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Erregungs-, Vermeidungs- und Entscheidungsprokrastination

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Personen weisen in Befragungen immer wieder darauf hin, dass Aufschieben für sie auch eine positive Komponente haben kann. Mit Verweis auf subjektives Erleben und aufgrund empirischer Befunde spricht einiges dafür, Prokrastination in zwei Typen zu unterteilen, wobei der erste eben positive Effekte zeigt. So differenziert Ferrari (1992) zwischen einem „arousal procrastinator“ und einem „avoidence procrastinator“ (vgl. auch Ferrari, O’Callaghan & Newbegin, 2005). In den späten 1990er Jahren wurde auf der Grundlage vieler Studien, die vor allem von Ferrari und Mitarbeitern durchgeführt wurden, das sogenannte dreiteilige Ferrari-Modell entwickelt, das als dritte Form die Entscheidungsprokrastination („decision procrastination“) umfasst und auf den Studien von Mann (1982, vgl. dazu auch Mann, Burnett, Radford & Ford, 1997) basiert. Der „arousal procrastinator“ ist dadurch gekennzeichnet, dass er den Erregungsschub, der durch das Aufschieben und den sich aufbauenden Zeitdruck entsteht, braucht, während der „avoidence procrastinator“ aus Angst vor Misserfolg oder um das eigene Selbstwertgefühl zu schützen das Herangehen an Aufgaben und Tätigkeiten verschiebt. Entscheidungsprokrastination dagegen meint ein Verschleppen und Verzögern wichtiger Entscheidungen, bis hin zu grundlegenden Lebensentscheidungen (Steel, 2010, p. 4).

Eine ähnliche Unterteilung wie bei Ferrari (1992) finden wir auch bei Chu und Choi (2005); sie unterscheiden zwischen einer positiven (active procrastinators) und einer negativen (passive procrastinators) Art des Aufschiebens. Personen, die das Arbeiten unter Druck bewusst bevorzugen, also die aktiven Aufschieber (active procrastinators), sind in der empirischen Studie von Chu und Choi (2005) am ehesten mit Nichtaufschiebern hinsichtlich bestimmter Merkmale und Eigenschaften (bei untersuchten Variablen wie Selbstwirksamkeit, Zeitkontrolle, Copingstrategien, erzielten Ergebnissen etc.) vergleichbar, während die passiven Aufschieber (passive procrastinators) dem klassischen Bild der Prokrastination mit den einhergehenden dysfunktionalen Verhaltensweisen entsprechen. Tatsächlich schieben aktive positive Prokrastinatoren genauso stark auf wie passive Prokrastinatoren, sie können sich aber, so die Annahme von Chu und Choi (2005, p. 260f.), flexibler auf neue, unerwartete Anforderungen der Umgebung einstellen, spontaner handeln, und sie können, falls erforderlich, Prioritäten hinsichtlich der Aufgabenbearbeitung schneller ändern. Insgesamt ist jedoch der Typ der positiven Prokrastination bislang wenig untersucht worden.

Durch die Untersuchung von Steel (2010) wird jedoch die Differenzierung des Ferrari-Modells der habituellen Prokrastination in drei Typen wieder in Frage gestellt (siehe ausführlicher in Kapitel 2.1.).

Weitere Differenzierungsversuche wurden u.a. von Iskender (2011) vorgeschlagen; er unterscheidet in Anlehnung an Milgram et al. (1998) fünf Arten von Prokrastination: (A) akademische Prokrastination, (B) allgemeine bzw. alltägliche Prokrastination, (C) Entscheidungsprokrastination, (D) neurotische Prokrastination (bezieht sich auf grundlegende Lebensentscheidungen) und (E) dysfunktionale Prokrastination (Letztere verbindet Entscheidungs- und Verhaltensprokrastination in einer Person).

Ausgehend von der grundlegenden Differenzierung in alltägliche und akademische Prokrastination kommen ergänzend zum Ferrari-Modell (das nur alltägliche Prokrastination berücksichtigt) die neurotische und dysfunktionale Prokrastination hinzu. Diese beiden Prokrastinationsformen wie auch die sogenannte „funktionale Prokrastination“ (Ferrari, 1994) sind als Sonderfälle zu betrachten:

a) Die neurotische Prokrastination ist eng an das therapeutische Konzept der Rational-Emotiven Therapie (RET) von Ellis und Knaus (1977) gebunden und sehr allgemein formuliert, sodass eine Einordnung in die folgende differenzierte Taxonomie nicht möglich ist.

b) Die dysfunktionale Prokrastination ist lediglich eine Kombinationsform von Entscheidungs- und Verhaltensprokrastination (s.o.).

c) Funktionale Prokrastination wird in der Literatur relativ unspezifisch in Abgrenzung zur dysfunktionalen Prokrastination bestimmt (Ferrari, 1994, p. 673). So sei Aufschieben dann funktional, wenn die Verzögerung dazu dient, weitere wichtige Informationen einzuholen, um den Aufgabenerfolg zu maximieren. Da aber in der Regel erst post hoc anhand des Resultats entschieden werden kann, ob das Aufschieben funktional oder dysfunktional war, bleibt bei dieser Beschreibung unklar, ob hier (nur) die Einschätzung des Aufschiebenden relevant ist oder das erzielte Resultat. Hinzu kommt, dass Personen möglicherweise zum Schutz des eigenen Selbstwertes behaupten, aus funktionalen Überlegungen heraus aufzuschieben.

Auch wäre zu prüfen, ob nicht die aktive Prokrastination (vgl. Chu & Choi, 2005) als eine Ausprägung der funktionalen Prokrastination angesehen werden kann, wenn „funktional“ im Sinne der zeitökonomischen, zügigen und erfolgreichen Erledigung von Arbeiten interpretiert wird.

Schließlich verweisen verschiedene Autoren wie van Eerde (2003a), van Hooft, Born, Taris, Flier und Blonk (2004, p. 242) darauf, dass von Prokrastination nur dann gesprochen werden sollte, wenn es sich um ein von der Person nicht intendiertes Aufschieben handelt; ein geplantes Aufschieben dagegen sollte nicht als Prokrastination bezeichnet werden. Schließt man sich dieser Sichtweise an, wäre der Begriff funktionale Prokrastination generell abzulehnen.

Tab. 1: Taxonomie der verschiedenen Prokrastinationsarten


Aufschieben, Verzögern, Vermeiden

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