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ОглавлениеAm Morgen machte Jack alles wie immer und verließ das Haus trotzdem früher als sonst. Zur Belohnung legte er auf dem Weg zum Home Depot einen Zwischenstopp ein und holte sich ein Wurstsandwich und einen großen Kaffee. Kurz überlegte er, einen zweiten Kaffee für Eugenio zu besorgen, ließ es dann aber sein.
Der Kaffee war noch zu heiß, Jack aß das fettige Sandwich auf dem Parkplatz und fuhr wieder los. Das Home Depot lag ganz in der Nähe, das Schild war schon in Sichtweite. Obwohl es noch sehr früh war, warteten dort bereits viele Männer.
Jack wusste heute, wen er haben wollte, und fand Eugenio schnell. Er hielt und ließ das Fenster herunter. »Spring vorne rein.«
Er wartete noch, bis Eugenio den Gurt angelegt hatte, und fuhr los, ohne die langsam auf ihn zutreibende Menge zu beachten.
Diesmal hatte Eugenio keinen Kaffeebecher dabei. Jack nahm seinen aus dem Halter und hielt ihn Eugenio hin. »Hier. Kaffee.«
»Ich brauche keinen.«
»Nun nimm schon.«
Eugenio zögerte und nahm Jack den Becher dann aus der Hand. »Gracias.«
»De nada. Es ist Milch und Zucker drin, hoffentlich ist das okay.«
»Kein Problem.«
Jack beobachtete Eugenio aus dem Augenwinkel. Ob er heute Morgen gefrühstückt hatte? Oder trank er den Kaffee auf leeren Magen? Ein Kaffee kostete einen halben Stundenlohn. Ein Luxus, den man sich nur selten gönnte. Jack konnte heute ohne leben.
Sie fuhren zum Haus des Anwalts und verbrachten den Morgen damit, die Bodenfliesen herauszureißen. Staub hing in der Luft, Eugenios Hände waren kreideweiß. »Wasch dich ab«, sagte Jack. »Wir gehen Mittag essen.«
Sie aßen bei McDonald’s, die Sonne schien auf ihre Sitznische, die goldenen Bögen warfen einen Schatten auf den Tisch und den Fußboden. Jack fiel auf, dass Eugenio seinem Blick auswich, immer schaute er nach links oder rechts, nie geradeaus. Eine Weile schwiegen sie. Das Restaurant füllte sich langsam.
»Du machst gute Arbeit«, sagte Jack schließlich.
»Danke«, antwortete Eugenio, ohne den Blick zu heben.
»Ich meine, ich brauch dir nichts zu zeigen. Du weißt, was du tust.«
Eugenio schwieg. Er schraubte umständlich den Deckel von seiner Wasserflasche und nahm mehrere große Schlucke. Wieder sah er Jack nicht an.
Jack überlegte. »Weißt du, ich hab gestern bloß so gefragt, wo du herkommst. Ohne Hintergedanken.«
»Ich habe eine Green Card«, erwiderte Eugenio schlicht.
»Ich habe nicht danach gefragt.«
Eugenio nickte und sah Jack einen kurzen Moment lang ins Gesicht. Jack hätte zu gern gesagt: Verdammt, jetzt schau mir einfach in die Augen, ließ es aber. »Ich habe eine Green Card«, wiederholte Eugenio.
»Ich glaube dir.«
Wieder herrschte Schweigen zwischen ihnen, bis Jack fragte: »Hast du hier Verwandte?«
Zuerst dachte er, Eugenio würde nicht antworten. Er sah, wie er mit sich rang. Er wusste nicht einmal, warum er überhaupt gefragt hatte.
»Nein. Ich bin allein«, sagte Eugenio schließlich.
»Hast du drüben Verwandte?«
Diesmal kam die Antwort schneller. »Ich habe eine Frau. Zwei Töchter.«
»Echt? Ich habe auch zwei Töchter. Na ja, sie sind von meiner Frau. Ich bin der Stiefvater.« Jack zog seine Brieftasche heraus und klappte sie auf. »Das sind sie. Die Jüngere heißt Lidia, die Ältere Marina. Das Bild ist ein paar Jahre alt.«
Eugenio betrachtete das Foto und nickte leicht. »Meine Töchter sind jünger.«
»Wie alt?«
»Acht und neun.«
»Hast du Fotos?«
Wieder ein Nicken. Eugenio brachte seine Brieftasche zum Vorschein, eine zerschlissene Lederbörse, in der zwei Fotos steckten, die Eugenio auf den Tisch legte wie Spielkarten. Auch diese Bilder waren alt, aber die Mädchen sahen gesund, munter und pausbäckig aus.
»Wie heißen sie?«
»Evangelina.« Eugenio zeigte auf das ältere Mädchen. Dann legte er den Finger auf das andere Foto. »Antonia.«
»Hübsche Namen. Usted tiene hijas bonitas.«
»Gracias«, sagte Eugenio, und diesmal hob er den Blick. Zum ersten Mal sahen sie sich direkt in die Augen, einen kurzen Augenblick lang. Dann sammelte Eugenio die Fotos ein und steckte sie wieder in die Lederbörse.
»Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«, fragte Jack.
»Vor einem Jahr.«
»Das ist lange her.«
»Ja.«
»Meine Frau war Mexikanerin«, sagte Jack. »Hat einen Ami geheiratet, ist nach Texas gezogen, bekam die Mädchen. Und dann ist ihr Mann gestorben. Später sind wir zusammengekommen und haben geheiratet. Dann ist sie krank geworden. Und vor fünf Jahren gestorben.«
»Du ziehst die Töchter deiner Frau alleine auf?«, fragte Eugenio.
»Ja, gibt nur mich. Ich schicke sie zur Schule und sorge für sie. Sie haben in Mexiko Verwandte, mit denen wir in Kontakt stehen, aber die Mädchen sind Amerikanerinnen. Ich glaube nicht, dass sie auf der anderen Seite der Grenze klarkämen. Sie haben … wie soll ich sagen? Marina nennt es ›Erste-Welt-Probleme‹. Ihr Handy funktioniert nicht, oder sie haben nicht genug Geld für die Mall, solche Sachen.«
Eugenio nickte wieder, und Jack spürte, dass die Verbindung abriss. Er konnte nicht mal genau sagen, warum er damit angefangen hatte, vielleicht weil Eugenio ein Mann war und ihn verstehen würde, aber Eugenio konnte »Erste-Welt-Probleme« nicht nachvollziehen. Er dachte nie weiter als bis zum nächsten Tag, zum nächsten Dollar, zum nächsten Job.
»Auf geht’s«, sagte Jack.
Sie machten sich auf den Weg.
An einer Baustelle wurden drei Spuren zu einer zusammengeführt. Der Verkehr schlich voran, überall wurde geblinkt, alle versuchten, sich irgendwo einzufädeln. Jack drehte das Radio an und nickte. »Hast du einen Lieblingssender? Stell ihn ruhig ein.«
Eugenio zögerte, als wäre der Knopf heiß, doch dann suchte er einen mexikanischen Sender aus, der aus Nuevo Laredo über die Grenze sendete. Jack erkannte weder die Namen noch die Stimmen der Moderatoren, aber das Format war das Gleiche wie hier in Texas. Er hatte etwas Mühe, mit dem schnellen Geplapper und den Witzen der DJs zwischen den Liedern mitzukommen.
»Lustig«, bemerkte Eugenio nach ein paar Minuten.
»Ja, wirklich.«
Sie brauchten für eine einzige Meile fast eine halbe Stunde, endlich passierten sie die Baustelle, und danach war der Weg zum Haus des Anwalts frei. Jack war versucht, aufs Gas zu treten, um die verlorene Zeit zumindest teilweise aufzuholen, widerstand aber. Vilma hatte ihn immer ermahnt, vorsichtig zu fahren. Er hielt sich daran.
»Wir machen noch den Boden fertig«, sagte er zu Eugenio.
»Okay.«
»Dafür werden wir eine Weile brauchen. Wenn wir dann noch Zeit haben, fangen wir mit –«
Im Rückspiegel blitzte Licht auf, Jack brach ab. Ein schwarzer Wagen hatte sich hinter sie gesetzt, flackernd leuchtete rot-blaues Warnlicht auf.
Auch Eugenio hatte das Licht bemerkt, und Jack spürte seine Anspannung. Jack fuhr langsamer, hielt auf dem Seitenstreifen vor einem Supermarkt und stellte den Motor ab.
Er beugte sich vor und öffnete das Handschuhfach, wo in einer kleinen schwarzen Kladde die Autopapiere und seine Versicherungskarte lagen. Als er sich aufrichtete, sah er zwei Männer aus dem anderen Wagen steigen. Sie kamen auf ihn zu und stellten sich links und rechts neben den Truck. Keiner der beiden trug Uniform.
Der Mann auf der Fahrerseite klopfte an die Scheibe und zeigte eine Dienstmarke, die Jack nicht erkannte. Er ließ das Fenster herunter. »Ich glaube nicht, dass ich zu schnell gefahren bin«, sagte er.
»Nein, sind Sie nicht«, sagte der Mann. »Mein Name ist Jesse Dreier. Ich arbeite für die Einwanderungs- und Zollbehörde. Das ist mein Kollege. Würden Sie mir bitte sagen, wo Sie hinwollen?«
Jack war versucht, den Kopf zu drehen und Eugenio anzusehen, tat es aber nicht. Er hielt die schwarze Kladde noch immer in der Hand. »Ich bin Handwerker. Ich fahre gerade zu einer Baustelle.«
»Der Mann neben Ihnen ist Ihr Angestellter?«
»Genau.«
»Würden Sie bitte aussteigen, Sir?«
Er gehorchte, aus dem Augenwinkel bekam er mit, dass der andere Mann die Beifahrertür öffnete und Eugenio auf Spanisch anwies, ebenfalls auszusteigen. Jack bemerkte, dass Dreier eine Waffe am Gürtel trug und dass das, was ihn so kräftig wirken ließ, eine schusssichere Weste war.
»Gehen wir da rüber«, sagte Dreier und deutete auf seinen Wagen. Das Warnlicht war immer noch an. Jack wandte Eugenio jetzt den Rücken zu und konnte nicht hören, was gesagt wurde.
Dreier sah ihn an. »Wie lange ist dieser Mann schon bei Ihnen angestellt?«
»Seit ein paar Tagen.«
»Sie stellen ihn als Tagelöhner ein?«
»Genau.«
»Haben Sie sich seine Papiere zeigen lassen? Die Arbeitserlaubnis? Irgendwas in der Art?«
»Er sagt, er hat eine Green Card.«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Na ja, nein. Ich hab nicht danach gefragt.«
»Er ist also kein amerikanischer Staatsbürger«, sagte Dreier.
»Nein. Er sagt, er kommt aus Anáhuac.«
»Gut. Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen, Sir?«
Jack zog seine Brieftasche hervor und zeigte dem Mann seinen Führerschein. Dreier zog ihn aus der Plastikhülle, gab Jack die Brieftasche zurück und stieg in seinen Wagen. Jack sah ihn zum Handy greifen.
Er warf einen Blick hinüber zu Eugenio, halb erwartete er, ihn in Handschellen am Boden liegen zu sehen, Dreiers Kollege auf seinem Rücken. Doch die beiden redeten nur. Dreiers Kollege drehte eine Karte in den Händen hin und her.
Dreier stieg wieder aus dem Wagen und gab Jack den Führerschein zurück. »Danke für Ihre Mithilfe, Mr. Searle.«
»Wird es irgendwie Ärger geben?«, fragte Jack.
Dreier sah ihn ausdruckslos an. »Nein, keinen Ärger. Wir müssen nur was klären.«
»Ich frage bloß.«
Dreiers Kollege gab ein Zeichen mit der Hand. Dreier winkte zurück. »Mr. Searle«, sagte er, »ich muss Sie bitten, uns aufs Polizeirevier zu folgen. Ihr Angestellter wird bei uns mitfahren.«
»Ich weiß nicht mal, wo das Revier ist.«
»Wir zeigen Ihnen den Weg.«