Читать книгу Direkte Restaurationen im Seitenzahnbereich - Salvatore Scolavino - Страница 41
Dynamik und Aktivität einer Läsion
ОглавлениеSchematisch kann die Dynamik einer kariösen Läsion am Zahn wie folgt zusammengefasst werden:11,12
1. Die säurebildende bakterielle Plaque fermentiert die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate, wodurch Säuren produziert werden (Milchsäure, Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure) (Abb. 11).
2. Die Säuren diffundieren in das freiliegende Zahngewebe und lösen die Mineralkristalle, aus denen das Gewebe besteht, teilweise auf (Carbonat-Hydroxylapatit).
3. Die Ablösung von Mineralsalzen von den Zahnoberflächen führt zunächst zu einer Aufrauhung, zur Demineralisierung unter der Oberfläche und ggf. zur Kavitation (Abb. 12).
4. Kalzium, Phosphate und Fluoride können den Demineralisierungsprozess reversibel machen, indem sie in das Innere der Zahngewebe diffundieren und eine neue mineralisierte Schicht auf den verbleibenden Kristallen in den nicht kavitierten Läsionen ablagern (Remineralisierung) (Abb. 13).
5. Wenn Fluorid vorhanden ist, wird die neue Oberfläche wesentlich resistenter gegen Säureangriffe.
6. Dieser Prozess der Demineralisierung – Remineralisierung findet viele Male am Tag statt und kann Folgendes bewirken: Kavitation, Reparatur, Erhalt des Status quo.
7. Wenn die Demineralisierungsprozesse überwiegen, kommt es zur Ausweitung der Infektion mit fortschreitendem Verlust von Zahngewebe, Pulpitis und Zahnverlust (Abb. 14, 15).
Für nicht kavitierte kariöse Initialläsionen legt das International Caries Detection and Assessment System (ICDAS II), das den Prozess der visuellen Diagnose von gereinigten Zahnoberflächen regelt, zwei unterschiedliche Klassen fest:
ICDAS 1: Wenn nach längerer Lufttrocknung (5 Sekunden) auf der Schmelzoberfläche eine erste kleine, durch die Demineralisierung bedingte Veränderung sichtbar ist.
ICDAS 2: Wenn die visuelle Veränderung sowohl auf trockener als auch auf feuchter Oberfläche klar erkennbar ist (Abb. 5).
Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, sich zusätzlich über die restlichen Kategorien, die sich sowohl auf die gesunde Oberfläche (ICDAS 0) als auch auf kavitierte Läsionen (ICDAS 3–6) beziehen, zu informieren.13
Abb. 11 Umfangreiche Ablagerungen bakterieller Plaque, die potenziell Karies und/oder eine parodontale Erkrankung verursachen können.
Abb. 12 White Spot (WS) im zervikalen Bereich mit einem ersten Anzeichen einer Kavitation (Aufnahme mit Polarisationsfilter).
Abb. 13 WS mit partiell remineralisierten Bereichen der Oberfläche: Wenn man mit einem Instrument über die remineralisierte Oberfläche fährt, fühlt sie sich nicht anders an, als bei nicht verfärbtem Gewebe;
Abb. 14 Schmelzeinbruch mit Dentinexposition.
Abb. 15 Dramatische Folgen einer kariösen Erkrankung. Dieser erste Molar kann nur noch extrahiert werden.
Abb. 16 Nicht aktive kavitierte Läsion auf der Okklusalfläche eines oberen Molaren, der vom Patienten regelmäßig gereinigt und vom Zahnarzt in regelmäßigen Abständen kontrolliert wurde.
Nicht kavitierte Initialläsionen (ICDAS 1–2) können zudem nach ihrer Aktivität klassifiziert werden. Nach den Kriterien von Nyvad14 kann eine nicht kavitierte Läsion wie folgt definiert werden:
AKTIV: Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Läsion fortschreitet, größer ist, als die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht fortschreitet; die Läsion hat eine raue Oberfläche und sieht kreidig und matt aus (aktiver White Spot); sie ist häufig im Bereich von Plaqueablagerungen anzutreffen, und das Parodontium in der Nähe ist oft entzündet und blutet bei leichter Sondierung; die Schmelzoberfläche ist porös und lässt Säuren in die tieferen Schichten unter der Oberfläche durchdringen. Die Fläche fühlt sich rau an (Abb. 12).
NICHT AKTIV: Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Läsion nicht fortschreitet, größer ist, als die Wahrscheinlichkeit, dass sie fortschreitet. Die Läsion hat eine glatte Oberfläche und sieht hell und glänzend aus; in der Regel ist sie nicht im Bereich von Plaqueablagerungen anzutreffen, und die umgebende Gingiva ist entzündungsfrei. Die Schmelzoberfläche wurde dank der veränderten lokalen und allgemeinen Bedingungen remineralisiert; häufig verbleiben in den tieferen Schichten unter der Oberfläche weiße Flächen (nicht aktiver White Spot), da die remineralisierte Oberfläche Mineralien stark daran hindert, in tiefere Schichten vorzudringen. Die Oberfläche fühlt sich ähnlich wie die umliegende gesunde Oberfläche an (Abb. 13). Der Umstand, dass bei nicht aktiven Läsionen dennoch in den Schichten unter der Oberfläche weißliche Bereiche zurückbleiben können, oder auch braune Areale, die sich während der Remineralisierung verfärbt haben, schmälert keineswegs den positiven Aspekt an sich: Eine nicht aktive Läsion ist eine aktive Läsion, die zum Stillstand gekommen ist, weil ideale schützende Bedingungen eingetreten sind.
In manchen Fällen kann man kavitierte, meist braun aussehende Läsionen antreffen, die dennoch die Merkmale nicht aktiver Läsionen aufweisen (harte Konsistenz bei leichter Sondierung, in gut gereinigten Bereichen des Zahnes lokalisiert). Dabei handelt es sich in der Regel um die unzutreffender Weise als „Caries sicca“ bezeichneten Initialläsionen: Schmelzkavitationen, die aufgehört haben, fortzuschreiten, weil irgendeine günstige Veränderung im oralen Milieu eingetreten ist (Abb. 16). Bei solchen Läsionen könnten insbesondere bei erwachsenen/älteren Patienten mit niedrigem Risiko einfach nur regelmäßige Kontrolluntersuchungen ausreichen, wenn das Risiko, dass die Läsion kurz- oder mittelfristig (3–6 Monate) wieder aktiv wird, als gering eingeschätzt werden kann und die Läsionen sich in einem leicht zugänglichen Bereich befinden, selbst wenn er für Plaqueansammlungen anfällig ist.