Читать книгу Phänomena - S. G. Felix - Страница 4

Die Sieben Heimsuchungen

Оглавление

»Also gut, ich könnte es ja vielleicht versuchen. Ich kann Ihnen jedoch nichts versprechen«, sagte Anna.

»Ich will auch keine Versprechungen, ich will Beweise!«

»Sie wissen aber schon, dass die Theorie über die Sieben Heimsuchungen nur... eine Theorie ist? Ich meine, es gibt unter Fachleuten des Paranormalen sehr unterschiedliche Ansichten darüber. Niemand kann garantieren, dass eine siebte Heimsuchung tatsächlich die letzte ist. Es könnten auch acht oder mehr sein.«

»Nein, es sind sieben, nicht mehr und nicht weniger. Die Sieben ist magisch, das wissen Sie doch bestimmt.«

Anna runzelte die Stirn. Sie konnte es immer noch nicht glauben, dass sie zugestimmt hatte. Ja, sie fürchtete sich ein wenig vor dem, was sie erwarten könnte. Sie war sich zwar ziemlich sicher, dass sich die Ereignisse im Dorf Nimtow als harmlos herausstellen würden, aber man konnte ja nie wissen. Sie glaubte an die Sieben Heimsuchungen. Und durch ihre lange Arbeit als Medium, das mit den Toten sprach, hatte sie im Laufe der Jahre eine Ahnung entwickelt, die sie zu der Überzeugung kommen ließ, dass die siebte Heimsuchung kurz bevor stehen könnte. Anna wusste, worum es tatsächlich ging. Aber wusste das auch Kronenberg?

»Nur damit ich auch weiß, dass wir über dasselbe sprechen«, begann sie. »Was wissen Sie über die Sieben Heimsuchungen? Verstehen Sie mich nicht falsch. Aber seit die Theorie darüber vor Jahren publik wurde, kursieren im Internet zig verschiedene Versionen. Und ich kann Ihnen sagen, das meiste davon ist totaler Quatsch.«

Die alte Kronenberg lächelte verschmitzt. Sie machte deutlich, dass sie von ihrer Überzeugung, was den Ort Nimtow anbetraf, nicht abzubringen war. »All diese Theorien könnten aber auch wahr sein. Ich meine, es geht hier um Geister. Um Besucher aus dem Jenseits. Wie will man deren Existenz rational wissenschaftlich beweisen? Man kann es nicht beweisen, es ist lediglich eine Frage des Glaubens und vielleicht auch des gesunden Menschenverstandes, wie in Ihrem Falle. Sie als Medium müssen doch schon unzählige paranormale Phänomene erlebt haben.«

»Das habe ich«, bestätigte Anna ehrlich.

»Sehen Sie, aber keines davon lässt sich mit der modernen Wissenschaft zweifelsfrei belegen. Und weil das so ist, gibt es auch nicht die eine richtige Interpretation der Theorie über die Sieben Heimsuchungen. Weil diese Theorie immer nur eine Theorie geblieben ist. Für die einen ist sie Humbug. Für die anderen ist es eines der großen Mysterien unserer Zeit. Deshalb glaube ich auch nicht, dass das, was über die Sieben Heimsuchungen gemutmaßt wird, Quatsch ist, wie Sie sagen.

Aber zurück zu Ihrer Frage: Sie wollen herausfinden, was ich weiß. Ich bin vor ungefähr vierzig Jahren auf diese Theorie gestoßen. Also zu einer Zeit, als nur eine Handvoll Menschen sich damit beschäftigt hat. Zuvor habe ich mich nicht sonderlich für derlei Dinge interessiert. Aber dann hatte ich selbst ein Erlebnis, dass ich mir nicht rational erklären konnte. Daraufhin habe ich ein wenig recherchiert und bin auf die Sieben Heimsuchungen gestoßen. Geistererscheinungen und Poltergeistheimsuchungen gibt es jeden Tag auf der ganzen Welt. Aber es gibt nur sechs bekannte Phänomene, die verblüffende Gemeinsamkeiten aufweisen.«

»Genau. Und wissen Sie, welche das sind, und ob das, was in dem Ort hier im Havelland geschieht, ebenfalls Gemeinsamkeiten aufweist?«

»Allerdings. Alle diese sechs Heimsuchungen hielten etwa für vier bis sechs Wochen an. Sie fanden in verschiedenen Teilen der Erde statt. Drei davon in Nordamerika, zwei in Europa, und eine soll in Südamerika stattgefunden haben.«

Anna nickte. Das deckte sich mit ihren Informationen.

»Sechs Heimsuchungen, sechs verschiedene Orte«, fuhr Frau Kronenberg fort. »Doch alle begannen gleich und endeten gleich. Sie begannen mit dem unerklärlichen Verschwinden von Menschen, die Tage später wieder auftauchten und sich an nichts erinnern konnten, so wie es hier in Nimtow geschehen ist. Und bei allen Heimsuchungen starb immer ein Mensch. Nur einer.«

»Ist in Nimtow auch jemand gestorben – auf unnatürliche Weise meine ich?«

»Ja, Vor zwei Wochen. Ein junger Mann ist in der Havel ertrunken. Es wurde als Unfall eingestuft, was ich jedoch nicht glaube.«

»Dass Menschen im Sommer beim Baden ertrinken, ist leider normal und nichts Ungewöhnliches«, entgegnete Anna.

»Nach meinen Quellen ist der Mann nachts angeblich geschlafwandelt. Er stand mitten in der Nacht aus seinem Bett auf, verließ das Schlafzimmer, sein Haus, überquerte die Ortsstraße, ging mehr als siebenhundert Meter querfeldein und sprang in den Fluss, und das, obwohl er noch nie zuvor in seinem Leben geschlafwandelt sein soll. Er soll ein guter Schwimmer gewesen sein, und dennoch ertrank er.«

Anna sagte nichts. Sie überlegte. Das war in der Tat ungewöhnlich - wenn diese Geschichte denn stimmen sollte. Aber das würde sich vielleicht herausfinden lassen.

Die alte Kronenberg schien perfekt informiert zu sein. Anna wollte nur noch Eines wissen. »Von den sechs Heimsuchungen wurde auch berichtet, dass die Geister, die in Erscheinung traten, recht aggressiv gewesen sein sollen. Ist das hier auch der Fall?«

»Das will ich meinen, wobei wohl Auslegungssache ist, was man unter aggressiv versteht. In einem vermieteten Ferienapartment soll ein Geist eines Nachts so laut gejault und geschrien haben, dass die Feriengäste aus dem Bett gefallen sein sollen. Einer von ihnen soll Verletzungen im Gesicht davongetragen haben. Jemand hat ihm im Schlaf das Gesicht zerkratzt. Daraufhin verließen die Gäste das Apartment fluchtartig und erstatteten am nächsten Tag Anzeige gegen die Vermieter, weil sie glaubten, es handelte sich um einen üblen Scherz. Es stand auch in der Lokalzeitung.«

»Genau derartige Fälle wurden auch bei den vorigen sechs Heimsuchungen berichtet«, sagte Anna nachdenklich.

Frau Kronenberg nickte nur langsam, nahm einen Schluck Kaffee und wartete geduldig, bis Anna wieder etwas sagte.

»Lag das Ferienapartment direkt am Wasser?«, fragte sie schließlich.

»Ja. Genauso wie bei den vorigen sechs Heimsuchungen. Alle fanden in der Nähe eines Flusses statt. Das Wasser scheint irgendwie anziehend auf die Geister zu wirken.«

»Es ist nicht das Wasser selbst, sondern die Bewegung des Wassers«, sprach Anna gedankenverloren.

»So? Hmm, das wusste ich nicht. Aber genau deshalb will ich auch Sie und niemand anderen engagieren. Sie wissen solche Dinge, die anderen verborgen bleiben. Sofern Sie immer noch bereit sind, der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich mir erlaubt, ein Apartment ganz in der Nähe für Sie zu reservieren. Auch dort sollen merkwürdige Dinge geschehen sein. Ich dachte, das wäre der beste Ort, um mit Ihrer Recherche zu beginnen.«

Diese Vorstellung machte Anna keine Angst. Unzählige Male in ihrem Leben hatte sie allein in derartigen Räumen verbracht. Allein mit Dingen, die einen gestandenen Mann vor Angst in die Flucht getrieben hätten. Alles schien darauf hinzudeuten, dass es einen engen Zusammenhang mit den vorigen sechs bekannten Heimsuchungen geben könnte.

»Sie sind gut informiert, Frau Kronenberg. Sie wissen sicherlich auch, dass die Theorie - oder sollte ich besser sagen - der Glaube daran, dass es sich um sieben gleichartige Heimsuchungen handeln muss, daher rührt, dass beim ersten Mal einem jungen Mädchen ein Geist erschien. Dieser sagte ihr, dass es insgesamt sieben Mal auf die gleiche Weise spuken würde, bis etwas Schreckliches geschieht.«

»Das weiß ich. Was, glauben Sie, wird nach der siebten und letzten Heimsuchung geschehen?«

»Darüber habe ich mir ehrlich gesagt nie wirklich Gedanken gemacht. Ich war immer nur an dem Phänomen der Sieben Heimsuchungen interessiert. Über die Konsequenzen habe ich nicht nachgedacht. Die einen sagen, nach dem letzten Geisterspuk soll das Ende der Welt eingeläutet werden. Die Geister in den Sieben Heimsuchungen warnen angeblich vor der endgültigen Auslöschung der Menschheit. Die Apokalypse stünde bevor. Manche meinen, ein Komet würde auf die Erde stürzen. Anhänger der Prä-Astronautik sagen, Aliens würden auf unseren Planeten zurückkehren, nachdem sie vor mehreren tausend Jahren schon einmal hier gewesen sind.

Es gibt dutzende Theorien darüber, was am Ende dieser außergewöhnlichen Spukserie geschehen könnte. Viele davon sind äußerst düster und haben mit dem Untergang unserer modernen Zivilisation zu tun. Und keine von diesen gefällt mir besonders gut. Es könnte aber auch genauso gut gar nichts passieren.«

»Aber das glauben Sie nicht, oder? Ich meine, dass gar nichts geschehen wird?«, hakte die alte Kronenberg nach. Sie wollte von Anna hören, dass sie begierig darauf war, das Rätsel um die Sieben Heimsuchungen zu lüften.

»Nein, das glaube ich in der Tat nicht. Dafür habe ich einfach schon zu viel erlebt. Ich habe eine Menge in meiner aktiven Zeit als Medium gesehen. Ich weiß, dass es Dinge gibt, die sich unserem Verständnis von Raum und Zeit entziehen. Ich weiß, dass der Tod nicht das Ende ist. Und ich weiß, dass es parallel zu unserer Welt noch eine Welt gibt. Eine Welt, die wir vielleicht nur dann betreten und eventuell auch verstehen werden, wenn wir selbst eines Tages sterben.«

Frau Kronenberg nickte langsam. Sie hatte Anna mit Faszination zugehört. Sie war hundertprozentig davon überzeugt, dass Anna die einzige Person war, die der Aufgabe in Nimtow gewachsen war. »Ich bin neugierig«, begann sie. »Jeder weiß, was er sich unter einem Geist vorstellen soll. Doch was sind Geister eigentlich? Mich würde Ihre persönliche Meinung dazu interessieren. Ihre Interpretation auf Basis Ihrer langjährigen Erfahrung.«

Anna überlegte lange, ehe sie antwortete. »Ich denke, Geister sind eine besondere Form von Erinnerungen, die nicht mehr wissen, wo ihr Zuhause ist.

Ja, ich denke, das trifft es ganz gut.«

Die Kronenberg lächelte. Ihr schien diese Interpretation zu gefallen. Das war der Moment, in dem sich Anna zum ersten Mal bei ihrem Treffen fragte, welches Interesse ihre Auftraggeberin eigentlich an der ganzen Sache hatte. Doch ehe sie sie danach fragen konnte, überrumpelte Kronenberg sie mit einer faustdicken Überraschung. Eine Überraschung der unangenehmen Art.

Phänomena

Подняться наверх