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Ein Kind führt mich in seine Welt

Der Wind pfeift durch die Ritzen der Wände. Krumme Äste, löchrige Plastikplanen und Lehmklumpen bilden den Schutz gegen die Kälte des Winters. Wir sitzen in einer kleinen Hütte um die Feuerstelle – eine alte Regentonne. Die Kerze gibt spärliches Licht und kämpft mit den Windstößen. Daniel hat mich in die Hütte seiner Familie geführt. Im Schnee kam er barfuß in viel zu großen Sandalen in die Schule. Der Bub war einer der Ersten, die bei uns trommeln lernen wollten. Zum Unterricht kam er nur selten, daheim gab es zu viel zu tun: Holz aus dem Wald heranschleppen, auf die Geschwister aufpassen. Der Vater ist als Schafhirte unterwegs. Selten kommt er heim, meistens betrunken, am nächsten Tag ist er wieder verschwunden. Gabi, die junge Mutter, ist mit ihren vier Kindern allein. Sie ist krank. Warum sollten die Kinder lesen lernen, wenn sie ums Überleben kämpft. Manchmal bekommt sie Kartoffeln, Mais und Milch, wenn sie im Dorf als Tagelöhnerin arbeitet. Sie sieht keine Zukunft. Nur diesen Tag überleben und nicht erfrieren, den Kindern ein Essen geben.

Im Sommer wird es leichter. Die Hütte ist unten am Bach, ganz am Ende eines rumänischen Dorfs. Im Zentrum zeugt stolz die alte Kirchenburg der Siebenbürger Sachsen von einer reichen und geordneten Zeit mit den Deutschen. Sie sind fast alle weggezogen, Rumänen leben heute in ihren Bauernhäusern. Am Dorfrand siedelten sich deren ehemalige »Hauszigeuner« an. Mit Planen und zusammengelesenem Holz zimmerten sie sich auf Niemandsland Unterkünfte. Ihre Ghettos schwellen an, werden zur Belastung und Bedrohung für die Dorfgemeinschaft. Tiefe Gräben gibt es zwischen den »Rumänen« und den »Zigeunern«. Oft schicken die Lehrer die Kinder weg, keiner will sich neben die »Zigeuner« setzen. Sie hätten Läuse, sagen sie. Daniel war immer wieder in der Schule. Nun hat ihn interessiert, was dort Neues passiert. Trommeln, Musik, Spiele – und Brot.

Ich bin mit Pater Georg Sporschill SJ 2012 in die Umgebung von Sibiu/Hermannstadt gekommen, um in den Dörfern, die die Siebenbürger Sachsen nach der Wende 1989 verlassen hatten, Roma-Kindern aus dem Elend zu helfen. Es hieß, besonders viele Roma lebten in Nou, der Ort sei verflucht. Viele wilde Geschichten wurden darüber erzählt: Diebstahl, Raub und Mord. Man erzählt, dass die Sachsen einmal alle Zigeuner zusammengeholt und die Männer erschlagen hätten, weil einer von ihnen einen reichen Bauern im Wirtshaus verletzt habe. Die Polizei habe nichts gemacht, man sei froh gewesen, dass sie das Problem selbst gelöst hätten. In Nou begann ich, in der Schule am Nachmittag Trommelunterricht zu geben. Wir hatten nur fünf kleine Trommeln. Am ersten Tag kamen acht Kinder, am zweiten fünfzig, am dritten über achtzig. Ich fand Freunde, die mit den Kindern sangen, Flöte spielten, tanzten, lernten. Schnell entwickelte sich eine Musikschule. Die Kinder hatten Hunger. Wir besorgten Milch und Brot. Kleider. Medikamente. Daniel brachte mich zu seiner Familie. Ein kleiner Bub, den ich zunächst nur in die Schule bringen wollte, zeigte mir, dass jedes Kind einen großen Rucksack an Problemen trägt. Die Geschwister, die Mutter, der Vater, Wohnung, Gesundheit, Lernen, Arbeit. Ein Kind, eine Familie, ein ganzes Dorf – die Aufgaben überschlugen sich. Unlösbar. Trotzdem spürte ich, wenn ich mit Daniel an der Hand am Bach entlangging, wie es sich lohnt, dieses eine Leben zu retten. Aus der Freundschaft mit Daniel wurde ein Programm für das ganze Dorf, getragen von der ELIJAH-Gemeinschaft. Heute betreiben wir hier ein Sozialzentrum und eine Musikschule. In vier Nachbardörfern hilft ein ELIJAH-Team den Kindern, Jugendlichen und Familien. In Ausbildungswerkstätten lernen Analphabeten ein Handwerk, junge Frauen arbeiten in der Haushaltsschule und kochen für die Kinder im Dorf. Für Daniel und seine Familie gibt es eine Zukunft. Der Satz aus dem Talmud »Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt« ist zum Motto unseres Werkes geworden.

Erstaunliche Kräfte fließen

Durch die Geschichten, die wir wöchentlich aus Rumänien versenden (bimail@elijah.ro), ist so etwas wie eine Gemeinde entstanden, in der wir uns gegenseitig stärken.

Eine Mutter schreibt uns: »Ich schätze die Texte deshalb so sehr, weil sie zeigen, wie die Botschaft der Liebe Jesu in den Alltag fließt, was sonst in der Kirche nicht so gut sichtbar ist. Aus euren Worten und Berichten ist spürbar, dass wahrhaftige Liebe sich nicht von äußerlichen Hindernissen aufhalten lässt, sondern in die Herzen der Menschen strömt. Ich habe mir beim Lesen schon oft gedacht: Ja, so würde Jesus heute handeln.«

Zum Schreiben ermunterte uns eine Kollegin aus der Sozialarbeit: »Die Bimails haben mich ein Stück verändert und ich arbeite noch mehr und bewusst mit Fragen. Wenn Institutionen wie Kinderdorf oder Jugendwohlfahrt vor schwierigen Aufgaben stehen, dann schicke ich Eure Fragen zur Vorbereitung für die Supervision. Und meistens finden die ErzieherInnen die Lösung selber.«

»Eure Sicht hat mir in meinem Beruf als Ärztin oft geholfen, widerliches Verhalten vom innersten Sein des Menschen zu trennen und den Patienten meine volle Zuwendung zu schenken. Diese Sichtweise würde auch in der Weltgesellschaft mehr Frieden und Freiheit bringen als leere Worte, Verurteilung und Hass. Nur die bedingungslose Liebe schafft Veränderung, so hat Jesus es uns vorgelebt.«

Ein Freund, der große Verantwortung in der Wirtschaft hat, machte uns eine Freude, als er schrieb: »Soeben habe ich – statt der Sonntagsmesse ;-) – Eure Botschaft gelesen, die aus der ärmsten Ecke kommt. Eine berührende Geschichte, die in der heutigen Zeit für ganz Europa zu denken geben sollte. Weiter so!«

Danke! Unsere Kinder nennen Danke das magische Wort, rumänisch: multumesc – »es ist viel«. Danke unseren Freunden, die uns Mut machen und deren Gaben wir weitergeben dürfen. Ihr Vertrauen macht Mut. Danke den jungen Leuten, die bei uns – im Geben und Nehmen – mitmachen. Dieses Wort möchte ich vor allem den Notleidenden sagen, die uns drängen zu helfen und uns so jeden Tag auf neue Ideen bringen. Sie sind die eigentlichen Autoren.

Danke, Pater Georg. Seit vielen Jahren gehst du uns voran. Mit einem kritischen Blick für Ungerechtigkeit. Mit einer liebevollen Zuwendung für die Benachteiligten. Mit einem offenen Ohr für die Sprachlosen. Immer unzufrieden und auf der Suche nach dem »magis« – mehr und besser, für die Armen. Feurig und unbequem wie Elijah. Und achtsam wie der alt gewordene Prophet, wenn er aufmerksam lauscht – auf das leise Säuseln Gottes.

Unsere Hoffnung ist, dass die Leser und Leserinnen diese und ihre eigenen Geschichten weitergeben an die Jugend. Dass sie die Freude erleben, die darin liegt, für andere da zu sein.

Ruth Zenkert

Hosman, im Herbst 2019

Mit Feuer vom Himmel

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