Читать книгу Direkte Restaurationen im Seitenzahnbereich - Salvatore Scolavino - Страница 39
Einleitung
ОглавлениеIn einigen Sprachen leitet sich die jeweilige Bezeichnung für „Zahnarzt“ (wie etwa der italienische „odontoiatra“) von dem altgriechischen Begriff “ὀδόντων ἰατρός” ab, welcher wörtlich „Arzt vom Zahn“ bedeutet. Es gibt vermutlich wenig, was einen Zahnarzt mehr belastet, als ein Zahnverlust bei seinen Patienten. Eines der Hauptziele der Zahnmedizin besteht gerade darin, einen guten oralen und allgemeinen Gesundheitszustand der Patienten zu erzielen und dabei Zahngewebe zu erhalten. Die Hauptursachen für Zahnverlust sind den beiden wichtigsten Erkrankungen der dentalen und parodontalen Gewebe zuzuschreiben, nämlich Karies und Parodontitis, die beide durch bakteriellen Biofilm1 gefördert werden. Weitere Ursachen sind Traumata und zahnärztliche Maßnahmen. Karies oder „kariöse Erkrankung“ ist mit Abstand die weltweit am meisten verbreitete Erkrankung:
• Über 40 % der Weltbevölkerung hat mindestens eine unbehandelte kariöse Läsion im Mund;2
• mehr als 90 % der Menschen werden mindestens einmal im Laufe ihres Lebens eine Erfahrung mit Karies haben.3
Vor diesem Hintergrund ist es zumindest merkwürdig, dass es selbst unter den Top-Spezialisten für diese Erkrankung, den Zahnärzten, oft unklar ist, wofür die Bezeichnung „Karies“ steht. Im Gegensatz zur parodontalen Erkrankung, bei der es eine klare Unterscheidung zwischen den Folgen (Tasche, Rezession, Blutung, Lockerung usw.) und der Erkrankung, die sie hervorgerufen hat, gibt, ist bei „Karies“ oft nicht ganz klar, ob sich dieses Wort auf die „Erkrankung“ bezieht, d. h. auf einen komplizierten pathologischen Prozess mit ersten „vorantreibenden Faktoren“, einer Kausalkette von Ereignissen und deren Folgen, oder ob es sich auf eine Auswirkung davon, d. h. auf die „kariöse Läsion“ bezieht.4
Um bei der Parallele zur Parodontitis zu bleiben: Sobald Anzeichen der Erkrankung festgestellt wurden, müssen die Patienten selbstverständlich verschiedenste „millimetergenaue“ instrumentelle (Abb. 1) und radiologische Untersuchungen (Abb. 2) durchlaufen, damit Befunde erhoben und ausgewertet, numerische Indizes berechnet sowie genaue und regelmäßige Kontrollen durchgeführt werden. Anhand des Befunds sowie der Anzahl und Schwere der Krankheitsfolgen ist es möglich, die „Diagnose“ zu stellen, d. h. die Grunderkrankung (z. B. „Parodontitis“) mit einigen Adjektiven wie „chronisch“, „aggressiv“, „lokalisiert“ oder „generalisiert“ zu kategorisieren. Von diesen Adjektiven kann die darauffolgende „Kausaltherapie“ und die Prognose des Falles abhängen. Es ist nicht zu unterschätzen, dass es im Bereich der Parodontologie klare und bekannte Regeln für die Nomenklatur gibt.5 Im Bereich der Kariologie sieht es hingegen generell etwas anders aus: In der Regel wird nur nach einem Befund, der kavitierten kariösen Läsion gesucht. Es ist sehr schwierig, die Schwere des untersuchten Krankheitsbildes objektiv festzulegen, da bezüglich der Terminologie4 allgemeine Verwirrung herrscht. Das Thema „Karies“ wird gewissermaßen „banalisiert“, weil es oft „als Grundwissen“ betrachtet wird, das man ex machina allein schon dadurch erworben hat, dass man in der zahnmedizinischen Fakultät immatrikuliert war.
Das Konzept der „Kausaltherapie“, das im Allgemeinen mit der Behandlung parodontaler Erkrankungen in Verbindung gebracht wird, ist eigentlich ein Konzept, das auf nahezu alle pathologischen Prozesse, einschließlich Karies, angewendet werden sollte.6 Es versteht sich von selbst, dass die Kausaltherapie die „Ursachen“ einer Erkrankung betreffen muss; in der Tat können Maßnahmen, die auf die bloße Behandlung der Folgen/Symptome abzielen, nur von geringem medizinischen Wert sein.
Abb. 1 Beispiel eines Parodontalstatus. Quelle: www.parodontalstatus.ch, School of dental medicine, Universität Bern, Schweiz.
Abb. 2 Röntgenstatus eines Patienten mit parodontaler Erkrankung (mit freundlicher Genehmigung von Dr. F. Manfrini, Riva del Garda).
Abb. 3 Sekundärkaries am Rand einer Kompositrestauration. Die kariöse Läsion hat sich nicht aufgrund der Restauration entwickelt, sondern weil vor oder unmittelbar nach der Restauration auf der betroffenen Fläche nichts getan wurde, um das Kariesrisiko zu reduzieren.
Abb. 4 Rezidivierende kariöse Läsionen, die sich apikal von zwei Restaurationen entwickelt haben, da der Biofilm in den Interdentalbereichen nicht entfernt wurde.
Zahnkaries ist eine übertragbare Erkrankung bakteriellen Ursprungs. Mit der physischen Beseitigung einer Läsion und dem Ersatz durch eine Restauration, eliminiert man nicht die Bakterien oder blockiert den kariösen Verlauf im restlichen Mund und an den Rändern der gerade hergestellten Restauration (Abb. 3, 4).7 Im Allgemeinen läuft die „Kausaltherapie“ nach einem Schema ab, das für alle medizinischen Fachgebiete fast gleich ist:
1. Diagnose.
2. Information und Aufklärung der Patienten über die Ursachen der Krankheit (z. B. um den Zusammenhang Ernährung – kariogener Biofilm – Säuren – Folgen verständlich zu machen).
3. Anleitung der Patienten, wie sie die in ihrer Zuständigkeit liegenden Ursachen unter Kontrolle bekommen können (z. B. Lebensstil, Rauchentwöhnung, Ernährung, Hygiene).
4. Direkte medizinische Maßnahme an den Ursachen, die beseitigt werden können, und an den Folgen (z. B. Entfernung von Überschüssen und Zahnstein, Restauration der kavitierten kariösen Läsionen).
5. Regelmäßige Nachuntersuchungen der betroffenen Patienten.
Die Leserinnen und Leser werden sicher verstehen, dass dieses Vorgehen dem eigentlichen Konzept der „Heilung“ der Erkrankung nahe kommt, d. h. der Reihe von Maßnahmen, die ausgehend von der Ätiopathogenese durchgeführt werden und deren Ziel die vollständige Beseitigung des bestehenden (Punkte 1 bis 5 des obigen Schemas) oder potenziellen Krankheitsprozesses (primäre Prävention) ist. Diese Maßnahmen kommen folglich auch bei der „Person“ zur Entfaltung und können als „Krankheitsmanagement“ definiert werden. Das „symptomatische Management der Folgen“ verdient sicherlich nicht die Bezeichnung „Heilung“: Diese nützliche und notwendige Maßnahme kann als „Behandlung“ bezeichnet werden (Maßnahme unter Punkt 4 des obigen Schemas). Nun dürfte der makroskopische Unterschied zwischen dem „Heilungsplan“ und dem „Behandlungsplan“ verständlich sein: Der „Heilungsplan“ umfasst auch all die medizinischen Maßnahmen, die nicht unbedingt im Heil- und Kostenplan enthalten sind und darauf abzielen, den Einfluss der Ursachen, welche die Krankheit „generieren“, zu eliminieren oder zu reduzieren (z. B. Überweisung des Patienten an ein Rauchentwöhnungs-Zentrum oder Empfehlung, ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen). Der „Behandlungsplan“ ist hingegen nichts anderes als eine sehr wichtige Liste von Maßnahmen, die in den zahnmedizinischen Einrichtungen durchzuführen sind.