Читать книгу Phänomena - S. G. Felix - Страница 11
Veränderungen
ОглавлениеAls sie in ihrer Wohnung war, an die sie sich noch gar nicht hatte gewöhnen können, wollte sie nur noch unter die Dusche und dann ins Bett - auch wenn sie für den Rest der Nacht mit Sicherheit keinen Schlaf mehr finden würde.
Ihr war immer noch kalt, deshalb stand sie lange unter dem warmen Schauer und versuchte, das Erlebte zu verarbeiten. Dem Wesen mit den verstörenden Augen galten nicht ihre Gedanken. Sie zerbrach sich darüber den Kopf, wer hinter dem Lichtwesen steckte. Sie hatte dessen Stimme in ihrem Kopf gehört.
Diese Stimme.
'Lass sie in Ruhe!', hatte es gerufen. Die Stimme war zwar verzerrt in ihre Gedanken gedrungen, aber sie glaubte, dass es die Stimme eines Kindes gewesen war.
Ja, es war ein Kind.
Aber diese Stimme, woran erinnert sie mich? Warum kommt sie mir so bekannt vor?
Weiter wollte Anna nicht denken. Nicht mehr in dieser Nacht. Sie wollte nicht an das völlig Unmögliche denken, das sie nicht einmal im Geheimen auszusprechen wagen würde.
Sie stellte das Wasser ab und öffnete die Duschtür. Sie hatte so lange geduscht, dass das kleine Badezimmer völlig vernebelt war. Der Spiegel war beschlagen, deshalb öffnete sie das Fenster. Als sie sich wieder umdrehte und den Spiegel mit einem Handtuch abwischen wollte, jagte ihr das, was sie dort plötzlich sah, einen gehörigen Schrecken in die Glieder.
Drecksschlampe
Hau ab!,
war in krakeliger Schrift auf den Dunstbeschlag des Spiegels geschrieben worden. Anna hatte sich höchstens für vier Sekunden vom Spiegel weggedreht, um das Fenster zu öffnen. War das Ding vom Fluss nun hier in ihrer Wohnung? Hastig wischte sie die Worte weg und atmete einmal tief durch.
Ruhig, Anna. Es will dir bloß Angst machen. Es kann dir nichts anhaben.
Sie machte einen Rundgang durch ihr Apartment. Sie wollte herausfinden, ob sie die Anwesenheit einer fremden Präsenz spüren würde. Aber recht schnell kam sie mit Erleichterung zu der Erkenntnis, dass außer ihr niemand hier war. So stark, wie sie für einen Moment befürchtet hatte, war das Geistwesen also doch nicht, weil es nicht dauerhaft ins Diesseits durchdringen und Unheil anrichten konnte. Die Warnung auf dem Badezimmerspiegel war nur ein kleiner Abschiedsgruß bis zum nächsten Aufeinandertreffen. Anna hatte ähnliche Botschaften schon in früheren Besichtigungen von Spukhäusern gesehen. Solche Drohungen waren so etwas Ähnliches wie eine Reviermarkierung des Geistes. Schon unten am Fluss hatte ihr das Ding klargemacht, dass sie hier nichts zu suchen hatte.
Anna war zwar durch ihre frühere Arbeit immer noch weit davon entfernt, Panik zu bekommen, aber es verunsicherte sie ein wenig, weil der Geist (wenn es denn einer war) genau zu wissen schien, dass sie im Umgang mit Intelligenzen aus dem Jenseits umzugehen wusste. Das Ding war schlau, soviel stand für sie fest.
Sie föhnte sich schnell die Haare und legte sich aufs Bett. Das Licht hatte sie herunter gedimmt. Ganz im Dunkeln wollte sie dann doch nicht mehr schlafen. An Schlaf war nach diesen Ereignissen für sie ohnehin nicht mehr zu denken. Stunden später, nachdem es schon längst gedämmert hatte, schlief sie dann doch ein.
Gegen neun Uhr morgens wurde sie durch ein kurzes knackendes Geräusch geweckt. Es hatte gedämpft geklungen, war aber laut genug, um sie aus dem Schlaf zu reißen. Sie sprang aus ihrem Bett, öffnete die Vorhänge und schaute sich geblendet von dem hellen Tageslicht blinzelnd im Zimmer um. Sie ging ins Wohnzimmer und sah dort nach. Nichts.
Doch dann kam ihr ein böser Verdacht. Sie hatte gestern ihre Reisetasche nur halb ausgepackt und auf der Couch liegen lassen. Zig Klamotten waren noch darin. Sie kramte wild in dem Wäschehaufen, bis sie endlich das ertastete, wonach sie gesucht hatte. Und kaum hatte sie die Oberfläche des Gegenstandes berührt, merkte sie, dass sie sich daran geschnitten hatte. Sie zog die Hand wieder zurück. Von zwei Fingern quoll Blut heraus.
»Verdammt!«
Die Schnitte waren nicht tief, taten aber an den Fingerspitzen trotzdem weh. Sie nahm sich ein Taschentuch und wickelte es um die Finger. Dann griff sie mit der anderen Hand vorsichtig erneut in die Tasche, um den Gegenstand herauszuholen. Es war das Bild ihrer Familie. Joachim, Robert und sie bei einer Grillparty. Das Foto war von Annas Vater aufgenommen worden. Doch das Bild im Fotorahmen war nicht mehr in dem Zustand, in dem sie es eingepackt hatte. Die dünne Glasscheibe war zerbrochen, als hätte man einen kleinen Stein darauf fallen lassen. Das war das Geräusch, das sie geweckt hatte. Eine weitere Warnung.
Aber was sollte das? Ihr Mann und ihr Sohn waren bereits tot. Noch immer war Anna davon überzeugt, dass ihr das Wesen - was immer es auch in Wahrheit sein mochte - nur Angst machen wollte. Zu diesem Zweck bediente es sich der üblichen Methoden. Es hinterließ Drohungen und machte Sachen kaputt. Sachen, die einem von Bedeutung waren. Ja, davon war Anna überzeugt. Aber das erklärte nicht das, was sich am Fluss heute Nacht abgespielt hatte. Sie hatte es hier in Nimtow nicht mit einem gewöhnlichen Spuk zu tun. Hier steckte mehr dahinter. Womöglich handelte es sich tatsächlich um die siebte Heimsuchung.
Anna musste noch mehr herausfinden. Sie wollte nur schnell zum nächsten Bäcker im Nachbarort und sich ein Frühstück genehmigen. Es war warm, die Sonne schien. Ein Tag, von dem man nur schwer annehmen konnte, dass etwas Unheimliches geschehen könnte. Anna ging ins Wohnzimmer und zog die Vorhänge weg.
Der Tag verhieß viel Sonnenschein. Aber etwas störte den Blick auf das endlos scheinende Rapsfeld unter dem blauen Himmel. Es war diese ungemein hässliche Vogelscheuche weit hinten im Bauerngarten vor dem Rapsfeld. Irgendetwas hatte sich verändert. Anna hätte schwören können, dass die Vogelscheuche gestern noch weiter weg gestanden hatte. Vielleicht täuschte sie sich nur. Oder jemand hatte gestern das hässliche Ding versetzt.
Vielleicht.