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1.3 Korpus: Was ist die Prosa-Edda?

Die Prosa-Edda ist eine moderne Erfindung: Es gibt kein einzelnes Werk, das diesen Namen trägt, sondern verschiedene Versionen in unterschiedlicher Gestalt, an und mit denen über viele Jahrzehnte gearbeitet worden ist. In einem ersten Schritt gilt es folglich zu klären, was es eigentlich ist, was wir Prosa-Edda nennen: Von den mittelalterlichen Texten selbst spricht bloss eine Version von der Edda. Die Bezeichnung findet sich in einer Rubrik im Codex Upsaliensis. Das, was in Editionen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und häufig auch in aktuellen Übersetzungen als Prosa-Edda präsentiert wird, entspricht nicht dem, was uns in der titelgebenden Version von Codex Upsaliensis überliefert ist. Möchte man sich mit der Prosa-Edda in der Form, wie sie uns in den mittelalterlichen Handschriften entgegentritt beschäftigen, so stellt sich zusätzlich die Frage, welches die beste Version ist. Die älteste oder die vollständigste Version? Diese Schwierigkeiten stemmatologischer Forschung betreffen diese Arbeit nicht, denn gemäss den Überlegungen der new philology hat jede mittelalterliche Handschrift ihren eigenen Wert und ist ein eigenständiges Werk, das eine Lektüre lohnt.1 Es ist deshalb wichtig, sich immer im Klaren zu sein, was man genau meint, wenn man von der Prosa-Edda spricht.

Wie erwähnt, betitelt eine Rubrik am Anfang von Codex Upsaliensis bestimmte Textteile als Edda und führt weiter aus, dass sie von Snorri Sturluson zusammengesetzt resp. gedichtet seien.2 Allerdings entsprechen die in der Rubrik genannten Texte nicht den Bestandteilen, die tatsächlich im Codex Upsaliensis zu finden sind. Definiert man das Werk rein textimmanent und hält sich an die angegebenen Teile, so beschränkt sich die Prosa-Edda auf einen Prolog, Gylfaginning, Skáldskaparmál sowie Háttatal.3 Ausschliesslich diese Teile schreibt die Rubrik in U dem Kompilator Snorri Sturluson zu und nennt sie Edda. Die folgenden Lektüren zeigen, dass zu den genannten Teilen noch weitere Inhalte dazutreten. Die materielle Einheit des Textes entspricht folglich nicht der textuellen Einheit.

Die Überlieferung der P-E in spätmittelalterlicher bis in frühneuzeitlicher Zeit zeigt aber auch, dass das Werk je nach Kopieranlass unterschiedlich aufgefasst worden ist. Zur Vereinheitlichung und Kanonisierung auf vier Texte ist es erst während der neuzeitlichen Beschäftigung mit der P-E gekommen. Die folgenden Lektüren sollen auch die zusätzlichen Bestandteile der Handschriften in den Blick nehmen und so ein flexibleres und offeneres Verständnis der P-E schaffen.

1.3.1 Lektüreschwerpunkt Codex Upsaliensis

In letzter Zeit sind neue Editionen der einzelnen Edda-Handschriften erschienen und auch verschiedene Arten von Digitalisaten machen die Arbeit nahe an den Handschriften einfacher.1 Codex Upsaliensis DG 11 4to (von nun an U genannt) steht im Zentrum dieser Arbeit. Die Wahl fällt nicht auf diese Edda-Version, weil U die älteste erhaltene Edda-Handschrift ist, sondern aufgrund der zahlreich enthaltenen verschiedenen medialen Phänomenen, die diese Handschrift so einzigartig machen. Als Kompilation konzipiert, bilden die unterschiedlichen Teile zusammen den Codex Upsaliensis.2

Die Handschrift wird auf ca. 1300 datiert und enthält mehrere Teile, die nicht dem kanonischen Bild der P-E entsprechen, das durch die modernen Editionen und Übersetzungen vermittelt wird.3 Mit dem kanonischen Text werden auch genealogische Listen, grammatische Diagramme und Bilder zusammengestellt. Diese Bestandteile sind alles Organisationsformen von Wissen, die bisher noch ungenügend in eine Lektüre der Prosa-Edda eingeflossen sind. Im Vergleich zu den komplexen medialen Phänomenen in U sind in Codex Wormianus (W) und Codex Regius (R) keine derart unterschiedlichen Ausprägungen der Buchkultur zu finden. Zwar überliefert W die vier Grammatischen Traktate zusammen, was für eine sprachzentrierte Lektüre der Edda interessant erscheint. Allerdings fehlen in W die Diagramme des Zweiten Grammatischen Traktats und damit die spezifische mediale Ausgestaltung des Textes. Es ist wichtig, solche Eigenheiten in eine rein textbasierte Lektüre einzubeziehen, vor allem, wenn dahinter so klare planerische Absichten wie in U erkennbar sind. Diese planerischen Absichten werden in der Forschung nicht immer gesehen: Mehrfach wird der Version der P-E, wie sie uns im Codex Upsaliensis vorliegt, ein unzusammenhängender Kompilationscharakter zugeschrieben. So meint z.B. Heinrich Beck:

Der Schluss liegt nahe: Der Codex Upsaliensis ist keine Komposition, in der die Teile einem Gesamtplan folgen. Es ist eher der Gedanke einer Kompilation zu erwägen, d.h. einer Sammlung von Materialien, die ungleichen Alters oder abweichender Konzeption sein konnten. Auch der Einschub des Skáldatal mitsamt den Sturlungen-Materialien und die Einbeziehung des sog. 2. Grammatischen Traktates sprechen für den Kompilationsgesichtspunkt.4

Dass eine Kompilation nicht per se aus unzusammenhängenden Texten besteht, wird im Codex Upsaliensis allerdings sehr deutlich. Gerade die Einfügung der von Beck genannten Listen (Skáldatal etc.) stellt einen klaren Rahmen für die Lektüre der Kompilation dar. Wie zu zeigen sein wird, wirken die verschiedenen Texte aufeinander ein und sollten deshalb unter einer gemeinsamen Perspektive gelesen werden. Auch die mise en page und die gesamte Handschriftenkomposition stützen den Befund, dass Codex Upsaliensis unter einer gesamtheitlichen Perspektive betrachtet werden sollte. Darauf deuten sowohl die Lagenbindung als auch die einzige vorkommende Hand hin. Die verschiedenen Bestandteile, die uns heute noch vorliegen, sind absichtlich zusammengestellt worden. Aufgrund der Überlieferungsgeschichte fehlen einzelne Seiten oder Teile sind nicht mehr lesbar, zusätzlich wurden auch spätere Papierseiten eingefügt. Dennoch scheint die Handschrift als solche als Gesamtheit verstanden werden zu wollen.5

Aber auch über die Inhalte lässt sich die planerische Zusammengehörigkeit fassen. Jürg Glauser sieht diese in U durchaus gegeben:

Der Codex Upsaliensis enthält somit in seiner Gesamtheit als Anthologie Aussagen zu den zentralen Aspekten der altnordischen Dichtung. Über Themen und Stoffe wird in den theologischen und mythographischen Abschnitten des Prologs und in Gylfaginning gehandelt, formale Phänomene wie Metrik, Rhetorik, Poetik sind ausführlich in den Skáldskaparmál theorisiert und im Widmungsgedicht Háttatal exemplifiziert, pragmatische Seiten der Sprache finden ihre Erörterung in der Phonologie des Zweiten Grammatischen Traktates und Literaturgeschichte wird in den Dichterlisten des Skaldatal skizziert. Das Ganze wird in den beiden kurzen Abschnitten Ættertala Sturlunga und Lögsögumannatal schliesslich in einen konkreten isländischen soziokulturellen Kontext gestellt.6

Als Ausgangspunkt der Lektüren dient in dieser Arbeit die Edition von Codex Upsaliensis von Heimir Pálsson aus dem Jahr 2012, die einen wichtigen Beitrag für die neuere Edda-Forschung darstellt. Pálsson bleibt so nahe wie möglich am Text von U und interpoliert nur in den Fussnoten.7 Pálsson begründet seine Edition auf der Faksimile-Ausgabe von Anders Grape. Das zweibändige Werk mit Transkription, paläographischem Kommentar und einer ausführlichen Einleitung ist – gemeinsam mit der digitalen Web-Version der Bibliothek von Uppsala – auch für diese Arbeit von grossem Wert.8 Für den Vergleich der verschiedenen Handschriftentexte von RTW bleiben die drei Bände der Edda Snorra Sturlusonar aus dem 19. Jahrhundertweiterhin sehr hilfreich.9 Vertiefende Einblicke in die Gestaltung von U bieten die jeweiligen Lektürekapitel.

1.3.2 Weitere handschriftliche Überlieferung

Die Prosa-Edda ist in zwei weiteren mittelalterlichen Handschriften überliefert: Codex Regius (GKS 2367 4to, von nun an R) wird auf ca. 1300–25 datiert und auf Grund des gut erhaltenen Zustands häufig als Grundlage für Editionen oder Übersetzungen genommen.1 Zusätzlich zu den kanonischen Texten sind in R eine Liste mit sog. Þulur sowie zwei skaldische Gedichte (Jómsvíkingadrápa und Málsháttakvæði) überliefert.2

Codex Wormianus (AM 242 fol., von nun an W) ist in Bezug auf die Handschriftengrösse und den Inhalt die grösste Version der Prosa-Edda. W stammt ca. von 1350 und umfasst neben den kanonischen Texten der Edda vier grammatische Traktate. Der sog. 2. Grammatische Traktat ist auch in U zu finden, die Versionen unterscheiden sich allerdings im Text und nur in U sind zwei Diagramme, die den Text zu erklären helfen, eingefügt.3 W enthält zudem das eddische Gedicht Rígsþula sowie eine fragmentarische Liste von ókent heiti.4 Zusätzlich sind mehrere Fragmente von Skáldskaparmál überliefert, die je nach Version einmal eher mit R oder dann mit W verbunden gedacht werden.5

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