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Prolog

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»Natürlich weiß ich, was die Sieben Heimsuchungen sind. Ich habe mein halbes Leben mit deren Erforschung verbracht. Sagen Sie bloß, Sie hätten das nicht gewusst.« Anna schloss die Augen und rieb sich die rechte Schläfe. Ihr war, als würden ihre Migränekopfschmerzen wieder beginnen; das erste Mal seit fünf Jahren.

Die alte Frau, die ihr gegenüber saß, und die sie nach den Sieben Heimsuchungen gefragt hatte, schwieg. Aber auch ohne hinzusehen, glaubte Anna, ein breites Lächeln auf dem Gesicht der Fremden zu spüren. Und da sollte sie sich nicht irren.

»Ich gebe zu, ich habe mich natürlich vorher über Sie informiert. Über das, was Sie tun. Und über Ihre...«, die alte Frau suchte nach dem richtigen Wort, »... Gabe.«

»Sie meinen, was ich getan habe. Ich mache das schon seit über sieben Jahren nicht mehr. Ich denke, auch das wissen Sie, Frau Kronenberg«, sagte Anna.

»Ich weiß, ich weiß«, beeilte sich Frau Kronenberg zu sagen. Nach einer kurzen Pause ergänzte sie: »Und dennoch sind Sie meiner Einladung gefolgt und sind jetzt hier. Und ich denke, Sie wissen, warum. Sie ahnen, dass hier etwas vor sich geht – hier im Havelland. Etwas, von dem Sie wissen, dass nur Sie es aufklären können. Etwas, das in Ihr Spezialgebiet fällt. Sie ahnen, wovon ich längst überzeugt bin. Nämlich, dass es sich hier nicht um einen einfachen Spuk handelt oder um ein paar harmlose Gespenstersichtungen.«

Anna krampfte der Magen. Und je länger diese Frau Kronenberg sprach, desto schlimmer wurde es.

»Ich weiß, was hier geschieht«, fuhr die alte Dame fort. »Es ist die siebte Heimsuchung. Die siebte und letzte! Sie haben es selber gesagt: Ihr halbes Leben haben Sie mit der Erforschung der Sieben Heimsuchungen verbracht. Es ist Ihr Lebenswerk! Das, was hier im Havelland geschieht, könnte alle Ihre Fragen beantworten.«

Anna verzog das Gesicht und kratzte sich an der Stirn. Sie wäre am liebsten sofort wieder gegangen. Sie vermied es, ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen. Irgendetwas war an dieser Frau, das ihr unangenehm war. Sie konnte ihre Abneigung nicht näher beschreiben. Es war nur so ein Gefühl. Sie nahm einen Schluck Kaffee, setzte die Tasse ab und schaute auf die Havel. Sie hatte den Namen des kleinen Ortes und den der Gaststätte, auf deren Terrasse mit Blick zum Fluss sie sich befanden, schon wieder vergessen. Sie wollte nur noch fort. Sie wollte wieder nach Hause. Obwohl es hier so idyllisch war.

»Nichts für ungut, Frau Kronenberg«, begann Anna schließlich und machte Anstalten, sich vom Tisch, an dem sie beide saßen, zu erheben, »aber ich werde jetzt wieder gehen. Tut mir Leid, wenn ich Ihre Zeit vergeudet habe. Ich bin einfach nicht die Richtige für diesen Job.« Anna wusste nicht einmal, worin dieser Job, den Frau Kronenberg ihr anbieten wollte, bestehen sollte. Aber das war ihr vollkommen egal. Zumindest wollte sie sich einreden, dass es ihr egal war.

Frau Kronberg blieb ruhig sitzen, blickte auf den Fluss und sagte: »Ach, diese Ruhe.«

»Wie bitte?« Anna war schon aufgestanden.

»Die Ruhe. Das ist es, was mich immer wieder am Havelland so fasziniert. Wenn man wie Sie aus der Stadt kommt, dann kann einen diese Ruhe hier regelrecht erschlagen. Als ich das erste Mal hierher kam, war es jedenfalls so. Wie ist es bei Ihnen?«

Anna wusste, was die alte Dame meinte. Sie war eigentlich noch nie aus Berlin raus gekommen, ausgenommen, um einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren. Aber ihr letzter Urlaub war auch schon eine gefühlte Ewigkeit her. Ja, diese Ruhe war ihr unangenehm aufgefallen. Unangenehm deshalb, weil die ständigen Geräusche der Großstadt einen davon abhielten, zu viel über sich selbst nachzudenken.

Als hätte sie Annas Gedanken gelesen, sagte Frau Kronenberg: »Wenn man hier auf dem Land längere Zeit verbringt, kann das zunächst ziemlich irritierend sein. Aber wenn man sich erst daran gewöhnt hat, dann ist das fast so etwas wie ein anderes Leben. Eine zweite Chance. Wenn man die Stille zulässt und sich nicht dagegen wehrt, dann kann man auch mit seinen Dämonen aus der Vergangenheit klarkommen. Glauben Sie mir, ich habe es selbst erlebt.«

Anna setzte sich wieder. Misstrauisch beugte sie sich über den Tisch und sah Frau Kronenberg scharf an: »Dämonen aus der Vergangenheit? Wollen Sie mir damit etwas Bestimmtes sagen?«

Frau Kronenberg hielt ihrem Blick locker stand. Sie wollte etwas. Und sie war es gewohnt, zu bekommen, was sie wollte. »Ich werde nicht um den heißen Brei herumreden«, begann sie kühl, aber bedacht. »Bevor ich mit Ihnen Kontakt aufnahm, habe ich mich über Sie informiert. Ich weiß, was vor sieben Jahren geschehen ist. Ich weiß von dem tragischen und ungerechten Tod Ihres Mannes und Ihres Sohnes.«

»Es war ein Unfall. Ein verdammter Autounfall, wie er jeden Tag auf unseren Straßen passiert. Das hat nichts mit gerecht oder ungerecht zu tun«, schimpfte Anna, ebenso wütend wie verbittert und bereute es sogleich. Denn sie hatte es in der Vergangenheit stets vermieden, ihre Gefühle anderen gegenüber zu offenbaren.

»Ich kann sicherlich nicht nachvollziehen, was Sie seither durchgemacht haben, und Sie haben jedes Recht, zornig zu sein. Aber ich biete Ihnen hier die Chance, sich Ihren Lebenstraum zu erfüllen. Wenn es sich bei den vergangenen Ereignissen wirklich um die siebte Heimsuchung handelt, dann sind Sie die Einzige, die ich kenne, die es zweifelsfrei herausfinden kann.« Die alte Dame legte ihre Hand auf die von Anna, die beinahe zurückgeschreckt wäre, es dann aber doch zuließ. »Lassen Sie die Vergangenheit hinter sich, mein Kind, und tun Sie wieder das, wozu Sie geboren wurden. Es gibt viele selbsternannte Geisterjäger und Medien, die sich einbilden, Übersinnliches zu verstehen oder aufspüren zu können. Aber die brauche ich nicht. Ich brauche ein echtes Medium wie Sie. Die Eine, die es nur einmal unter einer Million gibt. Ich brauche Ihre Gabe, und ich weiß, Sie wollen sie wieder einsetzen, um anderen zu helfen. Denn das ist es, was Sie früher mit Leidenschaft und Hingabe getan haben. Tun Sie es wieder! Es soll Ihr Schaden nicht sein. Ich werde Sie für Ihre Mühen reich entlohnen«, sprach Frau Kronenberg mit verschwörerischem Blick.

Anna spürte, wie ihr innerer Widerstand zu bröckeln begann. Sie konnte sich tausend Gründe vorstellen, die Bitte von Frau Kronenberg abzulehnen. Aber da war dieses Kribbeln in ihren Fingern. Es war so intensiv, dass sie es nicht ignorieren konnte. Immer wenn sie früher paranormalen Phänomenen auf der Spur war, hatte sie dieses Kribbeln verspürt. Ja, sie wollte wieder dort weitermachen, wo sie vor sieben Jahren aufgehört hatte. Sie wollte es!

»Was soll ich denn genau tun?«, fragte sie schließlich, sehr zur Freude ihres Gegenübers.

Frau Kronenberg deutete zur Havel. »Vier Kilometer flussaufwärts gibt es ein kleines Dorf namens Nimtow. Es hat weniger als 80 Einwohner und nur eine Bushaltestelle. Seit einigen Wochen gehen dort seltsame Dinge vor sich. Leute verschwinden tagelang und tauchen dann unvermittelt wieder auf. Aber niemand erinnert sich an etwas. Und niemand bemerkt das vorübergehende Verschwinden der betroffenen Personen. Mir wurde zugetragen, dass nachts unheilvolle Stimmen aus dem Dunkeln erklingen, begleitet von mysteriösen Lichtern. Meine Nichte, die dort wohnt, wurde von Schreien geweckt, die scheinbar vom Fluss kamen. Mehrfach sei der Strom ausgefallen. Drei schwere Gewitterzellen haben sich ausschließlich über dem Dorf ausgetobt - alle nachts und alle innerhalb der letzten drei Wochen.

Etwas Großes geht vor im Havelland. Die Geister sind in Aufruhr.

Ich sage Ihnen, was Sie tun sollen: Bringen Sie mir einen unumstößlichen Beweis dafür, dass das, was sich dort im Dorf abspielt, die letzte große Heimsuchung ist, die unser aller Leben für immer verändern wird.«

Phänomena

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