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2.4 Drei Aspekte literarischer Performativität 2.4.1 Sagen als Tun

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Unter diesem – etwas sperrigen – Titel werden bei Herberichs/Kiening Momente bezeichnet, in denen mit Sprache gehandelt wird. Momente also, die an Fragen der klassischen Sprechakttheorie erinnern. In der realen Welt ermöglicht es die soziale Dimension der Sprache in Verbindung mit dem menschlichen Körper, durch Sprache zu handeln bzw. Macht auszuüben. Ebenfalls entscheidend für die Wirkung ist der institutionelle Kontext, in dem etwas durch Sagen getan wird. Sybille Krämer macht in diesem Zusammenhang auf eine – für die vorliegende Arbeit – wichtige Besonderheit von Austins Auswahl der ursprünglichen Performativa1 aufmerksam:

Ursprüngliche Performativa sind Rituale, Restbestände einer quasi-magischen Praktik im zeremoniellen Reden. […] Die illokutionäre Rolle von Äusserungen wird gewöhnlich mit in Zusammenhang gebracht mit ihrer Bindungsenergie, kraft deren der Sprecher eine soziale Beziehung mit dem Adressaten aufnimmt, die auch zukünftige Verpflichtungen einschliesst. Doch der Standesbeamte, der traut, der Priester, der tauft, der Richter, der ein Urteil spricht, stiften damit keineswegs eine soziale Bindung zu den Verheirateten, dem Getauften und dem Verurteilten. […] Die ursprünglichen Performativa gehören nicht der persönlichen Rede an: Hierin wurzelt deren ‚Aufführungscharakter‘, insofern diese Sprechakte nicht einfach an den Hörer, sondern an Zuhörer gerichtet sind […].2

Um als ritualisierter Sprechakt wirksam zu sein, braucht es ein Machtgefälle zwischen dem Sprecher und dem Angesprochenen. Die Wirksamkeit liegt nicht in der reinen sprachlichen Form, sondern in den gesellschaftlichen Umständen. Hier wird die enge Verbindung zum weiter unten dargestellten Aspekt der Wiederholung/Wiederholbarkeit deutlich: Erst im wiederholten Handeln bzw. in wiederholten kulturellen Praktiken ergibt sich die Autorität eines Richters, Priesters etc.3 Inwiefern die P-E mit einer auf Autoritätsgewinnung ausgelegten Wiederholung als textuelle Strategie arbeitet, wird in Kapitel 2.4.2 beleuchtet.

In der literarischen Welt funktioniert sprachliches Handeln anders als in der realen Welt:

Das „Handeln“, das in den Texten und durch sie stattfindet, kann von den Geltungsbedingungen alltäglichen Handelns entlastet sein, hat damit aber auch erst einmal eigene Geltungsbedingungen herzustellen. Wortmächtige Akte wie Segen, Gebete oder Verfluchungen besitzen, in Texten mitgeteilt, nicht von vornherein Evidenz, vermag die Schrift doch grundsätzlich ursprüngliche Bedeutungen immer auch zu verändern oder ins Latente zu verschieben.4

In der realen Welt erhält ein Sprechakt durch eine ihm vorausliegende Geltung Wirkkraft. Ein literarischer Text muss diese Verbindlichkeit gleichzeitig konstituieren und auf sich übertragen. Das, worauf er sich stützt, muss er zugleich selbst hervorbringen. Das ermöglicht der Literatur immer auch das Spiel zwischen tatsächlicher und behaupteter Geltung und lässt ihre Wirkkraft entweder steigern oder einschränken. Die Evidenz literarischer Sprechakte muss deshalb durch zusätzliche Strategien gewonnen werden: „[…] zum Beispiel durch Anleihe bei onto-theologischen Konzepten, transzendenten Ursprüngen oder rechtlich normativen Modellen.“5 Für die christliche Vormoderne beruht die Wirkmacht von Sprache auf bestimmten kulturellen Vorbedingungen, nämlich auf:

[…] dem im Eingang der Genesis entwickelten und im Prolog zum Johannes-Evangelium aufgegriffenen Gedanken, die Welt sei durch die zugleich ursprünglichen und ewigen Schöpfungsworte Gottes hervorgebracht und damit Resultat einer Identität von Sprechen und Handeln. Dieser Gedanke bot den Hintergrund und Geltungsrahmen für die Übertragung transzendenter Bedingungen auf immanente: Das göttlich inspirierte oder autorisierte Wort, die christliche Offenbarungsmacht von Sprache und Schrift, sie ermöglichen es, Texte mit Transzendenzenergie aufzuladen und mit ontologischen Zügen zu versehen – als nicht nur Veranschaulichungen und Repräsentationen, sondern Verkörperungen und Realisationen genuin heilsgeschichtlicher Texte. Auch dort, wo es um die Legitimierung von Herrschaft, die Setzung von Recht oder allgemein die Schaffung von Geltung und Verbindlichkeit ging, spielte der nicht bloss referentielle oder mimetische, sondern performative und vollzugshafte Charakter von Texten eine Rolle.6

Literarische Texte rufen eine derartige Evidenz nicht einfach auf oder übernehmen sie, sondern sie stellen sie aus und reflektieren sie. So können z.B. intradiegetische Sprachhandlungen dem extradiegetischen Handeln des Textes entgegenstehen und so das Paradox des Performativen gerade hervorheben. Wie sich in der Lektüre der P-E zeigen wird, lassen sich performative Aspekte von Sagen als Tun auf verschiedenen Ebenen finden. In Gylfaginning werden bspw. sowohl auf der Rahmen- als auch auf der Binnenebene Eide geschworen, Flüche ausgesprochen und Versprechen gegeben bzw. gebrochen. Die Genesis und das Johannes-Evangelium als kulturelle Vorbedingungen gelten natürlich auch für das Entstehungsumfeld der P-E, was sich deutlich in der Gestaltung des Prologs und seinen Verbindungslinien zur Konzeption von Gylfaginning zeigt. So kann man z.B. die gesamte Gylfaginning als performativen Sprechakt/Schreibakt verstehen: Der Text berichtet über die Entstehung und das Wesen des nordischen Kosmos und stellt ihn als Lehre dieser Welt vor. Gleichzeitig stellt er aber auf ausgeklügelte Weise aus, dass diese Welt erst durch seine Erzählung entsteht und nur die konstante Weitererzählung ihr Bestehen sichert. Die Art und Weise, wie ein Text mit solchen Performativa verfährt, hilft dem Sprach- und Literaturverständnis eines Werks nachzuspüren. Gylfaginning scheint der Frage nachzugehen, ob „Welt“ nur im Erzählen hergestellt werden kann. Auf einer rezeptionsästhetischen Ebene kann man auch nach der Sprechaktintention der P-E in Bezug auf die skaldische Dichtung fragen. Als These liesse sich annehmen, dass die P-E die Skaldik vor dem Verschwinden aus dem kulturellen Gedächtnis retten soll. Die Frage könnte dann lauten: Ist der Sprechakt geglückt? Derartige Zugänge werden in den Lektürekapiteln erprobt.

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