Читать книгу Mörderhölzli - Sandra Gatti geb. Müller - Страница 15

8. Hinterhof

Оглавление

Es klopfte leise ans Fenster. Anna trocknete ihre Hände an der Schürze ab, und als sie Emma zum Fenster hineinspähen sah, hellte sich ihre Miene auf. Sie öffnete das Fenster, Kälte drang in die Küche und liess sie frösteln.

«Hoi Anna, ich brauche Eier und Most», sagte Emma. Röbi stand verschmitzt daneben und trat von einem Bein aufs andere, um sich zu wärmen. Die baren Hände hatte er tief in seine Hosentaschen vergraben.

«Ich muss noch rasch die Erni-Gofen holen. Geht doch schon hinters Haus, ich bin auch gleich da», sagte Anna freundlich. «Bis gleich.» Rasch schloss sie das Fenster wieder.

Emma und Röbi gingen um das Haus herum zu den Kaninchenställen. Sie setzten sich auf die Bank an der Hauswand. Hier war es etwas geschützt, trotzdem fror Emma in ihrem alten Wintermantel. Es war ihr gerade recht, dass Röbi ganz nah an sie heranrutschte.

Überraschend ging die Hintertür auf. Annas Vater trat heraus, seinen unvermeidlichen, halb gerauchten Stumpen im Mundwinkel. Die Augen wegen des beissenden Rauches zusammengekniffen, brummelte Herr Müller etwas, das Emma als Begrüssung deutete. Annas Vater war kein Mann grosser Worte. Emma hatte ihn eigentlich noch nie so richtig ganze Sätze sprechen hören. Er redete scheinbar nur das Nötigste, am ehesten noch mit seinen Söhnen. Alle hatten ein bisschen Angst vor ihm, obwohl er nicht wirklich böse war, einfach ein Brummbär, dachte Emma und musste sich ein Grinsen verkneifen.

Der Vater schlurfte weiter Richtung Scheune. Hinter ihm trat Jakob aus der Hintertür. Er wurde von den Leuten im Dorf nur Mockemetzger genannt. Er war eher klein gewachsen, wirkte dafür umso kräftiger in seinen jägergrünen, etwas zu kurz geratenen Zwilchhosen. Vielleicht hatte er auch einfach nur die Hosenträger zu straff festgezurrt. Über seinen millimeterkurzen, dunklen Haaren trug der Mockemetzger eine schwarze Zipfelmütze. Er schaute finster drein, als er Emma und Röbi auf der Bank erblickte. Etwas anderes als ein grimmiges Gesicht hatte Emma auch noch nie bei ihm gesehen.

«Habt ihr nichts Besseres zu tun, als faul rumzusitzen?», schnauzte der Mockemetzger. Sein Blick ging an ihnen vorbei. Er begann zu husten und spuckte Kautabak aus.

«Wir brauchen Eier, Anna kommt gleich», sagte Emma schnell. Röbi verhielt sich ganz still und blickte starr zu Boden.

Der Mockemetzger beschleunigte seine Schritte und eilte seinem Vater nach. Er war der älteste Müllerssohn und rechnete fest damit, bald einmal den elterlichen Hof zu übernehmen. Wenn er keine Aufträge als Störmetzger hatte, arbeitete er auf dem Hof mit. Aber da wie dort fiel er nicht durch Fleiss und Zuverlässigkeit auf. Er war ein Einzelgänger, und er trank mehr Bier und sauren Most, als ihm guttat. Ein Taugenichts halt, wie man hinter vorgehaltener Hand in Altikon sagte. Vater Müller zögerte verständlicherweise noch mit der Übergabe des Heimwesens. Wer wusste, ob sich Jakob nicht doch noch zum Guten entwickeln würde.

Als der Mockemetzger im Dunkel der Scheune verschwunden war, atmeten Röbi und Emma auf. Anna kam mit den beiden Erni-Kindern zum Hinterhof. Das 2-jährige Trudi hopste ungestüm vor Anna her und verlor fast ihr gestricktes Jäcklein. «Halt Trudeli, nicht so stürmisch! Ich muss dir noch dein Jäckchen zumachen. Sonst hustest du dann wieder!» Seppli, 4-jährig, blieb ganz nah bei Anna stehen, als er Röbi sah. «Du musst keine Angst haben, Seppli», versuchte Anna den Jungen zu beruhigen. Trotzdem versteckte sich Seppli hinter Annas Röcken und lugte nur vorsichtig mit einem Auge hervor.

Da kam wie aus dem Nichts Samuel mit grossen Schritten auf sie zu. «Huuuuuu», heulte er, seine Hände hatte er zu Klauen gespreizt, sein Oberkörper war vorgebeugt. «Huuu-huuu! Da kommt der Bölima …», rief Samuel fröhlich und tat so, als ob er eines der Kinder packen wollte.

Seppli hatte sich indes rasch von seinem Schrecken erholt und kam mutig hinter Anna hervor: «Halt, Bölima!», rief er mit piepsiger Stimme. «Sonst gibt’s eins hinter die Ohren!» Dabei versuchte Seppli, grimmig dreinzuschauen. Trudeli schaute aus sicherem Abstand bewundernd zu. Samuel begann zu lachen. Er hob Seppli stürmisch hoch und warf ihn kurz in die Luft. Der Kleine kreischte vor Freude. «So. Fertig lustig. Ich muss zur Arbeit», sagte Samuel. Er stellte seinen jüngeren Bruder wieder auf die Füsse.

Als ob er Anna, Emma und Röbi erst jetzt bemerkt hätte, sagte er scheinbar überrascht: «Oh, Grüezi mitenand. Hoi Anna.» Dabei schaute er Anna ganz besonders aufmerksam an, wie es Emma schien. Sämis Augen waren überhaupt der Blickfang schlechthin: «Um diese tiefblauen Augen und seine besonders dichten, dunklen Wimpern muss jede Frau ihn beneiden», dachte Emma und wandte sich verlegen ab. Wenn er bloss ein bisschen älter wäre. Nur ein, zwei Jährchen …

«Hoi Sämi», sagte Anna gut gelaunt, «schön, dich wieder mal zu sehen.»

«Ich habe leider nicht viel Zeit, mein Vater wartet.»

Emma glaubte, einen Augenblick lang Enttäuschung auf Annas Gesicht gesehen zu haben, aber dann sagte Anna leichthin: «Vielleicht ein andermal. Tschüss Sämi.»

Anna, Emma, Röbi und die beiden Gofen griffen fünf Eier direkt aus dem Hühnergehege und Röbi und die Kinder freuten sich, als wären sie aus lauterem Gold. Röbi lachte und klatschte so aufgeregt, dass die Hühner in alle Richtungen verstoben. Der Hahn wusste nicht, ob er Angst haben oder seine Hühner verteidigen sollte, und alle hatten viel Spass. Anna holte weitere Eier, ein Mödeli Butter und zwei Flaschen Most aus dem Keller und Emma packte alles in ihren Korb. Die beiden Frauen verabredeten sich auf den Abend beim Dorfbrunnen.

Röbi und Emma stapften über den knirschenden Schnee nach Hause. Der Nachmittag verging rasch und bald schon mussten die Lampen im Haus angezündet werden. Gegen Viertel vor acht klopfte Emma an die Tür der Wohnstube, wo der Herr Pfarrer und seine Frau auf der Couch sassen. Die beiden lasen am Abend oft gemeinsam in der Bibel, manchmal spielten sie auch Schach.

«Brauchen Sie noch etwas?», fragte Emma und gab sich Mühe, nicht nur den Herrn Pfarrer anzuschauen.

«So so so …», sagte der Pfarrer gedankenverloren. «Nein Emma, danke. Du kannst Feierabend machen».

«Gehst du noch aus?», fragte Frau Wartmann lauernd, der nicht entgangen war, dass Emma bereits Mantel, Schultertuch und Hut in der Hand trug.

«Ich habe mich mit Anna beim Dorfplatz verabredet.»

«Na dann, einen schönen Abend, Emma», sagte Frau Wartmann fast freundlich.

Es schien Frau Pfarrer am Abend deutlich besser zu gehen. Aber sie blieb dennoch eine falsche Schlange, so zuckersüss zu tun vor dem Pfarrer. Merkte der Ärmste denn nicht, wie sie sich verstellte?

Mörderhölzli

Подняться наверх