Читать книгу Als Stichling unter Haien - Ruth Broucq - Страница 12

9.) Personal-Probleme

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„Hallo, Hallo! Was ist los? Hast Du Alpträume? Steh auf! Ich habe schon den Kaffee fertig und den Tisch gedeckt,“ höre ich eine männliche Stimme. Ich reibe mir verschlafen die Augen und sehe Micki groß und breitschultrig, grinsend im Türrahmen stehen. Mein erleichtertes Lächeln kommt ein wenig gequält. Sicher grinst er belustigt über die Weiber, das schwache Geschlecht. Er ist der typische Macho mit dieser Einstellung. Wie aus weiter Ferne antworte ich mechanisch: „Ja. Gott sei Dank war es nur ein Traum. Alptraum ist der richtige Ausdruck.“

Als er mit seinem einer Raubkatze ähnelnden Gang in die Küche verschwindet, werfe ich den Bademantel über. Beim Zähne putzen denke ich: wenn auch die starken Männer verächtlich grinsen, ich möchte die Mal in einer solch brenzligen Situation sehen. Ob die dann wirklich so cool und überlegen bleiben? Nachdem ich mir kurz Gesicht und Hände gewaschen und über das Haar gestrichen habe, nehme ich ihm gegenüber Platz. Das es mir gar nichts ausmacht, einem Mann ungeschminkt, mit zerzausten Haaren vis a vis zu sitzen, wundert mich doch etwas. Das bestätigt mir, dass ich die natürliche weibliche Eitelkeit, aus Abneigung gegen das andere Geschlecht, verloren habe.

„Hast Du schon geduscht? Welches Handtuch hast Du denn genommen?“ erstaunt mich sein frisches Aussehen. „Das große Badetuch, von der Stange. War das nicht richtig?“ wundert er sich.

Nachsichtig erkläre ich ihm: „Eigentlich nicht. Das hatte ich gestern schon benutzt. Aber es war ja meine Schuld. Ich war gestern Abend so kaputt, dass ich total vergessen habe, Dir ein frisches Handtuch hinzulegen. Entschuldige meine Nachlässigkeit.“

„Mein Gott, das macht doch nichts. Davon geht die Welt auch nicht unter. Wie Du siehst lebe ich noch, obwohl ich Dein Badetuch benutzt habe.“ amüsiert er sich köstlich.

Dabei fällt mir auf, dass es mir Abneigung verursacht, mir damit das Gesicht abgewischt zu haben.

Als ihm auffällt: „Warum isst Du nichts? Ich hab mir solche Mühe gegeben und sogar ein Ei für Dich gekocht. Du magst doch Eier?“ lenkt er mich auf andere Gedanken. Seine komisch-geknickte Mimik reizt mich zum Lachen.

„Doch, allgemein schon. Aber ich frühstücke nie. Morgens habe ich keinen Hunger. Es ist sehr lieb von Dir, dass Du Dir so viel Arbeit gemacht hast. Aber sei mir bitte nicht böse, mein Magen ist morgens wie zugeschnürt. Ich trinke nur einen Kaffee. Iß Du nur. Lass Dich durch mich nicht stören.“ lehne ich ab.

Häusliche Fähigkeiten hätte ich diesem brutalen Menschen gar nicht zugetraut. Wie man sich doch täuschen kann, eigentlich war er mir auf Anhieb unsympathisch, denke ich.

Energisch schüttelt er seine dunkelbraunen, schulterlangen Locken und befiehlt: „Das kommt nicht in Frage. Es wird Zeit, dass mal jemand darauf achtet, dass Du regelmäßig isst. Nun sitzt du einmal am gedeckten Tisch und jetzt isst Du auch! Wenigstens das Ei und eine kleine Scheibe Brot wirst Du bestimmt schaffen. Versuch es einfach mal.“

Da ich ihn nicht kränken will, zwinge ich mir tatsächlich eine Kleinigkeit rein. Als ich genüsslich den duftenden Kaffee schlürfen will, setze ich die Tasse entsetzt wieder ab. „Igitt! Wie kann man nur eine solche Brühe trinken? Der springt ja vor Kraft aus der Tasse! Den muss ich verdünnen, so kriege ich den nicht runter. Wenn ich bei der Menge täglich, den Kaffee so stark trinken würde, hätte ich bestimmt bald Herzbeschwerden !“

Missbilligend sieht er zu, als ich die Hälfte in den Ausguss schütte und dann die Tasse mit heißem Wasser auffülle. Eine Stunde später bringt er mich zum Casino.

Ganz gegen meine Gewohnheit treffe ich um 3 Uhr schon im Laden ein. Der Kölner ist bereits zur Stelle. Pflichtbewusst nimmt er seine Aufgabe als Kessel-Croupier sehr ernst. Deshalb kommt er täglich eine Stunde früher um die Maschine einzustellen und zu testen, da der Holzkessel sich täglich verändern kann.

Erstaunt über mein frühes Erscheinen meint er leicht eingeschnappt: „Watt is denn mit Dir loss? Bisse ausem Bett gefalle? Oder willse misch kontrolliere? Meinse isch wär nit pünktlisch?“

Gut gelaunt lache ich: „Dich sicher nicht, Franz! Ich weiß, dass das nicht nötig ist. Aber bei einigen Kollegen wird es sicher interessant sein, wann die zum Dienst erscheinen. Mal sehen, wen ich heute beim zu spät kommen erwische, übrigens Franz, heute musst Du den Kessel messerscharf einstellen. Ich denke, dass heute ein paar Räuber mehr kommen werden. Sicher hat es sich schon rumgesprochen, dass wir eine Macke im Kessel haben. Wir werden uns heute bestimmt gegen einige Geier wehren müssen. Wahrscheinlich wird auch der Lange heute wiederkommen. Die vier Mille haben ihm gestern mit Sicherheit so gut geschmeckt, dass er großen Appetit bekommen hat. Wenn der mal abgebissen hat, wird der gefräßig wie ein Haifisch. Ich werd mal erst nen Kaffee aufsetzen, dann seh ich mir die Einstellung an.“

Als ich zur Theke komme, will Micki gerade das Kaffemehl in den Filter füllen. Entsetzt wehre ich die freundliche Geste ab: „Nein, bitte nicht schon wieder! Das ist zwar lieb gemeint, aber lass mich das besser machen. Dein Kaffee ist ja nun wirklich nicht jedermanns Sache!“ Beleidigt setzt er sich in einen Sessel. Nachdem ich die Kaffeemaschine eingeschaltet habe, gehe ich wieder in den Saal. Franz hat immer noch den Messklotz mit der elektronischen Waage aufliegen. Mit sorgenvollen Dackelfalten auf der Stirn sieht er sich das Messergebniss an. Mehrmals dreht er den Klotz und misst drei Stellen im Kessel unter denen sich die Beine der Stahl-Unterkonstruktion, welche das Spielgerät trägt, befinden. Er überlegt angestrengt.

Unruhig frage ich: „Hast Du Schwierigkeiten? Kann ich Dir helfen?“ Nachdenklich reicht er mir ein Notizblatt und erwidert unsicher: „Isch wees nit. Guck enns un sach misch, watt de meenst. Isch hann als allet probiert, et klappt nit!“

„Bitte?“ versuche ich Klarheit aus seinem Dialekt zu ziehen. Verständnisvoll grinsend bemüht er sich Hochdeutsch zu reden: „Ich habe schon mehrere Stellungen ausprobiert, aber bis jetzt kein zufriedenstellendes Ergebnis erzielt. Ich überlege, ob ich den Kessel noch mal drehen soll. Aber damit wird sich wahrscheinlich der Tiefpunkt lediglich verlagern. Das Biest hat sich seit gestern schon wieder verzogen. Auf dem Stand von gestern hat er heute schon neun Zahlen. Ich hab null Ahnung, wie man das noch verbessern kann.“

Es klopft hart an der Eingangstür. Ich rufe Micki zu: „Machst Du bitte mal auf, Micki?“

Die Hände in den Hosentaschen, fröhlich vor sich hin pfeifend, kommt Perücke herein.

„Gut das Du kommst, Franz.“ rufe ich ihm entgegen. „Wir haben Probleme. Vielleicht kannst Du uns helfen. Sieh Dir doch bitte mal das Bild hier an. Der Kessel hat sich wieder verschlechtert. Die Abweichung ist wieder stärker geworden. Meiner Meinung nach können wir damit nicht arbeiten. Wir sind ratlos. Hast Du eine Idee? Was meinst Du, ob wir den Stand verbessern können, wenn wir die Maschine noch mal drehen?“

Perücke fühlt sich geschmeichelt, weil ich ihn um Rat frage. Fachmännisch misst er den Kessel aus, dann gibt er zu bedenken: „Ich glaube nicht, dass wir damit etwas verändern werden. Hast Du denn mal zwischen den Beinen gemessen, Franz? Wir können versuchen, die Einstellung über die Achse auszugleichen. Nimm doch mal einen Zettel und schreibe auf. Ich sage Dir die Zahlen an.“

Neugierig frage ich: „Wie meinst Du das?“

Jetzt ist Perücke in seinem Element. Er nimmt dem Kölner das Blatt aus der Hand und macht eine Zeichnung. Dann erklärt er mir selbstsicher: „Guck mal. Ich habe hier sechs Punkte aufgemalt, die werde ich jetzt ausmessen. Wir werden immer die gegenüberliegenden Punkte, also eine Achse, gleichstellen. Dadurch kann man eine bessere Einstellung bekommen. Wenn wir Glück haben, können wir sogar das Tal ausgleichen. Wenn Du immer nur die drei Punkte des Dreibeins ausmisst, hast Du eine zu lange Lauffläche zwischen den Beinen. Bei einer so starken Vertiefung holt die Kugel sich im Tal immer Schwung. Dadurch bilden sich dann tote Sektoren. Wenn man den Kessel über die Achsen einstellt, diese ausgleicht, kann man das Tal verringern. Dadurch wird die Lauffläche wieder gleichmäßiger und die Fallpunkte sowie die toten Sektoren geringer. Lass uns das mal versuchen!“

Obwohl ich dem Kölner ansehe, dass er nicht so ganz überzeugt ist, nimmt er sofort Blatt und Stift zur Hand. Während er schreibt, blicke ich ihm interessiert über die Schulter. Perücke macht sich an die Arbeit. Er misst aus und sagt laut die Werte an. Der Kölner schreibt mit. Als das Ergebnis vorliegt, beratschlagen die Beiden. Schließlich sind sie sich einig. Sie beginnen.

Gar nicht so dumm, denke ich. Wenn das klappt, habe ich wieder etwas da-zugelernt. Das eintrudelnde Personal lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich sehe auf die Uhr. Alle sind erstaunt, mich so früh hier zu sehen. Um sechzehn Uhr kommt Hilda, ziemlich verkatert, als Vorletzte. Mit einem demonstrativen Blick auf die Armbanduhr frage ich streng: „War wohl eine lange Nacht gestern? Du siehst aus, als ob das letzte Bier schlecht gewesen wäre. Es wäre trotzdem sehr nett, wenn Du ab Morgen etwas früher kommen oder Deine Restaurierungsarbeiten schon zu Hause machen könntest.“ Das war ein kleiner Seitenhieb darauf, dass sie offensichtlich zu Hause nicht mehr die Zeit hatte, sich zu schminken und zu frisieren. „Alles klar, Chefin.“ kommt es lässig-patzig. „Nur so viel ich sehe, bin ich nicht die Letzte. Wenn Du mit mir meckerst, musst Du aber auch Nina mal die Meinung sagen. Die kommt doch, wann sie will. Mit Dienstbeginn hat die doch gar nichts am Hut. Oder hat Nina hier Sonderrechte?“ dabei sieht sich mich herausfordernd an.

Ruhig und sicher erkläre ich ihr: „Sonderrechte hat hier, Außer mir, niemand. Aber Du hast recht, der werde ich auch den Marschblasen. Darauf kannst Du Dich verlassen. Diese Schlamperei hört jetzt endgültig auf. Ich werde mal wieder eine Linie reinbringen. Wir haben doch die klare Vereinbarung, dass alle Angestellten eine viertel Stunde vor Öffnung hier sein müssen. Ab Morgen wird das wieder so gehandhabt. Wer sich nicht daran hält, bekommt eine Stunde abgezogen oder kann ein paar Tage Urlaub machen. Sollte das noch nichts nützen, sehe ich mich gezwungen, Betreffenden zu entlassen. Ich lasse mir doch hier nicht auf der Nase rumtanzen. Das werde ich jetzt mal öfter kontrollieren.“

Beim Betreten des Raumes hatte Ingo meine letzten Worte gehört. Amüsiert grinsend fragt er: „Schlechte Laune, Chefin? Grüß Dich! Wer hat Dich denn so verärgert?“

„Grüß Dich, Ingo! Ärgern lasse ich mich nicht. Aber offensichtlich gibt es ein paar Leute, die glauben, dass sie machen können, was sie wollen. Das werde ich ab sofort mal gründlich ändern!“ sage ich aufgebracht. Micki, froh das seine Ablösung da ist, verabschiedet sich und geht eilig zur Tür. Dort wäre er fast mit Nina, welche schnell hinein wollte, zusammengestoßen. In der üblichen Art will sie mit einem: „Hei!“ an mir vorbeihuschen, doch ich halte sie am Arm fest.

„Halt mein Fräulein, nicht so schnell! Auch Du genießt hier keine Sonderrechte, das merke Dir mal. Zu Deiner Information möchte ich Dir sagen, was ich eben angeordnet habe. Wer zu spät kommt, dass heißt, nach viertel vor vier, bekommt eine Stunde abgezogen oder drei Tage Urlaub. Du kannst wählen. Was ist Dir lieber?“ frage ich streng und sehe sie ernsthaft an. „Das ist doch nicht Dein Ernst? Es ist doch erst zehn Minuten nach vier. Schließlich kann das doch jedem Mal passieren. Ich bin aufgehalten worden. Ich hatte noch Besuch.“ verteidigt sie sich unsicher. Erwartungsvoll sehen mich mehrere Augenpaare an. Man kann die knisternde Spannung fühlen.

„Und ob das mein Ernst ist. Was hat Dein Dienstbeginn damit zu tun, ob Du Besuch hattest? Dann musst Du den eben früher wegschicken. Aber das ist Dein Problem. Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Außerdem ist doch bei Dir jeden Tag etwas anderes. Ab heute werde ich hier die Zügel mal etwas straffer ziehen. Also entscheide Dich, was möchtest Du, Urlaub oder eine Stunde abgezogen haben?“ beharre ich energisch auf meinem Standpunkt.

Immer noch scheint sie den Ernst der Situation nicht begreifen zu können. Obwohl ihr Lachen verlegen ist, sagt sie trotzig: „Hör auf mit dem Unfug. Was kehrst Du hier plötzlich die Chefin raus? Was ist schon dabei, wenn man ein paar Minuten zu spät kommt. Das kann doch mal passieren.“ Ich lasse mich nicht beirren und erkläre noch mal ausdrücklich: „Offensichtlich willst Du nicht begreifen, dass Privat und Geschäft nichts miteinander zu tun haben. Da Du Dich nicht entscheiden kannst, welche der beiden Möglichkeiten Du möchtest, werde ich Monika anweisen, Dir heute Abend eine Stunde von Deiner Gage abzuziehen. Jetzt kannst Du erst in Ruhe Kaffee trinken. Dein Dienst beginnt jetzt erst um siebzehn Uhr. Und denke daran, das nächste Mal gibt es Urlaub!“

Bevor sie die Diskussion weiterführen kann, wende ich ihr den Rücken und gehe Richtung Kessel.

Mit sich sehr zufrieden, hält Perücke mir einen Zettel hin. Darauf hat er die neue Einstellung notiert. Stolz berichtet er: „Sieh mal, so einfach ist das. Wir haben nur noch vier Zahlen Abweichung. Damit müssten wir zurechtkommen können. Das heißt natürlich nicht, dass wir uns das Abdrehen der Maschine sparen können. Aber wir können zumindest heute mit dem Kessel so arbeiten. Guck Dir nur das Testbild an, die Kugel ist ringsum gleichmäßig gefallen. Das bedeutet, dass der Kessel verteilt. Damit kann man arbeiten!“

Auch der Kölner ist zufrieden. Ich lobe die Beiden. Langsam aber stetig füllt sich der Raum mit Gästen.

Mary, unsere Küchen-Perle kommt auf mich zu, sie fragt besorgt: „Haben Sie denn heute schon was gegessen, Ruth? Soll ich Ihnen ein Brot machen oder möchten sie ein Stück Kuchen?“

Sie ist ständig um mein Wohlergehen besorgt, als wäre sie meine Reservemutter.

Lächelnd wehre ich ab: „Nein danke, Mary. Jetzt noch nicht. Sie können mir ein Stückchen Kuchen zurücklegen. Im Moment habe ich noch keinen Appetit. Aber einen Kaffee können Sie mir bringen.“

„Soll ich Holländer Kirsch zurückstellen?“ fragt sie, sie kennt meinen Geschmack recht gut. Ich nicke bestätigend. Schmunzelnd beobachte ich, wie sie eilig Richtung Theke hastet. Dabei erspähe ich interessanten Besuch. Ede bleibt im Vorraum bei Ingo stehen. Sie schütteln sich freundschaftlich die Hände und wechseln einige Worte miteinander. Danach wendet Ede sich in Richtung Saal.

Spontan gehe ich ihm ein paar Schritte entgegen und begrüße ihn erfreut. Während er mich fragt:“ Können wir uns hier irgendwo in Ruhe unterhalten?“ blickt er sich neugierig im Raum um. Als wir nebeneinander Richtung Aufenthaltsraum gehen, grüßt er jovial mit dem Kopf nickend mehrere Bekannte.

Skeptisch sieht er sich um, als wir durch den Keller auf die Türe des Ruheraumes zusteuern. Nachdem wir eingetreten sind, sagt er anerkennend: „Das hast Du aber gemütlich eingerichtet. Sogar mit Fernseher. Prima! Hier kann man ja samstags die Sportschau gucken.“

Desinteressiert erwidere ich: „Ich habe wenig Interesse an Sport. Es ist selten, dass ich hier runter gehe. Deshalb sieht es hier auch so unordentlich aus. Es ist schlimm, wie nachlässig die Croupiers sind. Lassen alles stehen und liegen. Alle paar Wochen muss Mary hier mal ausmisten. Ich muss ihr sagen, dass das mal wieder fällig ist. Hoffentlich stört es Dich nicht. Nimm doch Platz!“

Verständnisvoll antwortet er: „Du musst Dich nicht entschuldigen. Ich bin schließlich nicht gekommen, um zu sehen, ob hier aufgeräumt ist. Es gibt ein Problem. Ich weiß zwar nicht, wie das so schnell möglich ist, aber es ist wohl schon das Gerücht im Umlauf, dass wir hier einsteigen wollen. Sarino sagte mir gestern, dass Franco mich sprechen will. Meine Einstellung zu Franco kennst Du ja. Er ist mir egal, trotzdem hielt ich es für angebracht, mit ihm zu reden. Ich habe also gestern Nacht mit ihm telefoniert. Zu Deiner Beruhigung, er ist tatsächlich in Italien. Um es kurz zu machen, ich habe ihm klipp und klar gesagt, dass mich Eure Privatsachen nicht interessieren. Allerdings habe ich auch deutlich gesagt, dass er in meinen Augen geschäftlich Außer ist. Dass ich nur Dich als kompetenten Ansprechpartner ansehe. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich auf jeden Fall Dein Partner werde und er sich keine Hinterlist einfallen lassen soll. Dann müsste er mit einem Gegner mehr rechnen. Mit mir! Er hat versprochen, dass er keine Schwierigkeiten machen wird. Jedoch nur unter einer Bedingung. Er will eine Abstandssumme von fünfzehn Mille haben. Ich habe zugesagt, mit Dir darüber zu sprechen, die Entscheidung jedoch Dir zu überlassen. Solltest Du damit nicht einverstanden sein, würde das meine Einstellung zu unserer geschäftlichen Vereinbarung nicht ändern, überleg es Dir. Ich will Dich auf gar keinen Fall beeinflussen. Ich bleibe sowieso bei meinem Entschluss. Meine Partner sind allerdings anderer Ansicht. Sie glauben, dass es Probleme gibt, wenn Du Francos Verlangen ablehnst. Dann treten sie von der Vereinbarung zurück. Davon solltest Du dich aber auch nicht beeinflussen lassen. Egal, wie Du Dich entscheidest, ich bleibe Dir erhalten. Ich weiß nicht, wie weit man ihm Vertrauen kann, auf jeden Fall hat er mir hoch und heilig versichert, er würde nichts Negatives im Schilde führen. So, nun bist Du dran. Du musst entscheiden, ob Du bereit bist, ihm diese Summe noch zu zahlen. Was sagst Du zu seiner Forderung?“ gespannt sieht er mich an.

Nervös stecke ich mir eine Zigarette an und rauche hastig, während meine Gedanken fieberhaft arbeiten. Dann lache ich verächtlich: „Was sein Wort wert ist, willst Du wissen? Nicht das Schwarze unter dem Fingernagel! Er lügt und stiehlt schneller als ein Hase laufen kann. Wenn er Dir die Hand gibt, musst Du Deine Finger nachzählen. Ich glaube nichts mehr von dem, was er sagt. Hat er auch wieder auf das Leben seiner Kinder geschworen? Damit bekräftigt er am liebsten seine Lügen. Für mich ist sein Wort keine Sicherheit. Dazu kenne ich ihn gut genug. Aber ich will Dir was sagen, wenn Du der Meinung bist, dass man mit dieser Summe eine Sicherheit für das Geschäft erkaufen kann, dann soll es daran nicht scheitern. An mir soll es nicht liegen. Ich bin also einverstanden. Du kannst die Summe gleich vom Kaufpreis einbehalten und das Geld an ihn weiterleiten. Jedoch stelle ich eine Bedingung. Ich bin auf gar keinen Fall damit einverstanden, dass er die Summe auf einmal bekommt. Mindestens in drei Raten. Du wirst verstehen, dass ich ihm nicht auch noch das Geld dafür zur Verfügung stellen möchte, dass er zu einem Gegenschlag ausholen kann. Du kannst also ihm und Deinen Partnern sagen, dass ich mit der Zahlung dieser Abstandssumme einverstanden bin, in drei Monatsraten! An den paar Mark sollen unsere geschäftlichen Vereinbarungen nicht scheitern. Mir bleibt zwar nicht mehr viel von der Kaufsumme übrig, aber das macht nichts! Ich denke mit Euch zusammen werde ich schon wieder verdienen.“

Voller Achtung sagt er: „Bravo Mädchen! Ich wusste, dass Du so reagierst. Jetzt steht unserer Vereinbarung nichts mehr im Wege. Wir akzeptieren Dein letztes Angebot. Kannst Du Morgen Nachmittag mal ins Billard-Cafe kommen? Dann setzen wir uns alle zusammen und sprechen die näheren Einzelheiten durch. Geht es so gegen drei Uhr?“

Kopfschüttelnd entgegne ich: „Nein, das ist mir zu spät. Lieber wäre mir eine Stunde früher. Ich möchte vor Dienstbeginn zurück sein. Der Kessel wird Morgen zum Abdrehen gebracht. Ich will sehen, wie der danach läuft.“ Wolfram erhebt sich und nickt: „Geht in Ordnung! Also sehen wir uns Morgen Mittag um zwei. Alle Einzelheiten können wir dann besprechen!“ Als wir den Saal betreten, ist diesmal brechend voll. Ede geht mit mir hinter den Kessel und begrüßt den Kölner. Interessiert erkundigt er sich bei dem Bouleur nach unserem Spielgerät. Franz erzählt von unseren momentanen Problemen. Nachdem Ede ein paar Spiele beobachtet hat, meint er: „Dafür, dass der Kessel so viel Abweichung hat, läuft er aber gut. Ihr müsst ihn allerdings trotzdem zum Abdrehen bringen. Morgen kann sich das Gerät schon wieder verändert haben. So, ich muss gehen. Schafft an! Bis dann.“ Franz knurrt hinter ihm her: „So schlau sind wir selbst!“

Obwohl viele Menschen im Saal sind, übertönt das laute Gelächter aus der Polster-Ecke alle anderen Geräusche. Missbilligend blickt Franz in diese Richtung. Da die stehenden Spieler meine Sicht verdecken, gehe ich um die Spielanlage herum, um festzustellen, was dort los ist.

Was ich dann sehe frustriert mich derartig, dass ich mich abwende, um zur Theke zu gehen. Zwei von meinen Leibwächtern haben sich auf der Polstergarnitur mit zwei Freunden und deren Huren versammelt. Offensichtlich amüsieren sie sich köstlich. Dieser Luden-Treff gefällt mir gar nicht. Ich bestelle bei Mary Kaffee und Kuchen, dabei denke ich: es wird wirklich Zeit, dass sich hier einiges ändert. Ich habe nichts gegen Zuhälter, auch nichts gegen Huren. Schließlich muss jeder selbst wissen, was er tut. Auch dass man diesen Frauen an der Art, wie sie sich kleiden, schminken und benehmen, ansieht, was für einen Beruf sie ausüben, ist deren eigene Angelegenheit. Nur ihr Treffen, hier im Casino, halte ich für fehl am Platze. Für mein solides Publikum muss das ein fürchterlicher Anblick sein. Meine Leibwächter, mit ihrem Aussehen wie Preis-Boxer, geben für die Omis sicher schon ein erschreckendes Bild ab. Dies ist eine Sache, die ich im Moment nicht vermeiden kann. Aber das hier neuerdings noch mehr Zuhälter rumlaufen, muss nicht sein. Das passt mir absolut nicht, ich werde es schnellstens ändern müssen. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass sich durch die neue Inhaberschaft sowieso einiges ändern wird.

Als hätten sie meine Gedanken erraten, geht plötzlich das ganze ‚Clübchen’ zum Ausgang. Dieter bleibt bei mir stehen. Während er mir die Hand reicht sagt er: „Hallo, wie geht’s? Sag mal, was willst Du eigentlich mit der blauen Garnitur machen? Wenn Du sie verkaufen willst, hätte ich daran Interesse. Für meine neue Wohnung. Oder hast Du schon Verwendung für die Garnitur?“

Ich schlucke den restlichen Kuchen runter, dann biete ich ihm schnell an: „Kannst Du kaufen! Die steht hier nur dumm im Weg rum. Was zahlst Du freiwillig?“

Ironisch grinsend erwidert er: „Freiwillig gar nichts. Sag mir, was Du haben willst. Aber mach es nicht so teuer, unter Freunden. Die neue Wohnung ist sowieso schon teurer geworden, als ich gedacht hatte.“ Angewidert starre ich sekundenlang auf die Plastik-bezogene blaue Velourcouch. Dann bestimme ich: „Wenn Du mir versprichst, das blöde Ding innerhalb der nächsten drei Tage hier raus zu holen, kannst Du sie für Elfhundert haben. Du brauchst nicht mit mir zu handeln, das ist schon ein Freundschaftspreis.“ Gespannt beobachte ich seine Reaktion. Offensichtlich erscheint ihm das Angebot günstig, denn er stimmt schnell zu: „Geht in Ordnung! Morgen wird sie abgeholt. Hand drauf. Elfhundert ist gebongt.“ Während ich seine dargebotene Hand schüttle, denke ich: manchmal bin ich aber auch zu blöd. Ich hätte sicher mehr verlangen können. Zwar habe ich sie nicht bezahlt, und dafür dass sie nur siebzehnhundert gekostet hat, sieht sie eigentlich teurer aus. Aber dafür habe ich mal aus Francos Eigentum Reibach gemacht.

Im Hinausgehen gibt Dieter dem bärtigen Italiener die Tür in die Hand. Freudenstrahlend reicht Luigi mir seine Pranke und meint gut gelaunt: „Chefin, alles klar? Bist Du noch frisch? Ich will mir wieder ein paar Mark abholen. Heute hab ich länger Zeit, hab meinen freien Tag. Kannst Dich schon mal warm anziehen. Ich weiß, Du hast genug Italiener zu ernähren. Aber da kommt es doch auf einen mehr auch nicht mehr an. Ich will ja schließlich keine Geschenke, ich spiel um die Kohle. Darf ich?“ flachst er mich.

Er war mir schon immer sympathisch, deshalb lache ich: „Klar darfst Du. War es lecker gestern? Dann versuch mal, wer heute der Sieger ist. Schaff an Junge, Dir gönn ich es!“

Dabei denke ich: nur im Moment muss es wirklich nicht sein, dass Du hier abbeißt. Das kann ich mir einfach nicht erlauben. Die vier Mille von gestern müssen im Augenblick für Dich reichen. Bei Geld hört eben auch bei mir die Freundschaft auf. Hoffentlich gehst Du heute baden. Selbstsicher geht er in den Saal. Da ich keinen ängstlichen Eindruck erwecken will indem ich sofort hinter ihm hergehe, weil das auch sonst nicht meine Art ist, beschäftige ich mich damit, die Sessel vor den Automaten gerade zu rücken. Als ich dann noch die schmutzigen Aschenbecher einsammeln will, fange ich mir einen pikierten Blick von Mary ein. Gekränkt unterbricht sie die von mir begonnene Tätigkeit, indem sie mir die Ascher aus der Hand nimmt. Säuerlich mault sie: „Ich mache das schon. Das ist nicht Ihre Aufgabe, Chefin!“ zum Abfalleimer.

Weil ich weiß, wie sensibel sie ist, ich sie nicht kränken wollte, sage ich besänftigend: „Ich weiß, dass Sie Ihre Arbeit ordentlich machen, Mary. Es sollte kein versteckter Hinweis auf irgendeine Nachlässigkeit sein. Ich hab nur Beschäftigungs-Therapie betrieben.“

Langsam schlendre ich nun doch in den Saal. Dabei versuche ich Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen. Vor dem ersten Tableau bleibe ich zögernd, mit auf dem Rücken verschränkten Händen stehen. Scheinbar gelassen will ich das Spielgeschehen beobachten. Da jedoch die Spieltische voll besetzt sind, verdecken mir die vielen Menschen die Sicht. Als dann ein Raunen durch den Raum geht, werde ich unruhig. Ich recke mich, um über die Köpfe hinweg zu sehen. Aber dafür reicht meine Körpergröße nicht aus. Also dränge ich mich lässig, bemüht Selbstsicherheit zu demonstrieren, im Zeitlupentempo hinter den Spielern vorbei Richtung Kessel, dem einzigen Platz, an dem man freie Sicht über die ganze Anlage hat. An dem ausdruckslosen Gesicht des Kölners kann man, wie immer, nichts erkennen. Flink fliegen meine Blicke über die Tableaus. Schnell checke ich die aufgestapelten großen Jetons durch.

Mit dem Anflug eines belustigten Grinsens sagt Franz gedehnt: „Noch nichts passiert Chefin! Für den Langen gab es zweimal Glatze und der dritte Versuch war ein Lattenschuss. Auf der 5 hätte es ein Herren-Gedeck gegeben. Leider kam die 3. Darauf gabs nur eineinhalb Plein. Heut klappt es nicht bei ihm. Von Spiel zu Spiel wird er Größer und breiter. Erst hat er nur 3 Zahlen gespielt. Beim zweiten Spiel nahm er das Gegenüber schon mit. Im dritten Spiel stand er schon auf 12 Zahlen. Ich hab ihn schon mit Tausend am Tanzen. Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, der Kessel läuft gut. Wenn das so bleibt, schaffen wir heute das erste Mal ein paar Mark an. Guck ihn Dir nur an. Eben war er noch so selbstsicher, da hat er mich noch geflachst. Jetzt ist er schon ganz ruhig geworden. Wenn er genug eingesteckt hat, können wir vielleicht die Kohle von gestern zurück kriegen. Sieht gut aus für uns.“

Aufmerksam beobachte ich die Kugel bis sie fällt. Sofort wandert mein Blick zu Tisch zwei, an dem der Bärtige spielt. Da die Kugel in die 22 gefallen ist, Luigi nur bis zur 21 gespielt hat, gibt es für ihn keine Anzahlung.

Ungläubig in den Kessel starrend schimpft er erregt: „Das ist doch nicht möglich! Immer eine Zahl aus dem Geld. Ich glaube, ich bin hier auf der Rolle!“

Er sieht mich herausfordernd an und sagt provozierend: „Chefin, was hast Du mit der Maschine gemacht? Ist das ein anderer Kessel? Das kann doch nicht der von gestern sein. Die Macke ist weg. Hier stimmt was nicht!“ Seine anmaßende Anmache kann mich nicht beirren, gelassen entgegne ich: „Ich glaube, Du musst mal Deine Kontaktlinsen putzen, mein Freund! Das ist der gleiche Kessel. Wir haben nur den einen. Hier ist kein Räuber-Zock. Hier wird vorschriftsmäßig, nur mit einer Maschine, gearbeitet. Was wir gemacht haben kann ich Dir sagen. Da wir wissen, dass Du gefräßig bist wie ein Hai, haben wir die Maschine, extra für Dich, messerscharf eingestellt. Du kannst gerne hier hinter kommen und Dich davon überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hat. Wenn Du möchtest, kannst du auch mal selbst die Kugel werfen. Aber stell gefälligst nicht solche Vermutungen auf. Als Insider solltest Du wissen, dass man sowas nicht vor Publikum macht. Die Leute könnten es ja glauben.“

Abwehrend hebt er beide Hände und grinst säuerlich: „Nein, lass mal. Es war nicht so gemeint. Ich weiß, dass Du korrekt bist. Wahrscheinlich hab ich mich noch nicht warm gezockt. Werf ab, Franz. Gleich werd ich dir einen einschütten. Mach weiter!“ Lautes diskutieren an der Kasse lenkt meine Aufmerksamkeit in diese Richtung. Die Kassiererin wirft mir einen hilflosen Blick zu. Schleunigst bahne ich mir den Weg durch die Menge. Als ich der Kasse näher komme, höre ich Monika argumentieren: „Nein, das geht nicht! Sie haben zu viel getrunken! Ich darf Ihnen keine Jetons verkaufen!“

Genervt sieht sie mir entgegen, und bittet mich hilfesuchend: „Chefin, würden Sie dem Herrn bitte bestätigen, dass ich ihm keine Jetons geben darf?“

Als der Betrunkene sich mir zuwendet, schlägt mir ein Alkoholdunst entgegen, der einen Elefanten hätte umwerfen können. Obwohl er sich mit einer Hand an der Wand festhält, steht er auf so unsicheren Beinen, dass er bei der halben Drehung leicht taumelt. Seine verschwommenen. Augen sehen mich ungläubig an, als er fragt: „Sie sind die Chefin? Ich will zocken! Wieso darf ich hier nicht zocken? Ich hab doch fast nichts getrunken.“ Angewidert trete ich einen Schritt zurück, dann sage ich energisch: „Heute nicht. Ein andres Mal gerne. Alkohol und Spielen passt nicht zusammen. Wir möchten keine angetrunkenen Spieler, das ist besser für beide Seiten. Morgen dürfen Sie gerne wiederkommen. Aber nüchtern und ausgeschlafen, wie beim Autofahren. Alles klar?“

Offenbar habe ich ihn nicht überzeugen können, denn er verlangt eigensinnig: „Ich will sofort den Chef sprechen! Ich lass mir doch nichts von einer Frau sagen!“

Jetzt werde ich ungeduldig, deshalb antworte ich scharf: „Der Chef bin ich, sonst gibt es hier keinen. Und nun möchte ich Sie bitten, sofort zu gehen. Haben Sie mich verstanden? Zwingen Sie mich nicht, Ihnen dabei behilflich zu sein. Guten Abend!“

Schnell suchen meine Augen den Raum ab. Natürlich, wenn man einen von den Jungs braucht, ist keiner da, denke ich. Nun wird er frech und anmaßend: „Was willst Du Würstchen denn von mir? Von Dir lass ich mich doch nicht rausschmeißen. Ich gehe, wann ich will! Ist das klar?“ Mir reißt der Geduldsfaden. Ich rufe befehlend: „Monika, Tür auf!“

Gleichzeitig greife ich den Besoffenen mit beiden Händen und schleife ihn während ich schimpfe: „So, jetzt aber raus Freundchen! Frech werden auch noch? Aber nicht bei mir! Wenn Du glaubst, bei einer Frau kannst Du Dir das erlauben, zeige ich Dir mal, wo hier der Weg lang geht. Raus-raus-raus!“ zur Tür.

Der Säufer ist derartig geschockt, dass er mich mit offen stehendem Mund und beschränktem Gesichtsausdruck ansieht, unfähig sich zu wehren. Als ich ihn die zehn Schritte durch den Vorraum gezogen habe, wir an der von Monika weit aufgehaltenen Tür angekommen sind, will er sich losreißen. Doch ich bin schneller als er. Schon habe ich ihm einen leichten Stoß gegeben, so dass er die drei Stufen des Einganges runter taumelt. Jörg und Ingo stehen draußen und lachen erstaunt-spöttisch, als sie meine Hektik sehen. Als der Betrunkene noch etwas sagen will, fahre ich ihn streng an: „Kein Wort mehr! Verzieh Dich! Sonst gibt es noch ein paar bergische Ohrfeigen! Hau ab, und komm mir nicht mehr unter die Augen!“ Trotzig vor sich hinmurmelnd taumelt er in Richtung Innenstadt. Jörg lacht ironisch: „Das war aber nicht Damenhaft fein! Wie ich sehe, brauchst Du uns eigentlich gar nicht. Den Rausschmeißer machst Du ja schon selbst.“

Grinsend erwidre ich: „Wenn ich das Hemd von meinem Vater anhabe, wiege ich zehn Zentner. Wusstest Du das nicht? Glaubst Du denn, ich lasse mir von so einem Vollgesoffski auf der Nase rumtanzen? Das fehlt mir auch noch. Mit so einem werde ich noch alleine fertig, darauf kannst Du Dich verlassen.“

Spöttisch, aber auch anerkennend meint Ingo: „Davon hast Du uns gerade eine Kostprobe gegeben. Aber trotzdem solltest Du uns rufen. Damit musst Du Dich doch nicht selbst rumärgern. Sag das nächste Mal Bescheid.“ Achselzuckend wende ich mich ab.

Schon von weitem sehe ich den langen Italiener mit hängenden Schultern, in den Hosentaschen vergrabenen Händen, unschlüssig rumstehen. Als er mich sieht, schlendert er mir lässig entgegen. Leise murmelt er in jämmerlichem Tonfall:! „Ruutee, (er wird es wohl nie lernen meinen Namen richtig auszusprechen) gib mir ein paar Mark Totengeld. Ich bin geputzt. Viereinhalb Mille hab ich verloren. Ich brauch ein paar Mark zum Essen gehen.“

Davon hattest Du gestern vier gewonnen, denke ich. Trotzdem gebe ich mich großzügig: „War wohl nicht Dein Tag heute? Das nächste Mal geht es sicher besser. Monika, gib mal Zweihundert. Ich bringe Dir gleich Tisch-Jetons dafür. Hier mein Freund, lass es Dir gut schmecken.“

Dabei denke ich: fürchterliche Sitte, zehn Prozent des Verlustes an die Spieler zurück zu geben. Ein Glück, dass der Reutlinger als erste und einzig gute Amtshandlung damals sofort die ‚Totengeld-Arie’ abgeschafft hat. Aber bei guten Gästen muss ich wenigstens ein paar Mark ‚Fahrgeld’ geben. Sonst sind die sauer und gehen zur Konkurrenz in der Nachbarstadt. Luigi kriegt kaum die Zähne auseinander, als er murrt: „Ist zwar dünn, aber trotzdem, Grazie. Ciao Chefina.“

Wie ein geprügelter Hund schleicht er mit leicht gebückter Haltung zur Tür hinaus. Er kam als Sieger!

Kurz vor zwölf Uhr kommt noch mal ein ganzer Schub Zocker. Unsere Buffet-Lieferanten mit einem befreundeten Ehepaar. Der Drucker mit sämtlichen Mitarbeitern. Sowie ein leicht angetrunkener Gastwirt, welcher wohl alle übriggebliebenen Gäste mitgebracht hat. Der Saal ist so voll geworden, dass der Nikotin-Nebel dichter wird. Ich gehe zum Ende des Raumes und öffne beide Fenster. Franz wirft mir vom Kessel aus einen warnenden Blick zu. Gelassen gehe ich zu ihm, um zu kontrollieren, ob es dort zieht. Bevor er was sagen kann, argumentiere ich schnell: „Ich musste die Fenster öffnen. Man kann doch vor Qualm die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Wenn es zieht, mache ich die Fenster sofort wieder zu, sobald der Rauch etwas abgezogen ist. Aber ich glaube, dass bei den vielen Leuten die Luft für den nötigen Ausgleich sorgt. So kann es unserer Maschine, bei den vielen heißen Zockern, auch nicht zu warm werden.“ zwinkre ich ihm grinsend zu. Bei Feierabend stellt sich tatsächlich heraus, dass die winterliche Kälte, welche durch die Fenster herein gekommen war, sich nicht negativ auf unser Spielgerät ausgewirkt hat.

Bei der Abrechnung zählen Franz, Monika und ich durch. Franz sagt freudestrahlend: „Na bitte! Das ist doch endlich mal ein Erfolg. Siehst Du nun, dass wir auch alleine zurecht kommen? Wenn wir den Verlust von gestern abziehen, haben wir immerhin 3 Mille angeschafft. Wozu brauchst Du Kompagnons? Überleg es Dir noch mal. Ich bin der Meinung, dass Du damit den nächsten Fehler machst. Du verschenkst damit nur Geld. Lass Dir Zeit, überleg es Dir reiflich!“

Distanziert antworte ich gedehnt: „Ich weiß, Du meinst es gut. Mir ist auch klar, dass es Dir dabei nicht nur um Deine 5 Prozent geht. Aber trotzdem musst Du das bitte mir überlassen. Nur weil es heute mal gut gegangen ist, solltest Du keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es hätte auch anders sein können. Du darfst es mir nicht übel nehmen, wenn ich die Sache so abwickle, wie sie für mich am günstigsten ist. Es geht um einige Dinge mehr, die ich Dir im Moment nicht erklären möchte. Aber ich glaube dass Du mich besser verstehst, wenn ich Dir sage, dass diese Firma mir in vier verschiedenen Richtungen Rückendeckung gibt. Das brauche ich zurzeit, Rückendeckung! Ein kleines Beispiel ist das Personal. Darunter gibt es ein paar Leute, die meinen persönlichen Stress schamlos ausnutzen und meine derzeitige Nachsicht mit Schwäche verwechseln. Ich hab jetzt einfach nicht den Nerv noch mehr Kämpfe durchzustehen. Übrigens Monika, hast Du Nina die Stunde abgezogen?“ wende ich mich an die Kassiererin und sehe diese fragend an.

Die Kleine antwortet mit schadenfrohem Grinsen:“ Klar Chefina. Nina war so sauer, dass sie wie ein geölter Blitz zur Tür rauslief. Ersparen Sie mir bitte, Ihnen zu erzählen, was die gesagt hat. Es war eine sehr unfreundliche Aufforderung an Sie!“ Mit dieser Andeutung hat sie mir quasi brühwarm wiedergegeben, wie Nina reagiert hat.

Desinteressiert winke ich mit einem müden Lächeln ab. Ich gebe Franz seinen verdienten, prozentualen Anteil und stecke das restliche Geld achtlos ein. Gemeinsam gehen wir zum Ausgang.

Dort fällt mir ein: „Franz, sollen wir den Kessel nicht doch besser in den Transporter laden?“

Energisch schüttelt der Angesprochene den Kopf: „Nee, lass mal. Ich regel dat morgen schon. Notfalls ruf ich ein Taxi und lass mir von dem Fahrer anfassen.“

Er will sich beweisen, die Schlappe mit dem Kofferraum reicht ihm, denke ich. Im Vorraum wartet Jörg, mein heutiges Kindermädchen gelangweilt im Sessel hängend. Während er sich lässig erhebt fragt er: „Können wir? Nimmst du Dein Auto mit oder fährst Du mit mir?“

„Meiner steht oben auf dem Parkplatz gut. Wozu sollen wir mit zwei Autos fahren? Ich kann den Wagen morgen früh schnell holen.“

Ich will zur Tür hinaus. Sein energisches: „Halt!“ lässt mich erschrocken herumfahren. „Sei nicht so eilig, lass mich vorgehen.“ befiehlt Jörg und schiebt sich an mir vorbei. Als er nach draußen geht, um die Lage zu peilen, wirft Franz mir einen missbilligenden Blick zu. Dann winkt Jörg. Die Luft ist rein! Ist ja wie im Krimi, denke ich müde. Zu Hause angekommen erklärt Jörg mir seine Taktik: „Nimm gleich den Schlüssel in die Hand und bleib bitte hinter mir. Wenn wir auf die Haustür zugehen, kann ich Dich so besser abschirmen, falls jemand hinterm Haus rauskommt. Während Du aufschließt bleibe ich dann hinter Dir stehen. Okay?“ Bedingungslos nickend akzeptiere ich seine Anweisung. Erst nachdem ich die Eingangstür hinter uns zugeschlossen habe, sehe ich ungläubig, dass er eine Waffe einsteckt.

Im Bett liegend überlege ich, ob das wirklich nötig ist.

Als Stichling unter Haien

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