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2 Literarische Performativität 2.1 „Performative – an ugly word“

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Dieses Kapitel bildet die theoretische Grundlage für die vorliegende Arbeit. Dabei steht der Diskurs des Performativen resp. der Performativität im Fokus. Mit einem solchen Fokus wird eine Lektüre der Prosa-Edda vorgeschlagen, die ein neues Licht auf dieses so bekannte Werk des nordischen Mittelalters werfen soll. Für ein Werk, das sich auf so komplexe Weise mit den Möglichkeiten und Grenzen von Sprache und Literatur befasst, kann ein theoretischer Zugang, der sich mit der Macht von Sprache beschäftigt, neue Einsichten ermöglichen. Inwiefern der Performativitätsdiskurs einer erneuten Lektüre der P-E dienen kann, wird im Folgenden beleuchtet.

Bereits lange vor dem in den 1990er Jahren propagierten performative turn ist der Begriff der Performativität in vielen verschiedenen Disziplinen zu finden. Schon seit ca. 1950 wird über Performanz, das Performative oder eben die Performativität diskutiert. Dementsprechend vielfältig sind die Definitionen und Gebrauchsfelder der Begriffe. Als erste Annäherung soll an dieser Stelle die Definition von Jillian Cavanaugh dienen: „Performativity is the power of language to effect change in the world: language does not simply describe the world but may instead (or also) function as a form of social action.“1 Sprache wird hier die Fähigkeit zugeschrieben, die Wirklichkeit zu verändern und nicht nur der reinen Beschreibung der Welt zu dienen.

Der Ausgangspunkt des Performativitätsdiskurses liegt in der Sprachphilosophie. John L. Austin versucht Mitte des 20. Jahrhunderts, eine spezifische Kategorie sprachlicher Äusserungen zu fassen und benennt sie mit dem, wie er sagt, hässlichen Wort performative.2 Der substantivierte Begriff der Performativität kommt erst später in Gebrauch: Ebenfalls in der Sprachphilosophie, allerdings auch in der Linguistik sowie in kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. In den beiden letzteren bezeichnet er den Vollzugscharakter kommunikativer Handlungen und den Inszenierungscharakter sozialer Praktiken.3 Die Begriffe des Performativen und der Performativität unterscheiden sich weiter vom Begriff der Performanz. Es sind z.B. die Theaterwissenschaften, die stärker auf den Begriff Performanz fokussieren, indem sie damit den Aufführungscharakter von Handlungen bezeichnen.

Die weitläufigen Entwicklungen der verschiedenen Begriffe und Anwendungen werden von mehreren Seiten immer wieder kritisiert: Performativität sei ein modischer umbrella term geworden und trage zu wenig analytische Kraft in sich, heisst es in vielen Einführungen zum Thema. Stellvertretend für derartige Bedenken stehen Joachim Grage und Stephan Michael Schröder:

Mit den Begriffen Performativität, Performanz, performance hat sich ein inter- bzw. transdisziplinäres Cluster von Begrifflichkeiten entwickelt, deren enge etymologische Verwandtschaft leicht darüber hinwegtäuscht, dass diese Termini in den einzelnen Disziplinen bzw. Problemfeldern durchaus Heterogenes bezeichnen und den inter- bzw. transdisziplinären Dialog zugleich ermöglichen und erschweren.4

Ähnlich formuliert es Eckhard Schumacher, er weist aber (wie auch Grage/Schröder) darauf hin, dass gerade die Uneindeutigkeiten, die durch die verschiedenen Konzeptverwendungen zustande kommen, häufig als produktiv verstanden werden:

Einleitungen zu Texten, die sich mit Konzeptionen von Performance oder Performativität auseinandersetzen, sind häufig dadurch gekennzeichnet, dass sie zunächst die verschiedenen, durchaus gegenläufigen Lesarten der Begriffe in Anthropologie, Theaterwissenschaften, Sprachphilosophie, Texttheorien oder Cultural Studies betonten, um diese Gemengelage in weiteren Schritten dann als tendenziell produktive Ausgangsbasis für die jeweils anvisierte spezifische Konzeptualisierung zu bestimmen.5

Auch in dieser Arbeit kommt der Diskurs des Performativen zum Einsatz, weil seine breiten Anwendungsfelder produktiv scheinen für eine Lektüre altnordischer Literatur. Ein gewisses Unbehagen bleibt, ausgelöst durch eine zu wenig präzise Bestimmung der Begrifflichkeiten und ihre Anwendung in den verschiedensten Feldern. Daher ist es sinnvoll, einen Überblick über die Forschungsgeschichte des Performativen zu geben, um die produktiven Aspekte des Diskurses zu sichten. Dies soll hier allerdings eher als Abgrenzung und Herleitung der in dieser Arbeit benötigten Konzepte geschehen, als in einem umfassenden Überblick.6 Zuerst werden die forschungsgeschichtlichen Verzweigungen im chronologischen Verlauf und in den verschiedenen Disziplinen betrachtet und versucht, wichtige Aspekte herauszukristallisieren. Zentral für diese Arbeit ist ein spezifisches Verständnis von Performativität: die literarische Performativität mit einer mediävistischen Perspektive. Ihr wird deshalb ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Im Hauptteil der Arbeit – den Lektüren – wird sie vertieft behandelt und auf ihre Nützlichkeit für die Arbeit mit den Texten geprüft.

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