei unauffällig den Zahlenkranz. Dann wirft er erneut die Kugel, jedoch diesmal in die andere Laufrichtung. Luigi grinst den Kessel-Croupier an und sagt: „Andere Richtung, Franz? Das macht nichts, ich habe Dich im Griff.“
Gelassen verteilt er seine Jetons auf insgesamt drei Zahlen. Dann wirft er dem Tisch-Croupier eine Hunderter-Platte hin, um zu wechseln. Als der die zwanzig Fünfer-Jetons erhalten hat, verteilt er davon noch einen Teil auf den schon gespielten Zahlen. Mit dem Rest deckt er den gegenüberliegenden Sektor ab.
Gespannt beobachtet nun der gesamte Saal nach der Absage: „Nichts geht mehr!“ die letzten Runden der Kugel. Tatsächlich trifft er ein zweites Mal. Diesmal nur eine Randzahl. Perücke errechnet den Gewinn. Fast fröhlich sagt er: „Sechs Plein sind siebenhundertzwanzig. Zweihundertzwanzig mit Fünfhundert?“ Diesmal nickt der Gewinner. Er bekommt vierhundvierzig Jetons a Fünf, und fünf Platten a Hundert angeschoben.
Ruhig an die Wand gelehnt bleibe ich neben dem Kölner stehen. Scheinbar gelassen (ich weiß, dass er sich ärgert) wirft der Bouleur die Kugel erneut ab. Die Nervenanspannung sieht man ihm nicht an.
Ich studiere die Gesichter der Leute. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Menschen auf die Spannung reagieren. Eines ist jedoch sicher, alle Gäste im Raum drücken für den Spieler. Es ist deutlich fühlbar, fast wie eine unsichtbare Mauer des Hasses gegen das Haus.
Neben mir sagt Franz leise: „Anschnallen, die Kugel hat Einlauf. Wird wieder ein volles Gedeck.“
Es ist mir ein Rätsel, wie er das jetzt schon beurteilen kann. Gerade hatte er erst die Absage gemacht, die Kugel muss noch mindestens vier Runden laufen. An der Mimik der Spieler sehe ich, dass sie genauso denken wie unser Kessel-Croupier. Es wird mir immer unbegreiflich bleiben, was die Leute da beobachten können. Wahrscheinlich bin ich die einzige Blinde im Saal. Ich kann das zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen. Aufmunternd flüstere ich zurück: „Quatsch, wo der gespielt hat, kann die Kugel nie fallen.“
Franz erwidert: „Dein Wort in Gottes Ohr!“
Dieses Ohr war jedoch für mich verschlossen. Mit ein dem lauten Jubel der Menge begleitet, plumpst die Kugel in die Zahl, die am höchsten besetzt ist.
Verächtlich sage ich leise: „Daran siehst Du mal wieder, dass der Spruch: der Zocker wird von Gott verachtet, weil er nach fremden Geld trachtet, stimmt“.
Meinen Scherz beantwortet Franz nur mit einem müden, resignierten Lächeln. Diesmal wechseln achtzehnhundert Mark in Jetons den Besitzer. Nachdem er wieder die Kugel abgeworfen hat, knurrt Franz mir ins Ohr: „Hoffentlich ist der Lange nicht allzu gefräßig. Er liegt jetzt schon drei Mille vor. Muss der denn nicht gleich arbeiten?“
Auf seinen hoffnungsvollen, fragenden Blick entgegne ich: „Vielleicht hat der heute frei. Dann kann der Abend noch heiter werden. Wenn der so weiter gewinnt, gehen hier bald die Lampen aus. Wenn wir das Handtuch werfen müssen, hast Du schneller neue Chefs, als Dir lieb ist.“ Inzwischen sind einige andere Spieler mutig geworden und spielen dem langen Italiener hinterher. Das nächste Spiel kostet die Bank Zweitausendvierhundert. Frustriert fragt Franz: „Sollen wir mal einen Handwechsel versuchen? Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Er hat mich ja wirklich voll im Griff. Was meinst Du?“
Nickend winke ich der dicken Hilda, welche in diesem Moment an dem anderen Tableau ihre Kollegin Nina ablösen will. „Wir werden es mal mit der Dicken versuchen. Auf das Gepfeife von Perücke habe ich jetzt absolut keinen Bock.“ sage ich leise. „Komm Hilda, versuch Du mal Dein Glück. Nina muss noch etwas sitzen bleiben.“ rufe ich der Mitarbeiterin dann zu. Die Angesprochene kommt mit verächtlich heruntergezogenen Mundwinkeln auf uns zu. Obwohl sie den Eindruck erweckt, dass ihr meine Anweisung nicht passt, nimmt sie des Kölners Platz ein. Unauffällig greift sie, während sie mit dem Staubtuch durch den Kessel wischt, mit der anderen Hand unter den Tisch.
Entsetzt sehe ich, dass sie an der Schraube des vorderen Drehbeines dreht. Meinen fragenden, missbilligenden Blick beantwortet sie mit einem Achselzucken. Sie weiß genau, dass ich es hasse, wenn jemand ohne die elektronische Wasserwaage aufzulegen, das Dreibein verstellt. Schnell, bevor ich ihr reinreden kann, wirft sie die Kugel ab. Danach kommt sie näher und flüstert mir zu: „Wie soll ich mich anders wehren? Ich weiß, dass Du das nicht vertragen kannst. Aber wenn ich jetzt die Waage auflege, geht der Lange vielleicht an die Kasse. Dann ist der mit fünf Mille durch die Türe. Wer weiß, wann wir die Chance haben, die zurückzukriegen. Außerdem hat der Kessel sowieso ‚ne Macke. Jetzt habe ich die nur ein bisschen verlagert. Mal sehen, was dabei herauskommt. Schlechter kann es auf keinen Fall werden!“
Der Kölner nickt bestätigend. Er hatte die leise Diskussion zwar nicht gehört, aber unsere Gestik verstanden. Nun will er mir versichern, dass das die einzige Möglichkeit wäre. Energisch und laut sagt Hilda: „So, nichts mehr! Was ist denn da los? Die Hände aus dem Tableau!“ Erschrocken hören die Nachzügler mit dem Platzieren auf. Gespannt verfolgen wir nun, zu dritt hinter der Maschine stehend, die letzten Runden der Kugel. Als die Kugel in eine freie Zahl gefallen ist, nicht einer der Spieler gewonnen hat, geht ein enttäuschtes Raunen durch den Saal. Erstaunt sieht Luigi die Mitarbeiterin an und fragt: „Was ist Dicke? Hast Du ein Piss-Ding gemacht? In dem Sektor ist doch die ganze Zeit keine Kugel gefallen!“
In ihrer maskulinen, direkten Art antwortet die Angesprochene: „Ich? Pissdinger mache ich nie! Das musst Du Dir mal merken, lange Spaghetti! Darf dort keine Kugel fallen? Schließlich sind die Zahlen doch nicht zugeklebt!“ und grinst den Gast spöttisch an. Beim nächsten Spiel sieht das Tableau schon wieder ganz anders aus. Da die Spieler nicht mehr von der Unbesiegbarkeit des Italieners überzeugt sind, setzen sie wieder die Zahlen, die sie selbst bevorzugen. Somit ist das Zahlenfeld gleichmäßiger belegt. Wie schnell die Leute doch ihre Meinung ändern, denke ich. Nachdem Luigi drei Spiele keine Anzahlung mehr bekommen hat, geht er zur Kasse. Immerhin noch ein schöner Erfolg für ihn. Er hat viertausend Mark gewonnen.
Als gegen zwanzig Uhr, wie jeden Samstag, das Büffet geliefert wird, fällt mir auf, dass ich noch nichts gegessen habe. Freundlich begrüße ich die Lieferantin, Frau Metzger. Sie und ihr Mann sind normalerweise häufige Kunden von uns. In den letzten Wochen habe ich die Beiden nicht mehr gesehen. Auch das Essen hatte sie von ihrem Personal bringen lassen. Eigenartig. Nachdem sie das letzte Tablett hereingetragen hat, will ich die Lieferung bezahlen. Doch sie erklärt mir, ich könne das später erledigen, sie würde heute Abend zocken kommen. Bevor sie geht, weist sie mich noch auf den leckeren, selbstgemachten Kartoffelsalat hin. Ich solle tüchtig essen, damit ich mal wieder etwas zulege. Ich wäre zu mager geworden.
Der Vorraum füllt sich mit hungrigen Gästen. Die heiße Schlacht um das kalte Büffet beginnt. Ich bitte unsere Bedienung, für mich einen kleinen Teller zu füllen. Ich möchte das nicht selbst machen, weil mir beim Anblick des Gedränges der Appetit vergehen würde. Wenn ich dann noch zusehen müsste, wie unappetitlich in den Salaten gematscht wird, würde sich mein Magen um sich selbst drehen. Aus diesem Grunde beauftrage ich lieber meine Mitarbeiterin. Wäre das Samstags-Buffet nicht deshalb so wichtig, um den ruhigsten Tag der Woche etwas zu beleben, würde ich auf dieses gierige Gedränge verzichten.
Den Abend schließen wir mit einem geringen Verlust ab. Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Die finanzielle Situation ist zwar gespannt, aber noch nicht kritisch. Trotzdem bin ich fest davon überzeugt, dass meine Entscheidung nur vorteilhaft sein kann. Micki, der kurz vor ein Uhr zur Nachtwache gekommen war, fragt mich, schon an der Tür stehend: „Hast Du denn wenigstens einen vernünftigen Videofilm zu Hause? Ich bin noch gar nicht müde.“
Überrascht erwidere ich: „Ich weiß nicht genau, ob ich in dieser Richtung was zu Hause habe. Wenn, dann nur selbst aufgenommene. Notfalls kann ich Dir jedoch mit ein paar guten Büchern aushelfen. Mein Sortiment ist sehr reichhaltig.“ Missmutig verzieht der Kunstbanause das Gesicht. Ich entschließe mich, mit ihm zu fahren und meinen Wagen stehen zu lassen. Es ist fast eine Zeremonie, bis ich endlich das Haus betreten kann. Erst fährt er dreimal um den Block, dann muss ich hinter dem Steuer seines laufenden Fahrzeuges sitzen bleiben, bis er das Gelände um das Haus herum, ausgekundschaftet hat. Erst als alle diese Vorsichtsmaßnahmen erledigt sind, darf ich endlich aussteigen und ins Haus gehen.
Aufatmend schließe ich die Wohnungstür hinter uns ab. Nachdem ich ihm im Wohnzimmer auf der Couch sein Nachtlager hergerichtet, ihn mit Videofilmen und Getränken versorgt habe, gehe ich ins Schlafzimmer. Lange liege ich wach, ich bin nervlich zu aufgedreht, um direkt einzuschlafen. Das Schlafzimmer ist der größte Raum in meiner 4-Zimmer-Wohnung. In meinem mit braunen Velours bezogenen Jet-Bett liegend, blicke ich mich um. Die Ausstattung habe ich elegant hinbekommen. Zu der chinesischen Bunt gras-Tapete passt der hell-beige Velourbodenbelag. Die ganze Fensterwand habe ich mit einem bodenlangen, modern gemusterten blass grün-goldenen Vorhang dekoriert. Gegenüber dem großen Bett hat inzwischen ein kleines Kieferbett mit einer bunten Tagesdecke für die kleine Rabea Platz gefunden. Das kleine Regal daneben ist mit Stofftieren und allerlei Spielzeug überfüllt. Der Vorhangwand gegenüber, links neben mir, steht ein die ganze Wand ausfüllender Spiegelschrank, aus dem mir momentan das gestresste Gesicht einer viel zu dünnen Frau entgegenblickt. Mein Gesicht.
Welche Dramen und Tränen hat dieser Raum in den letzten Jahren hier gesehen? Die Erinnerung lässt mich nicht los.