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Als Jack nach Hause kam, war der Galant aus der Einfahrt verschwunden. Er parkte so, dass für das kleine Auto Platz blieb, und stieg aus dem Truck. Ein paar Kinder spielten auf der Straße Basketball, den Korb hatten sie auf dem Gehweg aufgestellt. Das Geschrei drang bis zu ihm herüber.

Noch tat ihm nichts weh, das konnte morgen anders sein. Jack spürte, dass sein Rücken und die Arme vom Abklopfen der Fliesen und Bücken und Heben langsam steif wurden. Früher hatten ihm solche Tage nichts ausgemacht, er hatte eine Woche durcharbeiten können und nichts davon gemerkt.

Er trat ins Haus, seine Schlüssel landeten in der Glasschüssel neben der Tür. Im Wohnzimmer lief der Fernseher, irgendeine Spielshow. Jack hielt an der Tür inne, Lidia lag mit dem Handy am Ohr lang ausgestreckt auf dem Sofa, telefonierte mit irgendwem und verfolgte mit einem Auge die Sendung. Sie war dreizehn, telefonieren oder simsen war ihr liebstes Hobby.

»Hi«, sagte Jack.

»Hi, Jack.« Lidia legte die Hand aufs Telefon. »Du bist früh zu Hause.«

»Nein, genau pünktlich. Wo ist deine Schwester?«

»Bei Ginny. Sie sagt, zum Abendessen ist sie wieder da.«

»Okay. Ich geh duschen.«

Im Gehen hörte er Lidia sagen: »Alles okay, das war nur mein Stiefvater.«

Im Schlafzimmer zog er die Arbeitsklamotten aus und warf sie in den Wäschekorb, dann betrat er das kleine angeschlossene Badezimmer. Hier war weniger Platz als bei den Leeks, eine Wanne gab es nicht, nur eine Duschkabine mit Milchglas und Armaturen, die zu rosten begonnen hatten. Eigentlich hätte er das ganze Ding vor ein, zwei Jahren ersetzen wollen, war aber nie dazu gekommen. Wenigstens tropfte nichts.

Jack blieb länger in der Dusche als sonst und genoss die Wärme. Dann wickelte er sich ein Handtuch um die Hüften und stellte sich vor den Spiegel am Waschbecken. Er strich sich Rasierschaum ins Gesicht, machte den sprießenden Schnurrbarthaaren den Garaus und brachte mit einer kleinen Schere den Goatee wieder in Form. Das Rasierwasser brannte auf der Haut.

Er zog Shorts und ein löchriges T-Shirt an und ging in die Küche. Da es noch zu früh war, um das Abendessen vorzubereiten, holte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich an den Tisch und schaute durch die Schiebetür in den Hinterhof hinaus, auf den Maschendrahtzaun und die quadratische Terrasse mit dem Betonboden. Vor Jahren hatte er überlegt, dort für Lidia eine Schaukel aufzustellen, aber da war sie schon zu alt für solche Sachen gewesen, und Marina sowieso. Er hätte die beiden gerne schon als kleine Kinder gekannt.

Alles war still, niemand kam durch die Haustür und in die Küche gewuselt. Etwa um diese Uhrzeit wäre Vilma nach ihrer Zwölf-Stunden-Schicht im Krankenhaus nach Hause gekommen. Sie hätte Jack umarmt, ihm einen Kuss gegeben und gefragt, wie sein Tag gewesen war. Auch heute noch wartete Jack auf das Geräusch von Vilmas Galant in der Einfahrt, aber jetzt kündigte es an, dass Marina nach Hause kam, nicht ihre Mutter.

Jack trank sein Bier aus und steckte die Flasche zum Recyceln in eine Papiertüte. Er stellte eine große Bratpfanne auf den Herd, holte ein Kilo Rinderhack aus dem Kühlschrank und krümelte es in die heiße Pfanne. Es zischte, der Duft von gebratenem Fleisch breitete sich aus.

Der Hamburger Helper köchelte auch schon, als Jack Marina nach Hause kommen und das Klimpern ihrer Schlüssel in der Glasschüssel hörte. »Hey, Marina«, rief er.

»Hey, Jack«, kam es zurück.

»Noch zehn Minuten, okay?«

»Zehn Minuten.«

Lidia erschien in der Küche, das Handy immer noch ans Ohr geklebt, und kramte im Kühlschrank herum. »Ist noch Erdbeerlimo da?«, fragte sie.

»Ist alle. Mit wem redest du da? Hör auf zu telefonieren und deck den Tisch.«

Lidia verdrehte die Augen und verschwand. Jack dachte, sie würde nicht zurückkommen, aber eine Minute später tauchte sie wieder auf, das Handy steckte jetzt in ihrer Hosentasche. »Ich war gerade mitten im Gespräch«, sagte sie.

»Du kannst nach dem Abendessen zurückrufen. Außerdem verplemperst du dein Guthaben.«

»Das Guthaben ist billig.«

»Du bezahlst es ja nicht.«

»Was für einen Helper hast du heute genommen?«

»Beef Pasta.«

»Igitt.«

»Du wirst es überleben.«

Lidia deckte für drei und stellte eine Zwei-Liter-Flasche Sprite auf den Tisch. Jack behielt sowohl die Pfanne im Auge, damit nichts überkochte, als auch Lidia. Er wünschte sich, Lidia wäre mehr wie Vilma, aber sie sah ihr nur wenig ähnlich, sie kam nach ihrem Vater, wie Vilma immer gesagt hatte. Jack hatte nur ein paar Fotos von ihm gesehen und konnte nicht viel dazu sagen.

Marina kam, als das Essen auf dem Tisch stand. Sie war ein hochgewachsenes, schlankes Mädchen mit den gleichen dunklen Haaren und der braunen Haut wie ihre Schwester, aber im Gesicht und manchmal auch in den Bewegungen Vilma viel ähnlicher. Sie berührte Jacks Arm. Es war das Gleiche wie eine Umarmung. »Was riecht so gut?«, fragte sie.

»Das Übliche.«

»Ich liebe das Übliche!«

Jack nahm die Pfanne vom Herd. »Du machst dich lustig.«

»Vielleicht ein bisschen.«

»Na, setz dich und lass uns essen.«

Er verteilte das Essen direkt aus der Pfanne auf die Teller. Lidia zog die Nase kraus, aber als Jack sich setzte, kaute sie bereits. Das Tischgebet sprachen sie seit fünf Jahren nicht mehr. Das war Vilmas Angewohnheit gewesen.

Zunächst aßen sie schweigend. Jack stellte überrascht fest, wie hungrig er war. »Wie geht’s Ginny?«, fragte er schließlich.

»Gut«, sagte Marina. »Sie fährt nächste Woche nach Padre Island.«

»Mit ihren Eltern?«

»Ja, ich glaub schon. Sie wollte wissen, ob wir auch wegfahren.«

Jack runzelte die Stirn. »Ich habe einen Auftrag.«

»Das hab ich ihr gesagt.«

»Ihr Vater arbeitet in einem Büro, oder?«

»In einer Bank.«

»Ist das Gleiche. Bezahlter Urlaub. Mir zahlt niemand was, wenn ich Urlaub mache.«

»Ist nicht schlimm«, sagte Marina und schaute auf ihren Teller hinab.

»Vielleicht können wir irgendwohin fahren, wenn du den Job fertig hast«, sagte Lidia.

Jack kaute, aber das Essen schmeckte ihm nicht mehr. Er spülte den Bissen mit Sprite herunter. »Das dauert noch ein paar Wochen«, sagte er. »Wenn ich fertig bin, fängt die Schule wieder an. Aber wisst ihr was: Nächstes Frühjahr fahren wir zusammen weg. Übers Wochenende. Oder vielleicht ein paar Tage länger.«

»Schon gut«, sagte Lidia. Jack wusste, dass es das nicht war.

Sie schwiegen wieder. »Ich weiß noch, wie wir damals in Tampico waren. Erinnert ihr euch?«, fragte Jack.

Lidia nickte. Sie stocherte in ihrem Essen herum.

»Das war ein schöner Ausflug«, sagte Jack und dachte an die Fahrt, den Strand und das schöne Hotel mit dem großen Swimmingpool. Vilma hatte so gesund ausgesehen. Niemand hatte irgendetwas geahnt.

»Das war gut«, stimmt Lidia zu.

»Ja, wirklich.«

»Ich bin satt«, sagte Lidia.

»Wie kannst du satt sein? Dein Teller ist noch halb voll.«

»Ich bin wirklich satt, Jack.«

Jack seufzte. »Okay. Tu den Rest zurück in die Pfanne, ja? Man muss ja nichts verschwenden.«

Lidia tat es und stellte den Teller ins Spülbecken. Sie verschwand aus der Küche, kurz darauf hörte Jack sie wieder telefonieren.

Marina sah ihn an. »Tut mir leid, dass ich es angesprochen habe.«

»Was? Nein, du kannst über alles reden. Ist doch schön, dass Ginnys Familie an die Küste fahren kann. Du weißt, wie schwierig es ist, im Sommer wegzukommen. Alle wollen die Bauarbeiten erledigt haben, solange es warm ist.«

»Ich weiß.« Marina legte ihre Hand auf Jacks. »Wie gesagt, ist nicht schlimm.«

Jack hatte noch etwas zu essen auf seinem Teller, aber keinen Appetit mehr. Er stand auf und kratzte den Rest in die Pfanne. »Ich fahre mit euch weg, sobald es geht«, sagte er. »Ich will nicht immer Nein sagen müssen.«

»Jack –«

»Ja, ich weiß: Ist nicht schlimm. Es ist eben so, dass ich Geld verdienen muss, solange die Sonne scheint. Im Winter gibt’s dann nur noch kleine Reparaturen, und wir müssen von dem leben, was ich jetzt verdiene.«

»Soll ich dir beim Abräumen helfen?«

»Ja, gern.«

Er schaute zu, während Marina die Essensreste in Plastikschalen portionierte und sie in den Kühlschrank stellte. Es war einer der Momente, in denen er ihre Mutter in ihr sehen konnte, sie packte an, ohne viel Aufhebens zu machen. Jack ließ heißes Wasser ein und gab Spülmittel dazu. Er wusch ab, Marina trocknete.

»Ich hab gedacht, ich könnte mir vielleicht einen Job suchen«, sagte sie.

»Was für einen?«

»Keine Ahnung. Irgendwas in Teilzeit.«

»Es ist im Moment nicht leicht, was zu finden.«

»Ich könnte mich umsehen. Dann bräuchtest du mir kein Taschengeld mehr zu geben.«

Die Teller und Gläser und die Pfanne waren sauber. Jack ließ das Wasser ab. »Du musst nicht arbeiten. Wir verhungern schon nicht.«

»Ich weiß. Aber Ginny hat einen Job in dem Schmuckladen in der Mall, vielleicht kann ich da nach der Schule auch ein paar Stunden arbeiten. Das wäre doch was.«

Jack nickte. »Einverstanden. Aber die Schule geht vor.«

»Klar.«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er roch ihren sauberen Duft, ganz anders als der antiseptische Geruch, mit dem Vilma immer von der Schicht gekommen war. Er konnte sich Marina gut als Krankenschwester vorstellen.

»Ich meine es ernst«, sagte er. »Die Noten.«

»Darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Danke, Jack.« Sie wandte sich zum Gehen.

»Was hast du jetzt vor?«, fragte er.

»Ich gehe in mein Zimmer. Falls du mich brauchst, ich lasse die Tür offen.«

»Wenigstens verschleuderst du nicht dein ganzes Handyguthaben.«

»Telefonieren ist billig.«

Er sah ihr nach, dann holte er sich ein weiteres Bier aus dem Kühlschrank. Ein drittes würde es nicht geben. Zwei waren das absolute Limit. Er setzte sich an den Tisch und sah die Sonne hinter den Dächern gegenüber verschwinden. Es würde lange dämmern, und er würde im Bett sein, wenn es noch hell war.

Lidia rief etwas im Nebenzimmer. Jack trank sein Bier. Am anderen Ende des langen Flurs, der das Haus teilte, stand Marinas Tür offen, und Jack konnte sehen, dass sie am Schreibtisch vor dem Computer saß und tippte. Alle waren beschäftigt.

Vermisst

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