Читать книгу Gift - Sandra Schaffer - Страница 14
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Abby stand im strömenden Regen vor dem Gebäude auf der Loyola Avenue im French Quarter District und haderte mit sich, ob sie wirklich hineingehen sollte. Obwohl es schon recht spät war, brannte in mehreren Fenstern noch Licht. Hoffentlich gehörte eines davon der Detektei. Sie fragte sich, warum sie gerade jetzt so große Schwierigkeiten hatte, eine Entscheidung zu fällen. Fiel es ihr doch sonst nicht so schwer! Für gewöhnlich wusste sie genau, was sie wollte und wie sie es erreichte. Und eigentlich war sie sich noch nie einer Sache so sicher gewesen, wie in diesem Moment. Sie wollte den Mörder ihres Mannes drankriegen! Wollte, dass er für das, was er getan hatte, zur Rechenschaft gezogen wurde. Koste es, was es wolle! Also, warum stand sie dann immer noch hier, mittlerweile völlig durchnässt – das lange dunkle Haar klebte an ihren Wangen – und starrte zu den Fenstern hinauf?
Schließlich setzte Abby sich dann doch in Bewegung, ging ins Gebäude und fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock hinauf. Sie hatte vorher im Foyer an der Tafel nachgesehen, in welche Etage sie musste. Vor der Tür mit der Aufschrift Privatdetektiv Mark Fallon blieb sie stehen. Sie klopfte zweimal, doch niemand reagierte. Sie stellte fest, dass die Tür offen war und spähte hinein. Sie erblickte ein kleines Vorzimmer, mit einem Schreibtisch und Aktenschränken. Es war aber niemand zu sehen. Sie ging hinein. Ihr gegenüber stand eine Tür halb offen. Musik drang an ihr Ohr. Kansas!
Sie trat auf die Tür zu und klopfte erneut. Der Mann hinter dem Schreibtisch erschrak und schaute von den Unterlagen auf, welche er gerade bearbeitete. Er hatte stahlblaue Augen, die durch sein dunkles Haar richtig zur Geltung kamen, seine Nase war schief und sah aus wie die eines Boxers nach mehreren Brüchen. Außerdem hatte er eine hässliche Narbe über der linken Augenbraue. Sie war fast zwei Zentimeter lang und verlief schräg nach unten. Doch bis auf die Narben in seinem Gesicht sah der Mann nicht aus wie ein typischer Boxer. Er war gut gebaut, keine Frage, doch war er kein Muskelpaket.
„Guten Abend, Miss. Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er, stand auf, kam um den Tisch herum und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Mark Fallon, Privatdetektiv. Aber das wissen Sie sicher schon. Deshalb sind Sie schließlich hier, richtig?“
Abby nickte und schüttelte ihm die Hand. „Ich bin Abigail Roberts. Und ja, ich bin hier, weil ich hoffe, dass Sie mir helfen können.“
„Dann setzen Sie sich mal, Ms. Roberts.“ Er bot ihr einen Stuhl an und nahm dann wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.
„Eigentlich heißt es Mrs. Roberts.“
„Verzeihung. Mrs. Roberts.“
„Also gut, am besten sage ich Ihnen gleich, worum es geht. Mein Mann ist ermordet worden und die Polizei scheint auf der Stelle zu tappen!“
Mark stockte. „Wow, fallen Sie immer gleich mit der Tür ins Haus? Sie wollen, dass ich einen Mord aufkläre?“
Abby gefielen die Zweifel nicht, die sie aus seiner Stimme vernahm. Da sie wusste, dass er damals in New York einer der besten Cops gewesen war, den das NYPD hatte, war sie sicher, dass er ihr helfen konnte. Bis zu diesem einen Fall, der schief gegangen war und für ihn den Anlass dargestellt hatte, den Polizeidienst an den Nagel zu hängen, hatten er und sein Partner jeden ihrer Fälle gelöst. Laut Mark Fallons ehemaligem Captain – Abby hatte ihn auf gut Glück angerufen – hatten Mark und sein damaliger Partner alle Täter überführt und jede Ermittlung erfolgreich beendet. Also, wenn es jemanden gab, der trotz mangelnder Beweise den Täter finden konnte, dann dieser Mann! Aber er schien nicht begeistert zu sein, ihr Hilfegesuch zu hören.
„Das ist richtig.“
„Mrs. Roberts, ich bin Privatdetektiv, kein Detective der Mordkommission.“
„Glauben Sie mir, Mr. Fallon, dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Und ich weiß auch, dass es keinen Besseren gibt als Sie!“
„Ich fühle mich geschmeichelt, aber ich bin nicht sicher, ob dieser Auftrag meine Kragenweite ist.“
Abby schaute sich im Zimmer um, wollte ein wenig Zeit gewinnen, um darüber nachdenken, wie sie ihn umstimmen konnte. Das Büro war zwar nicht sehr groß – es maß vielleicht fünfzehn Quadratmeter – doch es war geschmackvoll eingerichtet. Sein Mobiliar bestand aus Eichenholz. Auch hier stapelten sich Akten in den Regalen, aber auch verschiedene Bücher, von Sachliteratur bis zu Gesetzesbüchern. Es gab einen Fernseher rechts der Tür und eine Zimmerpalme links davon. Der Laptop auf seinem Schreibtisch war zugeklappt und von Papieren bedeckt. Ein Whiskeyglas stand vor ihm. Er hatte versucht es hinter einem Foto zu verstecken, doch Abby war es dennoch aufgefallen.
„Bitte, Mr. Fallon, ich kann Ihnen jede nur erdenklich Summe zahlen.“
„Und das glaube ich Ihnen sogar, aber ich wähle meine Aufträge nicht nach der Bezahlung.“
Abby seufzte. Für gewöhnlich fiel es ihr leichter, einen Mann davon zu überzeugen, ihr zu helfen. Aber bisher ging es auch noch nie um einen Mord! Einen Mann zu bitten, sie von einer Party abzuholen und nach Hause zu fahren, war nun einmal etwas anderes, als ihn zu bitten, sich für sie – eine Frau, die er gar nicht kannte – in Gefahr zu begeben.
„Wollen Sie sich nicht wenigstens erst einmal meine Geschichte anhören?“
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Der Feierabend lag längst hinter ihm. Dann zuckte er mit den Schultern. Schaden konnte es ja nicht.
„Na meinetwegen, erzählen Sie.“
Ein kleines Lächeln huschte über Abbys Gesicht. Nur sehr kurz und es verursachte ihr sofort ein schlechtes Gewissen. Wie konnte sie hier stehen und so etwas wie Freude empfinden, während Martin nie wieder zu irgendeiner Emotion im Stande war?
„Mein Mann war Professor für Geschichte an der University of New Orleans. Vor fast einer Woche fand man seine Leiche in einer Bar. Er ist vergiftet worden. Bis heute gibt es keine Hinweise auf seinen Mörder …“
„Oder seine Mörderin“, fiel Mark ihr ins Wort.
„Wie bitte?“
„Giftmorde werden in den meisten Fällen von Frauen verübt. Sie sind weniger brutal.“
„Hm, ja, hab ich auch schon mal gehört. Na ja, jedenfalls, wie ich schon sagte, tappt die Polizei völlig im Dunkeln. Es gibt keine DNA-Spuren oder Fingerabdrücke. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich verdächtigen.“
„Warum Sie?“
„Sie glauben, mein Mann hatte eine Affäre. Ich soll es herausgefunden haben, ihm in diese Bar gefolgt sein und das Gift in den Drink gegeben haben.“
„Und, haben Sie?“
Abby warf ihm einen Ist-das-Ihr-Ernst-Blick zu. „Wäre ich hier, wenn ich ihn selbst ermordet hätte?“
„Tut mir leid, ich musste diese Frage stellen. Aber haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass er vielleicht wirklich eine Affäre hatte?“
„Ja, hab ich. Aber ich bin ziemlich sicher, dass er keine hatte. Also, helfen Sie mir nun?“
Mark lehnte sich in seinem Bürosessel zurück, faltete die Hände hinter dem Kopf und dachte nach. Obwohl die dadurch entstandene Stille nicht einmal eine Minute anhielt, hielt Abby sie fast nicht aus. Dann setzte er sich wieder aufrecht hin und bedachte Abby mit einem traurigen Blick.
„Ich würde Ihnen gern helfen, aber …“
„Verdammt, warum muss es immer ein Aber geben?“, fiel Abby ihm schimpfend ins Wort und stand auf.
„Ich bin kein Mordermittler, Mrs. Roberts. Es tut mir leid, aber was Sie da verlangen, ist Aufgabe der Polizei.“ Auch Mark stand auf und trat hinter dem Schreibtisch hervor. „Ich kann diesen Fall nicht annehmen, dazu bin ich nicht autorisiert.“
„Ach, Blödsinn! Autorisiert? Sind wir hier bei der Army? Sie waren einmal der beste Mordermittler, den die New Yorker Polizei je hatte. Also, wo liegt das Problem?“
„Dass ich nun einmal nicht mehr bei der Polizei bin und auch nicht mehr in New York. Überlassen Sie die Ermittlungen der Polizei. Bitte!“
Ehe Mark ihr seine Hand auf die Schulter legen konnte, um sie wieder zu beruhigen, stürmte Abby aus dem Zimmer. Sie war völlig außer sich, als sie auf die Straße hinauslief. Der Regen durchnässte ihre immer noch feuchte Kleidung sofort wieder, doch Abby spürte es nicht. Die Wut setzte sie zu sehr unter Strom.
Warum hatte sie auch geglaubt, von einem Mann Hilfe zu bekommen? Sie hätte es besser wissen müssen. Schließlich war sie bisher fast immer nur von ihnen enttäuscht worden. Und der Mann, der immer für sie da war und ihr nie auch nur den kleinsten Anlass zur Besorgnis gegeben hatte – sah man mal von den letzten Tagen ab –, konnte ihr nicht mehr beistehen.
Sie stieg in ihren Mini Cooper und fuhr heim. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so einsam gefühlt wie in diesem Moment. Und dabei war sie als Kind sehr oft allein gewesen, weil ihre Mutter mehrere Jobs hatte, um die Miete zahlen zu können und für Essen auf dem Tisch zu sorgen.
Vor sechs Jahren, als sie Martin kennengelernt hatte, hatte sie geglaubt, endlich einen Menschen an ihrer Seite zu haben, der für sie da war und die Mauer entfernte, welche sie um ihr Herz herum aufgebaut hatte, um sich zu schützen. Er hatte ihr geholfen, Vertrauen in andere Menschen zu entwickeln, sich nicht immer nur auf sich selbst verlassen zu wollen, sondern auch einmal Hilfe von anderen anzunehmen. Nun hatte sie um Hilfe gebeten und war abgewiesen worden. Wie sollte man da Vertrauen entwickeln, das Ruder aus der Hand geben, wenn einem bei der kleinsten Schwierigkeit schon die Hilfe versagt wurde?
Zu Hause angekommen setzte Abby sich in Martins Arbeitszimmer, ließ die Lichter aus und dachte nach. Sie konnte selbst versuchen, den Mörder zu finden. In Filmen funktionierte das schließlich auch immer. Nur war das hier kein Film und Abby keine Ermittlerin. Dennoch, einfach herumsitzen und darauf warten, dass die Cops etwas fanden, konnte sie auch nicht. Sie wollte nicht zu den Angehörigen gehören, die niemals erfahren sollten, was genau ihren Lieben zugestoßen war. Sie wollte, dass der Täter dafür in den Knast wanderte! Und wenn ihr keiner helfen wollte, na ja, dann musste sie eben allein ihr Glück versuchen. Das hatte in ihrer Kindheit und Jugend schließlich auch oft genug geklappt! Sie hatte ihre Probleme schließlich immer allein regeln müssen, warum dann nicht auch dieses?
Doch war sich Abby nicht sicher, ob sie stark genug war, es allein zu schaffen. Sie war noch nicht einmal sicher, das Leben allein, ohne Martin, zu meistern; es ohne ihn überhaupt weiter leben zu wollen.