Читать книгу Als Stichling unter Haien - Ruth Broucq - Страница 14
11.) Neue Partnerschaft
ОглавлениеErschrocken richte ich mich auf. In meinem halbdunklen Schlafzimmer sehe ich mich lauernd um. Wieso brennt in der Diele Licht? Was sind das für seltsame Geräusche? Wer pfeift denn in meinem Badezimmer? Natürlich, jetzt fällt es mir ein. Das kann doch nur Jörg sein. Mein Leibwächter! Erleichtert lasse ich die angehaltene Luft ab. Er duscht offenbar. Sein fröhliches Pfeif-Konzert wird vom Wasserrauschen begleitet. Mein Gott bin ich schreckhaft.
Ein Blick auf die im Bett eingebaute Uhr zeigt mir zwölf Uhr fünfzehn. Nichts wie raus aus den Federn. Ich hab doch um vierzehn Uhr einen Termin. Schnell springe ich aus der Koje, Bademantel überwerfen und in die Küche hasten sind eins. Die Kaffeemaschine in Gang setzen. Jetzt schnell das Wohnzimmer aufräumen. Dort habe ich dann mal wieder die Gelegenheit festzustellen, dass Jörg zum Großteil der Unordentlichen unter den Männern gehört. Zeitschriften, Videofilme sowie ein Teil des Bettzeuges liegen über den Boden verstreut. Während ich Ordnung schaffe, knurre ich abfällig vor mich hin: ‚irgendwie müssen wir Frauen den Männern doch wesentlich überlegen sein. Wahrscheinlich können die deshalb keine Hausarbeit, weil man dafür ein besonderes Abitur braucht’! Als letztes hebe ich das Kopfkissen hoch. Entsetzt starre ich auf die bedrohlich schwarz-glänzende Pistole.
„Nicht anfassen! Oder willst Du Deine Prints darauf verewigen?“ Ich zucke zurück, fahre erschrocken herum und sehe Jörgs grinsendes Gesicht. Sekundenlang starre ich bewegungslos in die kalten, noch enger zusammengekniffenen, braunen Schlitzaugen, welche seinen leicht asiatischen Gesichtszügen etwas Bedrohliches geben. Seine Miene entspannt sich als er sagt: „Guten Morgen! Das Bad ist jetzt frei! Hier riecht es so gut nach Kaffee. Gibst Du mir ‘ne Tasse? » Dann bewegt er seinen hochgewachsenen, durchtrainierten Athleten -Körper gelassen an mir vorbei und steckt die Waffe in die Innentasche seiner Lederjacke. Die Blousonjacke beult nicht mal unter der schweren Last im Futter.
Eine Stunde später verlassen wir das Haus. Auf dem Weg zu Jörgs Wagen begegnet uns mein Nachbar, von der ersten Etage. Sein Gruß ist ein leises Murmeln, dabei sieht er meinen Begleiter abschätzend an. Als wir abfahren, sehe ich im Rückspiegel, dass er vor der Haustür stehend hinter uns hersieht. Was mag er haben, denke ich. Als es mir bewusst wird, muss ich laut lachen. „Was amüsiert Dich denn so?“ fragt Jörg erstaunt. „Hast Du den Blick von meinem Nachbarn gesehen? Ich glaube der hält mich für’ne Nymphomanin. Jeden Morgen steht ein anderer Wagen vor der Tür, komme ich mit ‚nem anderen Typen raus. Das lässt nur einen Schluss für solche Spießer zu, dass ich es jede Nacht mit ‚nem Anderen treibe! Richtig empört hat der mich angeglotzt!“ schüttle ich mich vor Lachen. An meinem Wagen angekommen, steige ich um. Da auch Jörg in der Nachbarstadt wohnt, wir also den gleichen Weg haben, fährt er bis zum Billard-Cafe hinter mir her.
Als ich zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit den großen Billard-Raum betrete, sind nur wenige Gäste im Saal. Nur an einem von fünf Spieltischen des Hauptraumes wird gespielt. In der hinteren rechten Ecke des circa hundertzwanzig Quadratmeter großen Saals sind fünf Tische mit Karten- und Back Gamon-Spielern besetzt. Das sind die sogenannten ‚Tagediebe und Strolche’ dieser Stadt. Wie Klaus die hier verkehrenden Gäste gerne nennt. (Ich würde die Leute eher ironisch als die ‚Creme de la Creme’ bezeichnen). Er meint damit, dass diese Leute keiner geregelten Arbeit nachgehen. Er müsste sich selbst auch dazurechnen, aber er sieht sich als solide und über den Leuten stehend an. Macht noch seine abfälligen Bemerkungen über das ‚asoziale Pack’! Ob er sein Lieblingswort ‚asozial’ definieren kann, wage ich zu bezweifeln, da er sich doch täglich mit diesen Leuten amüsiert.
Manche von ihnen verdienen ihr Geld mit Kartenspielen. Andere mit sogenannten ‚Hintermann-Geschäften’, auch einige ‚Mitternachts-Kaufleute’ sind hier Stammgäste. Außerdem trifft man hier einige Vertreter, Studenten und auch Polizei-Spitzel, die ein bisschen herumhorchen wollen. Doch zu so früher Mittagsstunde ist der Betrieb nur mäßig. Während ich den großen Saal selbstsicher durchquere, schaue ich mich interessiert um.
Ich bin schon einige Jahre nicht mehr hier gewesen. Zu Udos Zeiten hatte ich dieses Cafe fast täglich besucht. Das lag schon sieben Jahre zurück. Der ganze Raum sieht heruntergekommen und vergammelt aus. Offensichtlich ist hier schon lange nicht mehr renoviert worden. Daran scheint der Boxer zu sparen, aber beim Zocken geht er nicht so zurückhaltend mit der Kohle um. Von der Decke und den Wänden blättert die Farbe ab. Der PVC-Boden hat Risse, teilweise sogar Löcher. Auch die einfachen Tische und Stühle, die rechts an der Fensterreihe stehen, machen einen altersschwachen, wackeligen Eindruck. Einzig brauchbar sehen die Billard-Tische aus. Beim Zusteuern auf die belebte Ecke erkenne ich ein paar Gesichter. Ede, der Betreiber dieses Cafés, erhebt sich von seinem Stuhl und kommt mit ausgestreckten Armen freudig auf mich zu. Kräftig schüttelt er mir meine Hand und grinst: „Pünktlich wie die Maurer! Tag Liebes. Na denn wollen wir mal.“ Er winkt Heinrich und Wilhelm, die aus der Karten-Ecke zu uns rüber sehen, auffordernd zu. Dann nimmt er mich beim Arm und steuert auf die Türe des Hinterzimmers zu. Ich will gerade nach Klaus fragen, als der Gesuchte aus der Herren-Toilette kommt. Oberflächlich reicht er mir gnädig die Hand: „Grüß Dich. Wie geht’s?“ fragt er und es hört sich an, als würde er sagen: mieses Wetter heute!
Immerhin hat er sich zu einer Begrüßung herabgelassen. Wolfram hält mir höflich die Tür auf und lässt mich vorgehen. Flüchtig stelle ich erstaunt fest, dass ich solche Höflichkeitsgesten lange nicht mehr gewöhnt bin. Im Hinterzimmer steht nur Gerümpel, wie kaputte Stühle, Kartons mit Biergläsern, Staubsauger und anderes Putzmaterial. In der Mitte des Raumes ein alter ausrangierter Billardtisch mit ein paar Stühlen drum herum. Hier kenne ich mich auch noch gut aus. So manche Stunde hatte ich damals hier verbracht, während Udo zockte. Zu dieser Zeit hatten hier, im sogenannten ‚Blumengarten’, öfter große Würfel-Partien stattgefunden.
Umständlich und schwerfällig lässt sich der dicke Wilhelm auf einem der wackeligen Stühle nieder, nachdem er mich zurückhaltend begrüßt hatte. In der offenen Tür stehend fragt Heinrich, ob jemand was zu trinken möchte. „Für mich Kaffee, bitte.“ sage ich spontan. Als die Bedienung kommt, verlange ich einen Aschenbecher. Scheinbar bin ich die einzige Raucherin im Raum.
Heinrich ergreift als erster das Wort: „Im Großen und Ganzen sind wir uns ja einig. Aber einige Einzelheiten müssen noch geklärt werden. Da wir beide uns nur flüchtig kennen, möchte ich Dir vorweg sagen, dass ich in allen Dingen ein vorsichtiger Mensch bin. Daher als erstes eine Frage an Dich. Wer hat in Deinem Geschäft die Konzession?“
Verwundert frage ich: „Fürchtest Du das es damit Probleme gibt? Da kann ich Dich beruhigen. Der Konzessionär ist mein Vater. Er bekommt die übliche Gebühr dafür, kümmert sich aber selbst gar nicht um den Laden. Erstens hat er keine Ahnung und zweitens ist er noch voll berufstätig. Ich kann Dir aus langjähriger Erfahrung versichern, dass er der unproblematischste Konzessionär ist, den ich je hatte.“
Freundlich lächelnd nickt Heinrich, gibt aber zu bedenken: „Gut das mag schon sein. Für Dich wird er problemlos sein. Die Frage ist nur, was für eine Sicherheit haben wir, wenn wir uns einkaufen, dass wir keine Probleme mit Deinem Vater bekommen? Man nennt mich zwar manchmal den Pessimisten in unserer Runde, aber vielleicht bin ich auch nur übervorsichtig. Deshalb meine Frage: ist es möglich, dass wir eine von Deinem Vater unterschriebene Bestätigung bekommen, dass er 60 % an uns verkauft hat? Versteh mich bitte richtig. Nur ein formloses Schreiben, eine Art Kaufvertrag ohne Summe. Wenn Du es genau überlegst, ist das für beide Seiten eine Sicherheit. Ich will weder Dir noch ihm etwas unterstellen, versteh mich bitte nicht falsch. Aber stell Dir mal vor, Deinem Vater würde etwas passieren. Was dann? Wie alt ist er denn?“ Erwartungsvoll sehen mich vier Augenpaare an.
Nachdenklich erwidere ich: „Er ist zwar erst achtundfünfzig, aber so unrecht hast Du nicht. Darüber habe ich mir selbst schon Gedanken gemacht. Wenn auch aus einem anderen Grunde als Du. Da er mein Stiefvater ist, wäre es für mich auch problematisch, wenn ihm was zustoßen würde. Ich habe aber schon vorgesorgt. Mein Stiefvater wird mich adoptieren, der Antrag läuft schon. Ich will auch nicht plötzlich vor den lachenden Erben in Form von seiner Schwester und seinem Schwager stehen. Die schriftliche Bestätigung könnt Ihr natürlich bekommen. Das ist kein Problem.“ Die vier nicken.
Zufrieden fährt der Redeführer fort: „Gut, das war Punkt eins. Nun zur Diensteinteilung. Du möchtest ja gerne entlastet werden. Da wir noch andere Geschäfte haben, werden wir uns wöchentlich mit dem Dienst abwechseln. Wie hast Du Dir denn Deine Arbeitszeiten vorgestellt? Du möchtest doch noch mitarbeiten?“
Selbstsicher antworte ich: „Nein, zu Hause sitzen will ich bestimmt nicht. Ich möchte gerne am Wochenende frei machen, die anderen Tage arbeite ich mit. Das lässt sich doch sicher einrichten?“
Nun muss Klaus seinen Senf dazugeben: „Wozu willst Du arbeiten. Bleib zu Hause und kümmre Dich um Dein Kind! Bei uns brauchst Du Dir keine Sorgen um Dein Geld zu machen. Wir sind eine korrekte Firma. Nicht solche Penner wie die, mit denen Du bisher zu tun hattest. Wir beklauen unsere Partner nicht! Was willst Du Dir die Nächte um die Ohren schlagen?“ schimpft er aggressiv.
Irritiert protestiere ich energisch: „Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich werde mich auf gar keinen Fall aus dem Geschäft zurückziehen. Eine solche Vereinbarung wird es nicht geben. Ich misstraue Euch zwar nicht, aber die Kontrolle werde ich trotzdem behalten. Ich werde auch weiterhin die Bücher führen. Ihr müsst verstehen, dass ich das meinem Vater schuldig bin. Im Interesse meines Vaters möchte ich selbst sehen, dass alles korrekt geregelt und bezahlt wird. Wir wollen doch einmal ganz ehrlich sein, was ich von Euch brauche ist keine Bevormundung, sondern finanzielle Rückendeckung, ein neu aufpoliertes Image, eine arbeitsmäßige Entlastung wegen der freien Tage und eine strenge Hand bei der Personalführung. Da sind wir bei einem Thema angelangt, was für mich von besonderer Wichtigkeit ist. Dass das gesamte Personal übernommen wird ist eine Grund-Voraussetzung unserer Vereinbarung. Ich will nicht, dass die Leute ihren Arbeitsplatz verlieren. Es gibt aber welche darunter, denen ein Ortswechsel nicht schaden könnte. Da Ihr ja noch andere Läden habt, wäre eine Umbesetzung doch leicht möglich. Allgemein müssten in meinem Laden die Zügel mal etwas straffer gezogen werden. Das habe ich in den letzten Monaten nervlich nicht geschafft. Vielleicht werden sich ja gewisse Leute bei neuen Chefs zusammennehmen, das werden wir sehen.“
Abwinkend meint Wolfram: „Das sind nebensächliche Dinge, die wir schnell im Griff haben. Dein Vorschlag mit der Umbesetzung kommt unseren Vorstellungen sehr entgegen. Wir wollten sowieso ein oder zwei Leute von uns mitbringen. Das ist ja ganz einfach durch einen Austausch möglich. Auf die Art gibt es keinen Engpass in den Läden, personalmässig. Aber einen von Deinen Leuten möchte ich nicht gerne haben, das sag ich ganz ehrlich. Den ‚Kölner’ möchte ich nicht behalten. Ich kenne ihn zwar kaum, habe aber zu viel Negatives von ihm gehört.“
Seine Vermutungen reizen mich zum Widerspruch: „Ich weiß zwar nicht, was Du über ihn gehört hast, aber es wird viel erzählt, davon darf man nicht alles glauben. Mir gegenüber war er immer korrekt. Ich kenne ihn schon lange und bin immer gut mit ihm zurechtgekommen. Es täte mir leid, wenn Ihr ihn nicht behalten wollt. Darüber müsst Ihr Euch noch mal Gedanken machen. Einen besseren Bouleur hatte ich noch nicht und ich kenne eine Menge!“
Alle reden durcheinander, bis Heinrich sich wieder Gehör verschafft: „Das Wort Bouleur kennen wir nicht. Diesen Quatsch gibt es bei uns nicht. Bei uns gibt es nur Croupiers. Sondervereinbarungen oder Bezahlungen kennen wir auch nicht. Wir stehen auf dem Standpunkt, wenn der Kessel in Ordnung ist, kann jeder werfen. Hattest Du denn mit dem Kölner eine besondere Vereinbarung?“
Gespannt warten sie auf meine Antwort und ich spüre ihren Unmut. Ich nicke: „Ja! Er bekommt fünf Prozent. Die Abmachung hatte Franco noch getroffen. Bis jetzt habe ich das beibehalten. Aber dass es bei einer neuen Inhaberschaft geändert wird, wird der Kölner sich sicher selbst denken können. Ich will Euch jedoch eines sagen, der Kölner ist besser als sein Ruf! Ihr würdet mir einen persönlichen Gefallen tun, wenn Ihr es wenigstens mal mit ihm versuchen würdet. Der Mann ist ein zuverlässiger, fleißiger und ruhiger Mitarbeiter. Wegen seiner freundlichen, ruhigen Art ist er bei allen Gästen sehr beliebt. Sein Namensvetter, Perücke, dagegen wäre der erste, den ich für einen Tapetenwechsel vorschlagen würde. Er ist zeitweilig derart launisch, dass er schon mit einigen Gästen aneinandergeraten ist. Er gehört zu den Menschen, die nach Sympathie entscheiden. Ausländer sind ihm grundsätzlich von Haus aus unsympathisch, und das zeigt er ihnen auch. Ein paar wenigen, bestimmten Leuten bringt er Freundlichkeit entgegen. Das sind nach seinen Worten ‚gute Jungens’. Wenn die gewinnen, zeigt er seine Freude darüber. Gewinnt aber ein Ausländer, zahlt er mürrisch den Gewinn an. Vielleicht liegt es auch daran, dass er schon zu lange in meinem Laden arbeitet. Eine Versetzung könnte ihm nicht schaden.“
Aufmerksam geworden, sagt Heinrich: „Das geht natürlich nicht. Da Du Deine Leute ja am besten kennst, werden wir uns wegen der Auswahl dann mit Dir noch beraten. Aber das hat ja noch Zeit. Hör mal, “ er macht eine kleine Pause, dabei nimmt sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an: „wie viel Croupiers hast Du denn beschäftigt?“
„Mit dem Kölner fünf“, antworte ich spontan, „und drei Kaffee-Frauen. Eine Festkraft und zwei Wochenend-Aushi1fen.“
„Wozu brauchst Du am Wochenende zwei Service-Kräfte? Ist der Betrieb so stark?“ fragt er erstaunt.
„Nur samstags arbeiten zwei Mädels, wegen dem Büffet. Dass schafft eine nicht alleine. Allerdings ist der Sonntag auch ein gut besuchter Tag, wohl wegen der Verlosung. Ich hatte mir schon überlegt, für sonntags auch eine zweite Bedienung einzusetzen“, erkläre ich die Gegebenheiten. Ärgerlich fällt Klaus mir ins Wort: „Diesen Quatsch mit Verlosung und dem Frusttag machst Du immer noch? Das hast Du doch nicht nötig! Du bist doch konkurrenzlos. Das ist zum Fenster rausgeworfenes Geld. Diesen Blödsinn schaffen wir mal als erstes ab. Wäre ja noch schöner. Die Leute sollen zocken, nicht fressen. Wem ist denn der Unfug mit der Verlosung eingefallen?“
Seine aggressive Art macht mich sauer, deshalb sage ich kampflustig: „Was hast Du denn für eine Ahnung? Nur weil Du früher, in der illegalen Zeit, mal in unserer Gegend veranstaltet hast, kennst Du Dich besser mit den Gegebenheiten aus als ich? Wenn Du glaubst, ich mache das, weil ich meinem Geld böse bin, hast Du Dich geirrt. Was ich in dem Geschäft bisher an Extras veranstaltet habe, war nötig. Wenn das Büffet abgeschafft wird, haben wir samstags ‚Totentanz’ und ohne Verlosung ist der Sonntag nicht halb so gut besucht. Ich weiß schon, was ich tue! Die paar Mark, die diese Veranstaltungen kosten, holt man doppelt und dreifach wieder rein. Ich hab’s ausprobiert, dass könnt Ihr mir glauben! Du darfst nicht von früheren Zeiten ausgehen, Klaus. Heute ist es doch so, dass Steuern, Sozialabgaben, sogar die enorm hohe Miete eine gewaltige Belastung sind, die Du ja früher nicht kanntest. Wenn man bei diesen hohen Kosten dann auch noch zwei laue Tage in der Woche hat, bleibt unterm Strich nichts mehr hängen. Und außerdem fängt man mit Speck bekanntlich Mäuse. Außer Klaus kennt keiner von Euch unsere Zocker richtig. Es ist ein recht solides Publikum, die am Wochenende ‚Familientag’ machen. Um die auch an solchen Tagen anzulocken, muss man was Besonderes bieten. Eines könnt Ihr mir glauben, schafft Ihr diese beiden Anreize ab, geht das Geschäft stark zurück. Das wäre ein Fehler!“
Zum ersten Mal äußert sich der Dicke: „Ich bin der Meinung, dass die Ruth recht hat. Wenn wir solche Extras abschaffen, halten die Leute uns für geizig, denn sie sind diese Vorteile ja bisher gewöhnt gewesen. Und wenn sich dann, wegen der paar Mark Ersparnis, die Besucherzahl verringert, haben wir am falschen Fleck gespart. An diesen Dingen sollten wir vorerst nichts ändern. Wie handhabst Du denn die Verlosung?“ will er nähere Einzelheiten wissen.
„Die Lose werden beim Einwechseln an der Kasse ausgegeben. Für jeden Hunderter bekommen die Spieler ein Los. Auf diese Weise sammeln die Leute die ganze Woche ihre Losnummern bis sonntags. Dann werden ab acht Uhr stündlich die drei Gewinne gezogen. „erkläre ich den Ablauf. „Nicht dumm.“ grinst Wolfram, „auf die Art zwingst Du die Spieler sonntags zu kommen und bis zum Ende der Verlosung zu bleiben. Sicher ziehst Du den Hauptgewinn zuerst, damit der Gewinner noch Gelegenheit hat damit zu zocken, oder?“
Auf mein Nicken sagt Heinrich warnend: „Dumm ist das zwar nicht gedacht, aber auch nicht ungefährlich. Weißt Du eigentlich, dass Du damit gegen das Lotterie-Gesetz verstößt?“
Als er meinen erstaunten Blick sieht, fährt er fort: „Siehst Du, das dachte ich mir. Es ist nämlich verboten, Geldgewinne zu verlosen. Sachpreise sind erlaubt. Ich glaube, darüber müssen wir uns noch mal genauere Gedanken machen. Jetzt mal was anderes, wie sind denn die Kaffee-Mädels? Sind die ordentlich und fleißig?“
Bestätigend erwidere ich: „Ja! Am Service möchte ich auf gar keinen Fall was ändern. Von den beiden Aushilfen ist eine meine Nichte. Sie ist ein nettes, fleißiges Mädel und sehr flott im Arbeiten. Die andere ist zwar ein bisschen langsamer, aber sehr freundlich und zuvorkommend zu den Gästen. Unsere Festkraft ist zwar schon älter, aber eine wahre Perle. Das werdet Ihr sehr bald selbst feststellen. Die sind alle okay! Wie ist es denn mit den Portiers? Die können doch auch bleiben? Ich möchte sie schon deshalb behalten, weil sie mir in den letzten Monaten gegen alle möglichen Angriffe den Rücken freigehalten haben. Für den Spielbetrieb habe ich sie zwar nie gebraucht, aber das ist auch gut so.“ Sofort springt Ede ein: „Es kann zwar sein, dass Du ein ruhiges Publikum hast, aber vielleicht ist gerade deswegen nie was gewesen, weil die Leute wussten, dass Du die nötige Rückendeckung hast. Das weiß man nicht. Ihr seid doch mit mir einer Meinung, dass wir die Portiers behalten? Schließlich kennen wir die Jungens seit Jahren.“
Als die anderen nicken, sagt er entschieden: „Die behalten wir, das ist klar. Die Kaffee-Frauen genauso. Nur bei dem Kölner habe ich Bedenken. Sollten wir ihn übernehmen, werde ich ihm besonders auf die Finger sehen. Es kann zwar sein, dass ich da falsch liege, vielleicht tue ich dem Mann sogar unrecht, aber mir wäre es lieber, wenn er nicht bliebe.“ Vermittelnd greift Heinrich ein: „Wir sollten uns den Kölner erst mal ansehen. Vielleicht ist es wirklich nur ein Vorurteil von Dir. Dann kann man später darüber entscheiden. Jetzt müssten wir mal über die Renovierung und den Start sprechen. Wäre es möglich, Ruth, dass Du die Sache in die Hand nimmst? Du kennst doch bestimmt einige Handwerker, schließlich wohnst Du quasi vor der Türe. Mach alles klar, gib einem Maler den Auftrag und sag Bescheid, wann wir danach eröffnen können. Willst Du das übernehmen?“
Zögernd entgegne ich: „Kein Problem! Am liebsten würde ich meinen Ex-Mann nehmen. Er ist Malermeister und ein wirklich guter Meister seines Faches. Ich kann ihn nachher gleich anrufen und einen Termin mit ihm vereinbaren. Aber einer von Euch müsste dabei sein, schließlich müsst Ihr die Arbeit bezahlen. Außerdem würde ich Euch raten, den Material-Einkauf selbst zu machen. So könnt Ihr die Prozente sparen, die der Handwerker kassiert. Sagt mir, für wann ich den Termin klarmachen soll.“
Doch Heinrich winkt ab: „Ich bin gerne bereit, den Termin mit Dir wahrzunehmen. Ich habe die nächsten Tage Zeit. Aber wegen der paar Mark Unterschied für die Tapeten, habe ich keine Lust selbst einkaufen zu gehen. Wenn Du das übernehmen willst, kannst Du es gerne machen!“ Ungläubig über seine Gleichgültigkeit gebe ich zu bedenken: „Ich glaube, Du weißt gar nicht, wie groß der Laden ist. Auf die Tapeten mag es zutreffen, dass es sich nur um ein paar Mark handelt. Aber da wir einhundert fünfzig Quadratmeter Teppichboden benötigen, ist der finanzielle Unterschied schon gewaltig. Bei dem Maler wirst Du den nicht unter vierzig Mark pro Quadratmeter bekommen. Gehst Du aber in einen Teppich-Markt, kannst Du schon ab zehn oder fünfzehn Mark schöne Böden kriegen. Rechne Dir den Unterschied mal aus. Außerdem muss man doch auch die farbliche Zusammenstellung abstimmen. Da Maler mit solchen Dingen täglich zu tun haben, stimmt denen ihr Farbgeschmack sowieso nicht. Das möchte ich schon selbst entscheiden, Ihr nicht?“ frage ich verwundert. Spontan sagt Heinrich: „Dann mach Du das doch. Uns ist das eigentlich egal, Hauptsache es sieht ordentlich und sauber aus. Geh Du einkaufen, dann hast Du die Möglichkeit die Farbzusammenstellung ganz nach Deinem Geschmack auszusuchen. Ich traue Dir guten Geschmack zu. Was meint Ihr?“ dabei blickt er beifallsheischend in die Runde. Gleichgültig nicken die anderen.
Mir ist es nicht egal, deshalb antworte ich: „Nun gut, dann werde ich den Einkauf erledigen. Obwohl es nicht meine Knete kostet, könnt Ihr sicher sein, dass ich preisbewusst einkaufen werde. Mir ist es nämlich nicht egal, wie der Raum aussieht, in dem ich mich fast täglich aufhalte.“ Desinteressiert zucken sie die Schultern. Den versteckten Tadel überhören die Herren.
Klaus steht schon, als er sagt: „Na, dann ist ja alles klar. Wir hören von Dir. Grüß Dich!“ Gelassen geht er zur Tür. Auch die anderen erheben sich. Während er väterlich seinen Arm um meine Schultern legt, sagt Heinrich: „Also gib mir den Termin durch. Am besten kannst Du mich ab mittags hier erreichen. Und denke bitte an die schriftliche Bestätigung. Das wär’s dann für Heute. Tschüs.“
Wilhelm schüttelt mir wortlos die Hand, dann geht er schwerfällig hinter den beiden Anderen her, auf die Karten-Ecke zu. Nur Wolfram bleibt, nachdem wir die Tür des ‚Blumengartens* hinter uns zugezogen haben, noch bei mir stehen. Er meint freundschaftlich: „Ich bin sicher Kleines, dass Du die richtige Wahl getroffen hast. Glaub mir, schon durch unseren Namen wird der Laden guten Aufschwung kriegen. Dabei wirst Du auch endlich mal Geld verdienen. Wird auch Zeit, bist ja nun schon Jahre in der Branche. Eines will ich Dir noch sagen, solltest Du irgendwelche Fragen oder Probleme haben, kannst Du mich jederzeit anrufen. Ich werde immer für Dich da sein. Mach Dir keine Sorgen, mit uns als Rückendeckung kann Dir nicht passieren. Alles klar?“
Ich nicke. Ob er meine Befürchtungen ahnt?
Auf der zwanzigminütigen Rückfahrt denke ich über das Gespräch und die Vier nach. Der Dicke hatte wie immer so gut wie gar nichts von sich gegeben. Man sagt allgemein, er würde sich grundsätzlich Heinrichs Meinung anschließen. Wie eine Marionette, lässt er es zu, dass ein anderer für ihn die Fäden zieht. Der Grund für die Abhängigkeit oder Dankbarkeit dem ‚Senior’ gegenüber ist allgemein bekannt. Ich hatte es damals kaum glauben können, dass ein Koloss von Mann, stur wie ein Panzer, energiegeladen und clever, einmal kurz vor dem Selbstmord gestanden haben soll, weil er sich mit Zocken total ruiniert hatte. Heinrich soll damals gerade im rechten Moment gekommen sein und den Dicken gerettet und auf den richtigen Weg geführt haben. Seit diesem Tag wäre es mit Wilhelm geschäftlich bergauf gegangen, weil er brav alles getan habe, was sein Meister ihm be fahl.
Glaubwürdig erschien mir die Geschichte deshalb, weil Zeugen berichteten, dass der Dicke ein Puff-Freier sei und sich von den ‚Damen des Gewerbes’ gerne versklaven und an der Leine führen ließ. Sogar bellen und das Bein heben soll er dabei. Masochistische Unterwürfigkeit, gleich welchen dominanten Wesen gegenüber, schien des Dicken Hobby zu sein. Unglaublich! Denn wer den ruhigen 3 Zentner Mann nicht näher kannte, würde ihn für einen seriösen Geschäftsmann halten.
Der Boxer hatte seine nette, kumpelhaft-brüderliche Art mir gegenüber beibehalten. So war er auch früher immer. Ich hatte Ede schon immer gemocht, weil er zu den ‚Starken’ gehört, die ihre Stärken nicht dadurch beweisen, indem sie die ‚Schwachen’ zu unterdrücken versuchen. Obwohl ich zu Udos Zeiten, aus geschäftlichen Gründen, einmal fürchterlich mit Ede aneinander geraten war, konnte ich ihm nicht böse sein. Er ist ein Mann, zu dessen Wort man Vertrauen haben kann. Seine abschließenden freundschaftlichen Worte hatten in mir tatsächlich eine Art vertrauenserweckende Sicherheit hervorgerufen. Was mir besonders an Wolfram imponierte, war, dass er der einzige treue Mann war, den ich kannte. An welchen Orten zu welchen Zeiten und unter welchen Umständen ich ihn traf, immer allein oder mit Kumpels. Nie mit fremden Frauen. Außer Zocken und Sport schien er keinerlei Außerhäusliche Interessen zu haben. Dumme Sprüche, abfällige Reden oder lüsterne Blicke auf fremde weibliche Hinterteile, all diese Dinge gab es bei ihm nicht! Deshalb war seine Frau um ihn zu beneiden!
Klaus hingegen, den ich doch immer als Freund empfunden hatte, war mir heute schon wieder aggressiv-abweisend vorgekommen. Was sollte dieser bevormundende Ton? Wieso schlug er mir vor, zu Hause zu bleiben? Was ging ihn das an, wie ich mein Leben führe? Geradezu herablassend und überheblich hatte er sich mir gegenüber verhalten. Gerade er hatte es nötig überheblich zu sein. Ha! Für mich war er immer ein fauler Schmarotzer, der nur mit viel Glück bisher die richtigen Partner gefunden hatte, deren Arbeitseinsatz und Ehrlichkeit er seinen Reichtum (mit dem er auch noch prahlte) verdankte. Auch ich hatte vor Jahren zu diesen Leuten gehört, die ihm aufs Pferd geholfen hatten. Dass ich mich dann von ihm distanziert hatte und alleine doch ganz schön weit gekommen war, schien ihm nicht zu schmecken. Es hatte den Anschein, dass er mir das bis heute nicht verziehen hatte. Unruhig und mit herabgezogenen Mundwinkeln auf dem Stuhl sitzend, hatte er den Eindruck erweckt, dass ihm die ganze Besprechung lästig sei. Mit Heinrich hatte ich heute, obwohl ich ihn seit Jahren kenne, das erste Mal ein Gespräch geführt. Dabei habe ich ihn als jovialen, freundlich-ausgeglichenen, scharfsinnigen Menschen kennengelernt. Schon jetzt ist mir klar, sollte es in der Partnerschaft irgendwann einmal Probleme geben, Heinrich wäre für mich der einzig richtige Ansprechpartner. Ich hatte das Gefühl, dass er ein sachlicher, gerechter und auch verständnisvoller Mensch ist. Er muss unter dem Sternzeichen der Waage geboren sein. Immer ausgleichend und abwägend.
Es ist schon fast vier Uhr, als ich endlich mein Ziel erreicht habe. Als ich die Casino-Tür öffne, sehe ich dass der Kessel noch fehlt. In der Mitte der Spiel-Anlage ist ein gähnendes großes Loch. Das Personal hat sich an der Theke, versammelt, nur der Kölner fehlt.
„Tag zusammen!“ rufe ich und marschiere direkt auf Perücke zu.
„Hat Franz schon angerufen? Wieso ist der noch nicht zurück? Wir haben vier Uhr! Wie lange soll das noch dauern?“
Achselzuckend antwortet der Angesprochene: „Ich habe keine Ahnung! Ich war extra eine Stunde früher hier, um ihm zu helfen. Bis jetzt hat er sich noch nicht gemeldet. Ruf doch mal beim Fritz an, frag mal, ob der Franz noch da ist. Wenn ja, kannst Du direkt den Seeboldt zusammenscheißen, weil er uns so lange warten lässt. Du kennst doch den schlampigen Laden vom Fritz!“
Wortlos hat Mary mir ein Glas Kaffee hingestellt. Ohne die freundliche Geste zu beachten, will ich, sauer, zum Telefon eilen, als sich hinter mir die Tür öffnet. Völlig Außer Atem bückt sich der Kölner und schiebt das Holz-Klötzchen unter die weit geöffnete Tür.
Dann verlangt er in unsere Richtung rufend: Fasst mal mit an Jungens!“ und eilt sofort wieder hinaus. Während Perücke wortlos, in seiner ungelenken Art losmarschiert, mault Rico, unser italienischer Mitarbeiter: „Mama mia, de Keessel isse für misch zu swer. Dottore att mische swer ebben verbotten! Chefina, lasse Ilda anfasse.“
Ärgerlich, über sein Gejammer, ziehe ich die rechte Augenbraue hoch. Bevor ich eine abfällige Bemerkung machen kann, spricht die Dicke in ihrer direkten Art meine Gedanken aus: „Du hast ja eine nette Art Dich zu drücken. Der Doktor hat Dir auch Rauchen und zuviel Fressen verboten, trotzdem machst Du beides. Aber lass mal, bevor Du uns hier noch zusammenbrichst oder die Maschine runterfällt, fass ich lieber an. Faules Schwein!“ Sie geht kopfschüttelnd hinter Perücke her.
Innerlich muss ich ihr recht geben. Obwohl ich nichts gegen unseren Croupier Riccardo habe, gehört auch er zu den typischen faulen, schlechterzogenen Italienern. Was Fressen, Saufen und Rauchen betrifft, hauptsächlich wenn es umsonst ist, ist er immer der Erste und Gefrässigste. Jeden Samstag haben wir das zweifelhafte Vergnügen uns beim Büffet davon zu überzeugen. Unglaublich, was der essen kann! Dabei müsste er sich wirklich mässigen, denn mit seinem ‚Raucherbein’ ist es so schlimm, dass die Ärzte ihm, nach mehreren wochenlangen Klinkiaufenthalten und Kuren, das Bein mangels Besserung schon abnehmen wollten. Bei ihm kann man nicht daran vorbei sehen, dass ihm Bescheidenheit und Fleiß nicht gerade mit der Muttermilch verabreicht worden sind. In Gedanken merke ich Rico für die vorgesehene Umbesetzung vor.
Keuchend haben die drei Fleißigen den 2 Zentner schweren Holzkessel hereingetragen. Im Durchgang stehend sehe ich zu, wie sie die Maschine über das Tableau hinweg auf das stabile Stahl-Dreibein ziehen und in die richtige Position rücken. Bevor ich in den Saal gehe, beauftrage ich Mary: „Sorgen Sie bitte dafür, Mary, dass keine Gäste in den Saal kommen. Bewirten Sie die Leute mit Kaffee und Kuchen, damit sie beschäftigt sind. Und erklären Sie bitte jedem Gast, dass wir heute erst später beginnen, weil wir den Kessel erst wieder einstellen müssen. Dabei können wir keine im Weg stehenden Zuschauer gebrauchen. Bitte sagen Sie das jedem deutlich, energisch aber freundlich. Ich verlasse mich auf Sie.“ Mary nickt bestätigend.
Plötzlich fällt mir auf, dass ich Nina noch nicht gesehen habe. Sie wird doch nicht die Frechheit besitzen, heute schon wieder zu spät zu kommen? Deshalb frage ich erstaunt: „Mary, wo ist Nina eigentlich?“ Aus der Kasse kommt spontan die Antwort: „Entschuldigung Chefin. Das habe ich ganz vergessen. Nina hat angerufen, sie hat sich krank gemeldet. Sie liegt mit einer Erkältung im Bett.“
An Marys ironischem Grinsen sehe ich, dass wir die gleichen Gedanken haben. Spöttisch sage ich: „Oh, Madam spielt die beleidigte Leberwurst? Sie wird wohl ihr angekratztes Ego aufpolieren, anstatt eine Grippe zu bekämpfen. Aber das macht nichts. Wenn sie glaubt, damit kann sie mich ärgern, hat sie Pech gehabt. Sie ist nicht unersetzlich.“ „Wer ist unersetzlich? Von wem sprichst Du Chefin?“ will Hilda wissen. „Von Nina. Sie macht meiner Meinung nach auf beleidigt. Es hat ihr wohl gestern nicht gepasst, dass ich sie zurecht gestaucht habe. Und daran kann man auch sehen, dass es Zeit wird, dass hier mal ein frischer Wind weht. Manche Leute glauben ja wirklich, sie können machen was sie wollen. Das ist allerdings ein großer Irrtum! Wer sich nicht in unsere Gemeinschaft einfügen kann, wird bald in unserem Etablissement keine lange Überlebenschance mehr haben. Hier wird sich einiges ändern!“ Prompt erwidert Hilda: „Bei Nina ist das doch Deine eigene Schuld. Du hast ihr doch, lange genug, einige Unarten durch gehenlassen. Deshalb musst Du Dich jetzt nicht wundern, dass dieses dumme Blag es nicht begreifen kann, dass alles seine Grenzen und ein Ende hat. Es ist zwar Deine Sache, mit wem Du Dich anfreundest und Deine Freizeit verbringst, aber mit Nina kann das sowieso nicht lange gutgehen. Nicht nur, weil sie vom Alter her Deine Tochter sein könnte. Sondern weil sie auf Dauer zu besitzergreifend ist. Deshalb halten Freundschaften bei ihr auch nie lange. Ob mit Männern oder mit Frauen, mit keinem hat sie sich lange verstanden. Nach kurzer Zeit hat sie alle vergrault. Ich habe das schon oft gesehen. Und so wie ich Dich kenne Chefin, wundert es mich sowieso, dass es noch keinen Knall gegeben hat. Sicher wird der bald kommen. Du lässt Dich doch allgemein nicht bevormunden!“
Spöttisch erwidere ich: „Warum sollte ich mit ihr Krach kriegen? Weil Eure Freundschaft damals so endete? Das kann man nicht miteinander vergleichen. Mit ein bisschen Toleranz und Verständnis für die Persönlichkeit anderer kann man Krach leicht vermeiden. Das hat mit Alter oder Geschlecht nichts zu tun. Mit ein bisschen Intelligenz kann man Streitigkeiten in ruhigen Aussprachen regeln. In den letzten Jahren habe ich mich immer mit einer gewissen Toleranz bemüht, unnötige Reibereien zu vermeiden.“
„Das hast Du aber nett gesagt, Chefin. Ich habe das etwas anders in Erinnerung. Oder was war denn mit der Sache vor einer Woche? War das die tolerante Aussprache?“ meint sie ironisch. Auf ihre Andeutung bin ich angestoßen, deshalb sage ich ärgerlich: „Findest Du nicht, dass das ein hinkender Vergleich ist? Du wirst doch wohl nicht die Schwierigkeiten mit dem schwachsinnigen-aggressiven Franco mit Ninas dummen-kindischen Stimmungsschwankungen vergleichen wollen? Jetzt mach Dich aber nicht lächerlich. Im Gegensatz zu Franco ist Nina nicht bösartig und beschränkt, sondern nur manchmal etwas launisch und langsam im Denken. Was ist los mit Dir? Hast Du plötzlich Deine Sympathie für Franco entdeckt? Du selbst hast mich doch des Öfteren gefragt, wie ich es mit diesem schwachsinnigen Hohlkopf aushalte! Hast Du plötzlich Deine Meinung geändert?“ rede ich mich zunehmend in Rage.
Abwehrend hebt sie die Hände: „Schon gut, Chefin! War nicht so gemeint! Offensichtlich kannst Du keinen Spaß mehr vertragen. Ich gehe ja schon. Hab keinen Bock auf Diskussionen! „Schnell dampft sie davon.
Die Dicke hat Taktgefühl wie ein Holzfäller, denke ich. Und dabei schimpft sie sich meine Freundin. Gerade habe ich nach der Besprechung eine erwartungsvolle frohe Stimmung .Muss sie mich da wieder an die böse Auseinandersetzung der vergangenen Woche erinnern?
Durch Hildas Äußerung macht sich die unruhige Angst der letzten Tage wieder bemerkbar. Angst wovor? Dass er sich rächen könnte? Nein, davor weniger. Wie es hier weitergeht? Ja, schon eher. Tief im Innersten ist noch was, die Jungens - meine Leibwächter! Noch bis vor ein paar Tagen wären keine Zweifel an ihrer Loyalität möglich gewesen. Oder war ich zu sehr mit meinem Privat-Krieg beschäftigt? Dass ich keine falschen Töne und Hintergedanken vermutete? Jetzt, fast befreit von diesen Belastungen fällt mir so manches auf und ein. Ich habe Dieters eindringliche, höhnische Worte, welche er vor einigen Wochen sagte, nicht vergessen. Oh nein, nur verdrängt! Noch heute klingt es mir im Ohr: Wann willst Du Dich endlich von dieser italienischen Wanze befreien? Wenn der glaubt, er kann hier auf Mafioso machen, dann müssen wir ihm mal beweisen, dass wir die ‚deutsche Mafia’ sind. Ein Wort von dir und wir schicken ihn in einer Kiste nach Italien, wo er hingehört!
Entsetzt hatte ich energisch abgelehnt und gesagt, ich wolle das alleine und in Ruhe regeln. Dieter hatte es mürrisch akzeptiert. Jetzt kommt mir langsam der schlimme Gedanke, sie könnten vieles Geschehene forciert haben, um mit mir schutzlos und hilflos-allein leichteres Spiel zu haben! Fröstelnd ziehe ich den Kopf ein. Wenn ich mich aber mit starken Partnern verbündete, würde sie dies von eventuellen krummen Vorhaben abbringen. Die Firma ‚Korrekta’ wäre der beste Schutzschild, den ich nehmen konnte. Schon wegen Ede, der ein alter Freund der Jungs ist, aber trotz seines vorgeschrittenen Alters, von denen, immer noch als unangreifbare Festung anerkannt wird. Das kleine Licht der Hoffnung erwärmt mich wieder. In froher Zuversicht richte ich mich auf. Mit gestraffter Haltung und festen, sicheren Schritten gehe ich endlich in den Saal.
Ein Bild gespannter Aufmerksamkeit und besonnener Betriebsamkeit bietet sich mir. Während der Kölner über den Kessel gebeugt, mit einem Blick auf die Waage, Anweisungen gibt, liegt Perücke unter der Maschine auf dem Boden und stellt an den Schrauben des Dreibeins. Hilda und Rico stehen gegenüber und beobachten aufmerksam die Einstellungen auf der elektronischen Waage. Unschlüssig bleibe ich am Ende des ersten Tisches stehen. Hier ist im Moment für mich nichts zu tun und auch noch nichts zu erfahren.
Durch das Öffnen der Eingangstür dringt der Straßenlärm in den Raum. Automatisch drehe ich mich um, um zu sehen, wer gekommen ist. Außer ein paar türkischen Gästen entdecke ich meinen Vater. An der Theke bleibt er bei Mary stehen und sieht zu mir rüber. Ich gehe auf ihn zu und sage: „Tag Vati. Feierabend?“
„Dach Kenk.“ antwortet er in seinem ihm eigenen Dialekt. „Na, wie woret hütt nommidach? Hätt et jeklappt?“
Prompt falle ich in den gleichen Jargon: „Joo, et jeeht. Ich verteil et Dir späder. Meutzte nen Koffie?“
Entsetzt bittet Mary: „Ruth, bitte! Es hört sich fürchterlich an, wenn Sie platt sprechen! Lassen Sie das doch bitte! Ich kann es nicht hören. Das passt nicht zu Ihnen.“ Dann wendet sie sich an meinen Vater: „Herr Theisen, motten Se denn immer Platt mim Rutt kallen?“ Sie schüttelt missbilligend mit dem Kopf und sieht ihn strafend an.
Lachend denke ich: die gute Mary. Obwohl sie zu den wenigen Einheimischen gehört, mit meinem Vater auch gerne unseren Dialekt spricht, kann sie es aus meinem Munde einfach nicht vertragen.
Laute Diskussionen im Spielsaal erregen meine Neugierde. Schnellen energischen Schrittes eile ich dorthin. Franz, sonst die Ruhe in Person, schimpft laut: „Achmed, donn misch’ ne Jefalle. Haal Disch do russ! Jank no vüren Koffie drinke!“
Verständnislos sieht der angesprochene Türke den Kölner an. Seinen Dialekt versteht er nicht. Amüsiert grinsend denke ich, ist ja lustig heute. Woher soll der Türke wissen, dass der Kölner immer wenn er aufgeregt oder verärgert ist, Kölsch spricht. Kein Wunder, dass er den Franz nicht verstanden hat.
Die dicke Hilda, die ihre Antipathie nicht verbergen kann, greift in ihrer manchmal beleidigenden Art ein: „Hast Du nicht gehört, Kümmel? Du sollst nach vorne gehen, Kaffee trinken. Wir können Dich hier nicht gebrauchen. Du stehst uns nur im Weg rum. Deine klugen Sprüche fehlen uns gerade noch, darauf haben wir gewartet. Dass so ein Klugscheißer kommt, null Ahnung, und will sich in unsere Arbeit einmischen. Verpiss Dich an die Theke, los beweg Dich!“
Der Angesprochene macht den Mund vor Staunen auf wie ein stummer Fisch. Sauer, über ihre freche Art, greife ich streng ein: „Es ist gut jetzt, Hilda. Du warst deutlich genug. Ein bisschen nett! Und Du Achmed, geh jetzt bitte nach vorne. Die Croupiers können Deine Beratung wirklich nicht gebrauchen. Deine unwissenden Zwischenbemerkungen lenken die Leute nur von der Arbeit ab. Also halt Dich bitte an die Anordnung oder geh! Trink Kaffee oder sonst was an der Theke, wenn wir hier fertig sind, kannst Du wieder reinkommen.“
Während ich ihn streng und fest ansehe, macht er den Mund zu und lässt die Schultern hängen und murmelt: „Schon gut Chefin.“ Dann schleicht er mit schlurfenden Schritten auf den Vorraum zu.
Näher an Hilda herantretend zische ich leise: „Wie oft soll ich Dir noch sagen, dass Du nicht so unfreundlich zu den Gästen sein sollst? Schließlich leben wir von diesen Leuten! Mir ist es egal, ob Du recht hattest oder nicht. Was Du zu sagen hast, kannst Du den Leuten freundlich sagen. Nur Deinen groben, beleidigenden Ton lass gefälligst.“ Meine saure Miene beeindruckt die Dicke nicht.
Verächtlich erwidert sie ebenso leise: „Ich kann nicht dafür. Diese türkische Ratte kann ich auf den Tod nicht ausstehen. Täglich lungert er hier nur herum und frisst sich satt. Dabei hält er kluge Vorträge, verbreitet Unruhe und meckert an allem was er umsonst bekommt auch noch herum. Auf solche Wanzen können wir hier verzichten. Normalerweise beachte ich ihn ja gar nicht. Aber manchmal kann er einem wirklich auf die Nüsse gehen. Ich kann diesen schleimigen, ekligen Kerl einfach nicht leiden.“
Du hast ja recht, denke ich, aber zeigen dürfen wir unsere Gefühle und Gedanken nun mal nicht. Auch Du musst das lernen. Mit ausdrucksloser Miene blicke ich zu der türkischen Wanze hinüber. Er gehört zu den wenigen Zockern, die ich verabscheue. Schon sein Äußeres drückt seine Charakterzüge voll aus. Obwohl er recht ordentlich mit Anzug, Schlips und Kragen gekleidet ist, lässt seine lange, hagere Gestalt, mit dem leicht runden Rücken und nach vorn gebeugten Schultern, auf einen unsteten Menschen schließen. Auf dem dürren, faltigen Hals sitzt ein ausgeprägter Schädel mit Stirnglatze. Das eingefallene, faltige Gesicht hat dunkle-flinke und tiefliegende Augen unter schwarzen, buschigen Augenbrauen und schmale zusammen gekniffene Lippen. Markant sind seine großen abstehenden Ohren. Am hervorstechendsten Kennzeichen jedoch, seiner großen, ausgeprägten Hakennase erkennt man klar und deutlich den Geier.
Unbeeindruckt von ihren wahren Argumenten sage ich für mein Gegenüber gerade wahrnehmbar: „Meine liebe Hilda, Du musst Dir langsam mal angewöhnen, nicht die Gesichter der Leute zu sehen, sondern ihre Brieftaschen. Wenn Du das nicht kannst, hast Du den falschen Beruf. Nach Sympathie kannst Du Dich in unserem Geschäft nicht verhalten. Glaubst Du denn, mir wären alle Leute sympathisch? Wenn es danach ginge, müsste ich zu Hause bleiben. Die Gäste, welche mir sympathisch sind, kannst Du an zwei Händen abzählen. Nimm Dir ein Beispiel an mir, ich lasse mir das auch nicht anmerken. Man muss zu allen Leuten gleich freundlich sein. Also mäßige Dich in Zukunft.“
Obwohl ich den Tadel sehr leise ausgesprochen hatte, bekam Rico, gleich neben Hilda stehend, alles mit. Er kann sich ein schadenfrohes, hämisches Grinsen nicht verkneifen. Nur die beiden Namensvettern hatten sich nicht ablenken lassen. Sie stehen beieinander und beratschlagen. Das gibt mir die Gelegenheit die beiden unterschiedlichen Männer miteinander zu vergleichen.
Altersmäßig um die 50, sind sie von der Statur her total gegensätzlich. Während der Kölner zur Fülle neigt, was seine bewegliche Energie jedoch keineswegs einschränkt, ist Perücke ein hagerer-knochiger Kerl. Beide tragen eine Brille, doch das hat bei jedem von ihnen eine andere Wirkung. Des Kölners dunkle Hornbrille macht das wohl früher mal schöne, männliche Gesicht mit dunklem-graumeliertem, noch vollem Haar, markant-interessant. Durch die normalen Gläser blicken kluge, graublaue Augen, denen ein genauer Betrachter eine leichte Verschlagenheit ansehen kann. Was aber seine sympathische Ausstrahlung nicht beeinträchtigt. Durch seine ruhige-verbindliche Art und dem gepflegten Äußeren, wirkt er eigentlich solide. Leute, die ihn nicht mögen, hat er sicher schon mal angepumpt und sich mit der Rückzahlung schwer getan.
Den dünnen Franz macht, die dunkle, viel zu große, Brille mit den dicken Gläsern, auf dem schmalen-kantigen Gesicht, mit der großen Nase, direkt hässlich. Weil der rotblonde-sehnige Mann seine Halbglatze zu vertuschen versucht, indem er eine Haarsträhne so lang hat, damit er diese bis in die Stirn kämmen kann, wirkt seine Frisur lächerlich. Er hat zwar die kahlen Stellen überdeckt, sein Haar aber so ungeschickt gekämmt und mit, deutlich sichtbar, viel Haarspray festgeklebt, dass es aussieht, als trüge er eine Perücke. Das hat. ihm diesen Spitznamen eingebracht. Durch die dicken Gläser wirken seine sowieso großen Augen noch Größer, vorstehend und neugierig. Als Kind hatte ich mich vor Menschen mit derartig dicken Brillen gefürchtet. Deshalb war mir auch Perücke anfangs unsympathisch gewesen, was er auch vielen Gästen auf Anhieb war und oft blieb. Trotz unterschiedlicher äußerer Erscheinung haben die beiden Namensvettern viele Gemeinsamkeiten, wie Zocken, Eigensinn, aber auch Fleiß und Zuverlässigkeit. Ob sich die beiden mögen, habe ich nie ergründen können. Interessiert frage ich in deren Richtung: „Wie sieht es aus? Seid Ihr fertig? Wie steht, der Kessel?“
„Nicht schlecht! Wir haben nur noch drei Zahlen. Er ist auf jeden Fall besser als gestern. „erwidert der Kölner.
Umständlich putzt Perücke seine Brille und fragt erstaunt: „Willst Du ihn denn so lassen? Wenn wir die Einstellung jetzt noch über die Achsen ausgleichen, können wir wahrscheinlich ein noch besseres Ergebnis erzielen. Sollen wir das mal eben probieren? „dabei sieht er mich fragend an, obwohl er mit dem Kölner gesprochen hatte. Ich nicke zustimmend.
Zweifelnd meint der Angesprochene gedehnt: „Wenn Du meinst. Probieren können wir es ja mal. Komm ich drehe an den Schrauben, kontrolliere Du.“ Umständlich kriecht er unter den Tisch. Diensteifrig beugt Perücke sich über die Waage. Die Maschinen-Einstellerei geht weiter.
Als ich mich in dem von wartenden Gästen inzwischen gut gefüllten Vorraum umsehe, stelle ich fest, dass mein Vater wieder gegangen ist. Auf meinen suchenden Blick bestätigt Mary: „Wenn Sie Ihre Vater suchen, ist es vergebens. Der ist schon nach Hause.“
Nun habe ich ganz vergessen mit ihm über die heutige Besprechung zu reden, denke ich. Warum hat er es denn so eilig? Auf ihn wartet doch niemand. Na ja, wenn ich ihm das fertig Schriftstück zur Unterschrift vorlege, ist es noch früh genug, ihm darüber eine Erklärung abzugeben. Wichtiger ist die Renovierung. Zielstrebig gehe ich zum Telefon und wähle die Nummer meines Ex.
Robert meldet sich mit seiner sonoren Stimme: „Broucq.“
„Hier auch. Grüss Dich! Ich hätte eine dringende Arbeit für Dich! Kannst Du noch etwas annehmen?“ frage ich ohne Umschweife.
„Wenn Du schon dringend sagst, sehe ich schwarz. Um was handelt es sich denn? Große oder kleine Arbeit? Ich habe im Moment sehr gut zu tun, das sag ich Dir gleich!“ entgegnet er prahlerisch.
Unbeeindruckt erkläre ich die Sache: „Das Casino muss gemacht werden und zwar kurzfristig. Das wirst Du doch sicher zwischenschieben können? Komm doch Morgen mal vorbei und sieh es Dir an. Dann können wir einen Termin festlegen. Um wie viel Uhr hast Du denn Zeit?“
Zögernd antwortet er: „Lass mich mal in meinem Terminbuch nachsehen, Momentchen. Also morgen habe ich keine Zeit, Übermorgen ginge. Wann willst Du Deinen Laden denn gemacht haben? Doch nicht gleich? Ich bin ziemlich ausgebucht!“
Das ich ihm seine Überlastung nicht so recht glaube, lasse ich mir nicht anmerken. Er neigte immer schon zur Angabe und zu Übertreibungen. Also erwidere ich gnädig: „Komm doch mal erst zur Besichtigung. Wir reden dann über den Termin. Für mich wirst Du doch Deine Termine ein bisschen um basteln können, oder?“ Also Morgen?“ Durch das Telefon höre ich ihn erneut in seinem Terminbuch blättern. Amüsiert denke ich: typisch Robert, ganz auf Wichtig.
Nach einer kleinen Pause sagt er entschieden: „Beim besten Willen, Morgen geht es nicht. Keine Zeit! Ganz unmöglich! Übermorgen passt mir besser. Um drei wäre gut. Danach bin ich auch schon wieder voll ausgebucht!“! Geduldig entgegne ich: „Nun gut. Übermorgen fünfzehn Uhr. Bis dann.“ Grinsend denke ich: er hat sich nicht verändert. Seine Hochstapelei und Stöhnerei wegen Arbeitsüberlastung haben mich damals schon sehr gestört. Arbeit war ja nie seine Stärke. Er hat es schon immer bedauert, nicht als Sohn reicher Eltern geboren worden zu sein. Beruf Sohn wäre ihm angenehmer gewesen, anstatt sich seinen Lebensunterhalt als Handwerker verdienen zu müssen, würde er viel lieber eine süßes Lotterleben führen. Pech für ihn!
Durch die Schalter-Öffnung der Kasse sehe ich die Kugel laufen. Die wartenden Zocker strömen wie auf Kommando in den Saal. Einige lassen sich auf den Stühlen am Tableau nieder, die anderen bleiben stehen, um den Lauf der Kugel zu beobachten. Da erst Test-Würfe gemacht werden müssen, sitzen die Croupiers noch nicht an ihren Plätzen. Geduldig warten die Spieler auf das Startzeichen. Ich greife wieder zum Telefon und wähle die Nummer des Billard-Cafés. Während ich noch darauf warte, dass sich am anderen Ende jemand meldet, tritt ein bekannter Gast an den Schalter. Ich begrüße ihn erfreut. Lange schon ist er mir als großer Zocker bekannt. Er ist Besitzer eines großen Zeitungsvertriebes. Durch sein Nervenleiden, welches sich durch ständiges Zucken seiner Gesichts- und Augenmuskel bemerkbar macht, hat er sich den Spitznamen ‚Zwinker’ eingehandelt. Ein guter, aber leider seltener Kunde. Selten, weil Klaus sich diesen dicken Fisch geschickt an Land gezogen hat.
Als sich die Bedienung des Cafés meldet, verlange ich Heinrich zu sprechen. Sie bittet mich höflich um Geduld. Als hätte er einen Tausend-Meter-Lauf hinter sich, kommt seine Stimme atemlos: „Ja, Langen?“ „
Die Ruth hier. Grüß Dich Heinrich. Der Maler kommt Übermorgen um fünfzehn Uhr. Das wollte ich Dir nur kurz sagen. Ist Dir das recht?“ „Übermorgen um drei. Alles klar! Ich bin pünktlich da. Bis dann.“ antwortet er hastig und das Gespräch ist unterbrochen. War der aber eilig, denke ich verwundert. Kopfschüttelnd lege ich auf.
Rico hat auf dem Croupier-Stuhl Platz genommen. Das Spiel kann beginnen. Sofort kommen mehrere Spieler an die Kasse geeilt. Zwinker macht seinen ersten Einsatz. Neidisch sehen die kleinen Spieler zu, wie er seine Zweier-Jetons in Türmen auf die Zahlenfelder setzt. Gleich beim ersten Spiel gewinnt er. Aus Zweihundert macht er Fünfhundertsechsundsiebzig Mark. Mir ist sofort klar, dass es mit ihm heute wieder einen langen Kampf geben wird.
„Wo sind denn eigentlich die Jungens?“ wende ich mich an die Kassiererin.“ Mir fällt erst jetzt auf, dass ich noch keinen von denen gesehen habe. Haben die angerufen und Bescheid gesagt, dass sie später kommen?“
„Die sind im Keller trainieren. Soll ich sie rufen?“ bekomme ich die freundliche Auskunft von Monika.“
Schnell lehne ich ab: „Nein, nein lass nur. Ich wollte nur wissen, ob einer von ihnen da ist.“
Monikas Antwort geht in Marys hektischem Geschimpfe unter: „Halt, halt, ich muss erst mal die Chefin fragen. Ihr könnt doch hier nicht einfach was raustragen. Ich weiß doch nicht, ob das seine Richtigkeit hat. Wartet mal erst! Ruth, können Sie mal kommen?“
Neugierig trete ich zwei Schritte durch die geöffnete Tür, in den Vorraum und sehe Mary wie einen Racheengel vor zwei Männern stehen. Verwundert erkundige ich mich: „Was ist denn hier los? Was wollen Sie?“ wende ich mich an die beiden Fremden.
Die Angesprochenen und Mary reden sofort hektisch durcheinander. Ich hebe abwehrend die Hände: „Immer mit der Ruhe, liebe Leute. Ich verstehe kein Wort! Ihr könnt gleichzeitig singen, aber nicht reden. Also bitte, der Reihe nach. Sagen Sie mir doch mal, worum es hier geht. „Dabei wende ich mich an den Mann, der mir am nächsten steht.
Erleichtert erwidert dieser spontan: „Wir sollen für den Dieter hier eine Polster-Garnitur abholen. Wir haben angenommen, dass es diese hier ist, weil er gesagt hat, dass sie blau und mit Plastik bezogen ist. Als wir die raustragen wollten, fing die Frau an zu schimpfen. Ist das nun die Garnitur oder nicht?“
Hinter meinem Rücken ertönt Dieters Stimme: „Ja, das ist richtig! Ihr könnt aufladen. Ist. alles in Ordnung, Mary.“
Auf Marys fragenden Blick nicke ich.
Kameradschaftlich legt Dieter seinen Arm um meine Schultern und führt mich zielstrebig in das Kassen-Häuschen. Aus der Hosentasche seines Trainings-Anzuges holt er ein Bündel Geldscheine. Er zählt elf Hunderter ab und reicht mir die Scheine, mit der Frage: „Okay?“ Ich nicke: „Alles klar!“
Das Raunen im Saal lässt uns aufhorchen. Gleichzeitig sehen wir zu dritt zum Tableau hinüber. Selbstvergessen entfährt es Monika: „Hat der einen Massel! Ich glaube der Zwinker macht uns heute nieder. Gucken Sie doch mal, Chefin. Der hat ja schon fast die ganze Tischlage vor sich stehen. Er trifft jeden Schuss!“
Neugierig fragt Dieter: „Wie viel ist denn eine Tisch-Lage?“ Fachmännisch erklärt sie: „Fünfzehntausend.“
Dieter sieht mich erschrocken an: „Wie kannst Du dabei so ruhig bleiben Willst Du nicht mal eingreifen?“
Ich will ihm großzügige Gelassenheit demonstrieren, deshalb sage ich ruhig: „Man muss die Leute doch mal gewinnen lassen können. Warum soll ich eingreifen? Er ist doch noch nicht durch die Tür. Meistens geht der sowieso erst, wenn er geputzt ist oder nach dem letzten Spiel. Bis Feierabend haben wir doch noch sieben Stunden Zeit. Außerdem stimmt das nicht was Monika da gesehen hat. Soweit ich das von hier aus überblicken kann, stehen noch acht Hunderter Korken beim Croupier. Also kann der Zwinker nur siebentausend haben. Aber wenn es Euch beruhigt, werde ich mal nachsehen.“ spiele ich die Überlegene. Gemächlich schlendre ich Richtung Kessel.
Am Ziel angekommen sehe ich erschrocken, dass ich mich geirrt habe. Ich hatte die Werte verwechselt, das war aus Entfernung nicht erkennbar. Die acht Jeton-Stapel sind Fünfziger, also fehlen elftausend von der Tisch-Lage.
Der Kölner wirft mir einen verzweifelten Blick zu. Leise sagt er: „Ich versteh das nicht. Der Kessel steht auf Null, trotzdem läuft er beschissen. Krumm wie er war, ist er gestern besser gelaufen. Was sollen wir machen? Ich fürchte, wenn ich jetzt die Waage auflege, dass der Zwinker, ausbricht und an die Kasse geht. Dann ist die ganze Kohle futsch. Was meinst Du?“ Hilfesuchend bürdet er mir die Entscheidung auf.
Nachdenklich murmle ich: „Ich weiß nicht, schwierige Situation! Normaler weise bricht der ja so schnell nicht aus, er gehört zu den Zockern, die bis zum letzten Spiel des Abends durchhalten. Bei einer solchen Summe könnte es allerdings sein, dass er wach wird, sobald er zum Überlegen kommt. Nein, Waage auflegen geht nicht. Ist zu riskant! Sag mal, hast Du einen starken Fallpunkt? Der Zwinker spielt ja heute ganz anders als sonst.“ staune ich, während ich den Spieler beobachte.
Franz nickt: „Ja, ich komme nicht aus den ersten Sechs. Sonst streut der Zwinker übers. ganze Tableau, aber sogar der Ochse ist schon schlau geworden. Ich muss was machen. Aber was?“ Franz ist hilflos. Entschlossen antworte ich: „Ich weiß, was wir versuchen können. Lass mich mal ein paar Wurf machen. Guck mich nicht so erstaunt an. Ich weiß, dass der Bock auf mich hat. Wenn ich auch in den Sektor werfe, wird er wahrscheinlich ganz stolz sein, mich auch vom Kessel verjagt zu haben. Nach zwei Schuss kannst Du dann die Waage auflegen. Wir müssen ihm nur das Gefühl geben, heute unbesiegbar zu sein. Vieleicht will er seinen Siegesrausch auskosten und wartet den nächsten Gegner ab. Mir fällt sonst auch nichts ein. Versuchen können wir das doch mal. Oder hast Du einen besseren Vorschlag?“
Skeptisch schüttelt der Kölner mit dem Kopf.
Mein: „Bitte machen Sie Ihr Spiel!“ honorieren die Spieler mit verwunderten Ausrufen. Die Chefin am Kessel? Das sind die Gäste nicht gewöhnt. Schon der erste Wurf ist für mich eine volle Niederlage. Zwinker landet einen Volltreffer. Er bekommt für siebenundzwanzig Plein Zwölfhundert-sechsundneunzig Mark. Mit Siegermiene sieht er mich zuckend an. Ich gebe mich gönnerhaft: „Bravo Fred! Du hast mich voll erwischt! Ich glaube heute ist Dein Glückstag. Also auf ein Neues. Schaff an!“ Freundlich grinsend zwinkre ich ihm aufmunternd zu. Das Lob aus meinem Munde scheint für ihn wie eine Sieges-Trophäe zu sein. Er strahlt über alle vier Backen! Am Rande höre ich von anderen Spielern ein paar Worte, wie: gute Verliererin. Oder: Die Chefin ist in Ordnung. Ich denke im Stillen: wenn die wüssten, dass mir der Arsch auf Grundeis geht!
Auch die zweite, von mir geworfene Kugel, kostet mit den Klein-Gewinnen über Tausend Mark. Während ich dem Kölner ein Zeichen gebe, die Waage aufzulegen, schmiere ich dem großen Gewinner mit den Worten ein wenig Brei um den Bart: „Nun hast Du mich aber geschockt, Fred. Du bist einfach zu stark für mich! Gegen Dich habe ich ja gar keine Chance. Aber wir haben noch ein paar Leute, die Du verschleißen kannst.“ Bei meiner lobenden Rede wächst er mindestens um zehn Zentimeter. Im Stillen bete ich, dass er nicht an die Kasse geht.
Überheblich antwortet er laut, damit es auch jeder Anwesende hören kann: „Lass Deine Leute mal ruhig antreten. Mich schafft heute keiner! Ich werde sie alle vom Kessel verjagen. Heute sprenge ich die Bank. Wie viel Lage hast Du denn da? Wenn mein Gewinn zu viel wird, kannst Du mir Bescheid sagen, dann höre ich auf.“ dabei sieht er sich beifallsheischend um. Seine gönnerhafte Art verursacht mir Übelkeit, deshalb trage ich großspurig auf: „Stell nur drauf, Fred. Es ist genug Geld da. Wir arbeiten doch hier nicht mit Wasserflöhen. Ich brauch noch lange nicht das Handtuch zu werfen.“
Per Handzeichen ordne ich an, dass Perücke den Kessel übernehmen soll und ein Croupier das zweite Tableau besetzt. Nachdem er den Kessel blankgeputzt hat, wirft Perücke die Kugel ab. Scheinbar gelassen nehme ich ein Stück entfernt auf einem Stuhl Platz.
Um einen gelangweilten Eindruck zu erwecken, gähne ich künstlich. Aufblickend sehe ich in Holger’s spöttisch grinsendes Gesicht. Offensichtlich hat er meine Schau durchschaut. Breitbeinig, mit vor der Brust verschränkten Armen steht er mir gegenüber mitten im Saal. Seine Augen lassen mich nicht los. Während er mir über die Distanz von drei Metern fest und tief in die Augen sieht, verwandelt sich sein spöttischer Gesichtsausdruck langsam in eine herausfordernde Anmache. Obwohl er ein gutaussehender Mann ist, welcher mir seit Wochen sein Interesse zeigt, wirkt er mehr abstossend als anziehend auf mich. Irgendetwas in mir warnt mich vor ihm. Schon oft habe ich darüber nachgedacht, warum das so ist. Liegt es daran, dass er ein Zuhälter ist? Oder sind es die Worte, die er, als ich damals das erste Mal eine längere Strecke mit ihm alleine im Auto fuhr, zu mir sagte? Bei dieser Gelegenheit hatte er versucht, mich dazu zu überreden, mit ihm zu schlafen. Da wir uns an diesem Tag erst kennengelernt hatten, ich durch geschäftliche und private Probleme einfach keinen Sinn für solche Spielchen hatte, war er bei mir auf Ablehnung gestossen. Weil er mir rein optisch gefiel, hatte ich ihn nicht ganz abweisen wollen. Deshalb hatte ich mich vertröstend geäussert. Es war etwas an ihm, was mich gleich beim ersten Wortwechsel anzog, aber auch abstiess. Für einen Mann ist er mit Einmeterzweiundsiebzig nicht sehr groß. Trotzdem wirkt sein durchtrainierter, breiter Körper imposant. Wenn er geht, hat man das Gefühl, einem tanzenden Bären zuzusehen. Zu der schmalen, markanten Gesichtsform passt sein hellblondes, schulterlanges Haar mit demgepflegten modernen Stufenschnitt sehr gut. Das faszinierendste an ihm sind sein hell-metallic-blauen Augen, die aber kalt wie klare Bergseen sind. Er kann seinen Gesprächspartner mit den Augen regelrecht festnageln. Sie sind gefährlich. Man kann ihn ohne Übertreibung einen hübschen Mann nennen. Unangenehm an ihm ist seine unmelodische, metallisch klingende, viel zu hohe Stimme. Er konnte zwar sehr charmant, wenn auch sehr direkt um eine Frau werben. Trotzdem hat sich dieser eine Satz störend wie ein Stachel in mein Gehirn gegraben. Warum er es sagte, weiß ich 124 nicht mehr. Nur was er sagte, klingt mir, wenn ich ihn ansehe wieder im Ohr: ‚Wenn ich einmal im Leben einen Wunsch frei hätte, so möchte ich noch etwas schlechter als der schlechteste Mensch sein!’
Nach zehn Spielen habe ich den Eindruck, dass ich meinen Platz beruhigt verlassen kann. Auf Perücke’s Hand ist Zwinker’s Spiel rückläufig. Unentschlossen schlendre ich um die Tableaus herum. Holger lümmelt sich gelangweilt auf einem Sessel herum und winkt mir von der Polster- Ecke aus zu. Betont langsam komme ich seiner Aufforderung nach und setze mich neben ihn.
Spöttisch grinsend fragt er: „Na, hast Du Deine Verkaufs-Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen? Deshalb hast Du Dich also am Freitagabend selbständig gemacht und uns abgeschüttelt! Du hast meine Information ja sehr schnell zu Deinem Vorteil ausgewertet. Mich wundert nur, dass Du nicht über Freddi’s und Ede’s Gesprächsgründe geplaudert hast.“
Ärgerlich widerspreche ich: „Was heißt eigentlich abgeschüttelt? Außerdem habe ich von Dir gar nichts ausgewertet! Der Reutlinger hat mir zwar nicht gesagt, was er von Ede wollte, aber ungefähr konnte ich mir das schon selbst denken. Schließlich kenne ich Freddi lange genug, um zu wissen, dass er nicht nur spazieren fährt. In einem hast Du allerdings recht, Du hast mich auf die Idee gebracht. Ich dachte mir, wenn die ‚Firma’ zwei Geschäfte abgibt, sind sie vielleicht an einer Beteiligung bei mir interessiert .“
Selbstsicher erzählt er mir sein Wissen: „Da Du ja keine Tratschtante bist, kann ich Dir ja das Neueste berichten. Den Verkauf des Ladens in Recklinghausen haben sie abgelehnt. Nur das Luisa wird der Reutlinger übernehmen. Aber was ist denn nun, bist Du mit ihnen klar gekommen?“
Distanziert antworte ich:“ Ja, wir sind einig geworden.“ Neugierig fragt er: „Machst Du jetzt ein großes Geheimnis aus den Einzelheiten? Oder darf es ein Freund erfahren? Ede kann ich zwar auch fragen, lieber möchte ich es aber von Dir hören. Wenn ich Dir schon den Anstoss zu dieser Entscheidung geliefert habe, will ich auch das Resultat aus erster Quelle erfahren. Also erzähle!“
In sparsamen Worten berichte ich bereitwillig über den Geschäftsabschluss nur das Nötigste. Den Kaufpreis lasse ich bewusst unter den Tisch fallen.
Er besitzt Intelligenz genug, mich nicht auf die Finanzen anzusprechen. Abschließend will er noch wissen: „Mir ist zwar nicht ganz klar, warum Du so schnell neue Partner gesucht hast, aber ich denke, dass Du in diesen Leuten die richtigen gefunden hast. Wann soll die Sache denn starten? Steht der Termin schon fest?“
Unlustig erwidere ich: „Gleich nach der Renovierung. Übermorgen werde ich erfahren, wann mein Ex-Mann die Arbeit machen kann. Während hier gearbeitet wird, werde ich erst mal Urlaub machen. Erholung hab ich dringend nötig!“
Ironisch lacht er: „Du bist ja richtig familiär! Hast Du Deinen Ex vorgeschlagen? Gab es unter den Zockern keinen Anstreicher?“
Über seine Flachserei ärgerlich antworte ich ablehnend: „Doch aber wenn ich schon gutes Geld für eine Arbeit bezahle, will ich auch vernünftige fachmännische Ausführung haben. Und das bekomme ich bei meinem Ex. Er macht wirkliche Meister-Arbeit. Früher hat der Bodo immer alle Casinos gemacht. Der hat zwar seinen Verdienst im gleichen Laden wieder verzockt, aber dafür ließ die Arbeits-Ausführung auch einiges zu wünschen übrig. Und nachdem der uns so link weggeputzt hat, will ich ihm den Auftrag nicht geben. Sieh Dich doch nur mal hier um, dann kannst Du sehen, warum ich eine fachmännische Ausführung haben möchte. Hier waren italienische Hobby-Handwerker, wegen Sparmassnahmen am Werk. Sieht doch grausig aus. Oder nicht? So was möchte ich nicht noch einmal und meine neuen Partner sowieso nicht. Wenn schon, dann soll der Laden ordentlich gemacht werden !“
Schmunzelnd flachst er: „Nun brauchst Du ja auch nicht mehr auf ein paar Mark mehr oder weniger zu achten, oder? Du wirst sicher einen guten Preis erzielt haben! Meister-Arbeit, Urlaub, Du musst ja wieder frisch sein.“
Das hättest Du wohl gerne gewusst, denke ich, laut sage ich grinsend: „Ich bezahle die Kosten für die Renovierung nicht. Das ist nämlich auch ein Teil unserer Vereinbarung. Außerdem konnte ich mir schon immer leisten in Urlaub zu fahren. Aber vielleicht bezahle ich meine Reise gar nicht? Es kann doch möglich sein,dass ich eingeladen wurde. Diese Möglichkeit kannst Du doch nicht ausschließen, oder?“
Aus seiner Reaktion kann ich nicht feststellen, ob er mich necken oder herausfordern will: „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erklären, dass Du ohne mich zu fragen, mit. einem Mann Urlaub machen würdest? Das bin ich nämlich von meinen Frauen nicht gewöhnt. Ich würde es auch nur erlauben, wenn es sich finanziell für mich lohnen würde!“ mit zusammengekniffenen Augen sieht er mich gespannt an.
Gelassen und selbstsicher gebe ich kontra: „Gut, dass ich nicht zu ‚Deinen Frauen’ gehöre! Es könnte mir vielleicht mal passieren, dass ich vorübergehend als zweite Geige fungiere! Aber in einem Orchester würde ich nie mitspielen! Das liegt mir nicht! Du musst wissen, ich kann mich nicht teilen und ich kann nicht teilen! Das ist Dir doch klar, Holger. Oder nicht?“ betont erst sehe ich ihn an und hoffe, ihm damit seine besitzergreifenden Gedanken und Sprüche endgültig ausgetrieben zu haben.
Doch er blickt mir herausfordernd und unbeeindruckt in die Augen, dabei sagt er ruhig und bestimmt: „Das haben schon viele gesagt und sich dann doch anders entschieden. Warten wir es ab!“
Spontan widerspreche ich sicher: „Ich nicht!“ und erhebe mich schnell. Wortlos wende ich mich ab und gehe zum Kessel.
Wie immer überfliegen meine Augen, in alter Gewohnheit, die Tischlage. In der vergangenen halben Stunde ist Zwinkers Vorsprung wesentlich geringer geworden. Während ich neben Perücke stehenbleibe, um einen Moment, zuzusehen, landet der Spieler zwei Volltreffer hintereinander. Frustriert knurrt Perücke mir leise zu: „Geh lieber wieder. Du bringst die Seuche!“ dabei grinst er mich verlegen an.
Amüsiert schmunzelnd, über seinen Aberglauben, antworte ich: „Ich gehe ja schon.“ und füge noch leiser hinzu: „Aber mach ihn ganz sauber, hörst Du? Damit es sich auch lohnt!“
Ich schlendre gelangweilt nach vorne und lasse mich auf einem der Automaten-Sessel nieder. Mary bringt mir unaufgefordert einen Kaffee. Dankbar lächle ich ihr geistesabwesend zu.
Irgend etwas an Holger’s Art bereitet mir Unbehagen. Wahrscheinlich weil er mich in manchen Dingen an Franco erinnert. Auch Franco wollte immer und überall Mittelpunkt sein. Wenn er einen Raum voller Menschen betrat, blieb er grundsätzlich mal erst breitbeinig mitten im Raum stehen. Holger macht das auch! Nach dem Motto: seht her, da bin ich! Außerdem reagierte Franco aggressiv und beleidigt, wenn nicht gleich jeder auf ihn aufmerksam wurde oder ihn nicht sofort als starken Mann akzeptierte. Obwohl er einen Verstand wie ein Spatz hatte, gab er sich immer allwissend. Egal was, und wer ihm was erzählte, lautete seine Antwort: ich weiß!