Читать книгу Als Stichling unter Haien - Ruth Broucq - Страница 6
3.) Die Zitterpartie
Оглавление„Chefina, hallo! Was ist denn? Der Franz braucht Sie!“ holt Monikas Stimme mich aus meinen Gedanken. Energisch schüttle ich die Erinnerung ab und gehe eilig in den Saal. Als ich auf Franz zugehe, sehe ich die Bescherung. Den erneuten Handwechsel am Kessel hatte ich gar nicht mitbekommen. Der Kölner sieht mir mit zusammengekniffenen Lippen entgegen. Breitbeinig steht der Tankwart in dem sowieso viel zu engen Durchgang zwischen dem Tableau und der Wand. Wie immer hat er sein zynisches Grinsen aufgelegt.
„Ach, da kommt ja die Chefin! Müssen Sie jetzt selbst die Kugel werfen? Ihre beiden Croupiers haben ja ziemlich schlechte Nerven! Versuchen Sie es doch selbst einmal. Vielleicht haben Sie ja keine Angst!“ versucht er mich in seiner arroganten Art anzumachen.
Laut und deutlich, aber freundlich, antworte ich ihm: „Wer hat hier Angst? Wegen der paar Knöpfe, die Sie da vor sich stehen haben, haben meine Leute doch keine Angst. Bei uns werden nach der Schlacht die Toten gezählt, mittendrin lohnt es sich nicht. Es sei denn, Sie haben Angst und wollen schon gehen. Wenn Sie mutig sind, wir bestimmt! Dann können wir uns am Ende der Schlacht noch mal unterhalten. Dann werden wir sehen, wer der Sieger ist! Würden Sie mich denn jetzt bitte mal vorbeilassen?“ Als er beiseitetritt, gehe ich ganz nah zu unserem Franz. Leise flüstere ich ihm zu: „Was ist denn Franz? Mach nicht so ein Gesicht! Lache wie immer! Diesen arroganten Pinsel wirst Du doch wohl noch schaffen? Noch ist nicht aller Tage Abend. Werfe weiter. Mach ihn sauber! Ich weiß, dass Du das schaffst!“
Dann nehme ich auf einem Stuhl einen halben Meter entfernt Platz. Offensichtlich hatten dem Franz meine Worte Auftrieb gegeben. Er strafft seine Haltung, putzt den Kessel sauber und wirft ganz locker erneut die Kugel ab.
Mit undurchschaubarer Miene sehe ich dem Spiel eine Weile zu. Der Tankwart landet nicht einen Treffer mehr. Langsam werden die vor ihm aufgehäuften Jetons weniger. Dieser Affe grinst noch immer. Er ist zwar ein mieser Gewinner, aber ein schlechter Verlierer ist er nicht. Als er seine letzten Jetons auf das Tableau setzt, blickt er zu mir rüber und sagt: „Chefin, ich glaube Sie bringen mir die Seuche! Können Sie nicht wieder nach vorne gehen?“
Das könnte Dir so passen, denke ich. Ich werde schön hier sitzen bleiben und hoffen, dass Du Dich ganz auskotzt. Freundlich, aber ironisch grinsend erwidere ich: „Ich bringe nicht die Seuche. Es ist die Gier. Was wollten Sie noch mehr gewinnen? Die Ladenschlüssel? Hätten Sie vorhin aufgehört und wären an die Kasse gegangen, wäre es doch ein erfolgreicher Abend für Sie gewesen. Aber Sie wollten ja mehr! Das geht meistens daneben. Das kennen wir doch alle.“
Mit einem schnellen Blick in die Runde sehe ich, dass alle Spieler nicken. Ja, das kenne ich nur zur Genüge. Nicht aufhören können, das ist der Tod eines jeden Spielers! Und das Glück der Bank! Ich bin erleichtert, dass es jetzt so ausgegangen ist. Wäre er tatsächlich vorhin gegangen, hätte er unsere gesamte Kassen-Lage mitgenommen. Dann hätte ich vor dem Problem gestanden, wie es Morgen weitergeht. Nein, diese Zitterei kann ich nicht aushalten. Dafür habe ich im Moment nicht die Nerven! Ich muss mir doch schneller eine Lösung einfallen lassen, als mir lieb ist, denke ich. Tief Luft holend erhebe ich mich. Mit einem kurzen Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es fast ein Uhr ist. Franz sagt die letzten drei Spiele an. Ich gehe zur Kasse um mit Monika die Abrechnung vorzubereiten. Der Tankwart geht grußlos! Sein zynisches Grinsen hat er bis zur letzten Sekunde behalten.
Als die Croupiers die Tableaus abbürsten, der letzte Gast den Raum verlassen hat, atmen alle auf. Die allgemeine Erleichterung, dass der harte Kampf vorbei und die Gefahr noch einmal vorübergezogen ist, ist deutlich spürbar. Laut diskutierend gehen die Croupiers in den Umkleideraum. Ingo ruft: „Tschüs zusammen!“ und verschwindet eilig. Keiner antwortet. Micki verschließt die Eingangs-Tür und wartet.
Beladen mit Jetons, Geld und Abrechnungsblock gehen Monika und ich zum Tableau. Der Kölner hat seine Tisch-Lage Jetons und die eingespielten Kassen-Jetons ordentlich auf dem Spieltisch auseinander gefächert. Während die Kassiererin die Kassenlage und das eingenommene Geld getrennt vorzählt, vervollständige ich die vorbereitete Abrechnung. Nach Abzug aller Kosten ist der Gewinn mager.
Micki begleitet uns zu Ninas Auto, meinen Wagen lasse ich stehen. „Sollen wir Dich Morgen von zu Hause abholen?“ fragt Micki besorgt. Er hat doch ein schlechtes Gewissen mich alleine fahren zu lassen. „Ruf mich doch morgen gegen drei bei Nina an. Dann sag ich Dir Bescheid. Bis Morgen.“ wehre ich schnell ab.
Während Nina in Richtung ‚Luisa’ fährt, bitte ich Sie, mal ausnahmsweise zu schweigen, da ich überlegen möchte. Ich muss mich fragen, warum fahre ich jetzt dorthin? Was will ich da? Will ich zu Ede oder zum Reutlinger? Obwohl ich jetzt endlich frei entscheiden und handeln kann, habe ich das ungute Gefühl wehrlos und mit leeren Händen einem Rudel hungriger Hyänen gegenüber zu stehen. Im Unterbewusstsein ist mir klar, dass ich nur eine Chance haben den Existenz-Kampf siegreich zu führen, wenn ich mich in die Deckung mächtiger Partner begebe. In dieser harten, rücksichtslosen Branche kann ich nur im Schutze einer starken Gemeinschaft zum Ziel kommen und mich gegen jegliche Angriffe wappnen. Über eines bin ich mir bereits im Klaren, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder ich würde mit dem Reutlinger sprechen und mich wieder mit ihm verbünden. Diesmal könnte ich sogar bessere Bedingungen aushandeln. Oder Ede Prozente meines Geschäftes zum Kauf anbieten.
Fest steht für mich, dass ich mich für eine der beiden Seiten schnellstens entscheiden muss. Aber eine erneute Zusammenarbeit mit dem Reutlinger? Nein! Das habe ich doch schon hinter mir!
Dieser Versuch ist kläglich mangels Erfolg gescheitert. Außerdem sagt man dem Reutlinger nach, dass keiner seiner Geschäftspartner je zu Geld gekommen ist. Sicher liegt es auch daran, dass er eine bestimmende, immer Alleinregie führende Art hat. Vielleicht nennt man ihn auch deshalb den ‚Papst’. Auch hat er die Angewohnheit, für ihn weniger wichtige Partnerschaftsgeschäfte mit für ihn weniger wichtigen manchmal deplatzierten Geschäftsführern zu besetzen. Als absoluter Allein-Herrscher spricht er seinen Partnern gern jedes Mitbestimmungsrecht ab. Durch seine diktatorische Art hat man keinen leichten Stand bei ihm. Wegen seiner Vielseitigkeit ist es oft problematisch ihn zu erreichen. Ständig reist er von einem Betrieb zum anderen. Er wird zwar immer über alles informiert, aber viele Leute telefonieren oft ohne Antwort wochenlang hinter ihm her. Da er die nebensächlichen Partner-Läden logischerweise später berücksichtigt, erst seine alleinigen. In den drei Monaten unserer Zusammenarbeit habe ich das auch des Öfteren zu spüren bekommen. Ich bin zwar immer sehr gut mit ihm klar gekommen, trotzdem habe ich festgestellt, dass er in der Zeit, als ich bei ihm angestellt war, auf meine Anrufe interessierter reagiert hat, als während unserer Partnerschaft.
Als größter Unternehmer unserer Branche (kein Mensch weiß wie groß und vielseitig er tatsächlich ist) ist er eben ein vielbeschäftigter Mann. Aber will ich wieder eine uninteressante Randerscheinung sein? Nein!
Die bessere Möglichkeit für mich sind also Ede und seine Partner. Diese vier Herren, in der Branche auch die ‚Firma Korrekta’ genannt, haben soweit ich weiß, im Moment nur drei Betriebe. Nun habe ich gehört, dass der Reutlinger sich für den Kauf von zwei ihrer Läden interessiert. Das wäre die günstige Gelegenheit, ihnen die Beteiligung an meinem Laden anzubieten.
Außerdem gehören sie zu den wenigen seriösen Veranstaltern in unserer Branche und kümmern sich persönlich um ihre Geschäfte. Ein Vorteil ist, dass sie in der Nachbarstadt wohnen. Und drei von ihnen kenne ich seit Jahren recht gut.
Wolfram, genannt Ede oder Boxer ist selbst ein großer Zocker und wohl der Agilste von ihnen.
Klaus, auch auf den Namen ‚Fransman’ hörend, ist der Faulste und der Phlegmatischste der Vier, allerdings als Glückspilz bekannt. Mit ihm habe ich schon mehrmals als Partnerin oder Angestellte zusammengearbeitet. Der dicke Wilhelm, von vielen Leuten auch boshaft ‚Frosch’ oder ‚Qualle’ genannt, ist ein ruhiger, nervenstarker und fleißiger Mensch. (Zwar sagt man ihm nach, dass er in betrunkenem Zustand das genaue Gegenteil und Frauen gegenüber sehr ausfallend sein soll, doch ich hatte ihn niemals so gesehen). Ihn hatte ich in sechswöchiger Zusammenarbeit in Belgien als einen freundlichen, großzügigen Chef kennengelernt. Es war eine Freude mit ihm zu arbeiten. Diese Zeit hätte damals ruhig länger dauern dürfen. Den vierten und ältesten dieser Gruppe kenne ich nur flüchtig durch meine damaligen, häufigen Besuche im Billard-Cafe. Aber den immer gut gelaunten, freundlichen Heinrich mit der Halbglatze kenne ich nur die boshaften Aussagen meines damaligen Lebensgefährten Udo. Dieser behauptete: Heinrich, den man auch ironisch ‚Glatze’ oder ‚Locke’ nennt, säße auf einem Sack voll Geld, weil er so geizig wäre. Schon jahrelang würde er immer in den gleichen Kleidern rumlaufen, weil er zu gierig wäre sich was Neues zu kaufen. Heinrich wäre einer der reichsten Männer der Stadt, weil er mit Buchmacherei, Geldverleiherei und Zockerei im Laufe von 20 Jahren ein riesiges Vermögen steuerfrei angehäuft hätte. Nur in sexueller Beziehung habe der ‚Herr immer geil’ wenig Glück, da er mit einer ‚Frau immer müde’ bestraft sei.
Was auch immer böse Zungen behaupteten, ich weiß genau, dass diese Geschäfts-Gruppe sehr korrekt ist, das können selbst die ärgsten Gegner nicht leugnen. Da es durch die ganzen Ausländer und Zuhälter, die sich in unserer Branche tummeln, nur wenig seriöse Veranstalter gibt, habe ich nur eine geringe Auswahl, welche Leute für mich in Betracht kommen. Da ich lange genug belogen, bestohlen und betrogen wurde, sind diese vier die einzig in Frage kommenden Leute.
Vor mir sehe ich die große, unübersehbare Leuchtreklame des ‚Golfhotels Luisa’.
„Fahr mal bitte erst über den Parkplatz, Nina. Mal sehen, ob das Auto des Reutlingers noch hier steht.“ bitte ich meine Freundin.
Nachdem wir beide Parkplätze abgefahren und den großen Mercedes mit Reutlinger Kennzeichen nicht gesehen haben, findet Nina nahe dem Eingang einen freien Platz. Vor der überdachten, hell beleuchteten Eingangstür des Hotels müssen wir warten, bis der Nachtportier uns öffnet. Auf unsere Frage nach dem Casino weist er uns höflich den Weg. Wir versinken in dicken Perserteppichen, welche in der exklusiven, geräumigen Hotelhalle, die mit schweren, antiken Ledergarnituren ausgestattet ist, ausgelegt sind. Eine kleine, dezente Messingtafel mit dem Hinweis auf das Casino deutet uns den weiteren Weg.
Als wir den Saal betreten, bin ich ein wenig enttäuscht. Nach den Erzählungen hatte ich mir das Casino eleganter, exklusiver und auch geräumiger vorgestellt. Reutlinger-Läden sind wesentlich gediegener oder ausgefallener. Ich muss zwar innerlich zugeben, dass die Ausstattung mit antikem Holz und den Seidentapeten an den Wänden und der teure Velourboden mit einigen Perserbrücken belegt, eleganter ist als die billige Tapete und der dünne Schlingen-Teppichboden in meinem Laden, aber das ist sicher nicht der Verdienst der jetzigen Mieter. Außerdem ist der ganze Raum nicht halb so groß wie meiner. Die gediegene Atmosphäre, von der man allgemein spricht, empfinde ich als unpersönliche Kälte. Nein, was ich sehe enttäuscht mich sehr.
Aus dem winzigen Kassenhäuschen in der rechten hinteren Ecke des Raumes kommt Ede, ganz in Schale geschmissen, sofort auf mich zu. Als der fein gemachte, nur 1,m69 große Kleiderschrank vor mir steht, muss ich nicht nur aus Freude darüber grinsen, ihn zu sehen. Mit seinem maßgeschneiderten Anzug sieht er komisch aus. Der Boxer gefällt mir in legerer Kleidung besser. In Schlips und Kragen gezwängt sieht sein Hals etwas zu kurz und dick geraten aus. Die Speckrolle, die über den Kragenrand quillt, muss bei seinem Stiernacken von hinten noch gewaltiger aussehen.
Auf dem kräftigen, breiten Schädel werden oberhalb der Stirn die Haare auch schon etwas dünn. Er hat sie in sorgfältigen Streifen gekämmt. Sein liebes, breites Gesicht mit den kleinen, wässrig-hellen Augen, bemüht sich um ein dezentes Lächeln. Er war ganz in vornehm gehalten. Also der Umgebung angepasst.
„Liebes, wie nett, dass Du mich besuchst. Was führt Dich denn hierher? Grüß Dich, Nina. Na, wie gefällt Euch der Laden? Mal was ganz anderes, was? Das ist ja ein Zufall. Wäret Ihr zehn Minuten früher gekommen, hättet Ihr den Reutlinger noch getroffen. Der war auch vorhin hier. Darf ich Euch was zu trinken anbieten?“ fragt er mit seiner heiseren Stimme, während er uns nacheinander die tellergroße Hand reicht.
Nun muss ich mir das Lachen echt verkneifen. Während er sprach, hatte ich fasziniert auf seinen Hals gestarrt. Der Kragen scheint wirklich zu eng zu sein, denn beim Reden treten seine Halsschlagadern hervor. Deshalb rechnete ich immer damit, dass der obere Kragenknopf gleich platzen würde. Doch noch hält er.
Nina enthebt mich der Antwort: „Ruth wollte unbedingt heute mal aus dem Haus. Die letzte Zeit hat sie wie eine Gefangene gelebt. Dass der Reutlinger hier war, wissen wir. Er war nämlich vorher bei uns.“
Sauer werfe ich ihr einen strafenden Blick zu. Dass die immer so vorlaut sein muss, denke ich.
Laut sage ich: „Wegen dem Freddi bin ich aber nicht gekommen, Wolfram. Ich wollte mit Dir sprechen. Hättest Du einen Moment Zeit für mich? Mir könntest Du einen Kaffee bestellen.“
Er reagiert schnell und zuvorkommend: „Selbstverständlich habe ich Zeit für Dich. Wir setzen uns am besten in die Halle, dort sind wir ungestört. Warte, erst bestelle ich den Kaffee für Dich. Was trinkst Du, Nina?“ fragt er aufmerksam.
Sie bestellt das gleiche. Als er sich ein paar Schritte entfernt hat, um die Anweisung zu geben, bitte ich meine Freundin: „Sei so lieb und bleibe hier. Ich möchte mit Ede alleine sprechen. Es wird sicher nicht lange dauern.“
Sie verzieht beleidigt das Gesicht und mault: „Mein Gott, mach es doch nicht so geheimnisvoll. Was soll ich denn hier dumm rumstehen? Wieso kann ich denn nicht dabei sein?“
„Weil ich es nicht will! Du musst Deine Nase doch nicht in alles stecken. Deine Neugierde wirst Du bis später zügeln müssen. Ob es Dir passt oder nicht!“ weise ich sie streng in ihre Schranken.
Ihre beleidigte Miene übersehend, wende ich mich dem mageren Spielgeschehen zu, dabei denke ich: manchmal kannst Du einem aber wirklich auf die Nerven gehen. Von vornehmer Zurückhaltung und Taktgefühl hast Du in Deiner Kinderstube aber gar nichts mitbekommen. Kein Wunder, das die verkaufen wollen, denke ich. Hier ist es ja noch dünner als bei mir. Wenn der Reutlinger die Sache in die Hand nimmt, wird sich die Lage sicher bald ändern. Ich kenne ja seine Art Geschäfte aufzubauen. Er scheut weder Kosten noch Mühe.
Wolfram ergreift meinen Arm und fordert mich auf: „Komm, lass uns in die Halle gehen. Der Kaffee wird gleich gebracht.“
Als wir uns in der schweren Clubgarnitur gegenüber sitzen, muss ich mir erst seinen Vortrag über dieses Casino anhören. Er erzählt: sie hätten dieses Geschäft erst vor drei Monaten eröffnet. Leider wäre der Betrieb noch nicht so recht angelaufen. Das läge wahrscheinlich an dem strengen Winter. Da dieses Hotel, etwas abgelegen auf einer Anhöhe am Waldrand, im Winter etwas schwierig zu erreichen wäre. Diese Nachteile würden sich auf den Casino-Betrieb nachteilig auswirken.
Die nette Bedienung stellt mir ein kleines Tablettchen auf den Marmortisch. Außer der Tasse mit duftendem Kaffee, waren Sahne, Zucker, Süßstoff, ein verpacktes Plätzchen und ein kleines Täfelchen Schokolade darauf. (Nobel!) Als die junge Dame gegangen ist, kommt er endlich zum Thema: „Erzähle was hast Du auf dem Herzen? Was kann ich für Dich tun?“ Leise, dabei in meinem Kaffee rührend erkläre ich: „Ich bin gekommen, um Dir die Beteiligung in meinem Laden anzubieten. Für mich alleine ist die Arbeit etwas zu viel. Nicht nur arbeitsmäßig, auch finanziell. Außerdem brauche ich dringend Erholung. Warum brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Der Stress der letzten Monate, sowie das Theater der vergangenen Wochen haben mich ziemlich geschafft. Ich brauche einfach Entlastung. Was hältst Du davon? Hättest Du daran Interesse?“ Während er nachdenklich seinen Kopf wiegt, warte ich gespannt auf seine Antwort.
„Interesse habe ich auf jeden Fall. Das kannst Du Dir selbst denken. Aber Du weißt ja auch, dass ich mit einer Mannschaft zusammenarbeite. Das hat sich die letzten zwei Jahre als vorteilhaft erwiesen, da man arbeitsmäßig nicht so überlastet ist, und auf diese Art auch gleich mehrere Geschäfte machen kann. Ich müsste es mal meinen Partnern vorschlagen. Wie viel willst Du denn abgeben, und was willst Du für einen Preis haben?“ Meine Preisvorstellung für 50 % des Geschäftes kommt wie aus der Pistole geschossen. Dabei hatte ich mir auf der Fahrt hierhin darüber noch gar keine Gedanken gemacht.
Erstaunt sagt er: „Das ist nicht wenig. Sicher weißt Du auch, dass Franco schon vor längerer Zeit einmal, 40% des Ladens für die Hälfte des Preises angeboten hat. Dem Dicken und auch dem Klaus. Findest Du Deine Vorstellung nicht überhöht?“
Kopfschüttelnd, jedoch ruhig und sachlich erkläre ich ihm: „Nein, das finde ich nicht. Sonst hätte ich diesen Preis nicht genannt. Obwohl Franco mit der Sache nun nichts mehr zu tun hat, kann ich Dir den Unterschied gern erklären. Er hat die Beteiligung damals jedem wie faules Obst angeboten. Du weißt, dass es sich bei diesem Geschäft nicht um ein faules Angebot handelt. Der Laden hat eine optimale Lage in einer Zockerstadt. Außerdem noch konkurrenzlos. Franco ist damals von Angebot zu Angebot deshalb billiger geworden, weil alle abgelehnt haben. Ich weiß zwar bis heute nicht warum, aber es war ihm nicht gelungen, einen Interessenten zu finden. Dir ist doch auch klar, dass der Reutlinger mit Kusshand zugreifen würde. Er würde mir sogar einen wesentlich höheren Preis zahlen. Aber das will ich nicht. Es liegt klar auf der Hand, warum ich ihn vorhin nicht darauf angesprochen habe. Die Story mit dem ‚Wiener’ hast Du ja aus nächster Nähe mitbekommen. Ich möchte sie ungern wiederholen. An Euch habe ich deshalb gedacht, weil ich Euch gut kenne und weil Ihr in der Nähe wohnt. Ihr könntet mich auch arbeitsmäßig entlasten. Es gibt bestimmt noch einige, wenn auch wenige Interessenten, die ich ansprechen könnte, aber Ihr wäret mir am liebsten. Ich bin Dir zwar keine Erklärung schuldig, aber Du musst bedenken, dass ich auch noch unseren Finanzier auszahlen muss. Der ist immer noch mit einem Drittel beteiligt, und ich bin bei ihm noch gewaltig in der Kreide. Das soll zwar nicht Eure Sorge sein, aber ich muss das beim Verkaufspreis berücksichtigen. An dem Preis ist also nicht zu rütteln, das sage ich Dir gleich. Sprich es durch und überlegt es Euch, dann gib mir Bescheid!“ dabei sehe ich ihm ernsthaft und fest in die Augen.
Nachdem er mir aufmerksam zugehört hat, meint er in leicht verächtlichem Ton: „Warum bei Franco keiner angebissen hat, liegt doch klar auf der Hand! Du wirst doch nicht wirklich so naiv sein, dass Du das nicht weißt!“ Hohn und Abscheu tropft aus seinen Worten: „Mit diesem Strolch wollte doch niemand etwas zu tun haben! Das hieße gleich: sich mit dem König der Diebe verbünden! Der hätte mit Gold behangen sein können, kein vernünftiger Veranstalter hätte je ein Geschäft mit ihm gemacht.“ Zunehmend redet er sich in Rage: „Bitte nimm es mir nicht übel, ich will Dich nicht kritisieren, aber kein Mensch, der Dich kennt, weiß was Du an dem je gefunden hast. Das ist zwar Deine Angelegenheit, nur gepasst hat er nie zu Dir! Das war der absolute soziale Abstieg. Dass er in unserer Branche von Anfang an auf Ablehnung gestoßen ist, musst Du doch bemerkt haben. Na ja, das Thema ist nun endlich abgehakt.“ Er macht eine Pause und räuspert sich, dann legt er seine Hand auf meine und fragt mitleidig:“ Mädchen, wir kennen uns jetzt schon sehr lange. Ich will mich auch nicht in Deine Privatsachen mischen, das weißt Du. Ich konnte Dich immer gut leiden. Aber sag mal ehrlich, glaubst Du denn wirklich, dass die Sache ausgestanden ist? Fürchtest Du einen Racheakt? Die ganze Branche spricht ja darüber, dass Du Dich in Acht nehmen musst.“
Er tätschelt beruhigend meine Hand, während er heiser weiterspricht: „Mach Dir keine Gedanken, mich kann der ‚Großkotz’ nicht erschrecken. Euer Theater hat für mich mit der geschäftlichen Sache nichts zu tun. Mir ist auch klar, dass Du jetzt, da Du alleine bist, noch mehrere Interessenten finden würdest. Wie meine Partner darüber denken, weiß ich nicht. Aber wenn die aus irgendeinem Grund nicht wollen, mach ich es alleine. Ich kenne Dich gut genug, um zu wissen, dass wir beide miteinander klar kommen werden. Was Du aber auch immer am Hals hast, armes Mädchen. Erst dieser versoffene Udo, der Deine Kohle noch mit verzockt hat, dann diese italienische Ratte! Guck mich nicht so entsetzt an, Ratte ist der richtige Ausdruck für ihn! Für Deinen Mut, wie Du ihn abserviert hast, muss man Dich ja bewundern, auch wie Du Dich immer wieder auf die Füße stellst ist für eine Frau erstaunlich. Wenn wir geschäftlich zusammenarbeiten, hast Du endlich mal vernünftige Partner. Dann wirst Du wenigstens in finanziellen Dingen mehr Glück haben als bisher, das verspreche ich Dir.“ Nun strafft er sitzend den Oberkörper und nimmt eine drohende Haltung ein: „Wenn ich mit in Deinem Laden bin, kann sich dieser Strolch ja mal wagen, irgendetwas gegen Dich zu unternehmen. Dann wird er schon sehen, was er davon hat. Ich werde ihm dann durch seinen Bruder ausrichten lassen, dass er es sich nicht wagen soll, sich eine Dummheit einfallen zu lassen. Rino ist ja ein ganz vernünftiger Junge. Das krasse Gegenteil von Franco. Er arbeitet nun schon über ein Jahr als Croupier bei uns und wir sind sehr zufrieden mit ihm. Wenn unser Geschäft zum Abschluss kommt, werde ich mit dem mal reden. Ich werde die Marsch-Richtung ganz klar festlegen. Wo ist Franco jetzt eigentlich?“
Mit einem desinteressierten Schulterzucken antworte ich: „Keine Ahnung! Die Jungens sind der Meinung, dass er nach Italien abgehauen ist. Mir auch egal! Ich weiß nur eins: er soll es sich in seinem Leben nicht mehr wagen, mir über den Weg zu laufen. Dann passiert ihm ein Unglück, darauf kann er sich verlassen!“
Hellhörig geworden fragt Ede verwundert: „Wo sind die Jungens eigentlich? Ich denke Du hast ‚rund um die Uhr Bewachung’? Ich habe doch keinen von denen gesehen.“
Spitzbübisch grinsend entgegne ich: „Aber ich bitte Dich! Wenn ich zu Dir gehe, brauche ich doch keine Leibwächter! An Dich wagt sich doch so schnell keiner ran. Spaß beiseite, ich habe den Jungs frei gegeben, die hatten heute Schwierigkeiten mit ihrer Diensteinteilung. So Wolfram, sind wir soweit klar? Wann kannst Du mir Bescheid geben?“ Wir erheben uns gleichzeitig; auf dem Weg zum Spielraum erwidert er: „Spätestens übermorgen. Ich spreche das mit den anderen Morgen kurz durch. So lange hat es doch sicher Zeit?“
Als wir wieder in das Casino kommen, sehe ich direkt die Bescherung. Nina steht mit hochrotem Kopf vor dem Tableau. Sie ist im Brand! So hatte ich mir ihr Warten nicht gedacht!
Ich setze mich an das freie Tableau und sehe mir das Elend an. Glühend vor Erregung starrt sie wie hypnotisiert auf die laufende Kugel. Dann hastet sie, kurz bevor die Spielabsage kommen muss, an das Tableau, kann sich jedoch nicht entscheiden wohin sie ihre Jetons setzen soll. Erst als der Bouleur sie auffordert zu setzen oder dieses Spiel auszulassen, platziert sie unsicher ihre Stücke. Sie verliert!
Als um vier Uhr morgens die letzten drei Spiele gelaufen sind, hat meine Freundin dreihundert Mark verloren. Für sie sehr viel Geld! Sie ist kotzsauer!
Auf der Fahrt nach Hause muss ich mir ihr Gejaule anhören. Als ich es endlich nicht mehr hören kann, hole ich einhundert fünfzig Mark aus der Tasche und gebe sie ihr. Dabei erkläre ich ihr, dass ich mich nun an ihrem Verlust beteiligt habe, nun solle sie aber mit ihrer Jammerei aufhören. Vor ihrer Wohnung angekommen, fährt sie erst dreimal um den Block. Dann steigen wir aus und nähern uns, nach allen Seiten umsehend, der Haustür. Nina hält eine kleine Gas-Pistole in der Hand. Obwohl sie an einer hellbeleuchteten Hauptstraße wohnt, hat sie diese Abwehr-Waffe immer griffbereit. Sie ist ein ausgesprochener Angsthase.
Nina benutzt den Aufzug, während ich bis zur 2.Etage die Treppe hinaufsteige. Ich hasse Aufzüge! Als sie ihre Wohnungstür, mit den vielen Riegeln und Schlössern hinter uns verschlossen hat, atmen wir beide erleichtert auf. Ihre Ängstlichkeit wirkt ansteckend. Im Stillen muss ich über ihre mehrfach gesicherte Tür grinsen. Wer sollte sie schon klauen? Auch in der Wohnung gibt es nichts Wertvolles, nur Klimbim, für das es sich lohnen würde, einzubrechen. Sie übertreibt ihre Vorsicht wirklich! Während sie in die Küche geht, um eine Kleinigkeit zu essen zu machen, mache ich es mir auf der Couch bequem. Aus der Küche ertönt ihr Geschnatter. Sie erzählt schon wieder von ihrem Pech beim Spiel vorhin. Ihre Worte fliegen ungeachtet an mir vorbei. Mich beschäftigen wichtigere Dinge.
Wenn die vier Kollegen in meinen Vorschlag einwilligen würden, müsste ich nur noch die Renovierung mit der damit verbundenen Geschäfts- Pause vorschlagen. Sicherlich würden diese geschäftlich klugen Leute die Argumente für diese Massnahme verstehen und einwilligen. Es war ja wirklich ein guter Gedanke. Außerdem hatten die Räume es dringend nötig. In Gedanken rechnete ich das mir bald zur Verfügung stehende Geld schon einmal durch. Auch wenn ich mich anteilmässig an den Kosten beteiligen musste, meinen Finanzier Nino auszahlen müsste, würde mir noch ein bisschen übrigbleiben. Ich nahm mir jetzt schon vor, sollte die Sache klappen, Nina zu einem kurzen Urlaub einzuladen. Da sie ewig im finanziellen Engpass war, weil sie mit ihrem Einkommen nie auskam, würde sie sich über die Einladung sicher freuen. Außerdem hatte ich weder die Lust noch den Nerv alleine zu fahren. Ihre etwas vorlaute, aufgedrehte Art würde mich dann von meinem Stress ablenken.
Die Gedanken an die schlimme Auseinandersetzung kann ich nicht so einfach auslöschen. Noch dazu bleibt mir als Erinnerung der hilflose Rest einer verfehlten Beziehung: meine süsse, kleine Rabea. Obwohl ich dieses niedliche Wesen mit den schwarzen Augen über alles liebte, kann ich jetzt nicht mehr verstehen, wie es soweit kommen konnte, dass ich, von diesem Dreckskerl, noch ein Kind bekommen konnte. Heute ist mir klar, dass ich mit Blindheit und Taubheit geschlagen gewesen sein musste.