Читать книгу Handeln mit Dichtung - Sandra Schneeberger - Страница 15
2.2.5 Performativität und Rhetorik – eine Abgrenzung
ОглавлениеWie meist bei der Arbeit mit neuen Theorie- und Methodenansätzen stellt sich die Frage nach dem Gewinn, der mit ihrer Anwendung zu erwarten ist. Zwar ist ein performativitätsgeleiteter Ansatz in der Mediävistik nicht mehr wirklich neu, doch gerade in der Skandinavistik gibt es noch nicht übermässig viele Arbeiten dazu. Es ist daher zu prüfen, was genau diesen Ansatz für die skandinavistische Mediävistik produktiv macht und wie ältere Forschung darin integriert und weitergeführt werden kann. Es sollte für jede Untersuchung neu entschieden werden, wo die Unterschiede zu etablierten Theorien sind und ob diese allenfalls bessere Analysewerkzeuge darstellen.
Dass Texte (oder allgemeiner: Sprache) vielfältig auf die aussertextuelle Welt einwirken und sie auch verändern können, ist nicht erst seit dem Nachdenken über das Performative bekannt. Bereits antike Poetiken weisen auf die „kulturstiftende Potenz der Dichtung“1 hin. Um die wirklichkeitsverändernde Macht von Sprachhandlungen geht es zu einem grossen Teil auch in der antiken Rhetorik. Andreas Hetzel betont denn auch die Herkunft des Performativitätsdiskurses aus der klassischen Rhetorik:
Obwohl genuin moderne Begriffe, betonen ‚Performativität‘ und ‚Performanz‘ einen Grundzug des Redeverständnisses der klassischen Rhetorik. Der λόγος gilt den antiken Rhetorikern wesentlich als wirkender Vollzug; er verändert Einstellungen und Situationen, insofern ist er eine wirksame Praxis. Weite Teile des klassisch-rhetorischen Sprachdenkens antizipieren die zeitgenössischen Theorien des Performativen und der Performanz, die sich ihrer rhetorischen Vorgeschichte selten bewusst sind.2
Hetzel zeichnet die Vorgeschichte des Begriffs nach und vermutet, sie reiche so weit zurück, wie die menschliche Reflexion auf das Reden selbst.3 Einen Vorgänger des Performativen im Sinne Austins macht er in der stoischen Dialektik aus:
So wird Rede in Rhetorik und Logomystik dezidiert als welterzeugende Kraft interpretiert: beide Traditionen richten sich gegen die intellektualistische Idee der Sprache als System oder Kompetenz, die dem gewöhnlichen, verkörperten, Wirkungen zeitigenden und schöpferischem Reden vorausginge.4
In der klassischen Rhetorik der Antike falle der λόγος mit seiner Wirksamkeit zusammen, so Hetzel. Rhetorik könne dabei insgesamt als Vollzugsform von Performativität gelesen werden: „sie lehrt dem Redenden, wie er redend Verständiges über Praxis sagen und durch Reden handelnd auf sie einwirken kann.“5 Über Performativität werde in den klassischen Lehrbüchern im Rahmen aller fünf Produktionsstufen der Rede nachgedacht. Am wichtigsten sei sie allerdings in Bezug auf die actio:
Ein zuvor gedanklich und/oder schriftlich konzipiertes (inventio, dispositio) und ausgearbeitetes (elocutio) ‚Stück‘ (Rede, Drama, Musikstück, Aktionskunststück) wird ‚aufgeführt‘, ‚inszeniert‘, in eine wahrnehmbare Handlung (Vortrag, Konzert, performance) umgesetzt.6
Es ist wichtig, die Rhetorik als Vorgeschichte des Performativitätsbegriffs ernst zu nehmen, gerade wenn man den Begriff auf ein gelehrtes Werk wie die Prosa-Edda anwenden will, die sich in eine Traditionslinie gelehrter klassischer Texte stellt. Trotz der Nähe der Rhetorik für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit dient hier der Performativitätsdiskurs als theoretische Basis für die Lektüre der Prosa-Edda. Analysen mithilfe der Rhetorik werden zwar als besserer Zugang zu Werken „vor einer Theorie des Performativen“ vorgeschlagen, sie konzentrieren sich aber meiner Meinung nach zu sehr auf rein sprachliche Phänomene bzw. kritisieren einen Performativitätsbegriff nach Austin, der in der vorliegenden Arbeit nicht im Zentrum steht. So kritisiert z.B. Karl G. Johansson berechtigterweise, dass keine Vermischung von moderner Theorie mit vormodernen Inhalten angestrebt werden sollte.7 Vormoderne Werke nur mit vormoderner Theorie zu untersuchen, verspricht jedoch nicht unbedingt neue Einsichten. Für mediävistische Untersuchungen muss zwingend immer neu abgeklärt werden, ob und inwiefern moderne Theorien als Analysekategorien für mittelalterliche Texte (oder allgemeiner, Phänomene) nutzbar sind. Jutta Eming formuliert die Notwendigkeit des Gebrauchs moderner Theorien in Bezug auf die Emotionsforschung, ihre Aussagen lassen sich aber auch auf die Performativitätstheorien übertragen:
Literaturwissenschaftliche Emotionsanalysen setzen sich mit der Frage auseinander, wie eine zu untersuchende Emotion definiert ist, und zwar historisch ebenso wie in der modernen Emotionsforschung. Dass beide Wege eingeschlagen werden, sorgt mitunter für Irritation. So wird in der Auseinandersetzung mit der Emotionsforschung vielfach der Einwand vorgebracht, dass nur von „Affekten“ gesprochen werden könne, nicht aber von Emotionen – denn nur „Affekt“ sei ein historischer Begriff […]. Dem ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass Analysen historischer Literaturen nicht nur im Rekurs auf die Selbstbeschreibungsmodelle der entsprechenden historischen Kulturen zulässig sind. Tatsächlich wird in der Mediävistik auch nicht so verfahren, sonst hätte zum Beispiel die Systemtheorie nicht ihren prominenten Status in Bezug auf Konzepte von Identität, Gesellschaft, Code, amour passion erhalten, analytische Abstraktionen für Verhältnisse in der wirklichen Welt […]. Sonst wäre nicht von Gesellschaft zu sprechen, sondern von ordo, nicht von Genealogie, sondern von art, und – zumindest bei einigen Diskurstypen – nicht von einem Autor, sondern von Gott.8
Es ist also beiderseits möglich und notwendig, moderne Theorien für die Analyse mittelalterlicher Texte einzusetzen, es kommt auf die Art und Weise der Umsetzung an. In Bezug auf performative Theorien und vormoderne Texte schreibt Alexandra Prica:
Der Einbezug weitgehend „überhistorischer“ Theorien in die Analyse eines mittelalterlichen Textes kann nicht grundsätzlich, sondern lediglich selektiv und mit heuristischem Anspruch erfolgen. Im Vordergrund steht nicht eine Kritik zeichentheoretischer Positionen, sondern deren Auslotung im Hinblick auf ihre Tauglichkeit als analytische Instrumentarien für den Zugang zum konkreten Material. Was als „textuelle Performativität“ in den Blick kommen kann, ist auf historische Konstellationen zu beziehen und in diesen auf seine Aussagekraft zu prüfen.9
In diesem Sinne soll auch eine Lektüre der P-E mit einem „doppelten Blick“ vorgenommen werden. Während der moderne theoretische Zugang eine neue Perspektive eröffnen soll, sollen auch spezifische historische Zugänge nicht ausser Acht gelassen werden. Wo immer möglich, sollen theoretische Ansätze oder eher Modelle zu den Möglichkeiten und Grenzen der Sprache und Literatur in der P-E selbst sichtbar gemacht werden.
Um die zahlreichen medialen Phänomene in der Prosa-Edda mit in eine Lektüre einzubeziehen, kann ein breiter gefasster moderner Diskurs wie der der Performativität aber weitere Perspektiven eröffnen.