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Kapitel 3 - Nadeya

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Dear Lord,

Give me a few friends

who will love me for what I am,

and keep ever burning

before my vagrant steps

the kindly light of hope...

And though I come not within sight

of the castle of my dreams,

teach me to be thankful for life,

and for time‘s olden memories

that are good and sweet.

And may the evening‘s twilight

find me gentle still.

- Irish Blessing -

»Verdammt Alan! Meine Mom ist vor weniger als einem Monat gestorben. Findest du das komisch?«

Nadeya presste sich das Smartphone fest ans Ohr und hörte das unterdrückte Seufzen, das ihr Freund von sich gab.

»Nein Babe. Natürlich nicht. Aber du warst schon ewig nicht mehr hier. Langsam nervt‘s einfach und ich überlege schon, ob ich was mit der hübschen Blondine anfangen soll, die gerade in die Wohnung unter mir eingezogen ist.«

Alans Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Dann mach doch!«, zischte Nadeya, legte auf und warf ihr Handy achtlos aufs Bett. Kochend vor Wut griff sie nach ihrem Wäschekorb und machte sich auf den Weg in den Keller. Alan war einfach unmöglich. Natürlich hatte sie keine Zeit gehabt, ihn in Dublin zu besuchen. Zuerst die Beerdigung ihrer Mutter, dann die ganzen anderen Dinge, die es zu klären gab. Das Testament hatte bei einem Notar gelegen. Doch es hatte sie viele Gänge zu Behörden und Anrufe bei Versicherungen gekostet, um endlich alles ins Reine zu bringen. Khyra war ihr keine große Hilfe gewesen, war sie doch seit ihrem Unfall noch immer nicht richtig auf der Höhe.

Nadeya seufzte, während sie die Klamotten wahllos in die Maschine stopfte. Ihre Schwester war nicht mehr dieselbe, seit diesem Sturz. Vielleicht auch einfach wegen des Todes ihrer Mutter. Sie war zu oft fröhlich und traurig zugleich.

Am Anfang hatte Nadeya Schwierigkeiten gehabt, ihr die Geschichte mit dem gutaussehenden Fremden abzukaufen, der sie einfach geküsst hatte. Wer bitte machte so etwas? Direkt nach einem Unfall? Doch ihre merkwürdigen Stimmungsschwankungen waren anders nicht zu erklären.

Sie telefonierten fast jeden Tag und trafen sich mindestens einmal die Woche. Manchmal gab es Fragen zu klären. Zum Beispiel was sie mit dem riesigen Haus machen sollten, das ihre Mom ihnen vererbt hatte. Und hin und wieder sprachen sie ohne besonderen Grund miteinander.

Nadeya erhob sich, füllte Waschpulver in die Maschine und ging dann mit dem leeren Wäschekorb zurück zu ihrer Wohnung.

Auf dem Weg dorthin hörte sie, dass von oben Schritte die Treppe hinunter kamen. Die beiden Menschen sprachen miteinander.

»Geben Sie mir einfach bis morgen Abend Bescheid, ob sie die Wohnung nehmen wollen. Bis dahin habe ich sie Ihnen reserviert«, sagte ein Mann in rauem, männlichem Klang. Eine weibliche, näselnde Stimme antwortete.

»Ich bin mir schon fast sicher. Auch wenn ich den Balkon etwas klein finde. Aber mehr kann man für den Preis wohl nicht erwarten.«

Es sah ganz so aus, als bekäme Nadeya eine neue Nachbarin. Neugierig stieg sie die Stufen hinauf und drückte sich dann in den Wohnungseingang der alten Katzenomi, die hier wohnte, als die beiden sich im engen Flur an ihr vorbei drängten. Die Frau trug ihre Nase hoch und dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie Nadeya bemerkte. Ein kleines, herablassendes Lächeln erschien auf ihren bemalten Lippen. Sie kannte solche Frauen zu genüge. Nur weil sie sich etwas anders kleidete als normale Menschen und ein paar Piercings im Gesicht trug, wurde sie von ihnen als minderwertig angesehen. Doch es war ihr egal.

Aber der Makler machte einen ganz anderen Eindruck auf sie. Er war hochgewachsen und breitschultrig und seine blonden Locken waren teilweise zu kleinen Zöpfen geflochten. Auch er wirkte wie jemand, der Blicke in einer Menschenmasse auf sich zog. Seine blauen Augen begegneten den ihren, und als er sie freundlich, doch reserviert anlächelte und im Vorübergehen grüßte, spürte Nadeya ein merkwürdiges Fallgefühl in der Magengegend. Sie vergaß den Gruß zu erwidern und kaute stattdessen auf ihren Piercings herum.

Da wurde hinter ihr die Tür geöffnet.

»Oh«, stieß Misses Counter überrascht aus. »Schätzchen wolltest du etwas? Ich wollte gerade einkaufen gehen.«

»Ähm«, gab Nadeya zurück.

»Oh, oh!« Die Katzenomi lachte.

»Wenn das in deinem Alter schon anfängt mit der Vergesslichkeit, wie soll das erst werden, wenn du so alt bist wie ich?«

»Eier«, stieß Nadeya verzweifelt aus. Warum nicht? Sie hatte ohnehin noch nicht gefrühstückt.

»Natürlich. Was ist ein Frühstück ohne Eier? Aber du solltest auch etwas Frisches zu dir nehmen, du siehst viel zu blass aus«, sagte die alte Dame und wackelte zurück in die Wohnung. Eine ihrer Katzen folgte ihr.

»Eier und Äpfel, bitteschön. Brauchst du sonst noch etwas? Ich gehe ohnehin einkaufen.«

»Nein, vielen Dank, Misses Counter. Aber Sie sollten vielleicht Ihr Haarnetz abnehmen, bevor Sie gehen.«

»Wo wir wieder bei der Vergesslichkeit wären.«

Nadeya grinste, während sie in ihre Wohnung zurückkehrte. Misses Counter war eine der wenigen ihrer Generation, die kein Problem mit ihrem auffallenden Äußeren hatte.

Sie warf sich bäuchlings aufs Bett und nahm ihr Handy in die Hand. Zwei Anrufe in Abwesenheit. Beide von Alan. Doch sie hatte jetzt keine Lust, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Der Streit ließ sich ohne weiteres auf später verschieben.

Stattdessen schloss sie die Augen und merkwürdigerweise tauchte das Gesicht des Maklers vor ihr auf. Sein Lächeln hatte absolut nichts Herablassendes an sich gehabt. Doch warum interessierte sie das überhaupt?

Es gab heute wichtigere Dinge zu tun. Sie musste... einen Makler finden, der das Haus für sie verkaufte. Nadeya raufte sich die wilden, roten Locken. Und schon wieder waren da die furchtbar blauen Augen des Mannes. Grinsend stellte sie sich eine Szene wie im Film vor, bei der sie dem gutaussehenden Fremden hinterher rannte und ihn bat, diesen Job anzunehmen. Sie musste lachen, ging in die Küche und bereitete sich ein paar Eier mit Speck zu. Während ihr Frühstück in der Pfanne brutzelte, steckte sie zwei Scheiben Brot in den Toaster und blickte aus dem Küchenfenster. Missmutig verzog sie das Gesicht. Dicke Regentropfen fielen auf den Shannon herab, der unterhalb des mehrstöckigen Wohnhauses dahin floss. Der April war so angenehm warm gewesen. So sehr, dass sie bei der Beerdigung in ihrer schwarzen Kleidung mächtig geschwitzt hatten. Der Mai hatte schon verregnet begonnen und das Wetter hatte sich seit Tagen nicht verändert.

Nadeya wollte sich gerade mit ihrem Frühstück vor ihren PC setzen, als es an der Haustür klingelte. Sie verdrehte die Augen und ging zu der Sprechanlage im Flur.

»Ja?«, sagte sie eine Spur zu genervt.

»Deya, ich bin‘s. Mach auf.«

Ohne noch etwas zu sagen, drückte Nadeya auf den Türöffner und ging zu ihrer Wohnungstür. Sie öffnete sie einen Spalt breit und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück. Der PC war mittlerweile hochgefahren. Sie nahm ihr Toast, vollbeladen mit Ei und Speck in die Hand und biss davon ab, während sie YouTube öffnete und wahllos ein Video aus ihrer Playlist anklickte. Irgendein Typ aus Limerick, der seine Musik hochgeladen hatte. Seine Lieder waren ganz cool und Nadeya mochte den Klang seiner tiefen, rauen Stimme. Sie nahm den Teller in die Hand und drehte ihren Stuhl zur Tür um. Die Wohnungstür fiel ins Schloss und Khyra betrat ihr Schlafzimmer. Sie ließ ihre Tasche fallen und warf sich rücklings auf das Bett. Dabei stöhnte sie gequält.

»Kommst du von der Nachtschicht?«

»Ja«, gab sie zurück und verschränkte die Arme vor dem Gesicht. Nadeya grinste.

»Frühstück? In der Pfanne sind noch Eier mit Speck. Ich hab ohnehin zu viel gemacht.«

»Gern«, sagte Khyra, rappelte sich auf und verschwand in Nadeyas Küche. Wenig später hörte sie sie zurückkehren. Sie hatte mittlerweile das neue Video angeklickt, dass der Nutzer hochgeladen hatte.

»Hey Leute, ich habe einen neuen Song für euch. Ich spiele ihn euch gleich vor, aber vorweg: Er ist noch nicht perfekt«, sagte der Typ und lächelte freundlich in die Kamera. Er saß auf einem Cajon und hielt den Hals seiner Gitarre fest, die vor ihm auf dem Boden stand.

»Es handelt sich eigentlich um ein Duett, und wenn euch der Song gefällt und ihr singen könnt, meldet euch doch mal bei mir. In der Infobox habe ich euch meine E-Mail-Adresse hinterlassen.«

Der Typ platzierte die Gitarre, ein schönes, nachtschwarzes Instrument, auf seinem rechten Bein und spielte ein paar Akkorde, als hinter Nadeya klirrend etwas zu Boden fiel.

»Verdammt noch mal, Khyra. Was soll das?«, fuhr sie ihre Schwester an, die wie erstarrt in der Mitte des Schlafzimmers stand. Vor ihren Füßen lag der Teller, das Ei überall auf dem Boden verteilt. Sie zitterte.

»Das ist er.«

»Was?«

»Das ist der Typ. Kian.«

Nadeya starrte sie einen Augenblick ungläubig an, bevor ihr Blick zurück auf den Monitor wanderte. Reflexartig hatte sie auf Pause gedrückt und das Bild des YouTubers war eingefroren.

»Was für ein Kian?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort zu kennen glaubte.

»Na der, der mich...«

Sie schien völlig aufgelöst. Rasch stand Nadeya auf, tänzelte um die Sauerei herum und nahm ihre Schwester fest in den Arm. Sie zitterte noch immer, während Nadeya genau merkte, dass sie über ihre Schulter hinweg den Bildschirm ansah.

»Mensch Süße, mach dich nicht lächerlich.« Nadeya strich ihrer Schwester eine verirrte, rote Locke aus dem Gesicht.

»Deya, er ist es wirklich. Ich meins ernst.«

»Bist du sicher?«

Sie nickte. Die Ältere zögerte kurz, spielte mit der Zunge an ihren Lippenpiercings und bückte sich schließlich, um die Sauerei wegzuräumen.

»Tja, das mit dem Frühstück hat sich wohl erledigt.«

Sie sammelte die Ei-Stücke auf, warf sie zurück auf den Teller und trug ihn in die Küche. Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrte, saß Khyra auf ihrem Schreibtischstuhl und hatte auf Play gedrückt. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.

»Der Wahnsinn«, murmelte sie, während sie sich das gefühlvolle Lied anhörte, das - obwohl nur mit Gitarre begleitet - eine einzige Symphonie darstellte. Dieser Kian hatte echt Talent. Nadeya hatte seine Songs ja schon vor einer Weile entdeckt und auch gewusst, dass er aus der Gegend stammte, doch dass ausgerechnet er Khyras Retter sein sollte? Irgendwie war das zu schön, um wahr zu sein. Und wahrscheinlich war es das auch. Zu schön. Es musste einen Haken geben und Nadeya glaubte, ihn zu kennen.

Dieser Typ hatte ihre Schwester geküsst. Einfach so. Wer machte so etwas? Nur ein Macho, einer, der zu viel auf sich hielt. Dieser Kerl konnte nicht gut für Khyra sein. Warum nur hatte sie das YouTube-Video geöffnet? Vielleicht hätte Khyra es irgendwann endlich geschafft, ihn zu vergessen. Er wäre zu einer schönen Erinnerung geworden und nichts weiter. Doch jetzt würde er aufs Neue ihr Denken einnehmen.

»Genug jetzt«, sagte Nadeya und schloss mit einem einzigen Klick den Browser.

»Hey«, stieß Khyra aus, die wie versunken in dem Anblick des Fremden gewesen war.

»Schluss damit. Du gehst jetzt nach Hause, pennst eine Runde und heute Abend gehen wir aus.«

»Aber ich wollte...«

»Keine Widerrede. Mach schon!« Nadeya zog ihre Schwester auf die Füße und schubste sie zur Tür hinaus.

»Melde dich, sobald du wach bist, dann komme ich vorbei und wir überlegen uns, was wir unternehmen.«

Khyra schnaubte ergeben.

Unequally Love

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